Deutscher Bundestag
124. Sitzung
Bonn, den 29* April 1964
Inhalt:
Abg. Haussier tritt in den Bundestag ein 5951 A
Zur Tagesordnung:
Wagner (CDU/CSU) 5952 A, D
Dr. Mommer (SPD) . . 5952 B, D, 5975 A
Dr. Rutsdike (FDP) 5952 D
Fragestunde (Drucksache IV/ 2202)
Frage des Abg. Schmidt (Kempten):
Rechtsverordnung gemäß § 95 BVFG
Abs. 2 Satz 2
Dr. Nahm, Staatssekretär . 5953 A, B, C
Schmidt (Kempten) (FDP) . . . 5953 B, C
Frage des Abg. Seifriz:
Familienzuschlag gemäß § 81 des Ge-
setzes für Jugendwohlfahrt
Dr. Heck, Bundesminister .... 5953 D
Frage des Abg, Metzger:
Amazonas-Hospital in Pucallpa
Scheel, Bundesminister 5953 D, 5954 A, B
Metzger (SPD) 5954 A
Fragen des Abg. Dr. Dichgans:
Einfuhr von Getreide 5954 B
Frage des Abg. Wächter:
Orientierungspreise für Schlachtrinder
Schwarz, Bundesminister 5954 C, 5955 A, B
Wächter (FDP) .... 5954 D, 5955 B
Fragen des Abg. Krug:
Käsereimilchsonderstützung
Schwarz, Bundesminister . . 5955 B, C, D,
5956 A
Schmidt (Kempten) (FDP) .... 5955 D
Frage des Abg. Ramms:
Entschädigung für Entzug der Traktat-
ländereien
Schwarz, Bundesminister . . . 5956 A, B, C
Ramms (FDP) 5956 B, C
Frage des Abg. Logemann:
Abschöpfung für Schweineschwänze
Schwarz, Bundesminister 5956 C
Frage des Abg. Logemann:
Abschöpfung für Schweinsohren
Schwarz, Bundesminister 5956 D
Frage des Abg. Logemann:
Beschluß des Bundestages zur EWG-
Agrarpreispolitik
Schwarz, Bundesminister . . 5957 B, C, D
Logemann (CDU/CSU) 5957 B
Ertl (FDP) 5957 C
Frage des Abg. Paul:
Verhaftung Deutscher in der Tschecho-
slowakei
Dr. Carstens, Staatssekretär 5957 D, 5958 C
Paul (SPD) 5958 C
Dr. Czaja (CDU/CSU) 5958 C
Druck r Bonner Universitäts-Budidruckerei, 53 Bonn
Alleinvertrieb: Dr. Hans Heger, 532 Bad Godesberg,
Postfach 821, Goethestraße 54, Tel. 6 35 51
II
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Frage des Abg. Kahn- Ackermann:
Schulgeld in deutschen Auslandsschulen
Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 5958 D,
5959 B, C
Kahn- Ackermann (SPD) .... 5959 A, B
Strohmayr (SPD) 5959 C
Dr. Huys (CDU/CSU) 5959 C
Frage des Abg. Kahn- Ackermann:
Vortragsreise des Prof. Fischer in USA
Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 5959 D,
5960 B, C, D
Kahn- Ackermann (SPD) . . . 5960 A, B
Sänger (SPD) 5960 C
Vogt (CDU/CSU) 5960 D
Fragen des Abg. Dr. Huys:
Nichtfreigabe des Gepäcks deutscher
Lehrer in Kairo
Dr. Carstens, Staatssekretär 5961 A, C, D,
5962 A, B, C
Dr. Huys (CDU/CSU) . 5961 C, D, 5962 C
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 5962 A
Kahn- Ackermann (SPD) 5962 B
Frage des Abg. Rollmann:
UNESCO-Institut für Pädagogik in
Hamburg
Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 5962 D
Rollmann (CDU/CSU) 5962 D
Frage des Abg. Börner:
Ratifizierungsgesetz zum Übereinkom-
men zur Verringerung der Mehrstaa-
tigkeit
Höcherl, Bundesminister .... 5963 A, B
Börner (SPD) 5963 B
Frage des Abg. Jahn:
Zweites Ausführungsgesetz zu Arti-
kel 26 Abs. 2 des Grundgesetzes
Höcherl, Bundesminister . . . 5963 C, D,
5964 A, B, C, D, 5965 A, B
Jahn (SPD) 5963 C, D
Rollmann (CDU/CSU) 5963 D
Dr. Mommer (SPD) 5964 A
Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU/CSU) . 5964 B, C
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 5964 C
Dr. Bechert (SPD) . . . 5964 D, 5965 A
Ritzel (SPD) 5965 A, B
Erler (SPD) 5965 B
Sammelübersicht 30 des Petitionsausschus-
ses über Anträge zu Petitionen und syste-
matische Übersicht über die in der Zeit
vom 17. Oktober 1961 bis 31. März 1964
eingegangenen Petitionen (Drucksache
IV/2169) 5965 C
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Luftverkehrsgesetzes (6. Änderung)
(Drucksache IV/ 1646) ; Schriftlicher Bericht
des Verkehrsausschusses (Drucksache
IV/2121) — Zweite und dritte Beratung — 5965 D
Entwurf eines Gesetzes zu den Änderun-
gen vom 11. April 1962 des Internatio-
nalen Übereinkommens zur Verhütung
der Verschmutzung der See durch Öl,
1954, usw. (Drucksache IV/1703); Schrift-
licher Bericht des Verkehrsausschusses
(Drucksache IV/2130) — Zweite und dritte
Beratung — 5966 A
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
des Güterkraftverkehrsgesetzes (Abg.
Drachsler, Dr. Reinhard, Dr. Höchst, Glü-
sing [Dithmarschen], Bauknecht, Bewe-
runge und Fraktion der CDU/CSU)
(Drucksache IV/ 1234) ; Schriftlicher Bericht
des Verkehrsausschusses (Drucksache
IV/2141) — Zweite und dritte Beratung — 5966 B
Entwurf eines Gesetzes über den Übergang
von Zuständigkeiten auf dem Gebiete des
Rechts des Gesundheitswesens (Druck-
sache IV/ 1832); Schriftlicher Bericht des
Ausschusses für Inneres (Drucksache
IV/2172) — Zweite und dritte Beratung — 5966 C
Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen
vom 31. Mai 1963 mit der Regierung von
Indien über den Fluglinienverkehr (Druck-
sache IV/1939); Schriftlicher Bericht des
Verkehrsausschusses (Drucksache IV/
2189) — Zweite und dritte Beratung — 5966 D
Entwurf eines Gesetzes über Bodennut-
zungs- und Ernteerhebung (Drucksache
IV/1795); Schriftlicher Bericht des Aus-
schusses für Inneres (Drucksache IV/2 198)
— Zweite und dritte Beratung — ... 5967 A
Entwurf eines Gesetzes über eine Statistik
der Arbeitskräfte in der Land- und Forst-
wirtschaft (Drucksache IV/1794); Schrift-
licher Bericht des Ausschusses für Inne-
res (Drucksache IV/2 199) — Zweite und
dritte Beratung — 5967 B
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Abwicklung des Reichs-
nährstandes und seiner Zusammen-
schlüsse (Abg. Bauknecht, Dr. Schmidt
[Gellersen], Walter u. Gen.) (Drucksache
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
III
IV/1277); Schriftlicher Bericht des Ernäh-
rungsausschusses (Drucksache IV/2137)
— Zweite und dritte Beratung — ... 5967 C
Entwurf eines Gesetzes zur Förderung
eines freiwilligen sozialen Jahres (CDU/
CSU, FDP); Schriftlicher Bericht des Aus-
schusses für Familien- und Jugendfragen
(Drucksache IV/2138) — Zweite und dritte
Beratung —
Frau Pitz-Savelsberg (CDU/CSU) . . 5967 D,
5969 D
Frau Eilers (SPD) 5968 A
Frau Funcke (Hagen) (FDP) .... 5971 D
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Bundesbaugesetzes (FDP) ; (Drucksache
IV/924); Schriftlicher Bericht des Finanz-
ausschusses . (Drucksachen IV/2142, zu
IV/2142) — Zweite und dritte Beratung —
Dr. Besold (CDU/CSU) 5973 A
Entwurf eines Siebenten Strafrechtsände-
rungsgesetzes (CDU/CSU, FDP, SPD)
(Drucksache IV/1817) ; Schriftlicher Bericht
des Strafrechtsausschusses (Drucksache
IV/2186) — Zweite und dritte Beratung — 5974 C
Antrag betr. Verbesserung der Fahrwas-
serverhältnisse auf dem Rhein (Abg.
Josten, Buchstaller, Dr. Danz u. Gen.)
(Drucksache IV/2020) 5975 A
Antrag betr. Besetzung der Ämter des Prä-
sidenten des Bundesrechnungshofes und
des Bundesbeauftragten für die Wirt-
schaftlichkeit der Verwaltung (SPD)
(Drucksache IV/2048) 5975 B
Antrag betr. EWG-Regelung für Kartoffeln
(Abg. Logemann, Sander, Wächter, Murr,
Mauk u. Gen.) (Drucksache IV/2153) . . 5975 B
Antrag betr. Förderung der bäuerlichen
Veredelungswirtschaft (Abg. Logemann,
Wächter, Walter, Murr, Reichmann u.
Gen.) (Drucksache IV/2154) 5975 C
Übersicht 21 des Rechtsausschusses über
Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
gericht (Drucksache IV/2021) 5975 C
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
rung des Arzneimittelgesetzes (Druck-
sachen IV/1370, IV/563); Schriftlicher Be-
richt des Gesundheitsausschusses (Druck-
sachen IV/2 162, ^IV/2162) — Zweite und
dritte Beratung —
Frau Dr. Hubert (SPD) 5975 D
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . 5976 B,
5977 D, 5980 D
Dr. Elbrächter (CDU/CSU) ....
Dr. Dittrich (CDU/CSU) . 5978 B,
Dr. Schmidt (Offenbach) (SPD) . . .
Sechsundfünfzigste Verordnung zur Ände-
rung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zoll-
aussetzung für Fische und Krebstiere
1964) (Drucksache IV/2034)
Sechzigste Verordnung zur Änderung des
Deutschen Zolltarifs 1963 (Zollkontin-
gente für EGKS- Waren) (Drucksache
IV/2151)
Einundsechzigste Verordnung zur Ände-
rung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Wein
zum Herstellen von Weindestillat)
(Drucksache IV/2 152) .
Bericht des Außenhandelsausschusses über
die Fünfundvierzigste Verordnung zur
Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963
(Kaschu-Nüsse usw.) (Drucksachen IV/
1937, IV/2095)
Bericht des Außenhandelsausschusses über
die Zwölfte Verordnung zur Änderung
der Einfuhrliste — Anlage zum Außen-
wirtschaftsgesetz — , Dreizehnte Verord-
nung zur Änderung der Einfuhrliste —
Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz —
(Drucksachen IV/1980, IV/1981, IV/2096)
Bericht des Außenhandelsausschusses über
die Fünfzigste Verordnung zur Ände-
rung des Deutschen Zolltarifs 1963 (An-
gleichungszoll für Dextrine und Stärke
— Neufestsetzung) (Drucksachen IV/2032,
IV/2182)
Bericht des Ausschusses für Inneres über
den Antrag der Fraktion der SPD betr.
Neuregelung der Arbeitszeit der Beam-
ten des Bundes (Drucksachen IV/1816,
IV/2082)
Schriftlicher Bericht des Verkehrsausschus-
ses über den Antrag der Abg. Dr. Schmidt
(Gellersen), Frehsee, Seither, Saxowski
u. Gen. betr. Sonderregelung für die Zu-
lassung von Mähdreschern im Straßen-
verkehr (Drucksachen IV/ 1701, IV/2 129)
Schriftlicher Bericht des Verkehrsausschus-
ses über den Antrag der Abg. Wächter,
Ertl u. Gen. zur Beratung des Berichts
der Bundesregierung über die Lage der
Landwirtschaft betr. Senkung der Fracht-
kosten für Schlachtrinder (Drucksache
IV/2131, Umdruck 184)
5976 D
5980 A
5979 B
5982 A
5982 A
5982 B
5982 B
5982 C
5982 C
5982 D
5983 A
5983 A
IV
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsaus-
schusses über den Antrag der Abg. Dr.
Martin, Neumann (Allensbach), Blumen-
feld, Holkenbrink, Frau Dr. Maxsein u.
Gen. betr. Untersuchung über die Wett-
bewerbsgleichheit von Presse, Funk,
Fernsehen und Film (Drucksachen IV/
1400, IV/2158)
Sänger (SPD) 5983 B
Dr. Arnold (CDU/CSU) 5984 C
Dr, Aschoff (FDP) 5985 D
Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Veräußerung einer Teilfläche des
ehemaligen Flugplatzes Hamburg-Bah-
renfeld (Drucksache IV/2046) 5986 A
Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Veräußerung einer Teilfläche der
ehemaligen Infanteriekaseme in Lübeck
(Drucksache IV/2103) 5986 A
Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Deutsche Pfandbrief anstatt; Erhö-
hung des Grundkapitals usw. — (Druck-
sache IV/2 146) 5986 A
Antrag des Bundesministers der Finanzen
betr. Veräußerung des ehemaligen Ma-
rine-Prüfstandes in Frankenthal (Druck-
sache IV/2 160) 5986 B
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsaus-
schusses über den Vorschlag der Kommis-
sion der EWG für eine Verordnung des
Rats über die Anwendung von Artikel 85
Absatz 3 EWG auf Gruppen von Verein-
barungen, Beschlüssen und aufeinander
abgestimmten Verhaltensweisen (Druck-
sachen IV/2024, IV/2177, m IV/2177) . . 5986 C
Schriftlicher Bericht des Ernährungsaus-
schusses über den Vorschlag der Kommis-
sion der EWG für eine Richtlinie des
Rats über die Einzelheiten der Verwirk-
lichung des freien Dienstleistungsver-
kehrs in den Berufen der Landwirtschaft
und des Gartenbaus (Drucksachen IV/2040,
IV/2 181) 5986 D
Schriftlicher Bericht des Außenhandelsaus-
schusses über den Vorschlag der Kommis-
sion der EWG für eine Verordnung des
Rats über die Prämiensätze für die Ein-
fuhr von Reis und Bruchreis (Drucksachen
IV/2136, IV/2188) 5986 D
Mündlicher Bericht des Ausschusses für
Inneres über die Entwürfe für eine Ver-
ordnung Nr. . . ./63/EURATOM, Nr. . , ./
63/EWG der Räte vom . . . zur Änderung
der Berichtigungskoeffizienten für die
Dienst- und Versorgungsbezüge der Be-
amten und eine Verordnung Nr. . . ./63/
EURATOM, Nr. . . ./63/EWG der Räte
vom . . . zur Anpassung bestimmter Be-
richtigungskoeffizienten für die Dienst-
und Versorgungsbezüge der Beamten
(Drucksachen IV/2167, IV/2193) .... 5987 A
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsaus-
schusses über den Vorschlag der Kommis-
sion der EWG für eine Zweite Richtlinie
auf dem Gebiete des Filmwesens (Druck-
sachen IV/1975, IV/2197) 5987 B
Schriftlicher Bericht des Ernährungsaus-
schusses über den Vorschlag der Kommis-
sion der EWG für eine Verordnung des
Rats über die Bestimmung der zur Erzeu-
gung von einem Kilogramm zum Ver-
brauch bestimmter Geflügeleier in der
Schale und der zur Erzeugung von einem
Kilogramm Bruteier von Hausgeflügel er-
forderlichen Futtergetreidemenge (Druck-
sachen IV/2148, IV/2180) 5987 B
Schriftlicher Bericht des Ernährungsaus-
schusses über den Vorschlag der Kommis-
sion der EWG für eine Verordnung des
Rats über die Festlegung der Kriterien
für die Interventionsregelung auf dem
Rindfleischmarkt (Drucksachen IV/2 156,
IV/2200) 5987 C
Schriftlicher Bericht des Außenhandelsaus-
ausschusses über die Vorschläge der
Kommission der EWG für eine Verord-
nung des Rats über die Änderung und
Verlängerung der Verordnung Nr. 3/63/
EWG vom 24. Januar 1963 betreffend die
wirtschaftlichen Beziehungen zu den Län-
dern mit Staatshandel und eine Verord-
nung des Rats über die Festsetzung der
Abschöpfungsbeträge für Erzeugnisse der
Geflügelwirtschaft, deren Zollsätze im
GATT konsolidiert worden sind (Druck-
sachen IV/2027, IV/2124, IV/2184) . . . 5987 D
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
über den Vorschlag der Kommission der
EWG für eine Richtlinie des Rats zur
Koordinierung der Schutzbestimmungen,
die in den Mitgliedstaaten den Gesell-
schaften im Sinne des Artikels 58 Ab-
satz 2 im Interesse der Gesellschafter so-
wie Dritter vorgeschrieben sind (Druck-
sachen IV/2014, IV/2190)
Dr. Reischl (SPD) 5988 B
Dr. Wilhelmi (CDU/CSU) 5988 C
Schriftlicher Bericht des Gesundheitsaus-
schusses über den Vorschlag der Kommis-
sion der EWG für eine Zweite Richtlinie
zur Angleichung der Rechts- und Ver-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
V
waltungsvorsdiriften für pharmazeutische
Spezialitäten (Drucksachen IV/2028, IV/
2194) 5988 D
Entwurf eines Gesetzes über die Beweis-
sidierung und Feststellung von Vermö-
gensverlusten in der sowjetischen Besat-
zungszone Deutschlands und im Sowjet-
sektor von Berlin (Beweissicherungsge-
setz) (Drucksache IV/1994) — Erste Be-
ratung —
Eichelbaum (CDU/CSU) 5989 B
Dr. Kohut (FDP) 6018 D
Gedat (CDU/CSU) 6022 D
Höcherl, Bundesminister 6024 B
Schultz (FDP) 6034 C
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung miet-
rechtlicher Vorschriften (Drucksache IV/
806); Zweiter Schriftlicher Bericht des
Rechtsausschusses (Drucksachen IV/2195
und ^ 2195) — Zweite Beratung; in Ver-
bindung mit dem
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb,
des Rabattgesetzes und der Zugabever-
ordnung (Abg. Frau Beyer [Frankfurt],
Kurlbaum, Lange [Essen] und Fraktion
der SPD) (Drucksache IV/2001) — Erste
Beratung —
Frau Beyer (Frankfurt) (SPD) . . . 5989 C
Dr. Aschoff (FDP) 5990 C
Schriftlicher Bericht des 2. Untersuchungs-
ausschusses gemäß Antrag der Fraktion
der SPD (Drucksachen IV/1544, IV/2170)
Dorn (FDP) 5991 A, 6019 D
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 5994 C,
6023 A, 6033 D
Dr. Süsterhenn (CDU/CSU) .... 5999 A
Busse (FDP) 6003 B
Dr. Schäfer (SPD) 6006 A
Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) .... 6009 D
Wagner (CDU/CSU) 6015 C
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
§ 556 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(SPD) (Drucksache IV/1554); Schriftlicher
Bericht des Rechtsausschusses (Druck-
sache IV/2201) — Zweite Beratung —
Jacobi (Köln) (SPD) . . . 6035 B, 6043 C,
6045 C
Dr. Hauser (CDU/CSU) . 6035 D, 6037 B,
6039 D, 6042 A
Busse (FDP) . . 6036 B, 6038 A, 6040 A,
6042 D, 6044 C, 6048 B
Jahn (SPD) . . . 6036 C, 6039 C, 6041 A
Dr. Bücher, Bundesminister 6037 C, 6047 D
Dr. Reischl (SPD) .... 6038 B, 6046 B
Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 6039 A,
6045 C
Dr. Weber (Koblenz) (CDU/CSU) . . 6044 A,
6047 B
Dr. Czaja (CDU/CSU) 6045 A
Mick (CDU/CSU) 6048 B
Nächste Sitzung 6049 C
Anlagen
6051
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5951
(C)
124. Sitzung
Bonn, den 29. April 1964
Stenographischer Bericht
Beginn: 9.01 Uhr
Vizepräsident Dr, Jaeger: Die Sitzung ist er-
öffnet.
Meine Damen und Herren, als Nachfolger für
den durch Verzicht ausgeschiedenen Abgeordneten
Dr. Vogel ist mit Wirkung vom 20. April 1964 der
Abgeordnete Haussier in den Bundestag eingetreten.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden
ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht
auf genommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 24. April 1964 den
nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß
Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
das Rechnungsjahr 1964 (Haushaltsgesetz 1964)
Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundes-
haushaltsplan für das Rechnungsjtahr 1963 (Nachtragshaus-
haltsgesetz 1963)
Zweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes
zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenver-
sicherungen.
Der Herr Vorsitzende des Vermittlungsausschusses des Deut-
schen Bundestages und des Bundesrates hat am 16, April 1964
mitgeteilt, daß der Vermittlungsausschuß in seiner 8. Sitzung am
16. April 1964 folgenden Einigungsvorschlag beschlossen hat:
Das vom Deutschen Bundestag in seiner 101. Sitzung am
11. Dezember 1963 beschlossene Gesetz über die Jugendzahn-
pflege wird bestätigt.
Sein Schreiben ist als Drucksache IV/2159 verteilt.
Der Herr Präsident des Bundesrates hat am 24. April 1964 mit-
geteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am 24. April 1964
beschlossen hat, dem vom Deutschen Bundestag am 11. Dezember
1963 verabschiedeten Gesetz über die Jugendzahnpflege gemäß
Artikel 84 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zuzustimmen. Sein
Schreiben ist als Drucksache IV/2203 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten hat am 23. April 1964 unter Bezug auf den Beschluß des
Bundestages vom 11. Dezember 1963 über die Auswirkungen der
Abschöpfungssenkung bei der Einfuhr von geschlachteten Hüh-
nern nach Berlin berichtet. Sein Schreiben ist als Drucksache
IV/2205 verteilt.
Der Herr stellvertretende Vorsitzende des Außenhandelsaus-
schusses hat am 22. April 1964 mitgeteilt, daß der federführende
Außenhandels ausschuß und der mitbeteiligte Ausschuß für Er-
nährung, Landwirtschaft und Forsten keine Bedenken gegen den
zwischenzeitlich vom Rat beschlossenen Vorschlag der Kommis-
sion der EWG für eine Verordnung des Rats zur Aufstellung der
Liste von Grunderzeugnissen, die als Berechnungsgrundlage für
die Finanzierung der Erstattungen bei Ausfuhren nach dritten
Ländern dienen — Drucksache IV/2135 — erhoben haben.
Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten hat am 27. April 1964 mitgeteilt, daß der
Ausschuß keine Bedenken gegen die Verordnung Nr. 37/64/EWG
des Rats vom 25. März 1964 zur Festsetzung der oberen und der
unteren Grenze der einzelstaatlichen Richtpreise für Milch für
das Milchwirtschaftsjahr 1964/1965 erhoben hat.
Der Herr stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für
Verkehr, Post- und Fernmeldewesen hat am 22. April 1964 mit-
geteilt, daß der federführende Ausschuß für Verkehr, Post- und
Fernmeldewesen und der mitbeteiligte Ausschuß für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten den Vorschlag der Kommission der
EWG für eine Verordnung des Rats zur Festsetzung des Betra-
ges, der den Transport- und Grenzübergangskosten einiger Milch-
erzeugnisse entspricht — Drucksache IV/2149 — , zur Kenntnis
genommen und beschlossen haben, von einer Berichterstattung
abzusehen, weil der Ministerrat in seiner letzten Sitzung in
Brüssel die Verordnung bereits verabschiedet hat.
Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten hat am 23. April 1964 mitgeteilt, daß der
Ausschuß beschlossen hat, zu dem Vorschlag der Kommission
der EWG für eine Verordnung des Rats über die Festsetzung
der Koeffizienten zur Berechnung der Abschöpfung für alle in
Anhang II zur Verordnung Nr. 14/64/EWG genannten Erzeug-
nisse — Drucksache IV/2168 — nicht mehr Stellung zu nehmen,
nachdem der Ministerrat zwischenzeitlich über die oben ange-
führte Verordnung bereits Beschluß gefaßt hat.
Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten hat am 16. April 1964 mitgeteilt, daß der
Ausschuß beschlossen hat, zu dem Vorschlag der Kommission der
EWG für eine Verordnung des Rats über die Kriterien für die
Festsetzung der Pauschalbeträge für Reis und Bruchreis — Druck-
sache IV/2136 — nicht mehr Stellung zu nehmen, nachdem der
Ministerrat zwischenzeitlich über die oben angeführte Verord-
nung bereits Beschluß gefaßt hat.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen
hat am 21. April 1964 unter Bezugnahme auf § 17 Abs. 5 des
Postverwaltungsgesetzes den Voranschlag der Deutschen Bundes-
post für das Rechnungsjahr 1964 übersandt. Er liegt im Archiv
zur Einsichtnahme aus.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß (D)
des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen
überwiesen:
Verordnung des Rats über die Bestimmung der zur Erzeu-
gung von einem Kilogramm zum Verbrauch bestimmter Ge-
flügele-ier in der Schale und der zur Erzeugung von einem
Kilogiamm Bruteier von Hausgeflügel erforderlichen Futter-
getreidemenge — Drucksache IV/2148 —
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit
der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum
am 29. April 1964
Verordnung des Rats zur Festsetzung des Betrages, der den
Transport- und Grenzübergangskosten einiger Milcherzeug-
nisse entspricht — • Drucksache IV/2149 —
an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen —
federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten — mitberatend — mit der Bitte um Vorlage
des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964
Verordnung des Rats über die Festlegung der Kriterien für
die Interventionsregelung auf dem Rindfleischmarkt — Druck-
sache IV/2156 —
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit
der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum
am 29. April 1964
Verordnung Nr. . . ./63/EURATOM, Nr. . . ./63/EWG der
Räte vom . . . zur Änderung der Berichtigungskoeffizienten
für die Dienst- und Versorgungsbezüge der Beamten
Verordnung Nr. . . ./63/EURATOM, Nr. . . ./63/EWG der
Räte vom . . . zur Anpassung bestimmter Berichtigungs-
koeffizienten für die Dienst- und 'Versorgungsbezüge der
Beamten — Drucksache IV/2167 —
an den Ausschuß für Inneres mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964
Verordnung des Rats über die Festsetzung der Koeffizienten
zur Berechnung der Abschöpfung für 'alle in Anhang II zur
Verordnung Nr. 14/64/EWG aufgeführten Erzeugnisse —
Drucksache IV/IV/2168 —
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit
der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum
am 29. April 1964
Verordnung des Rats über die Einführung gemeinsamer
Regeln für den grenzüberschreitenden Straßenpersonenver-
kehr — Drucksache IV/2178 ~
an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen mit
der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum
am 21. Oktober 1964
5952
Deutsdier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Vizepräsident Dr. Jaeger
(A) Verordnung des Rats über Qualitätsweine bestimmter An-
baugebiete — Drucksadle IV/2179 —
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit
der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum
am 3. Juni 1964
Dritte Richtlinie zur Durdiführung des Artikels 67 des Ver-
trages — Drucksache IV/2187 —
an den Wirtschaftsausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 10. Juni 1964.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß
des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vor-
lagen überwiesen:
Vierundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen
Zolltarifs 1963 (Zollkontingent für weibliche Nutzrinder —
1964) — Drucksache IV/2150 —
an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — mitbe-
ratend — mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor
dem Plenum am 24. Juni 1964
Achtund fünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen
Zolltarifs 1963 (Zucker — 1964) — Drucksache IV/2171
an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage des
Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 24. Juni 1964.
Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeord-
nete Wagner.
Wagner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Namens der Fraktion der CDU/
CSU beantrage ich, die Tagesordnung um die zweite
und dritte Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung mietrechtlidier Vorschriften zu ergänzen. Die
Bestimmungen dieses Gesetzentwurfes sollen zum
1. Juli 1964 in Kraft treten. Wir haben zu diesem
Zeitpunkt im Bundesgebiet 450 weiße Kreise. Wenn
wir nicht rechtzeitig die Beratung abschlössen, be-
stünde die Gefahr, daß Bestimmungen des sozialen
Mietredits zu diesem Zeitpunkt keine Gültigkeit
hätten.
Ich bitte Sie deshalb, antragsgemäß zu beschließen
und die Drucksachen IV/806 und IV/2195 auf die
Tagesordnung zu setzen.
Vizepräsident Dn Jaeger: Das Wort zur Tages-
ordnung hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Dr. Mommer (SPD): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Die Sozialdemokraten sind an
einer schnellen Verabschiedung dieser Vorlage
interessiert. Sie haben auch früher darauf gedrängt,
daß wir bald zu ihrer Verabschiedung kommen.
Aber der Bundestag kann nur ein bestimmtes
Quantum Arbeit hinter sich bringen. Im Ältestenrat
haben wir festgestellt, daß nach unseren Schätzun-
geen 17 Stunden Beratung zur Abwicklung der vor-
liegenden Tagesordnüng nötig sind. Die Fachleute
sind sich einig darüber, daß zur Verabschiedung der
Vorlage, die noch weiter auf die Tagesordnung ge-
setzt werden soll, wenigstens vier Stunden not-
wendig wären. Das würde also 21 Stunden bedeu-
ten. Wir haben heute zehn Stunden zur Verfügung,
von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends, minus
zwei Stunden Mittagspause. Morgen wollen wir
mittags durchtagen, sind aber am Nachmittag durch
folgenden Umstand begrenzt. Übermorgen ist der
1. Mai, das Fest der Arbeit. Wir Sozialdemokraten
zumindest fühlen uns mit diesem Fest der Arbeit
sehr verbunden
(Zurufe von der CDU/CSU: Wir auch!)
— • Sie auch! Gut, um so besser! Dann werden Sie
sich meinen Argumenten nicht verschließen. Wir
werden also morgen ab 14 Uhr, wenn die Züge in
die ferneren Gebiete der Bundesrepublik fahren,
nur mit allerschwächster Besetzung des Hauses
rechnen können. Wenn Sie aber jetzt die Dauer der
Beratungen auf 21 Stunden verlängern, dann müßten
wir entsprechend heute oder morgen bis 10 Uhr
abends und an beiden Tagen wenigstens bis 9 Uhr
tagen. Das ist nicht möglich. Wenn man morgen
abend irgendwo in der Bundesrepublik zu den Fei-
ern des Festes der Arbeit eine Rede halten muß,
dann muß man morgen nachmittag zu den Zügen.
Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren,
ist es nicht möglich, Ihrem Wunsche zu entspre-
chen. Wir werden aber auch nicht dagegen stimmen,
sondern Ihnen allein die Verantwortung für einen
so unvernünftigen Beschluß überlassen. Stimmen Sie
bitte allein dafür! Wir werden uns der Stimme
enthalten.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wir kommen zur
Abstimmung über den Antrag des Abgeordneten
Wagner, die Drucksachen IV/806 und IV/2195 auf
die Tagesordnung der gemeinsamen Sitzung von
heute und morgen zu setzen. Wer dem zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Einige Gegenstimmen!
Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen ist
so beschlossen.
(Abg. Dr. Rutschke: Zur Tagesordnung!)
Sie wollen auch noch einen Antrag zur Tagesord-
nung stellen? — Bitte, Herr Abgeordneter Rutschke.
Dr. Rutschke (FDP): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Namens der FDP-Fraktion bean-
trage ich, daß die Beratung der 17. Novelle zum
Lastenausgleichsgesetz für morgen noch vorgesehen
wird.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort zur Ge-
schäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Mommer.
Dr. Mommer (SPD): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Für diesen Antrag gilt erstens,
was ich soeben zu dem Zusatzantrag der CDU/CSU-
Fraktion gesagt habe.
Zweitens könnte man dem Wunsche nur dann
entsprechen, wenn bis dahin ein Bericht des Haus-
haltsausschusses nach § 96 der Geschäftsordnung
vorläge. Wie mir der Herr Vorsitzende des Haus-
haltsausschusses gestern persönlich versicherte,
werde es bis dahin keine Sitzung des Haushalts-
ausschus^ses geben. Der Bericht wird also nicht vor-
liegen, und dann kann man nach den Bestimmungen
unserer Geschäftsordnung nicht beraten. Der Be-
schluß ist also nicht möglich.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort zur Ge-
schäftsordnung hat der Abgeordnete Wagner.
Wagner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich glaube, wir sollten uns hier
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn-, Mittwoch, den 29. April 1964
5953
Wagner
streng an die Bestimmungen unserer Geschäfts-
ordnung halten, daß die Berichte der mitberatenden
Ausschüsse, hier des Haushaltsausschusses, der nach
§ 96 Stellung zu nehmen hätte, vorliegen müssen.
Das ist nicht der Fall. Der Haushaltsausschuß hat
eine Sitzung auch nicht geplant. Wir bedauern, des-
halb nicht zustimmen zu können, daß dieser Punkt
noch auf die Tagesordnung gesetzt wird.
Vizepräsident Dn Jaeger: Eine weitere Zu-
satzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt (Kempten).
Schmidt (Kempten) (FDP): Sieht die Bundesregie-
rung die Möglichkeit, eine Novellierung vorzuneh-
men, die diese Vertretungsbefugnis und Beratungs-
befugnis generell regelt?
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich lasse abstim-
men.
(Abg. Dr. Rutschke: Ich ziehe zurück!)
— Sie ziehen den Antrag zurück, er ist erledigt.
Damit kommen wir nunmehr zur
Fragestunde (Drucksache IV/2202).
Wir kommen zuerst zu der Frage aus dem Ge-
schäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene,
Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte — des Abgeord-
neten Schmidt (Kempten) — :
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, die gemäß § 95 BVFG
Abs. 2 Satz 2 vorgesehene Reditsverordnung vorzulegen?
Herr Staatssekretär, ich darf bitten.
Dr. Nahm, Staatssekretär im Bundesministerium
für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte:
Die in § 95 des Bundesvertriebenen- und Flücht-
lingsgesetzes der Bundesregierung gegebene Er-
mächtigung zum Erlaß einer Rechtsverordnung be-
zieht sich lediglich auf die Unterbindung mißbräuch-
ß) lieber Ausübung der auf Rechts-, Steuer- und Wirt-
schaftsfragen beschränkten Beratertätigkeit. Eine
Rechtsverordnung könnte also nur a) den unbe-
stimmten Begriff „mißbräuchliche Ausübung" ge-
nauer umschreiben und b) festlegen, welche Stelle
für die Untersagung der Beratungsbefugnis zustän-
dig ist.
Dr. Nahm, Staatssekretär im Bundesministerium
für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschä-
digte: Wenn die Beratungsbefugnis in eine Vertre-
tungsbefugnis umgewandelt und ausgeweitet wer-
den soll, ist nur eine Novellierung möglich. Wenn
der Bundesregierung hinreichendes Material vor-
getragen wird, das eine solche Novellierung
empfehlenswert erscheinen läßt, wird sie in eine
ernsthafte Prüfung eintreten. Ich darf hinzufügen:
Die Bundesregierung steht dieser Mitwirkung der
Verbände bei der Beratung und der Hilfe für die
Geschädigten sympathisch gegenüber.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen,
Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu der Frage des Herrn Abgeord-
neten Seifriz aus dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministers für Familie und Jugend:
Beabsiditigt der Herr Bundesfamilienminister, den Familien-
zuschlag von 80 DM, der in § 81 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes für
Jugendwohlfahrt festgelegt ist, zu erhöhen?
Ich darf bitten, Herr Bundesminister.
Dr.Hedi, Bundesminister für Familie und Jugend:
Ich beantworte die Frage des Herrn Abgeordneten
Seifriz mit Ja.
(D)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich danke Ihnen,
Herr Minister.
Ein Bedürfnis für eine solche Verordnung hat sich
bisher nicht ergeben; denn Klagen darüber, daß die
Vertriebenen- und Flüchtlingsorganisationen die
ihnen in § 95 eingeräumte Beratungsbefugnis miß-
braucht haben, sind uns glücklicherweise noch nicht
zugegangen.
Ich rufe die Frage des Herrn Abgeordneten Metz-
ger aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers
für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf:
Ist die Bundesregierung bereit, das von dem deutschen Arzt
Dr. Theodor Binder geleitete Amazonas-Hospital in Pucallpa
(Peru) aus Mitteln der EntwidUungshilfe zu unterstützen?
Ich darf bitten, Herr Bundesminister.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Schmidt (Kempten).
Schmidt (Kempten) (FDP): Herr Staatssekretär,
ist Ihnen bekannt, daß auf Grund des Nichtvorhan-
denseins dieser generellen Regelung die Vertre-
tungsbefugnis sehr unterschiedlich gehandhabt wird
und dadurch gewisse Vertretungsorganisationen in
Schwierigkeiten kommen?
Dr. Nahm, Staatssekretär im Bundesministerium
für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte:
Nein, solche Vorgänge sind uns nicht bekannt. Aber
ich will es näher umschreiben. Es ist nicht bekannt,
daß sie in der Beratungsfunktion gehemmt wurden.
Daß sie in Vertretungsfunktionen nicht zugelassen
wurden, ist bekannt. Das ist aber durch eine Rechts-
verordnung nicht zu heilen.
Scheel, Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit: Die Bundesregierung hat bereits im
Jahre 1962 erwogen, das von Dr. Binder geleitete
Amazonas-Hospital bei Pucallpa in Peru und auch
eventuelle Ergänzungsprojekte, die der Schaffung
von Arbeitsplätzen für die indianische Bevölkerung
der Uingegend dienen könnten, im Rahmen ihrer
technischen Hilfe zu fördern. Damals hat die Bundes-
regierung Entwicklungshilfe grundsätzlich nur auf
Antrag der Regierung des jeweiligen Entwicklungs-
landes gewährt. Ein entsprechender Antrag der
peruanischen Regierung lag nicht vor, so daß im
Jahre 1962 eine solche Förderung noch nicht erfol-
gen konnte. 1963 haben wir eine Änderung des Ver-
fahrens durchgeführt, durch die es ermöglicht wird,
im Rahmen der technischen Hilfe auch Projekte zu
fördern, die von deutschen Trägern durchgeführt
werden.
5954
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Bundesminister Scheel
Herrn Dr. Binder wurde anläßlich seines Europa-
besuches im Herbst 1963 erklärt, daß der Verein
Deutsche Hilfe für das Amazonas-Hospital Albert
Schweitzer e. V. in Hamburg als privater deutscher
Träger einen Antrag auf Förderung des Hospitals
und eines landwirtschaftlichen Ergänzungsprojektes
stellen könnte. Ein Antrag des Vereins Deutsche
Hilfe für das Amazonas-Hospital Albert Schweitzer
e. V. Hamburg ist bis heute bei den zuständigen
Ressorts noch nicht eingegangen. Dem Gesundheits-
ministerium liegt lediglich ein Antrag der Albert-
Schweitzer-Gesellschaft für internationale Hilfsbe-
reitschaft Dortmund vor, die Entsendung eines
Arztes und einer medizinisch-technischen Assistentin
an das Amazonas-Hospital zu finanzieren. Die Bun-
desregierung wird diesen Antrag und die möglicher-
weise über Hamburg noch einlaufenden Anträge
wohlwollend prüfen.
Vizepräsident Dr, Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Metzger.
Metzger (SPD) : Heißt „wohlwollend prüfen", daß,
wenn ein Antrag vorliegt, dann tatsächlich auch ge-
holfen wird?
Scheelr Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit: Wenn die Voraussetzungen gegeben
sind, sicher!
Metzger (SPD); Darf ich fragen, welche Voraus-
Setzungen gegeben sein müssen.
Scheelr Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit: Das werden die einzelnen Fachmini-
sterien bei der Prüfung der Anträge feststellen müs-
sen; so werden z. B. die Feststellungen bei der Prü-
fung des Antrages auf Entsendung von Ärzten und
medizinisch-technischem Personal vom Gesundheits-
miniisterium getroffen werden müssen.
Vizepräsident Dr, Jaeger: Wir kommen zu
den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministers für Ernährung, Landwirtschaft und For-
sten. Ich rufe die Fragen IX/ 1 bis IX/3 — des Herrn
Abgeordneten Dr. Dichgans — auf:
Ist die Bundesregierung bereit, dem Deutschen Bundestag eine
Übersicht vorzulegen, aus der sich ergibt, welAe Getreide-
mengen von den Erzeuger- und Verbraucherländern der Welt
aus- bzw. eingeführt werden?
Zu welchen Preisen werden die von Deutsdiland eingeführten
Getreidemengen zur Zeit am Weltmarkt gekauft, und welche
Verteuerung ergibt sich durch die sogenannte Abschöpfung?
Wie beantwortet sich die Frage IX/2 für die übrigen Länder
der EWG?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant-
wortung einverstanden erklärt. Die Antwort des
Herrn Bundesministers Schwarz vom 27. April 1964
lautet:
Zu 1.
Um die sich aus den Erntesdiwankungen von Jahr zu Jahr
ergebenden kurzfristigen Änderungen im Außenhandel mit Ge-
treide weitgehend auszuschalten, sind aus den veröffentlichten
Unterlagen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der
Vereinten Nationen (FAO) 3 Jahresdurchschnitte für die Wirt-
schaftsjahre (Juli — Juni) 1960/61 — 1962/63 gebildet worden. Die
anliegende Tabelle *) enthält die Angaben über Ausfuhren,
•) Siehe Anlage 2
Einfuhren sowie den Ausfuhr- und Einfuhrüberschuß für diesen (C)
Zeitraum einmal für Getreide insgesamt (Weizen und -mehl in
Weizenwert, Roggen, Gerste, Hafer, Mais, Sorghum und Millet
zusammen) sowie für Weizen und -mehl gesondert. Die Angabe©
für die Länder des sino-sowjetisdien Blocks enthalten nicht die
Angaben für den Außenhandel innerhalb dieses Blocks. Die An-
gaben für diese Länder beziehen sich lediglich auf den Außen-
handel mit der übrigen Welt und sind abgeleitet aus den An-
gaben der übrigen Länder über Ausfuhren nach bzw. Einfuhren
aus diesem Block.
Zu 2. u. 3.
In Durchführung der EWG-Marktordnung für Getreide ermittelt
die Kommission der EWG anhand der Notierungen im allgemei-
nen täglich die für die einzelnen Mitgliedsländer gültigen cif-
Preise für die der Abschöpfungsregelung unterliegenden Ge-
treidearten und Getreideerzeugnisse für Einfuhren aus Drittlän-
dern. Dabei werden an Hand von vereinbarten Koeffizienten die
Notierungen für einzelne Qualitäten auf den europäischen Quali-
tätsstandard umgerechnet. Der bei dieser Regelung sich erge-
bende niedrigste cif-Preis in europäischer Standardqualität wird
von der Kommission der EWG je Erzeugnis und Mitgliedsland
als der für die Berechnung der Abschöpfung maßgebende cif-
Preis festgesetzt und laufend veröffentlicht.
Im Rahmen der nationalen Regelungen der Getreidepreise
werden ebenfalls sog. nationale Schwellenpreise (für europäische
Qualität) an der nationalen Grenze festgesetzt. Sie erhöhen sich
im Laufe des Wirtschaftsjahres durch die monatlichen Zuschläge
(Reports). Die Differenz zwischen dem jeweiligen cif-Preis je
Mitgliedsland und Schwellenpreis stellt die Abschöpfung gegen-
über Drittländern dar. Die beiliegende Tabelle zeigt für alle
Mitgliedsländer der EWG für Weichweizen, Roggen, Gerste und
Mais als den wichtigsten Getreidearten Schwellenpreise, cif-
Preise und Abschöpfungen für den Anfang des laufenden Wirt-
schaftsjahres 1963/64 sowie für die beiden letzten verfügbaren
Monate Januar und Februar 1964.
Idi rufe die Frage IX/4 — des Herrn Abgeord-
neten Wäditer — auf:
Welche Vorstellung hat die Bundesregierung über die Höhe
des deutschen Orientierungspreises für Schlachtrinder?
SchwarZr Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten; Nach der EWG-Rindfleisch-
verordnung, die vom Ministerrat am 5. Februar
1964 beschlossen worden ist, können die Mitglied-
staaten für das Wirtschaftsjahr 1964/65 den Orien-
tierungspreis für Großvieh innerhalb der vom Rat
festgelegten Unter- und Obergrenze, und zwar zwi-
schen 205 und 235 DM je 100 kg Lebendgewicht,
festsetzen. Für die Festsetzung dieser Unter- und
Obergrenzen werden die in den einzelnen Mit-
gliedstaaten im Referenzzeitraum vom 1. November
1962 bis zum 31. Oktober 1963 auf den Referenz-
märkten gezahlten Preise zugrunde gelegt und da-
bei die günstigen Aussichten für die Erzeugung und
den Verbrauch von Rindfleisch in der Gemeinschaft
berücksichtigt. Der Referenzpreis der Bundesrepu-
blik betrug 212 DM und konnte auf 218 DM je
100 kg Lebendgewicht verbessert werden, um den
Auswirkungen der außergewöhnlichen Trockenheit
im Herbst 1962 Rechnung zu tragen. Der Orientie-
rungspreis ist für den Beginn und die Höhe der Ab-
schöpfung gegenüber Drittländern sowie den Beginn
der Intervention und der Abschöpfung bei Einfuhren
aus Mitgliedstaaten von besonderer Bedeutung. Da-
her wird der Orientierungspreis unter Berücksich-
tigung seiner besonderen politischen Bedeutung vom
Bundeskabinett bestimmt. Die hierfür notwendige
Vorlage wird in den nächsten Tagen fertiggestellt.
Es ist mir daher leider nicht möglich, zu der Höhe
des Orientierungspreises Einzelheiten bekanntzu-
geben.
Vizepräsident Dr, Jaeger: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Wächter.
Wächter (FDP): Darf ich annehmen, daß Sie, Herr
Minister, darüber unterrichtet sind, daß der Durch-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5955
Wächter
sdinittsmarktpreis auf den bekannten zwölf Märkten
seit Anfang dieses Jahres 2,44 DM beträgt? Nach
dem neuesten Bonner „On dit" sollen einzelne Res-
sorts für einen Orientierungspreis von 2,20 DM ein-
treten. Wenn das Wirklichkeit würde, müßten die
Preise gegenüber den zur Zeit gültigen zunächst um
2 DM auf 2,20 DM minus 4 Vo rückläufig sein, bevor
die Einfuhr- und Vorratsstelle intervenieren kann.
Damit hätten wir praktisch ein Preisniveau erreicht,
das sich dem des Jahres 1962 bedenklich nähert.
Sind Sie nun, Herr Minister, mit mir der Meinung,
daß es insbesondere im Interesse der Betriebe, die
auf den Absatz ihrer Schlachtrinder während der
Weideabtriebszeit angewiesen sind — ich denke
insbesondere an die der niedersächsischen und der
schleswig-holsteinischen Küste und darüber hinaus
auch an die der ausgesprochenen Gründlandbezirke
Bayerns ■ —
(Abg. Dr. Schäfer: Ist das eine Frage oder
eine Rede?)
besser wäre, wenn der Orientierungspreis auf die
äußerste obere Grenze von 2,35 gesetzt würde?
SchwarZr Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich kann
Ihnen im Augenblick keine Zahlen nennen. Das ist
eine Angelegenheit des Kabinetts. Ich kann Ihnen
nur folgendes sagen: die Vorstellungen meines
Hauses liegen weit über der Zahl, die Sie zunächst
nannten, nämlich 220. Wir werden sehen, wie wir
endgültig abkommen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Wächter, eine zweite Zusatzfrage. Aber es muß
eine Frage sein.
Wächter (FDP): Eine zweite Zusatzfrage, Herr
Präsident.
Sehen Sie, Herr Minister, während der Weideab-
triebszeit Chancen einer Ausfuhr von Schlachtrin-
dern in die übrigen EWG-Länder und in Drittländer?
Vizepräsident Dr. Jaeger: Bitte sehr. Ich rufe
auch Frage IX/6 — des Abgeordneten Krug — auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen,
wenn der Erzeugermilchpreis in den Käsereigebieten nach einem
eventuellen Wegfall der KäsereimilchsonderstUtzung trotz der
Europäischen Marktordnung spürbar unter den Butterei-Werk-
milchpreis absinken sollte und damit die wirtschaftliche Lage der
Landwirte in den ausgesprochenen Käsereigebieten, die auf
Grund der vorliegenden Verhältnisse die Produktion nicht um-
stellen können, sich noch mehr verschlechtern würde?
SchwarZr Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Das einzelstaatliche Aus-
gleichssystem ist von der EWG-Verordnung für
Milcherzeugnisse grundsätzlich unberührt geblie-
ben. Bei der Käsereimilchsonderstützung wird je-
doch ein Abbau vorgenommen und über eine Er-
höhung der Schwellenpreise bei Käse wieder aus-
geglichen. Der Abbau bezieht sich jährlich auf 1/7
der Differenz zwischen den derzeitigen Käseerlösen
und der für das Milch Wirtschaftsjahr 1964/65 fest-
gelegten unteren Grenze der Richtpreisschere
(31,8 Dpf. je kg). Da bei dem erheblichen Marktan-
teil der Käseeinfuhr eine Erhöhung des Schwellen-
preises auch zu einer Anhebung der Markterlöse
führen dürfte, wird sich die Verwertungsdifferenz
zwischen der Butter- und der Käseverwertung ent-
sprechend verringern. Es ist kaum anzunehmen, daß
die damit verbundene geringfügige Preiserhöhung
vom Verbraucher nicht getragen wird. Eine der-
artige Verringerung der Differenz zwischen der But-
ter- und Käseverwertung würde auch nach den
Grundsätzen des § 12 des Milch- und Fettgesetzes
zu einer entsprechenden Senkung der Käsereimilch-
sonderstützung führen. Von einem Wegfall der
Käsereimilchsonderstützung ohne entsprechende
Mehreinnahmen aus Markterlösen kann also nicht
ausgegangen werden. Nach dem System der EWG-
Regelung ist nicht zu erwarten, daß die Käserei-
milchverwertung spürbar unter die Butterverwer-
tung absinkt. Sollte dies aus heute nicht überseh-
baren Gründen trotzdem der Fall sein, so wird die
Bundesregierung zu gegebener Zeit prüfen, welche
Maßnahmen zu ergreifen sind.
(D)
SchwarZr Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Ausfuhrchancen werden sich
nach den Möglichkeiten richten, die wir in der Zu-
kunft durch die entsprechenden Regelungen an die
Hand bekommen. Es sind zum mindesten auch
außerhalb der EWG-Mitgliedländer Ausfuhr chancen
vorhanden. Sollte die derzeitige Knappheit an Rin-
dern bestehenbleiben — und das ist anzunehmen — ,
so werden, glaube ich, Absatzmöglichkeiten gege-
ben sein.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur
Frage IX/5 — des Abgeordneten Krug — :
Ich frage die Bundesregierung, ob nach dem Inkrafttreten der
Europäischen Mildimarktordnung die Käsereimildisondersttitzung
auch dann ganz oder teilweise entfällt, wenn die Angleichung
der Werkmildipreise in der Käserei an die Ergebnisse der
Buttereiwirtschaft vom Markt her nicht möglich ist, wie dies ja
nach der Sachlage zu befürchten ist.
Herr Bundesminister, bitte.
SchwarZr Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Herr Präsident, ich darf mir
erlauben, beide Fragen gemeinsam zu beantworten.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage!
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Minister, darf ich
Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie keine Gefahren
für die Erzeuger von Käsereimilch in bezug auf
ihre Einkommensituation für die Zukunft bis 1970
und nach 1970 sehen?
SchwarZr Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Ich sehe insoweit keine
Schwierigkeiten, Herr Kollege, als die Differenz, die
heute zwischen den Erlösen aus Butter und aus
Käse vorliegt, durch Marktmehrerlöse ausgeglichen
wird.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage.
Schmidt (Kempten) (FDP): Herr Minister, sehen
Sie gegebenenfalls eine Möglichkeit, doch auftre-
tende Einkommensverluste und -rückgänge auf
irgendeine Art und Weise im Rahmen der Richt-
linien abzufangen?
5956
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
^ ^ Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich glaube,
es ist im Augenblick müßig, darüber zu sprechen,
was man tun wird, wenn der Fall eintritt, von dem
Sie sprechen. Wir müssen die Gründe kennen, aus
denen eine solche Situation entsteht, um dann nach
Möglichkeiten zu suchen auszugleidien. Selbstver-
ständlich bin ich bereit, die Zusage zu geben, daß
wir alles tun werden, um auszugleichen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur
Frage IX/7 — des Abgeordneten Ramms — :
Ist die Bundesregierung bereit, die Traktatbauern, die ihre
Grundstücke in Holland durch den Verkauf des Beheersinstituts
verloren haben, aus fiskalischen Grundstücken oder in Zusam-
menarbeit mit dem Land NRW aus Grundstücken des rheinischen
Heimes so zu entschädigen, daß die Höfe wieder rentabel be-
wirtschaftet werden können?
Herr Minister, bitte!
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Die durch den Entzug der
sogenannten Traktatländereien Geschädigten sollen
nach dem dem Bundestag vorliegenden Regierungs-
entwurf eines Reparationsschädengesetzes entschä-
digt werden. In diesem Gesetzentwurf ist eine Ent-
schädigung in Geld nach den Grundsätzen des
Lastenausgleichs vorgesehen. Im Interesse der
Gleichbehandlung aller unter dieses Gesetz fallen-
den Geschädigten hält die Bundesregierung eine
Entschädigung der Traktatbauern in Grundstücken
nicht für möglich.
Im übrigen darf ich auf meine Antwort zu der
(®) Kleinen Anfrage vom 18. März 1963 — Bundestags-
drucksache IV/ 1078 — hinweisen, in der ich dar-
gelegt habe, daß die Betroffenen vorläufig zur
Milderung von Härten unter bestimmten Voraus-
setzungen Darlehen nach den Richtlinien über die
Gewährung von Darlehen an Reparations-, Restitu-
tions- und Rückerstattungsgeschädigte vom 4. Juni
1960 in der erweiterten Fassung vom 30. April 1962
erhalten können. Außerdem stehen im Grünen Plan
erhebliche Mittel bereit, aus denen zinsgünstige Dar-
lehen zum Ankauf von Ersatzland gewährt werden
können.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage.
Ramms (FDP): Herr Minister, sind Sie nicht mit
mir der Meinung, daß diese Landenteignung nicht
allein durch Geld wiedergutgemacht werden kann,
da dadurch die Betriebe nicht rentabel werden?
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich bin durch-
aus der Auffassung, daß dem so ist. Wir können je-
doch aus grundsätzlichen Erwägungen keine Aus-
nahme von der Entschädigung in Geld machen, weil
diese Frage in das gesamte Gebiet der Reparationen
fällt und hier nicht besondere Regelungen für diesen
Zweck getroffen werden können.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter.
Ramms (FDP) : Herr Minister, sehen Sie auch
keine Chance, durch den Kauf von holländischen
Traktatgebieten, die auf deutschem Boden liegen,
einen Ausgleich vornehmen zu können?
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Ich bin nicht in der Lage,
Ihnen die Möglichkeiten im Augenblick aufzuzeigen,
die hier gegeben sind. Sie sind aber geprüft worden,
und es scheint mir so zu sein, daß ich diese Frage
mit Nein beantworten muß.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich komme zur
Frage IX/8 — des Abgeordneten Logemann — :
War eine in Brüssel beschlossene eigene Abschöpfung für
Schweineschwänze zur Ergänzung der Agrarmarktordnung für
Schweinefleisch notwendig?
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Zur Frage des Herrn Kolle-
gen Logemann: Seit der Einführung der EWG-Markt-
ordnung für Schweinefleisch am 30. Juli 1962 unter-
liegt auch der Schlachtabfall von Schweinen, d. h,
auch der Schwänze und Ohren, der Abschöpfungs-
regelung. Durch die Verordnung Nr. 34/64 des EWG-
Ministerrats vom 25. März 1964, die Ihrer Anfrage,
Herr Kollege, vermutlich zugrunde liegt, sind ledig-
lich Klarstellungen zu einigen Positionen des Waren-
verzeichnisses erfolgt, die sich aus den bisher ge-
sammelten Erfahrungen ergeben haben.
Bezüglich der Schwänze von Hausschweinen ist
bestimmt worden, daß diese nicht mehr dem Ab-
schöpfungssatz für „anderen Schlachtabfall", sondern
einem noch niedrigeren Satz unterliegen sollen. Oh-
ren von Hausschweinen sind zur Zeit im Warenver-
zeichnis nicht besonders genannt und fallen deshalb
unter den Abschöpfungssatz für anderen Schlacht-
abfall.
Mir ist bisher eine Absicht zur Änderung der
abschöpfungstechni sehen Behandlung nicht bekannt-
geworden. Sollte jedoch zu einem späteren Zeit-
punkt ein Bedürfnis für eine Änderung des Waren-
verzeichnisses auftreten, wird sich die Bundesregie-
rung einer sachlich begründeten Änderung nicht ent-
gegenstellen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Keine Zusatzfrage,
Ich rufe auf die Frage IX/9 — des Abgeordneten
Logemann — :
Wird die Bundesregierung zustimmen, wenn in Brüssel ver-
sucht werden sollte, die Perfektion der EWG-Agrarmarktord-
nungen durch eine spezifische Abschöpfung für Schweinsohren
noch weiter zu steigern?
Bitte, Herr Minister!
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Erstens. Die Bundesregie-
rung hat im Ministerrat allgemein und in beson-
deren Einzelfällen den Abbau bestehender Wett-
bewerbsverzerrungen mehrfach nachdrücklich gefor-
dert, Einige dieser Verzerrungen sind inzwischen
beseitigt worden. An die Bestimmungen über den
schrittweisen Abbau der innergemeinschaftlichen
Abschöpfungsbeträge bei Schweinefleisch, Eiern und
Geflügel sind alle Mitgliedstaaten gebunden. Durch
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5957
Bundesminister Schwarz
diese Regelung sollen sämtliche Grenzbelastungen
im Handelsverkehr der Mitgliedstaaten unterein-
ander bis zum Ende der Übergangszeit beseitigt
werden. Wollte man bei Schweinefleisch, Eiern und
” Geflügel den allmählichen Abbau des Abschöpfungs-
betrages unterbrechen oder die Abschöpfungshöhe
vermindern, so müßte der Abbau späterhin in be-
schleunigtem Tempo nachgeholt werden. Es er-
scheint fraglich, ob damit unserer eigenen Erzeu-
gung ein Dienst erwiesen würde.
Wenn keine gemeinsame Marktordnung bestünde
und statt der Abschöpfung noch Zölle erhoben wür-
den, müßten schließlich auch die Zölle nach den Be-
stimmungen des EWG-Vertrages periodisch gesenkt
werden.
Zweitens. Gegen die neu eingeführten Export-
subventionen und Transportbeihilfen anderer Mit-
gliedstaaten im Bereich der Obst- und Gemüsewirt-
schaft hat die Bundesregierung mit Erfolg prote-
stiert. Auch hier sind in dem Bemühen um den Ab-
bau der Wettbewerbsverzerrungen Fortschritte ge-
macht worden. Insoweit ist die Bundesregierung
dem Beschluß des Hohen Hauses vom 14. November
1963 gefolgt. Die Bundesregierung ist sich jedoch
bewußt, daß dieser Abbau zum Teil noch in den
Anfängen steht.
Ein besonders schwieriges Problem stellen schließ-
lich die unterschiedlichen Steuer- und Soziallasten
sowie die verschiedenen Sozialleistungen in den
EWG-Mitgliedstaaten dar. Die Bundesregierung
wird die Entwicklung mit besonderer Wachsamkeit
(B) verfolgen und weiterhin darauf drängen, alle Wett-
bewerbsbedingungen zu harmonisieren, die Einfluß
auf die Produktionskosten der Landwirtschaft
haben.
Vizepräsident Dr« Jaeger: Ich rufe auf die
Frage IX/10 — des Abgeordneten Logemann — :
Weldie Schritte hat die Bundesregierung in Brüssel unter-
nommen, um den einstimmig gefaßten Bundestagsbesdiluß zur
EWG-Agrarpreispolitik entsprechend den Drucksachen IV/1258
und IV/1611 zu realisieren?
Bitte, Herr Bundesminister!
SchwarZr Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Wir halten diesen Beschluß
nicht in dem Sinne für realisierbar, wie Sie es viel-
leicht wünschen, daß nämlich in einer kurzen Frist
alle dort aufgeführten Forderungen erfüllt sein
werden. Wir sind aber der Auffassung, daß ein
stetes Drängen auf eine Harmonisierung zu einem
Erfolg führen wird, und ich darf darauf hinweisen,
daß z. B. in der Frage der Drittlanderstattung bei
Geflügel ein ganz erheblicher Erfolg erzielt wurde
und daß auch die Frachtsubventionen bei Obst und
Gemüse in Italien und Frankreich aufgehoben
wurden.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage 1
Logemann (CDU/CSU): Herr Minister, ist nach
Ihrer Auffassung eine automatische Senkung der
innergemeinschaftlichen Abschöpfung angesichts der
Entwicklung der Erzeugerpreise in der Bundes-
republik für die in Frage kommenden deutschen
Veredelungserzeugnisse tragbar?
SchwarZr Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Das ist zweifellos eine
Frage, Herr Kollege, die ihre Berechtigung hat;
denn die Senkung um jeweils zwei Zehntel bringt
ganz zweifellos eine nicht unerhebliche Belastung.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Ertl.
Ertl (FDP): Herr Minister, halten Sie diese auto-
matische Senkung zu einem Zeitpunkt, zu dem der
Getreidepreis nicht harmonisiert ist, für notwendig?
SchwarZr Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Herr Kollege Ertl, es geht
leider nicht darum, ob ich diese Angelegenheit für
gerechtfertigt oder für nicht gerechtfertigt halte,
sondern hier liegt eine Verordnung vor, die fest-
setzt, daß wir so zu verfahren haben. An dieser
Tatsache ist nichts mehr zu ändern.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter.
Ertl (FDP) : Herr Minister, sind Sie dann vielleicht
mit mir der Auffassung, daß die Verordnung am
Prinzip vorbeigeht, weil der Sinn der Abschöpfun-
gen letzten Endes ist, daß wir einen Ausgleich für
den unterschiedlichen Futtergetreidepreis haben? * ^
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten: Herr Kollege Ertl, ich glaube,
es ist müßig, darüber zu streiten, ob das, was ge-
schehen ist, richtig oder falsch war. Es handelt sich
hier um Belastungen, die nach einem gewissen
Rhythmus beseitigt werden.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Keine Zusatzfrage
mehr? — Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
bereich des Auswärtigen Amts. Zuerst die Frage
IV/1 — des Herrn Abgeordneten Paul — :
Weldie Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen,
um zu verhindern, daß deutsche Besucher aus der Bundesrepu-
blik in der Tschechoslowakei verhaftet und an das Ulbricht-
regime ausgeliefert werden?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten
Paul wie folgt beantworten.
Die Bundesregierung hat sich fortlaufend bemüht,
die Öffentlichkeit über das Sicherheitsrisiko zu
unterrichten, das insbesondere für Personen, die aus
der SBZ geflüchtet sind, mit Reisen in osteuropäi-
sche Staaten verbunden ist.
In Beantwortung zahlreicher Einzelanfragen und
auf Anfragen der Presse hat das Auswärtige Amt
darauf hingewiesen, daß zwischen der SBZ und den
osteuropäischen Staaten Auslieferungsvereinbarun-
5958
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Staatssekretär Dr. Carstens
(A) gen bestehen, so daß Zonenflüchtlinge damit recii-
nen müssen, daß die Behörden dieser Staaten Aus-
lieferungsersuchen der SBZ stattgeben.
Das Auswärtige Amt hat dabei gleichzeitig aus-
geführt, daß die Bundesrepublik Deutschland keine
amtlichen Beziehungen zur Tschechoslowakei unter-
hält und daß in der Tschechoslowakei auch keine
Schutzmachtvertretung für deutsche Interessen be-
steht, so daß in Schwierigkeiten geratenen deutschen
Staatsangehörigen kein Rechtsschutz gewährt wer-
den kann. Das gleiche gilt für die übrigen osteuro-
päischen Länder. Auch das Bestehen konsularischer
Beziehungen zur Sowjetunion und zu Jugoslawien
bietet keine Garantie dafür, daß SBZ-Flüchtlinge in
diesen Staaten vor einem Zugriff der dortigen Be-
hörden und einer Auslieferung an die SBZ in jedem
Falle bewahrt werden können.
Es handelt sich also um ein Problem, das nicht
die Tschechoslowakei allein, sondern alle osteuro-
päischen Staaten betrifft. Durch die kürzlich von der
Tschechoslowakei eingeführten Einreiseerleichte-
rungen und den begreiflichen Wunsch vieler Deut-
scher aus der Bundesrepublik Deutschland, sich dort
eventuell mit ihren Angehörigen aus der Zone zu
treffen, hat diese Frage allerdings in bezug auf die-
ses Land besondere Aktualität gewonnen. Die Or-
ganisationen und Verbände des Reiseverkehrs sind
daher nochmals auf das Sicherheitsrisiko hingewie-
sen worden, das sich für Zonenflüchtlinge bei Reisen
in die Tschechoslowakei mit der SBZ ergibt.
Aus Anlaß der kürzlich erfolgten Verhaftung eines
deutschen Ehepaares und seiner Auslieferung durch
(B) die tschechoslowakischen Behörden an die SBZ hat
ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in der Bundes-
pressekonferenz am 3. April 1964 nochmals aus-
führlich zu dieser Frage Stellung genommen. Diese
Ausführungen haben ein breites Echo
(Zurufe: Mikrofon versagt!)
— Ich glaube, ich bin in der Lage, mich ohne Mikro-
fon verständlich zu machen.
(Zurufe.)
— Darf ich den Versuch machen, Herr Abgeordneter,
ohne Mikrofon weiter zu sprechen.
Diese Ausführungen haben ein breites Echo in
der deutschen Presse gefunden. Ich glaube daher,
daß man grundsätzlich davon ausgehen kann, daß
die deutsche Öffentlichkeit über diese Frage unter-
richtet worden ist. Wir werden jedoch unser Be-
mühen in dieser Richtung weiter fortsetzen.
Vizepräsident Dn Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Paul.
Paul (SPD): Herr Staatssekretär, ....
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Paul, ich möchte Sie bitten, nach vorn zu kommen.
Die Mikrofone sind ausgefallen. Wir müssen uns
also behelfen. Sollten Sie nicht verstehen, meine
Damen und Herren, bitte ich Sie, sich in die vorde-
ren Plätze zu setzen,
Paul (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie nicht ^ ^
der Meinung, daß hier ein Zustand der Rechtsun-
sicherheit großen Ausmaßes besteht und daß man
auf die Dauer nicht zugeben kann, daß Deutsche —
es handelt sich ja um Deutsche, nicht nur SBZ-Deut-
sche, sondern Deutsche schlechthin — in einem
Nachbarstaat verhaftet werden und man ihnen sehr
willkürlicher Weise unterschiebt, sie hätten Spio-
nage begangen? Mit diesem Problem sollte man
sich, so meine ich, doch ernsthaft auseinandersetzen.
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich teile Ihre Sorge, und ich teile auch Ihre
Auffassung, Herr Abgeordneter. Ich muß nur pflicht-
gemäß darauf hinweisen, welche Schwierigkeiten
und welche Grenzen unseren Bemühungen bei der
Verwirklichung unserer Ziele gesetzt sind.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Czaja.
Dr. Czaja (CDU/CSU): Ist unter diesen Umstän-
den überhaupt ein Touristenverkehr in diese Staa-
ten empfehlenswert?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich glaube, Herr Abgeordneter, daß die Bun-
desregierung keine Veranlassung hat, generelle
Empfehlungen dieser Art abzugeben. Man muß zu-
geben, daß angesichts der derzeitigen Verhältnisse
in der Tschechoslowakei eine Möglichkeit für eine
Begegnung zwischen Deutschen, die in der Bundes-
republik Deutschland wohnen, und Deutschen, die
in der SBZ wohnen, besteht, wie sie an anderer
Stelle zur Zeit leider nicht gegeben ist. Infolgedes-
sen möchte ich davon absehen, eine generelle Emp-
fehlung etwa gegen die Ausführung solcher Reisen
abzugeben. Aber es muß, glaube ich, immer wieder
mit Nachdruck hingewiesen werden auf die Gefah-
ren und Risiken, die mit der Ausführung solcher
Reisen, insbesondere für diejenigen Deutschen ver-
bunden sind, die aus der Zone geflüchtet und dann
in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wir kommen zur
Frage IV/2 ^ — des Herrn Abgeordneten Kahn-Acker-
mann — :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß zahlreiche Eltern
deutscher Kinder sowohl in Europa wie in Lateinamerika wegen
des hohen Schulgeldes ihre Kinder nicht auf eine deutsche
Auslandssdiule schicken können?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Die dem Auswärtigen Amt für die Förderung
der deutschen Auslandsschulen zur Verfügung ste-
henden Mittel reichen nicht aus, um an diesen Schu-
len wie im innerdeutschen Schulwesen auf die Er-
hebung von Schulgeld zu verzichten. Auch ist das
Auswärtige Amt durch die Bundesrichtlinien zur
Reichshaushaltsordnung gehalten, bei der Gewäh-
rung von Zuwendungen aus Mitteln des Bundes-
haushalts darauf zu achten, daß von den Einnahme-
möglichkeiten der geförderten Schulen in angemes-
sener Weise Gebrauch gemacht wird,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5959
Staatssekretär Dr. Carstens
Die Höhe der Schulgelder hält sich, insbesondere
in Europa, im allgemeinen in durchaus zumutbarem
Rahmen. Sie liegen zumeist nicht unwesentlich unter
denjenigen anderer ausländischer Schulen in dem
betreffenden Gastland. Die monatlichen Schulgelder
bewegen sich in Europa für das erste Kind in der
Regel zwischen 20 und 35 DM. Je nach Kinderzahl
gestaffelte Geschwisterermäßigung ist vorgesehen.
In außereuropäischen Schulen, z. B. in Latein-
amerika, mit fast durchweg wesentlich niedrigerem
deutschen Schüleranteil sind die Sätze höher. In
allen Schulen wird Schulgeldermäßigung aus so-
zialen Gründen gewährt.
Das Auswärtige Amt prüft indessen gegenwärtig,
auf welche Weise es seine Förderungsmaßnahmen,
vor allem in einigen südamerikanischen Ländern,
im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten auf
eine Vermehrung der ganzen oder teilweisen Frei-
stellen für die Kinder sozial schwächerer — deut-
scher wie nichtdeutscher — Eltern abstellen kann.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Kahn- Ackermann!
Kahn-Ackermann {SPD): Herr Staatssekretär,
ist Ihnen bekannt, daß in einigen europäischen
Städten, beispielsweise in Rom, die Schulgelder er-
heblich über den von Ihnen genannten Sätzen liegen
und daß sie noch dadurch erhöht werden, daß die
Eltern für die nicht unbeträchtlichen Kosten der Zu-
fahrt ihrer Kinder von ihrem Wohnhaus zur Schule
jgj und zurück aufkommen müssen, Kosten, die in der
' Regel ein Vielfaches des von Ihnen genannten Be-
trages erreichen?
Dr. Carstensr Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Es tut mir leid, Herr Abgeordneter, mir ist
die Tatsache, daß in Rom wesentlich höhere Schul-
geldsätze erhoben werden, nicht bekannt. Ich werde
dieser Frage nachgehen. Naturgemäß ergeben sich
zusätzliche Kosten aus dem Transport der Kinder
zur Schule.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.
Kahn-Ackermann (SPD): Herr Staatssekretär,
sind Sie nicht der Auffassung, daß die — meiner
Meinung nach etwas unzulänglichen — Kenntnisse
der Bundesregierung über die tatsächlichen Verhält-
nisse an unseren Auslandsschulen mit darauf zu-
rückzuführen sind, daß die Schulabteilung im Aus-
wärtigen Amt seit vielen Jahren — gemessen an
der Zahl der zu betreuenden Schulen — völlig un-
zulänglich besetzt ist?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Herr Abgeordneter, ich möchte zunächst ver-
meiden, daß der Eindruck einer kausalen Beziehung
zwischen der Größe der Schulabteilung und meiner
Unkenntnis über Schulgelder in Rom entsteht. Ich
bin überzeugt, daß die Schulabteilung des Auswär-
tigen Amts genaue Auskünfte darüber geben
könnte; bloß ich kann es leider im Augenblick nicht.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Noch eine Zusatz-
frage?
Strohmayr (SPD): Herr Staatssekretär, glauben
Sie nicht, daß es zweckmäßig wäre, in dieser Sache
eine Regelung zu treffen, damit nicht, wie es bis
jetzt der Fall ist, wegen der hohen Schulgeldkosten
in Auslandsschulen Kinder deutscher Eltern in ver-
hältnismäßig minderwertige Landesschulen gehen
und damit der deutschen Sprache und auch der
deutschen Kultur verlorengehen?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich glaube, Herr Abgeordneter, daß der ge-
genwärtige Zustand durch gezielte Maßnahmen ver-
bessert werden kann, und darum bemühen wir uns.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Noch eine Zusatz-
frage? — Herr Abgeordneter Huys.
Dr.Huys (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, welche
Konsequenzen hat man denn aus der Debatte über
die Kultur im Ausland hinsichtlich der auslands-
deutschen Schulen gezogen?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich möchte darauf, Herr Abgeordneter, zu
einem späteren Zeitpunkt antworten. Ich bin auf
die Frage nicht vorbereitet.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich glaube nicht,
daß man diese Frage noch als Zusatzfrage betrach-
ten kann.
Wir kommen zu Frage IV/3 — des Herrn Abge-
ordneten Kahn- Ackermann — :
Trifft es zu, daß der von zahlreichen amerikanischen Insti-
tutionen und Universitäten gegenwärtig zu Vortragsreisen ein-
geladene Historiker Professor Fischer vom Auswärtigen Amt
daran gehindert wurde, im Goethe-Institut in Washington einen
Vortrag zu halten, obwohl er auf Anregung der Deutschen
Botschaft dazu aufgefordert worden war?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Die Antwort auf die gestellte Frage, ob Herr
Professor Fischer durch das Auswärtige Amt daran
gehindert wurde, im Goethe-Institut in Washington
einen Vortrag zu halten, lautet: Nein.
Es gibt in Washington weder ein Goethe-Institut
noch ein anderes deutsches Kulturinstitut. Professor
Fischer sollte an amerikanischen Universitäten spre-
chen. Er hält sich gegenwärtig auf Einladung des
American Council of Learned Societies zu diesem
Zweck in den Vereinigten Staaten auf. Auf Ver-
anlassung der deutschen Botschaft in Washington
wollte ursprünglich das Goethe-Institut in München
diese Vortragsreise finanzieren. Da jedoch die dem
Goethe-Institut zur Verfügung stehenden Mittel nur
für Vortragsreisen an deutschen Kulturinstituten im
Ausland verwendet werden können, mußte das
Goethe-Institut von der Finanzierung dieser Reise
zurücktreten.
Die Mittel, die dem Auswärtigen Amt für die För-
derung von Vortragsreisen wie der von Professor
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5960
Staatssekretär Dr. Carstens
Fischer in Aussicht genommenen zur Verfügung
stehen, sind infolge der in diesem Jahr vorgenom-
menen Kürzung des Kulturhaushalts so knapp ge-
worden, daß in diesem Jahr leider nicht die Möglich-
keit besteht, den in Frage kommenden Betrag bereit-
zustellen. Ich hoffe, daß dies im nächsten Jahr mög-
lich sein wird.
Für den Fall, daß Professor Fischer eine solche
Reise zu einem späteren Zeitpunkt durchführen
will, ist er gebeten worden, sich möglichst frühzeitig
mit dem Auswärtigen Amt in Verbindung zu setzen,
das dann wie üblich die Deutsche Forschungs-
gemeinschaft um eine gutachtliche Stellungnahm-e
bitten wird.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann.
Kahn- Ackermann (SPD): Herr Staatssekretär,
täusche ich mich, wenn ich mich erinnere, daß Ihr
Kollege, Herr Lahr, in einer Sitzung des Kultur-
politischen Ausschusses, in der wir über dieselbe
Frage gesprochen haben, angegeben hat, daß zwar
die Mittel — wie auch Sie sagten — knapp seien,
daß aber ein bißchen wohl auch die Tatsache eine
Rolle gespielt habe, daß die historischen Ansichten,
die Herr Professor Fischer vertrete, nicht dazu Anlaß
gegeben hätten, gerade eine Reise zu unterstützen,
bei der Ansichten vertreten würden, die, wie er
meinte, vielleicht nicht ganz im deutschen Interesse
lägen?
(B)
Dr. CarstenSr Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Derartige Erwägungen haben keine Rolle ge-
spielt, Herr Abgeordneter. Wohl aber hat eine
Rolle gespielt — ich möchte das noch einmal unter-
streichen — , daß das Goethe-Institut die Reise
finanzieren wollte, ohne daß die Mittel des Goethe-
Instituts für eine Finanzierung dieser Reise in Be-
tracht kamen. Es kam also nur eine Finanzierung
dieser Reise aus den allgemeinen Mitteln des Aus-
wärtigen Amts in Frage, und die sind für das lau-
fende Jahr beträchtlich gekürzt worden; ein entspre-
chender Betrag stand nicht zur Verfügung.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann.
Kahn- Ackermann (SPD): Herr Staatssekretär,
ist Ihnen bekannt, daß das Goethe-Institut immer
dann, wenn ihm eine Sache politisch nicht ganz paßt,
erklärt, es stünden keine Mittel zur Verfügung —
das trifft auch auf viele andere Bereiche zu — , und
daß dann in einem köstlichen Schaukelspiel zwischen
dem Goethe-Institut und dem Auswärtigen Amt die
Verantwortlichkeit für die Knappheit und die Nicht-
zuweisung von Mitteln sozusagen hin- und her-
geschoben wird?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Das ist mir nicht bekannt, Herr Abgeordneter,
und das hat im gegenwärtigen Fall auch gar keine
Rolle gespielt. Das Goethe-Institut hat Mittel, aber
es hat keine Mittel für den hier in Aussicht genom-
menen Zweck. Die Mittel dafür konnte nur das Aus-
wärtige Amt zur Verfügung stellen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Sänger!
Sänger (SPD): Herr Staatssekretär, sind auch
andere Vortragsreisen aus diesem Grunde abgesagt
worden?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Es sind Reisen, die seit längerer Zeit geplant
waren, durchgeführt und nicht abgesagt worden.
Hier trat ja ein zusätzliches Projekt plötzlich auf.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter Sänger!
Sänger (SPD) : Herr Staatssekretär, ist bei diesem
besonderen Fall und unter diesen besonderen Um-
ständen auch in Erwägung gezoigen worden, welche
sehr unangenehmen Wirkungen diese plötzliche
Rückberufung ausgerechnet ides Hamburger Histo-
rikers Fischer — Sie kennen das Buch — im Ausland
hervorrufen mußte?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Herr Abgeordneter, bei der Entscheidung, die
wir -getroffen haben, sind alle in Betracht kommen-
den Erwägungen angestellt worden. Herr Professor
Fischer ist gereist, wie ich eingangs dargelegt habe.
Er hält seine Vorträge. Nur wird diese Vortragsreise (D)
nicht mit deutschen öffentlichen Mitteln finanziert.
(Abg. Sänger: Mit amerikanischen!)
Statt dessen ist ihm und auch den interessierten
amerikanischen Stellen , gesagt worden, daß wir
durchaus bereit 'Sind, im nächsten Jahr eine solche
Reise zu finanzieren unter der Voraussetzung, daß
eine entsprechende Stellungnahme von der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft abgegeben wird. Wir
halten uns hier an die Stellungnahme ,der unabhän-
gigen Gesamtorganisation der deutschen Wissen-
schaft.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Vogt!
Vogt (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, wäre es
nicht dankenswert — nachdem hier von Ihnen fest-
gestellt worden ist, daß es in Washington überhaupt
kein Goethe-Institut gibt, also die Frage in dieser
Beziehung völlig danebengeht — , zu prüfen, wie
eine solche Fehlinformation an eine Reihe von Kol-
legen in diesem Hause gelangen konnte?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich möchte glauben, daß es sicherlich nützlich
ist, zu prüfen, woher Fehlinformationen kommen
bzw. wodurch sie entstehen können.
(Heiterkeit.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wir kommen zur
Frage IV/4 des Herrn Abgeordneten Dr. Huys.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5961
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich die
nächsten drei Fragen nacheinander beantworte; sie
stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Bitte sehr. Dann
rufe ich auf die Fragen IV/4, IV/5 und IV/6 — des
Herrn Abgeordneten Dr. Huys — :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß fünf ehemalige Lehrer
der Deutsdien Evangelischen Obersdiule in Kairo, über die
Kultur ab teilung des AA nach dorthin verpfliditet, seit Juni 1963
auf ihr Gepädc warten?
Ist der Bundesregierung weiterhin bekannt, daß einer der in
Frage IV/4 erwähnten deutschen Lehrer durch die Nichtfreigabe
des Gepädcs in eine außerordentliche wirtschaftliche Notlage
geraten ist, da er notwendige Ausgaben in Höhe von rd.
1500 DM zur Errichtung eines behelfsmäßigen Haushalts und zur
Anschaffung von Winterkleidung, Bettzeug, Unterrichtswerke
usw. hat tätigen müssen?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ein von der in Frage
IV/5 erwähnten Lehrkraft gestellter Beihilfeantrag über das AA
(Kulturabteilung) an das Bundesverwaltungsamt in Köln mit
der Begründung abschlägig beantwortet worden ist, die Für-
sorgepflicht für die ins Ausland verpflichteten Lehrkräfte ende
mit Ablauf der Vertragszeit?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Das Auswärtige Amt ist erst am 17. Novem-
ber 1963 durch einen bis zum Sommer 1963 an der
deutschen evangelischen Oberschule in Kairo tätig
gewesenen Lehrer davon unterrichtet worden, daß
sein persönliches Gepäck, welches er vor seiner
Rückreise am 20. Juni 1963 einem Spediteur in Kairo
übergeben hatte, noch nicht zollamtlich zur Verschif-
fung freiigegeben worden sei. Das Auswärtige Amt
hat daraufhin sofort die Deutsche Botschaft in Kairo
angewiesen, sich bei den zuständigen ägyptischen
(ß) Dienststellen unverzüglich nachdrücklich für die so-
fortige Freigabe des Gepäcks einzusetzen. Die Frei-
gabe war dadurch erschwert, daß der Lehrer seinen
Dienstpaß verloren hatte, der seinen sechsjährigen
Aufenthalt in der VAR hätte erkennen lassen kön-
nen. Die Führung dieses Nachweises hätte nach den
ägyptischen Bestimmungen über die Wiederausfuhr
persönlicher Habe zu beschleunigter Abfertigung ge-
führt. Den weisungsgemäß laufend .wiederholten Be-
mühungen der Botschaft gelang es dennoch, die Ge-
päckfreigabe durchzusetzen.
Von vier weiteren Fällen, in denen es zu Schwie-
rigkeiten bei der Zollabfertigung gekommen ist, er-
fuhr das Auswärtige Amt erst vor wenigen Tagen,
da die betroffenen Lehrer sich bisher nicht an das
Auswärtige Amt gewandt hatten. Wie in Erfahrung
gebracht werden konnte, ist :das Gepäck eines die-
ser Lehrer mittlerweile in der BundesrepuJblik ein-
getroffen ; dasjenige der drei übrigen steht vor der
Freigabe.
Nun die Antwort auf Ihre beiden weiteren Fragen,
Herr Abgeordneter. Das Bundesverwaltungsamt hat
im Auftrag des Auswärtigen Amts einen Antrag des
Lehrers auf Gewährung einer Unterstützung unter
analoger Anwendung der für die Bundesbeamten
geltenden Unterstützungsgrundsätze geprüft. Das
Bundesverwaltungsamt hat den Antragsteller davon
unterrichtet, daß ihm auf diesem Wege von seiten
des Bundes aus dem rein formellen Grunde nicht
geholfen werden könne, daß nach den Vereinbarun-
gen zwischen dem Auswärtigen Amt und den Kul-
tusministern der Länder Leistungen auf Grund der
Unterstützungsgrundsätze zur Beseitigung einer
nach Rückkehr ins Inland bestehenden Notlage nicht
mehr dem Bund obliegen. Das Auswärtige Amt hat
dem Lehrer jedoch zugesagt, unverzüglich zu prüfen,
auf welche andere Weise die ihm im Zusammenhang
mit seiner Dienstleistung an einer Auslandsschule
entstandenen Aufwendungen ersetzt werden kön-
nen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zusatz-
frage Herr Abgeordneter Dr. Huys.
Dr. Huys (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, glau-
ben Sie wirklich, daß es einem Botschafter passiert
wäre, daß er seinen gesamten Hausstand ein Jahr
lang — es ist jetzt mehr als ein Jaihr — nicht hätte
nach Hause bekommen können? Glauben Sie, daß
deutsche Lehrer im Ausland so behandelt werden
können?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Herr Abgeordneter, ich glaube, ein Botschaf-
ter, dem das widerfahren wäre, hätte sich sofort an
das Auswärtige Amt gewendet,
(Abg. Dr. Huys: Eben!)
und das Auswärtige Amt hätte ihm geholfen. In
diesem Fall hat sich der betreffende Lehrer erst nach
sehr langer Zeit an uns gewandt, und dadurch ist ein
Teil der Verzögerung zu erklären.
Dr. Huys (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär — ich
habe leider nur zwei Fragen — , glauben Sie, daß
die Fürsorgepflicht, wie Sie sagen, mit dem Tag der
Fürsorge endet, wenn sich die Fürsorgepflicht aus
diesem Zeitraum herleitet? Sie sagen, mit dem
15. September sei der Vertrag beendet und des-
wegen brauche das Auswärtige Amt nicht mehr
dafür zu sorgen.
P)
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn im all-
gemeinsten Sinne endet sicher nicht. Die Frage ist,
wer in diesem Fall die Fürsorgelast zu tragen hat,
der Bund oder die Länder. Das ist aber, glaube ich,
eine Frage, über die man sich einigen wird. Ich habe
in meiner Antwort zum Ausdruck gebracht, daß wir
nach Mitteln und Wegen suchen, um dem betreffen-
den Lehrer zu helfen. Der Lehrer soll natürlich nicht
darunter leiden, daß das hier eine schwierig zu be-
antwortende Frage ist.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Huys, Sie haben drei Fragen gestellt. Sie dürfen also
sechs Zusatzfragen stellen. — Bitte sehr!
Dr. Huys (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, wer
soll denn die Fürsorgepflicht übernehmen, der Bund
oder das Land?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Diese Frage muß noch geprüft werden, Herr
Abgeordneter. Der Bund ist nach den geltenden
Vereinbarungen nicht verpflichtet, diese Leistungen
zu erbringen. Wir werden also bemüht sein, das in
5962
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Staatssekretär Dr. Carstens
fA)
' ' Betracht kommende Land zum Handeln zu veran-
lassen oder auf anderem Wege Abhilfe zu schaffen.
(Zuruf rechts: Föderalismus!)
Vizepräsident Dr, Jaeger: Zu einer Zusatz-
frage Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Staats-
sekretär, haben Sie hier mit Absicht vorgetragen,
daß das Auswärtige Amt erst vor einigen Tagen
davon Kenntnis erhalten hat? Ist das vielleicht so
zu verstehen, daß die Botschaft oder andere deut-
sche Stellen immerhin schon länger von dem Vor-
fall Kenntnis hatten?
Dr* CarstenSr Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: In meiner Antwort lag keine dahin gehende
Absicht, Herr Abgeordneter. Ich kann Ihnen nicht
beantworten, wann die Botschaft davon Kenntnis
erhalten hat. Ich möchte aber als sicher unterstellen,
daß die Botschaft in dem Augenblick, wo sie Kennt-
nis davon erhielt, das Auswärtige Amt unter-
richtete.
Vizepräsident Dr* Jaeger: Zu einer zweiten
Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmitt-Vocken-
hausen.
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Sollten Sie nicht
doch einmal nachprüfen, ob die Botschaft oder an-
dere Stellen von der Sache Kenntnis erhalten ha-
ben und ihr nicht rechtzeitig nachgegangen sind?
Dr* CarstenSr Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich will das gern tun, Herr Abgeordneter.
Vizepräsident Dr* Jaeger: Herr Abgeordneter
Kahn-Ackermann zu einer Zusatzfrage.
Kahn- Ackermann (SPD): Herr Staatssekretär,
finden Sie es nicht angebracht, nachzuprüfen, wa-
rum die Botschaft, die von Anfang an über diesen
Zustand unterrichtet war, es nicht für nötig gehalten
hat, das Auswärtige Amt von dieser Tatsache in
Kenntnis zu setzen?
Dr* Carstens, Staatssekretär des Auswärtiaen
Amts: Ich kann Ihre Frage in dieser Form nicht be-
antworten, Herr Abgeordneter; denn mir ist nicht
bekannt, daß die Botschaft von Anfang an unter-
richtet war. Auf die vorhin gestellte Frage habe ich
aber geantwortet, daß ich diesen Komplex prüfen
lassen werde.
Vizepräsident Dr* Jaeger: Zu einer zweiten
Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kahn- Ackermann.
Kahn-Ackermann /(SPD): Darf ich Sie fragen,
Herr Staatssekretär, warum das Auswärtige Amt
bei den Verhandlungen über die Gewährung von
Entwicklungshilfekrediten nicht eine Anregung auf-
gegriffen hat, die ihm gegeben worden ist, bei der
Vereinigten Arabischen Republik darauf zu dringen.
fO
daß die Mißlichkeit mit der Ausfuhr der persönlichen '
Habe und des Gepäcks unserer dort arbeitenden
Spezialisten und sonstigen Beauftragten abgestellt
wird, und für eine etwas schnellere Abwicklung als
bisher gesorgt wird.
Dr* Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Dieser Anregung ist entsprochen worden.
Vizepräsident Dr* Jaeger: Herr Abgeordneter
Huys, Sie möchten die vierte Zusatzfrage stellen.
Dr* Huys (CDU/CSU): Glauben Sie wirklich, Herr
Staatssekretär, daß ich, der ich mich seit einem
halben Jahr um diese Dinge bemüht habe, diese
Frage gestellt hätte, wenn ich nicht ganz bestimmt
davon unterrichtet gewesen wäre, daß der Botschaft
bekannt war, daß die Möbel der fünf Leute seit
mindestens fünf Monaten nicht zurückgebracht wor-
den sind?
Dr* Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich sagte schon, Herr Abgeordneter, ich werde
diesen Teil der von Ihnen und dem Herrn Abge-
ordneten Schmitt-Vockenhausen aufgeworfenen
Frage prüfen lassen.
Vizepräsident Dr* Jaeger: Keine weitere Zu-
satzfrage?
Ich komme zu der von dem Abgeordneten Roll-
mann gestellten Frage IV/7:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Fort- (D)
bestand des UNESCO-Instituts für Pädagogik in Hamburg audi
dann sicherzustellen, wenn die Subventionen der UNESCO für
dieses Institut eingeschränkt werden und auslaufen?
Bitte, Herr Staatsekretär.
Dr* Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Herr Abgeordneter, die Bundesregierung be-
absichtigt, das UNESCO-INSTITUT FÜR PÄDAGO-
GIK IN HAMBURG auch dann finanziell zu unter-
stützen, wenn die Subvention seitens der UNESCO
ausläuft. Sie ist bemüht, die Länder an den Kosten
des Instituts zu beteiligen. Die Frage dieser Sub-
ventionen wird Mitte Mai auf der nächsten Plenar-
. Sitzung der Ständigen Konferenz der Kultusminister
behandelt werden. Des weiteren hat die UNESCO
bereits erkennen lassen, daß sie das Institut durch
die Vergabe von bezahlten Aufträgen unterstützen
wolle.
Rollmann (CDU/CSU): Würden Sie bereit sein,
Herr Staatssekretär, mich das Ergebnis der Bera-
tungen mit der Kultusministerkonferenz wissen zu
lassen?
Dr* Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Das werde ich sehr gern tun, Herr Abgeord-
neter.
Vizepräsident Dr* Jaeger: Ich danke Ihnen,
Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbe-
reich des Bundesministers des Innern. Ich rufe die
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5963
Vizepräsident Dr. Jaeger
von dem Abgeordneten Börner gestellte Frage V/1
auf:
Wann ist mit der Vorlage des Ratifizierungsgesetzes zum
Übereinkommen zur Verringerung der Mehrstaatigkeit und über
die Wehrpflicht von Mehrstaatlern zu rechnen?
Bitte, Herr Bundesminister.
Höcherlr Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege, das von Ihnen genannte Übereinkommen ist
bisher noch von keinem der Unterzeichnerstaaten
ratifiziert worden. Das Übereinkommen berührt ge-
wisse Belange der gesamtdeutschen Staatsangehö-
rigkeit. Es muß sorgfältig geprüft werden, inwieweit
deuscherseits von gewissen im Übereinkommen vor-
gesehenen Vorbehalten zur Wahrung dieser Be-
lange Gebrauch zu machen ist.
In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeu-
tung, ob und inwieweit das Übereinkommen von
den übrigen Unterzeichnerstaaten ratifiziert werden
wird, insbesondere von Frankreich, da es insoweit
für die Bundesrepublik die meisten praktischen
Auswirkungen hat.
Sobald diese Fragen im positiven Sinne geklärt
sind, wird die Bundesregierung das Übereinkom-
men zur Ratifizierung vorlegen.
ß)
Ich darf hinzufügen, daß an diesen Verhandlungen
dreizehn Staaten beteiligt waren und nur sieben
unterzeichnet haben. Es hat sich in anderen, ver-
gleichbaren Fällen oft als gut erwiesen, zu warten,
bis die anderen Staaten ratifiziert haben, weil die
Auswirkungen für die anderen nicht so bedeutsam
waren wie für unser eigenes Land.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zusatz-
frage Herr Abgeordneter Börner.
Börner (SPD) : Herr Bundesminister, ist Ihnen be-
kannt, daß wegen dieses Sachverhalts Angehörige
der Bundeswehr bei Übungen auf französischen
Truppenübungsplätzen in die Gefahr kommen, von
der französischen Polizei verhaftet zu werden, weil
Frankreich glaubt, auf Grund der Geburt eines
Elternteils in Frankreich die französische Staats-
angehörigkeit geltend machen zu können?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Einzelfälle
sind mir nicht bekannt.
Vizepräsident Dn Jaeger: Zu einer zweiten
Zusatzfrage Herr Abgeordneter Börner.
Börner (SPD) : Sehen Sie die Möglichkeit, in Aus-
wirkung des deutsch-französischen Vertrages diese
leidige Angelegenheit in bilateralen bzw. binatio-
nalen Verhandlungen zu regeln?
Höcherlr Bundesminister des Innern: Ich glaube,
das ist der richtige Weg. Ich werde mit Anregungen
an das Auswärtige Amt herantreten.
Vizepräsident Dr, Jaeger: Ich rufe auf die von
dem Abgeordneten Jahn gestellte Frage V/2:
Wann wird die Bundesregierung in Ausführung des einstim-
migen Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 28. Juni 1963
den Entwurf eines Zweiten Ausführungsgesetzes zu Artikel 26
Abs. 2 des Grundgesetzes vorlegen?
Höcherlr Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege Jahn, ich bin überzeugt, daß Sie all das, wo-
nach Sie fragen, bereits wissen. Aber ich will trotz-
dem wiederholen:
Der einstimmig beschlossene Auftrag des Bundes-
tages, ein Ausführungsgesetz zu Artikel 26 Abs. 2
des Grundgesetzes zu machen, begegnet außer-
ordentlichen rechtlichen Schwierigkeiten, die ich die
Ehre hatte Ihnen persönlich mit auseinandersetzen
zu können. Der zweimalige Versuch, einen anderen
Weg zu gehen, und zwar über eine Abänderung
von Paßbestimmungen, hat ebenfalls in weiten Krei-
sen nicht den Beifall gefunden, der notwendig wäre,
um in diesem Bereich voranzukommen. Die letzten
Entscheidungen sind in der Presse veröffentlicht und
Ihnen als aufmerksamem Beobachter dieses Sachver-
halts bestimmt sehr genau bekannt.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zusatz-
frage Herr Abgeordneter Jahn.
Jahn (SPD): Herr Minister, ist sich die Bundes-
regierung bewußt, daß angesichts ihrer mehrfachen
eigenen Erklärungen und der Tatsache, daß seit dem
Beschluß des Bundestages nunmehr zehn Monate
vergangen sind und noch immer kein Entwurf vor-
gelegt worden ist, allmählich ernsthafte Zweifel an
ihrer Bereitschaft entstehen müssen, das Problem
überhaupt lösen zu wollen?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege Jahn, ich möchte nun nicht die intimen Unter- (D)
haltungen ausbreiten, die wir in dieser Frage hatten.
Aber ich glaube, es wäre alles einfacher gewesen,
wenn man den Vorschlag, den ich gemacht habe,
nicht so heftig angegriffen hätte, und zwar nicht
nur in parlamentarischen Kreisen, sondern darüber
hinaus in der Öffentlichkeit,- so daß neue rechtliche
Bedenken enstanden sind.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter Jahn.
Jahn (SPD) : Teilt die Bundesregierung ungeachtet
der grundsätzlichen Bewertung des Auftrages aus
Art. 26 des Grundgesetzes die Auffassung, daß für
die Bundesrepublik eine besonders moralische und
humanitäre Pflicht besteht, deutsche Bürger an jeder
Tätigkeit zu hindern, die geeignet ist, die vielfach
erklärten Pläne zur Vernichtung Israels zu unter-
stützen?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich habe im
Bulletin darüber in Form eines Interviews ganz ein-
deutige Erklärungen abgegeben.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Rollmann!
Rollmann (CDU/CSU) : Herr Minister, ist es nicht
so, daß die Überlegungen Ihres Hauses zu dieser
Frage gerade von den Parteifreunden des Herrn
Jahn attackiert und angegriffen worden sind?
5964
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Höcherlr Bundesminister des Innern: Ich muß
das leider zugeben.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Dr. Mommer (SPD): Herr Minister, bestehen
seitens des Bundesverteidigungsministeriums Be-
denken, ein Gesetz zur Ausführung des Art. 26 zu
erlassen?
Höcherlr Bundesminister des Innern: Nein, das
ist mir nicht bekannt. Es beste'hen jedoch rein juri-
stische Schwierigkeiten. Ich darf gleich den Begriff
herausgreifen, der die größten Eormulierungsschwie-
rigkeiten macht: es ist die »Frage des Angriffskrieges,
ein Sachverhalt, der die internationale Rechtswelt
schon seit geraumer Zeit, seit Jahrzehnten, beschäf-
tigt, ohne daß -eine eindeutige und zufriedenstel-
lende Formulierung und Definition gefunden worden
wäre.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Dr. Mommer (SPD) : Herr Minister, sind es wirk-
lich nur juristische Bedenken, oder gibt es z. B. von
seiten des Auswärtigen Amtes auch politische Be-
denken?
jßj Höcherlr Bundesminister des Innern; Wir spre-
chen von Art. 26 Abs. 1. Ich glaube, hier handelt es
sich ausschließlich um juristische (Bedenken.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Dr. Böhm.
Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU/CSU): Was gedenkt
die Bundesregierung zu tun, um den nachteiligen
Eindruck zu beseitigen, der in der in- und auslän-
dischen Öffentlichkeit dadurch entstanden ist, daß
nun schon seit Monaten vorbereitete und fertigge-
stel’lte Gesetzentwürfe dem Kabinett Vorlagen, das
Kabinett aber jedesmal infolge neu auftauchender
Bedenken die Beschlußfassung unterließ, ohne daß
aber die Erklärungen, die vom Bundespresseamt ab-
gegeben worden sind, die Zweifel im In- und Aus-
land zu beschwichtigen vermochten?
Höcherlr Bundesminister des Innern: Herr Pro-
fessor Böhm, das Echo auf alle diese Vorgänge ist
sehr differenziert. Im Inland hat es sehr heftige
Angriffe gegen die Absichten des 'Innenministe-
riums gegeben, auf dem Wege von Novellen zum
Paßgesetz eine Lösung zu versuchen. Ich habe kaum
Zustimmung, aber von allen Beiten Widerstand er-
fahren. Im Ausland ist das Echo ebenfalls außer-
ordentlich differenziert. Ich meine, daß die Diskus-
sion über die Einzelheiten in einen Ausschuß, am
besten in den Auswärtigen Ausschuß, verlegt wer-
den sollte. Ich werde bemüht sein, die neu aufge-
tauchten rechtlichen Schwierigkeiten zu überwinden.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter Dr. Böhm.
Dr. Böhm (Frankfurt) (CDU/CSU): Warum gibt
die Bundesregierung nicht dem Bundestag und sei-
nen Ausschüssen die Gelegenheit, die verfassungs-
rechtlichen Fragen zu prüfen und im Zusammenwir-
ken mit den Vertretern des Ministeriums hier im
Hause zu befriedigenden Formulierungen zu kom-
men? Mit anderen Worten; Warum leitet die Bun-
desregierung dem Bundestag keinen Gesetzentwurf
zu, der vielleicht noch nicht vollständig und nach
allen Seiten hin ausgereift ist, weil für den Ein-
druck im In- und Ausland die Beschleunigungsfrage
eine Rolle spielt, also der Zeitpunkt, in dem dieses
Hohe Haus mit der Sache befaßt wird?
Höcherlr Bundesminister des Innern: Meines
Wissens hat es in einem Unterausschuß des Hauses
bereits eingehende Diskussionen zwischen Mitglie-
dern des Hauses und Regierungsvertretern gege-
ben. Weiter meine ich, ein unfertiger Gesetzent-
wurf, dem rechtliche Bedenken begegnen, sollte die-
sem Haus nicht, zumindest nicht bewußt, vorgelegt
werden.
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Schmitt- Vockenhausen.
Schmitt-Vockenhausen (SPD): Herr Minister,
wäre es möglich, wenn eine neue Initiative aus dem
Hause käme, daß die Bundesregierung ihre zustän-
digen Referenten in die Ausschüsse schicken würde,
damit diese dort die rechtlichen Bedenken vortra-
gen könnten? Das wäre nämlich die geeignete Mög-
lichkeit, die Sache zu fördern.
Höcherlr Bundesminister des Innern: Es bestehen
keine Bedenken. Das kann ich Zusagen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Dr. Bechert.
Dr. Bechert (SPD) : Herr Minister, ist die Bundes-
regierung bereit, bei den weiteren Erörterungen zu
berücksichtigen, daß die Tätigkeit deutscher Wis-
senschaftler in Ägypten zwar Anlaß, nicht aber der
eigentliche Grund für die Forderung des Bundes-
tages gewesen ist?
Höcherlr Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege Bechert, wenn Sie das Interview im Bulletin
lesen, dann werden Sie finden, daß alle gesetzgebe-
rischen Absichten sich nicht auf einen einzelnen
Fall erstrecken dürfen, sondern eine Gesamtheit von
möglichen Fällen umfassen müssen. Es ist eine sel-
tene Ausnahme, daß ein einziger Fall Anlaß für
eine gesetzgeberische Aktion bietet. Hier muß klar-
gestellt werden, daß es sich nicht um einen einzi-
gen Vorgang handelt, sondern um die vielfältigen
Möglichkeiten von Gefahrenherden, bei denen die
Bundesrepublik durch persönliche Mitwirkung eines
einzelnen Angehörigen der Bundesrepublik irgend-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5965
(A)
Bundesminister Höcherl
wie in Mißkredit kommen könnte. Das ist so ein-
deutig klargestellt worden, daß idi es hier nicht
noch einmal wiederholen möchte.
Vizepräsident Dn Jaeger; Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter Dr. Bechert.
Dn Bechert (SPD): Herr Minister, bestehen sei-
tens des Auswärtigen Amts Bedenken, die sich auf
das Verhältnis zu den arabischen Ländern beziehen?
Hödierl, Bundesminister des Innern: Ich bitte,
die Frage an das Auswärtige Amt zu richten.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Ritzel.
Ritzel (SPD): .Herr Minister, da wohl auch in die-
sem Falle der Bundeskanzler die Richtlinien der
Politik bestimmen wird, möchte ich Sie fragen: Hat
der Herr Bundeskanzler in dieser Frage bereits
eine Richtlinie gefunden?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege Ritzel, Sie möchten mit dieser Frage eine Ant-
wort aus den Beratungen des Kabinetts haben. Eine
solche Antwort kann ich Ihnen nicht geben.
Zweitens: es handelt sich hier um Rechtsfragen
und nicht um Richtlinienfragen.
(Abg. Dr. Mommer: Eine hochpolitische
(B) Frage!)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine zweite Zusatz-
frage, Herr Abgeordneter Ritzel.
Ritzel (SPD): Dann möchte ich anders formulie-
ren. Herr Minister, Sie haben in Ihrem Hause seiner-
zeit eine Vorlage entwickelt. Hat dieser Vorlage
der Herr Bundeskanzler seine Zustimmung ge-
geben?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Jawohl.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Eine Zusatzfrage,
Herr Abgeordneter Erler.
Erler (SPD): Herr Minister, wenn für die Ein-
führung einer Genehmigungspflicht für die Produk-
tion von, den Umgang und den Handel mit Kriegs-
waffen die Definition des Angriffskrieges kein
unübers teigbares Hindernis gewesen ist, warum
sollte dann die Einführung einer Genehmigungs-
pflicht für die Mitwirkung deutscher Staatsangehö-
riger an der Produktion und Entwicklung derartiger
Waffen im Ausland ein unübersteigbares Hindernis
in der Definition des Angriffskrieges finden?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege Erler, an und für sich wäre das eine Frage, die
an das Wirtschaftsressort zu richten wäre.
(Lachen bei der SPD.)
Es handelt sich hier um ein Ausführungsgesetz zu
Art. 26. Ich bin aber bereit, kurz darauf zu erwi-
dern. Das Waffengesetz ist mit allen Möglichkeiten
ausgeschöpft. Abs. 1 des Art. 26 bezieht sich nicht
auf das Waffengesetz, sondern ganz allgemein auf
das friedliche Zusammenleben und insbesondere
auf die Mitwirkung bei angriffskriegerischen Hand-
lungen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Herren, wir stehen nun am Ende der Fragestunde.
Wir kommen damit zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Bteratung der Sammelübersicht 30 des Aus-
schusses für Petitionen (2. Ausschuß) über
Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bun-
destages zu Petitionen und systematische
Übersicht über die beim Deutschen Bundes-
tag in der Zeit vom 17. Oktober 1961 bis
31. März 1964 eingegangenen Petitionen
(Drucksache IV/2169).
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Aus-
schußantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine
Enthaltungen. Es ist so beschlossen.
Punkt 3 der Tagesordnung wird erst nachmittags
um 15 Uhr aufgerufen.
Wir kommen zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsge-
setzes (6. Änderung) (Drucksache IV/1646);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ver-
kehr, Post- und Fernmeldewesen (23, Aus-
schuß) (Drucksache IV/2121);
(Erste Beratung 98. Sitzung).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Schmidt
(Braunschweig). Er hat einen Schriftlichen Bericht
vorgelegt, für den ich danke.
Wir kommen in zweiter Beratung zu Art. 1 bis 5,
Einleitung und Überschrift. Wird das Wort ge-
wünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustim-
men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlos-
sen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das
Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allge-
meine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zu-
zustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Soweit ich sehe,
keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine
Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu dem Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP auf Um-
5966
Deutsdier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Vizepräsident Dr. Jaeger
druck 440. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer
dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht,
den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um
die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthal-
tungen — Keine Enthaltungen. Einstimmig ange-
nommen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu den Änderungen vom 11. April
1962 des Internationalen Übereinkommens
zur Verhütung der Verschmutzung der See
durch öl, 1954, und zur Änderung des Geset-
zes vom 21. März 1956 (Drucksache IV/1703);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ver-
kehr, Post- und Fernmeldewesen (23. Aus-
schuß) (Drucksache IV/2130)
(Erste Beratung 101. Sitzung).
Der Herr Berichterstatter, der Abgeordnete Falke,
hat einen Schriftlichen Bericht vorgelegt; ich danke
ihm dafür.
Ich rufe in zweiter Beratung die Artikel 1 bis 6,
die Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird
nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmun-
gen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein
Handzeichen, — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es
ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache ge-
wünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur
Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in drit-
ter Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich
zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Ent-
haltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Drachsler, Dr. Reinhard, Dr.
Höchst, Glüsing (Ditmarschen), Bauknecht,
Bewerunge und Fraktion der CDU/CSU ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
(Drucksache IV/1234);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ver-
kehr, Post- und Fernmeldewesen (23. Aus-
schuß) (Drucksache IV/2141)
(Erste Beratung 78. Sitzung)
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten
Müller (Nordenham), für seinen Schriftlichen Be-
richt.
Ich rufe in zweiter Beratung die Artikel 1, 2 und
3 sowie die Einleitung und die Überschrift auf. —
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufge-
rufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den
bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die
Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort
wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine
Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustim-
men wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen.
Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig
angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
derregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über den Übergang von Zuständig-
keiten auf dem Gebiete des Rechts des Ge-
sundheitswesens (Drucksache IV/1832);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für In-
neres (6. Ausschuß) (Drucksache IV/2172)
(Erste Beratung 116. Sitzung)
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten
Schmitt- Vockenhausen, für seinen Schriftlichen Be-
richt.
Ich rufe in zweiter Beratung die §§ 1 bis 5, die
Einleitung und die Überschrift auf. — Das Wort
wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Be-
stimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich
um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
probe. — Es ist so beschlossen.
(D)
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache ge-
wünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur
Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als
Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu
erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Soweit
ich sehe, keine Gegenstimmen. Enthaltungen? —
Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Wir kommen nun zu dem zweiten Antrag des
Ausschusses:
die Bundesregierung soll erneut überprüfen,
ob nicht die Zuständigkeit auf dem Gebiet der
Veterinärmedizin geschlossen auf den Bun-
desminister für Gesundheitswesen zu über-
tragen ist.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte
ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
probe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? —
Auch keine Enthaltungen; einstimmig beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingelbrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai
1963 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Regierung von Indien über den
Fluglinienverkehr (Drucksache IV/1939);
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5967
Vizepräsident Dr. Jaeger
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ver-
kehr, Post- und Fernmeldewesen (23. Aus-
schuß) (Drucksache IV/2189)
(Erste Beratung ill8. Sitzung)
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten
Dr. Höchst, für seinen Schriftlichen Bericht.
Ich rufe in zweiter Beratung die Artikel 1 und 2,
die Einleitung und die Überschrift auf. — Das Wort
wird nicht gewünscht. Wer den auf gerufenen Bestim-
mungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das
Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es
ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache ge-
wünscht? — Das ist nicht der Eall. Wer dem Gesetz-
entwurf in der dritten Beratung zuzustimmen
wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. < — Ich bitte
um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Ent-
haltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig ver-
abschiedet.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesoi^dnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebraditen Entwurfs eines
Gesetzes über Bodennutzungs- und Ernte er-
hebung (Drucksache JjV/d795);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inne-
res (6. Ausschuß) (Drucksache IV/2198)
(B) (Erste Beratung 107. Sitzung)
Der Berichterstatter, der Abgeordneter Wehking, hat
den Schriftlichen Bericht vorgelegt. Ich danke ihm
dafür.
Ich rufe in zweiter Beratung auf die §§ 1 bis 20,
Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht
gewünscht. Wer den auf gerufenen Bestimmungen
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand-
zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist
so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzu-
stimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. —
Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstim-
men. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstim-
mig so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun^
desregierung eingeb rächten Entwurfs eines
Gesetzes über eine Statistik der Arbeitskräfte
in der Land- und Forstwirtschaft (Drucksache
IV/1794);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inne-
res (6. Ausschuß) (Drucksache IV/2199)
(Erste Beratung 107. Sitzung)
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten
Wehking, für seinen Schriftlichen Bericht.
fCl
Ich rufe in zweiter Beratung auf §§ 1 bis 6, Ein- ' ^
leitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht ge-
wünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zu-
zustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand-
zeichen. ■ — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist
so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz-
entwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht,
den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die
Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltun-
gen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig an-
genommen.
Wir kommen zu Punkt 11 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Bauknecht, Dr. Schmidt (Geller-
sen), Walter und Genossen eingebr achten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über die Abwicklung des Reichs-
nährstandes und seiner Zusammenschlüsse
(Drucksache IV/1277);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
(19. Ausschuß) (Drucksache IV/2137).
(Erste Beratung 78. Sitzung)
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten
Dr. Reinhard, für seinen Schriftlichen Bericht.
Soweit mir bekannt ist, wird vorgeschlagen, den
Gesetzentwurf an den Ausschuß für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten zurückzuverweisen. —
Widerspruch erfolgt nicht; es ist so zurückver-
wiesen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung eines
freiwilligen sozialen Jahres (Drucksache
IV/986);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Fa-
milien- und Jugendfragen (10. Ausschuß)
(Drucksache IV/2138).
(Erste Beratung 67. Sitzung)
Ich danke der Berichterstatterin, der Frau Abgeord-
neten Eilers, für den Schriftlichen Bericht. Wir kom-
men zur zweiten Beratung. Ich rufe auf §§ 1 bis 16,
Einleitung und Überschrift. — Das Wort hat die
Abgeordnete Frau Pitz-Savelsberg.
Frau Pitz-Savelsberg (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Ich möchte einen
Antrag zur dritten Lesung ankündigen. Die Druck-
sache liegt leider im Augenblick noch nicht vor; sie
kommt aber. Es handelt sich um den § 2. Im Abs. 1
des § 2 ist in der letzten Sitzung des Jugendaus-
schusses ein Passus gestrichen worden, der bei ge-
nauerer Betrachtung nicht hätte gestrichen werden
dürfen. Es steht nun in der Ausschußfassung: Träger
5968
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — - 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Frau Pitz-Savelsberg
(Al
' * sind die Verbände. Vorher hatte in § 2 Abs. 1 ge-
standen: Träger sind die Verbände und ihre Unter-
gliederungen. Man hat geglaubt, die Worte,, und
ihre Untergliederungen" seien überflüssig. Es hat
sich aber erwiesen, daß im Zusammenhang mit dem
Beschäftigungsort, mit der Leistung der Versiche-
rungsbeiträge und mit all diesen technischen Dingen
die Erwähnung der Untergliederung im Gesetz not-
wendig ist und daß wir sie wieder hineinbringen
müssen.
Das ist der Sinn des Antrages, den wir zur dritten
Lesung vorlegen. Ich möchte Ihnen das jetzt schon
erklären, damit Sie wissen, um was es sich handelt.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Herren, zur zweiten Lesung liegt also noch kein
Antrag vor. Wir können über die aufgerufenen Be-
stimmungen §§ 1 bis 16, Einleitung und Überschrift
abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich
um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
probe. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort
hat Frau Abgeordnete Eilers.
Frau Eilers (SPD): Herr Präsident! Meine Herren
und Damen! Die Sozialdemokratische Partei unter-
stützt die von den Fraktionen der CDU/CSU und der
ß) FDP eingereichte Vorlage und ist sehr froh, daß wir
heute endlich dazu kommen, das Gesetz zur Förde-
rung eines freiwilligen sozialen Jahres zu verab-
schieden. Wir haben leider über ein Jahr gebraucht,
um diese Materie in 15 Ausschußsitzungen in richti-
ger Weise zu regeln. Das hat zwei Gründe gehabt,
von denen einer darin bestand, daß innerhalb der
einbringenden Mehrheitspartei, der CDU/CSU, nicht
entsprechend frühzeitig eine Koordinierung der Fra-
gen herbeigeführt werden konnte. Der andere Grund
war, daß der Herr Bundesarbeitsminister seine Mit-
arbeiter in einer ziemlich großen Phase der Beratung
leider nicht zur Verfügung stellen wollte, so daß wir
dadurch praktisch erst am Anfang dieses Jahres zu
endgültigen Formulierungen kommen konnten.
Der Ihnen vorliegende Entwurf hat im Ausschuß
erhebliche Änderungen erfahren, die Sie in der bei-
liegenden Synopse nachlesen können. Wir wissen
alle, CDU wie FDP und auch die SPD, daß wir mit
dem vorliegenden Gesetz einen erheblichen Eingriff
in bestehende Sozialrechtsgebiete vornehmen. Wir
glauben aber, daß diese Änderung der sozialrecht-
lichen Vorschriften — im (ganzen werden 11 Gesetze
durch die Gesetzesvorlage zur Förderung eines frei-
willigen (Sozialen Jahres betroffen — notwendig ist
und daß das Opfer, das junge Menschen, die frei-
willig ein Jahr ihres Lebens zur Verfügung stellen,
auch entsprechend von uns anerkannt werden muß.
Wir können diese jungen Leute nicht schlechter stel-
len als solche, die in einer Berufsausbildung stehen
und denen in der Kindergeldgesetzgebung, in der
Steuergesetzgebung und vor allen Dingen auch in
bezug auf die Anrechmmgen in der Rentengesetz-
gebung Vorteile aus der Berufsausbildung erwach-
sen. Die jungen Menschen, die im freiwilligen sozia-
len Jahr tätig waren, konnten bisher diese Vorteile
nicht für sich in Anspruch nehmen, d. h. sie waren
gegenüber anderen Berufsgruppen benachteiligt. Ich
glaube, daß es auch viele Eltern geben wird, die auf
Grund der Möglichkeiten, welche durch das Gesetz
zur Förderung eines freiwilligen Jahres jetzt er-
öffnet werden, leichter bereit sind, ihre Kinder ein
Jahr dem Dienst für die Gemeinschaft zur Verfügung
zu stellen.
Wir bedauern es — ich glaube, das kann man von
allen Parteien sagen — , daß in § 1 Abs. 4 dieses
Gesetzentwurfs die Altersgrenze auf das 17. Lebens-
jahr festgesetzt ist. Wir hätten lieber, alle zusam-
men glaube ich, das 18. Lebensjahr als Voraus-
setzung für den Eintritt in das freiwillige soziale
Jahr gesehen. Leider ist in den sozialen Berufen die
Überbrückung der Zeit zwischen Schule und Berufs-
tätigkeit so schwierig, daß wir uns doch entschieden
haben, das 17. Lebensjahr als Eintrittsjahr zu neh-
men. Unsere grundsätzlichen Bedenken — das muß
ich für meine Fraktion hier sagen — beruhen darauf,
daß man einen jungen Menschen mit 17 Jahren nor-
malerweise ‘erheblich seelisch belastet mit den Din-
gen, die ihm oft beim Dienst am Nächsten begegnen,
sei es im Altersheim, im Krankenhaus oder auch in
Einrichtungen für geistig und körperlich behinderte
Kinder. Wir möchten hier keine Anträge auf Ände-
rung stellen, sondern möchten nur feststellen, daß es
wünschenswert wäre, wenn der Eintritt der jungen
Leute in das freiwillige soziale Jahr etwas später
läge. (D)
Ein Punkt, über den im Ausschuß keine Einigung
erzielt werden konnte und bei dem die SPD die
Formulierung bis zum letzten als bedauerlich ansah,
ist der, daß zu den Einrichtungen, in denen das frei-
willige soziale Jahr abgeleistet werden kann, Ein-
richtungen für die Familienpflege gehören. Wir
haben die Sorge, daß mit dieser Formulierung bei
kinderreichen Familien oder bei Familien, die durch
den Ausfall der Mutter in eine besonders schwierige
Situation geraten, die Hoffnung erweckt wird, sie
könnten hier eine Hilfe von jungen Menschen be-
kommen, die im freiwilligen sozialen Jahr tätig sind,
eine Hilfe, mit der den Notständen in ihren Familien
abgeholfen werden könne. Gedacht ist jiedoch — das
wurde im Ausschuß klar herausgestellt und ist auch
im Bericht festgelegt — nur an „Einrichtungen, die
Familienpflege leisten" und die die jungen Men-
schen aus einem internatsmäßigen Aufenthalt zu
bestimmten Einsätzen im hauspflegerischen Bereich
schicken. Uns Sozialdemokraten wäre es lieber ge-
wesen, wenn diese Formulierung nicht in das Gesetz
aufgenommen worden wäre, damit nicht, wie ich
schon sagte, falsche Hoffnungen erweckt werden.
Differenzen zwischen uns und den einbringenden
Fraktionen bestehen auch hinsichtlich des § 2 Abs. 1
in der Frage der Trägerschaft. Frau Pitz hat eben
schon einen Änderungsantrag angekündigt, der die
Frage der Trägerschaft auf zentraler Ebene oder auf
unterer Ebene betrifft. Wir hatten seinerzeit in einer
Ausschußberatung in Berlin bewußt die Trägerschaft
auf unterer Ebene ausgeschlossen, um eine bessere
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5969
Frau Eilers
(A)
Kontrolle aller Träger zu erreichen und so sicherzu-
stellen, daß der Einsatz auch in fachlich gerecht-
fertigter Weise erfolgt.
Grundsätzlich sind wir nicht ganz glücklich dar-
über — wir wollen allerdings keinen Änderungs-
antrag stellen — , daß hinsichtlich der Behandlung
der Träger des freiwilligen sozialen Jahres ein
Unterschied gemacht werden soll, daß nämlich die
großen Wohlfahrtsverbändie, die Kirchen und die
Gebietskörperschaften eo ipso als Träger des frei-
willigen sozialen Jahres anerkannt siein sollen, wäh-
rend eventuell weiter hinzukommende Träger ein
Anerkennungsverfahren bei der zuständigen Lan-
desbehördie durchmacben müssen. Wir meinen, daß
es richtiger wäre, vorzusehen, daß jeder, der als
Träger des freiwilligen sozialen Jahres tätig werden
will, ein Anerkennungsverfahren durchmachen muß.
Ich darf hierzu die Äußerung eines Sachverständi-
gen im Ausschuß anführen, der uns sagte: „Wir sind
sehr froh, daß auch düe öffentliche Hand jetzt ein
solches freiwilliges soziales Jahr einriditen kann,
weil wir dadurch endlich die Möglichkeit haben, dem
entsetzlichen Mangel an Kräften in Krankenanstal-
ten, speziell auch dem Mangel an Hilfskräften, also
an Putzkräften, abzuhelfen." Das machte uns in er-
schreckender Weise klar, wie wenig dieser Herr
Sachverständige den eigentlichen tieferen Sinn die-
ses Gesetzes und der Einrichtung des freiwilligen
sozialen Jahres verstanden hatte.
Durch die Einrichtung des freiwilligen sozialen
Jahres sollen nicht etwa mehr oder weniger preis-
(ß) günstige Arbeitskräfte leicht beschafft werden, son-
dern hier soll sich — das möchte ich grundsätzlich
sagen — für den jungen Menschen eine Möglichkeit
auftun, seine Tätigkeit freiwillig in den Dienst des
Nächsten zu stellen. Der junge Mensch soll hierbei
aber nicht nur ein Gebender sein, sondern jede
Helferin und jeder Helfer im freiwilligen sozialen
Jahr sollen aus dieser Tätigkeit zugleich auch einen
Gewinn für die Reifung ihrer Persönlichkeit ziehen.
Sie sollen auf diese Weise ihren Standpunkt in der
Gesellschaft finden und für das ganze spätere
Leben gefestigt werden.
Daher ist es auch notwendig, daß den jungen
Leuten in der Einleitung und in der begleitenden
Betreuung fachlich und pädagogisch qualifizierte
Kräfte an die Hand gegeben werden, die ihren Ein-
satz unterstützend überwachen und sie wirklich
beraten. Ich glaube, daß auf diese Weise manchem
jungen Menschen über die Zeit seines Einsatzes
hinaus eine wirkliche Hilfe für das ganze Leben ge-
geben werden kann.
Folgendes möchte ich noch zur Gesetzesvorlage
sagen — ich habe es eben schon bei meinem Hinweis
auf die Sachverständigenanhörung angedeutet — : es
darf in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck ent-
stehen, daß mit dem Gesetz zur Förderung eines
freiwilligen sozialen Jahres, vor dessen Verabschie-
dung wir jetzt stehen, dem Dilemma abgeholfen
werden kann, dem wir alle uns in Krankenhäusern,
Altersheimen und sonstigen Einrichtungen gegen-
übersehen. Mit dem Gesetz zur Förderung eines
freiwilligen sozialen Jahres können wir nicht die
Personalnot in allen diesen Einrichtungen bekämp-
fen. Wir können vielleicht auch da ein wenig lindern
helfen; aber wir müssen auf diesem Gebiet doch
etwas anderes. Grundsätzliches tun: wir müssen
endlich daran denken, die Neuordnung der Kranken-
pflege voranzutreiben.
(Beifall bei der SPD.)
Mit dem freiwilligen sozialen Jahr -soll einer leider
noch zu geringen Gruppe von jungen Menschen
eine Betätigungsmöglichkeit und Aufgabe gegeben
werden.
Ich möchte für meine Fraktion sagen — ich glaube
aber, daß mir hier auch viele andere Kolleginnen und
Kollegen zustimmen werden — : dieses Gesetz soll
und darf kein Schrittmacher für eine Dienstpflicht
oder für ein Pflicht jahr sein,
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
der Regierungsparteien)
das ja sowieso nur auf Grund einer Änderung des
Grundgesetzes eingeführt werden könnte. Ich
glaube, daß man sich hier einig ist. Das ist nicht
gewollt und darf auch bei uns nie gewollt sein. Hier
soll vielmehr jungen Menschen, die bereit sind, der
Gemeinschaft ein Opfer darzubringen, dieses Opfer
in gewisser, wenn auch bescheidener Weise hono-
riert werden. Und dazu sagen wir von der Sozial-
demokratischen Partei freudigen Herzens ja.
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Frau
Abgeordnete Pitz: ^ *
Frau Pitz-Savelsberg (CDU/CSU): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Seit der ersten
Lesung dieses Initiativgesetzentwurfs der CDU/CSU
und der FDP ist über ein Jahr vergangen. Wir haben
aber in diesem Jahr intensiver Ausschuß arbeit eine
breite Mehrheit für dieses Gesetz gefunden, wofür
wir recht dankbar sind.
Der Grundgedanke ist die Gleichstellung des
freiwilligen sozialen Jahres mit der Berufsausbil-
dung mit der Konsequenz, daß auch während dieser
Zeit wie während der Zeit einer Berufsausbildung
Leistungen wie Renten, Kinderzuschläge, Kinder-
geld, Steuerermäßigungen und Vergünstigungen
anderer Art weiterlaufen. Die Auffassung, daß die-
ses Jahr Erwerbsarbeit sei, führte bisher dazu, daß
mit dem Eintritt in einen solchen Dienst alle Bezüge
fortfielen und sogar zurückgezahlt werden mußten,
wenn sie in Unkenntnis der Lage angenommen wor-
den waren. Das hat nicht nur zu einer Verbitterung
weiter Kreise geführt, sondern das hat auch den
Eltern den Mut genommen, sich zu entschließen,
ihren Kindern ein solches Jahr zu gewähren.
Die Gleichstellung mit der Berufsausbildung führt
aber nicht dazu — so ist das irrtümlich aufgefaßt
worden — , daß nun die Berufsausbildung um ein
Jahr gekürzt werden könne oder daß das freiwillige
Jahr in allen Fällen als Ersatz für ein Praktikum
im Rahmen einer Berufsausbildung gelten könne.
Ob, wie und in welchem Umfang eine Anrechnung
auf ein soziales Praktikum erfolgen kann, hängt von
5970
Deutsdier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Frau Pitz-Savelsberg
den jeweiligen Ausbildungsbestimmungen ab und
gehört nicht in dieses Gesetz. In keinem Fall — das
muß man betonen — kann das freiwillige soziale
Jahr als Ersatz für den Wehrersatzdienst gelten.
Es gibt viele Gründe, die die Förderung notwen-
dig machen. In erster Linie sollen natürlich die
Nachteile aus dem Weg geräumt werden, um die
Bereitschaft zur Ableistung eines freiwilligen so-
zialen Jahres zu erhöhen und dadurch mehr Hilfs-
kräfte in die Einrichtungen zu bekommen, in denen
überlastete Berufskräfte sehr dankbar für die Hilfe
sind. Aber wir sehen neben diesen willkommenen
Hilfsdiensten auch einen wesentlichen Wert für die
Jugendlichen selbst. In der Tätigkeit für den Näch-
sten, in der Durchführung der praktischen Nächsten-
liebe wächst auch das Verantwortungsbewußtsein
für das Gemeinwohl. Die gewonnenen Kenntnisse
und Erfahrungen aus diesem Jahr werden überdies
der jungen Frauengeneration einen bleibenden
Wert bedeuten und werden ihr helfen bei der Be-
wältigung ihrer eigenen späteren Aufgaben.
Eine Förderung verdient dieses Jahr aber beson-
ders deshalb, weil sich nur ein Teil der Jugend zur
Verfügung stellt und dieser Teil der Jugend für
das Gemeinwohl weit mehr tut als die Jugend
sonst.
Nun wird man fragen können: Ja, aber warum
dann nicht eine Verpflichtung für die gesamte Ju-
gend? Hier kommen wir an die Fragen, die Frau
Kollegin Eilers eben besorgt erwähnt hat. Hier setzt
nämlich draußen in der Öffentlichkeit die Diskus-
' ^ sion um das Pflichtjahr ein. Sicherlich ist der Ein-
wand berechtigt, daß die Freiwilligkeit nicht genü-
gend Helferinnen herbeibringen wird, um alle
Lücken zu füllen. Darauf müssen wir aber sagen,
daß das freiwillige soziale Jahr keine arbeitsmarkt-
politische Maßnahme ist, um in einer Mangel-
situation auf dem Arbeitsmarkt Abhilfe zu schaffen.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Im übrigen wird auch ein Pf licht jahr diesen Mangel
nicht ausfüllen können. Ganz abgesehen davon, daß
wir uns im Grundgesetz selbst die Barriere gesetzt
haben, die kein Pflichtjahr zuläßt, und eigentlich die
Diskussion hierüber überhaupt überflüssig ist, wäre
es auch praktisch nicht durchzuführen. Ein normaler
Entlaß jahr gang der Mädchen umfaßt im Durchschnitt
400- bis 420 000. Die Betreuung dieser Mädchen, die
alle gleichzeitig in den Einsatz kämen, erforderte
eine Anzahl von mindestens 16- bis 20 000 hochqua-
lifizierten sozialpädagogischen Kräften, und gerade
diese Kräfte fehlen uns ja. Wenn man ein neuntes
Schuljahr nicht durchführen kann, weil man nicht
die dazugehörigen Lehrer hat, und wenn man die
nötigen Betreuungskräfte nicht hat, um die Sache
überhaupt zu einem Erfolg zu führen, dann kann
man auch keinen Pflichtdienst für Mädchen durch-
führen. Aber der Zwang, die Verpflichtung wider-
spricht auch dem Wesen der Karitas an sich. Also
auch aus inneren Gründen muß die Freiwilligkeit
für diese Tätigkeit vorausgesetzt werden.
(Beifall in der Mitte.)
Zwang würde im übrigen die pflegerischen Be-
rufe, die nicht sehr hoch im Ansehen stehen, um den
letzten Rest ihres Ansehens bringen. Es sind keine
Berufe, die lohnend sind im Hinblick auf Gelder-
werb. Wenn wir diesen Berufen ihr Ansehen und
ihren Rang wiedergeben wollen, können wir das
niemals tun, indem wir Menschen dazu zwingen.
(Beifall in der Mitte.)
Wir können das nur dadurch tun, daß wir eine Elite
schaffen, und das ist der Sinn dieses Gesetzes. Elite
ist der Sauerteig jeder Gesellschaft. Wir stellen
hohe Erwartungen an eine geistige Elite, an eine
Führungselite. Hier im freiwilligen sozialen Jahr
stellt sich eine Elite anderer Art. Es ist eine Elite
mitmenschlichen Verhaltens, und hier ist der Ansatz
gegeben zu einer Wandlung sozialen Denkens von
innen her.
Wenn man von den Sozialreformen spricht, muß man
sich darüber klar sein, daß man das nicht mit Ge-
setzen schafft. Man muß beim Menschen anfangen.
Die Kernfigur aller Bemühungen muß der Mensch
sein, dessen uneigennützige Hilfsbereitschaft aus
dem sozialen Verantwortungsbewußtsein des ein-
zelnen kommt. Und das hat die Jugend begriffen,
wenigstens dieser Teil. Der Funke ist in ihr wach
geworden, und wir müssen jetzt dafür sorgen, daß
er nicht wieder erlischt.
(Beifall in der Mitte.)
Ich muß auch bemerken, daß das freiwillige soziale
Jahr nicht durch den Gesetzgeber jetzt geschaffen
worden ist. Es ist geschaffen worden durch freie pj
Träger und existiert schon seit langen Jahren. Der
Gesetzgeber hat sich nur darauf beschränkt, die
Merkmale des Dienstes im Gesetz festzuhalten, so
wie sie von der Praxis abgelesen sind. Die Verbände
der freien Wohlfahrtspflege z. B. haben fast alle
heute Einrichtungen des sozialen Jahres jüngeren
oder älteren Datums. Die ältesten und bekanntesten
und auch die verdientesten sind das „Diakonische
Jahr" und das „Jahr für den Nächsten".
Der Aufbau und die Pläne zur Durchführung sind
ausschließlich Sache des Trägers. Die Träger müssen
zugelassen sein. Es kann nicht jede kleine Vereini-
gung die Trägerschaft eines freiwilligen sozialen
Dienstes übernehmen. Das ist klar, wenn man sich
das Gesetz ansieht und die Voraussetzungen und
Bedingungen liest, die an eine solche Trägerschaft
geknüpft sind. Zugelassen sind — das sagte Frau
Eilers eben auch schon — 1. die Verbände der freien
Wohlfahrtspflege — es ist deren ureigenste Auf-
gabe, soziale Aufgaben zu übernehmen — , 2. die
Kirchen und 3, die kommunalen Körperschaften.
Weitere Träger — wir wissen nicht, wer sich noch
darum bemühen wird — können zugelassen werden,
wenn sie eine den Bestimmungen des Gesetzes ent-
sprechende Durchführung gewährleisten. Die Zu-
lassung erfolgt durch eine zuständige Landesbe-
hörde.
Die wesentlichsten Voraussetzungen für die Durch-
führung eines freiwilligen sozialen Jahreis sind eine
theoretische Einführung, eine pädagogische Betreuung
während der Zeit des Dienstes und eine sorgfältige
Veranstaltung zum Abschluß des Dienstes, um den
5971
Deutscher Bundestag — 4, Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Frau Pitz-Savelsberg
j'ungen Helfern und Helferinnen hefwußt zu machen,
wie sie dieses Jahr in ihren eigenen Lebensplan ein-
zuoi^dnen haben. Diese sorgfältige Führung und der
psychologisch richtige Einsatz der jungen Kräfte
auf Grund genauer Beobachtung sind notwendig,
um den notwendigen Erfolg zu erreichen. So groß
der Wert einer durchgestandenen Bewährungsprobe
für einen jungen Menschen ist — und das ist das
freiwillige soziale Jahr in allen Fällen — , so ver-
heerend für das jugendliche Selbstbewußtsein ist das
Erlebnis des Versagens vor einer selbstgestellten
Aufgabe.
Die sorgfältige Führung durch die Träger 'konnte
bisher gewährleistet werden, und es gab wenig Ver-
sager. In diesem Punkt, muß man sagen, haben sich
die bisherigen Träger große Verdienste erworben.
Deshalb glaubten wir, von einem Anerkennungsver-
fahren, wie es ursprünglich vorgesehen war, ab sehen
zu können. Es ergab sich nämlich, daß eine sinnvolle
Abgrenzung zwischen den erfahrenen und von ihrer
Aufgabe her sogar berufenen Trägern und den neu
sich bewerbenden Gruppen sehr schwierig war.
Meine Fraktion ist deshalb der Meinung, daß man
die Träger wie die bekannten Wohlfahrtsverbände,
deren Wirken im Bereich der sozialen Wohlfahrt
von eh und je unbestritten ist, nicht wegen einer
Einzelaufgabe, wie sie sich hier neu ergibt, die aber
m Rahmen ihrer Ges amt auf gäbe liegt, nicht einem
neuen Anerkennungs verfahren unterwerfen kann.
Man kann das besonders dann nicht, wenn das Aner-
kennungsverfahren mit Maßstäben arbeitet, die von
diesem Träger selber in mühevoller Pionierarbeit
entwickelt und nun schon jahelang praktiziert wor-
den sind. Das Prinzip der Zulassung, wie es jetzt im
Gesetz verankert ist, entspricht mehr den Gegeben-
heiten, und es ist mit Mehrheit in den Ausschußbera-
tungen im Gesetz festgelegt worden.
Nun ein Wort zur Situation der Helferinnen. Die
Freiheit der Träger in der Durchführung des frei-
willigen sozialen Jahres wird — abgesehen von
einigen technischen Anweisungen in bezug auf Zeug-
nisse und Bescheinigungen — durch das Gesetz nicht
berührt. Das Gesetz legt die versicherungsrechtliche
und arbeitsrechtliche Stellung der Helferinnen und
Helfer fest; das muß geklärt werden, damit Nach-
teile vermieden werden. Die , Sozialhelferin ist sozial-
versidiert. Der Träger übernimmt den vollen Ver-
sicherungsbeitrag. Das Jahr ist ein Rentenjahr für
die Sozialversicherten und für die Angehörigen des
öffentlichen Dienstes eine anr-edinungsfähige Aus-
bildungszeit; das letzte braucht im Gesetz nicht ge-
regelt zu werden, weil sich das nach schon bestehen-
den Rechtsgrundlagen ergibt. Der Dienst wird grund-
sätzlich unentgeltlich und uneigennützig geleistet.
Taschengeld und Sachbezüge ändern den Charakter
der Uneigennützigkeit nicht, Man bedenke, welche
Verdienstmöglicbkeiten für junge Menschen heute
in der Wirtschaft bestehen, auf die sie verzichten,
um ein Jahr lang gegen ein Taschengeld im Dienste
der Karitas zu arbeiten.
Sehr glücklich sind wir darüber, daß es uns gelun-
gen ist, einen rückwirkenden Termin — ab 1. April
1964 — in das Gesetz hineinzubringen. Dadurch wer-
den noch die diesjährigen Schulentlassenen mit er-
faßt, denen die Vorteile des Gesetzes dann zugute
kommen. Ein späterer Inkraftsetzungstermin hätte
im übrigen wegen der Umstellung auf das Gesetz zu
Schwierigkeiten verwaltungstechnischer Art geführt.
Mit diesem Gesetz sind also die vielbeklagten
Benachteiligungen, unter denen die Helfer im frei-
willigen sozialen Jahr zu leiden hatten, behoben.
Damit hat der Bund alles getan, was im Rahmen sei-
ner Zuständigkeit geschehen konnte. Damit ist aber
nicht gesagt, daß alle Förderungsmöglichkeiten er-
schöpft sind. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß
man auch in den Ländern die Absicht hat, diese För-
derungsmaßn ahmen des Bundes durch eigene zu er-
gänzen. Es ist zu wünschen und zu hoffen, daß mög-
lichst viele Mädchen dem Ruf zum freiwilligen so-
zialen Jahr folgen, nicht nur um zu helfen, sondern
auch um für sich selbst, für ihre Persönlichkeitsent-
faltung und für ihre späteren Aufgaben im Leben
etwas zu gewinnen. Man kann sagen, daß das frei-
willige soziale Jahr beste Lebensschule ist.
Einige Bedenken sind noch in bezug auf den Ein-
satz z. B. im Haushalt aufgetaucht. Ich sage grund-
sätzlich, daß kein Einsatz erfolgt, der nicht über eine
bewährte Organisation, durch eine Trägereinrich-
tung geschieht. Ich darf weiter z. B. gegenüber den
Bedenken, die dagegen erhoben werden, junge Mäd-
chen in Krankenhäusern und Pflegeheimen einzuset-
zen, sagen, daß hier die vorhandenen Bestimmungen
zum Schutze Jugendlicher in der Krankenpflege und
auch alle Jugendschutzbestimmungen gelten. Das
sage ich denen, die glauben, daß nach dieser Rich-
tung hin Bedenken bestehen können. Der freiwillige fpj
soziale Dienst und damit auch die Berufe, im Rah-
men derer er geschieht, werden an Ansehen und
Anziehungskraft in dem Maße wachsen, in dem
sich junge Menschen mit vollem Herzen zu diesem
Dienst bekennen und dazu ja sagen.
Im Namen meiner Fraktion bitte ich nun das Hohe
Haus, zunächst den Antrag anzunehmen, den ich er-
läutert habe und der Ihnen mittlerweile vorliegt,
und zweitens, dem Gesetz zuzustimmen und es in
dritter Lesung zu verabschieden. Damit ist der Weg
frei gemacht für die Entwicklung einer Einrichtung,
die wahrhaft in mancher Beziehung und in vielfacher
Hinsicht segensreich ist.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr* Jaeger: Das Wort hat Frau
Abgeordnete Funcke.
Frau Funcke i(Hagen) (FDP): Herr Präsident!
Meine Herren und Damen! Die Fraktion der FDP
bejaht das Gesetz zur Förderung eines freiwilligen
sozialen Jahres, das sie mit eingebracht hat, in vol-
lem Umfang. Sie bejaht es insbesondere wegen der
Freiwilligkeit. Ich möchte das an dieser Stelle
ebenso wie meine beiden Vorrednerinnen noch ein-
mal deutlich aussprechen; denn außerhalb dieses
Hauses bestehen Befürchtungen und Hoffnungen,
daß mit diesem Gesetz ein Pflichtjahr vorbereitet
werden könnte; ja, auch Hoffnungen, zum Teil bei
den jungen Menschen selbst, die das soziale Jahr
5972
Deutsdier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Frau Funcke (Hagen)
an sich gern ableisten wollen, die aber die Entschei-
dung dazu vor sich iselbst nicht fällen wollen und
auch gegenüber den Eltern und der Meinung der
Umwelt nicht durchfechten möchten.
Wir meinen, gerade um die freiwillige Entschei-
dung geht es in diesem Fall. Unsere Demokratie ist
auf der freien Entscheidung zur Selbstverpflichtung
aufgebaut. Wer die im Grundgesetz garantierte Frei-
heit nur als Freiheit zur Selbstverwirklichung ver-
steht, verfehlt den Sinn der freiwilligen Ordnung
genauso wie derjenige, der allzu früh nach staat-
lichen Zwangsmaßnahmen ruft. Es muß uns daher
bei der Erziehung der heranwachsenden Generation
entscheidend darauf ankommen, daß die Jugend die
Fähigkeit zur selbstständigen Entscheidung von früh-
auf übt und entwickelt.
Gerade dieses Gesetz scheint uns in der Hilfe und
der Sorge für den hilfsbedürftigen Menschen, die ja
mehr als den Einsatz persönlicher Kräfte erfordern,
eine besonders eindrucksvolle Möglichkeit zu geben,
sich selbst aus freien Stücken eine Aufgabe zu set-
zen und sich trotz mancher schwerer Erfahrungen
immer wieder zu ihr zu bekennen.
Unser Gesetz, das der Bundestag heute beschlie-
ßen wird, kann dazu nur einige Steine aus dem
Wege räumen, d. h. besonders schwere materielle
Opfer für einzelne erleichtern. Die Hauptlast
aber, die Entscheidung und die persönlichen Opfer
an Zeit und Kraft, an persönlicher Hingabe kann
und, so meinen wir, sollte auch den jungen Men-
schen unserer Zeit nicht abgenommen werden, hier
nicht und auch nicht an anderer Stelle.
Vielleicht könnte dieses Gesetz auch ein Weg-
weiser sein. Entgegen manchen Unkenrufen, die man
immer wieder hört, ist unsere heranwachsende
Generation nicht oberflächlicher und nicht ichbezo-
gener als frühere Generationen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Sie ist ebenso hilfsbereit und ebenso einsatzfreudig
wie die Jugend aller Zeiten. Aber entgegen der Ge-
neration, die einmal die Jugendbewegung geschaf-
fen hat, sucht sie die Wege zur Verwirklichung
nicht selbst, sondern wartet, beobachtend und auf-
merksam, welche Wege ihr die Erwachsenen wei-
sen, um dann kritisch oder nacheifernd dazu Stel-
lung zu nehmen. So könnte das Gesetz, hinter dem
ja, wie wir gehört haben, der ganze Bundestag steht,
ihr einen Fingerzeig dazu geben, einen Weg zu ge-
hen, den man selbst nur ungewiß ertastet.
Namens meiner Fraktion möchte ich an dieser
Stelle all den jungen Mädchen und jungen Män-
nern, die in den vergangenen zehn Jahren verant-
wortungsvoll und still ein oder zwei Jahre ihres
Lebens in den Dienst am Nächsten gestellt haben —
es sind über 9000 — , unseren herzlichen Dank und
unsere Anerkennung aussprechen.
(Beifall.)
Sie bewegten sich noch auf ungewisserem Boden.
Doch haben sie uns gerade durch ihre Bewährung
die Sicherheit gegeben, die aus Erfahrungen ge-
wachsene Form des Dienstes rahmenmäßig in ein
Gesetz zu bringen.
Unsere Bitte geht heute über das Haus hinaus
an die Eltern unserer heranwachsenden Jugend, daß
sie Verständnis haben mögen, wenn sich ihre Söhne
und Töchter zu einem sozialen Jahr entscheiden
wollen, und daß sie ihnen den Entschluß nicht er-
schweren.
Sicherlich verlieren die jungen Leute ein Jahr
ihrer 40- bis 50jährigen Berufstätigkeit. Vielleicht
heiraten sie ein Jahr später. Sie verdienen ein Jahr
lang nur gerade das Taschengeld. Aber was sie an
gleicher Stelle gewinnen an menschlicher Einsicht,
an sozialem Verständnis, an praktischen Fähigkei-
ten, an Verantwortungsbewußtsein und Hilfsbereit-
schaft, das wiegt, so scheint mir, für ihr ganzes
Leben mehr.
Die FDP-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zu.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung des § 2. Ich
weiß nicht, ob der Änderungsantrag, der von der
Frau Abgeordneten Pitz-Savelsberg begründet
wurde, Ihnen vorliegt. Es ist der Antrag Um-
druck 451. Ich kann ihn verlesen, weil er sehr kurz
ist: § 2 Abs. 1 Nr. 1 in der Ausschußfassung wird
wie folgt ergänzt: hinter dem Wort „Verbände"
wird das Komma gestrichen und werden die Worte
„und ihre Untergliederungen" angefügt. Hiernach
ist wohl wieder ein Komma zu setzen.
Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Das
ist nicht der Fall. Wer dem verlesenen Änderungs-
antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das
Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Es ist so beschlossen.
(Zurufe von der SPD: Enthaltungen!)
— Wenn Sie absolut wollen: Enthaltungen? — Wir
wenden hier das verkürzte Verfahren an. Nur bei
der Schluß abstimmung wird ganz genau festgestellt,
wie im einzelnen abgestimmt wird. Ich stelle aber
fest, daß links zahlreiche Enthaltungen waren.
Ich lasse nunmehr über § 2 mit der soeben be-
schlossenen Änderung abstimmen. Wer zuzustim-
men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstim-
men. Enthaltungen? — Einige Enthaltungen.
Meine Damen und Herren, damit ist auch die Ein-
zelberatung abgeschlossen, weil weitere Ände-
rungsanträge nicht vorliegen.
Wir kommen damit in
dritter Beratung
zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als
Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu
erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine
Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltun-
gen. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenom-
men.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5973
Vizepräsident Dr. Jaeger
Wir kämen jetzt zu Punkt 13 der Tagesordnung.
Wie ich aber soeben höre, soll dieser Punkt von der
Tagesordnung abgesetzt werden. Entspricht das dem
allgemeinen Wunsch? — Kein Widerspruch; dann
ist Punkt 13 von der Tagesordnung abgesetzt.
Meine Damen und Herren, ich bin gebeten wor-
den, den nächsten Punkt, Punkt 14 ^ — Arzneimittel-
gesetz — , etwas später aufzurufen, weil sich ein
Änderungsantrag hierzu noch in der Vervielfälti-
gungsmaschine befindet. Sie werden damit einver-
standen sein.
Ich rufe nunmehr Punkt 15 auf;
Zweite und dritte Beratung des von der Frak-
tion der FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Bundesbaugeset-
zes (Drucksache IV/924) ;
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
(14. Ausschuß) (Drucksachen IV/2142,
^IV/2142).
(Erste Beratung 64. Sitzung)
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Besold,
dem ich für seinen Schriftlichen Bericht danke. Zur
Ergänzung seines Berichts erteile ich Herrn Abge-
ordneten Dr. Besold das Wort.
Dr. Besold (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Zunächst darf ich feststellen,
daß im Schriftlichen Bericht Drucksache ^ IV/2142
auf Seite 2 unten links eine Druckfehlerkorrektur
vorgenommen werden muß. Es heißt hier: „die schon
(B) bisher „nur" Baulandsteuer herangezogen wurden."
Es muß heißen: „zur Baulandsteuer herangezogen
wurden."
Es ist wohl angezeigt, noch etwas über die Gründe
zu sagen, die die beiden Ausschüsse zu dem Be-
schluß veranlaßt haben, die Vorschriften über die
Baulandsteuer nach lediglich vierjähriger Geltungs-
dauer aufzuheben.
Bei der Einbringung des Änderungsgesetzes zum
Bundesbaugesetz mit dem Ziele der Aufhebung der
sogenannten Baulandsteuer im März vorigen Jahres
wurden im Plenum folgende Vorstellungen ent-
wickelt: Man sollte das Gesetz aufheben oder
suspendieren oder modifizieren. Die Debatte im Ple-
num vom 13. März 1963 ergab, daß die Ziele, die
mit der Einführung der Baulandsteuer verfolgt wor-
den waren, nämlich a) den Markt für baureife
Grundstücke in Bewegung zu bringen, b) mehr Bau-
land zu beschaffen und c) durch Vermehrung des
Angebots an baureifen Grundstücken die Preissitua-
tion auf dem Baumarkt zu verbessern, nicht erreicht
worden sind — wohl infolge der allgemeinen kon-
junkturellen Entwicklung und ihrer vielschichtigen
Auswirkungen — und daß stattdessen negative Er-
scheinungen eingetreten sind. Ich möchte Ihnen kurz
ins Gedächtnis zurückrufen, was damals im Plenum
gesagt worden ist.
Es wurde behauptet, für den kleinen Mann habe
die Baulandsteuer enteignungsähnlichen Charakter;
sie sei als unmoralisch und unsozial empfunden
worden; es seien auch Bundesverfassungsgerichts-
verfahren bezüglich der Verfassungsmäßigkeit die-
ses Gesetzes eingeleitet worden; auf Grund der
nachträglich eingetretenen konjunkturellen Ent-
wicklung wirke sich die Baulandsteuer bei den
unteren und mittleren Schichten gegen die ange-
strebte breite Streuung des Eigentums aus. Außer-
dem wurde betont, daß die Baulandsteuer den Cha-
rakter der Objektsteuer da und dort verloren habe,
weil insbesondere Städte die Erhebung der Grund-
steuer C dazu benutzten, übermäßige Hebesätze ein-
zuführen * — bis zu 1000 Vo und darüber hinaus —
und so auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des
Eigentümers — ein Kriterium der Objektsteuer —
keine Rücksicht nähmen.
Sowohl der Wohnungsbauausschuß als mitbera-
tender Ausschuß als auch der federführende Finanz-
ausschuß empfehlen, die Vorschriften über die Bau-
landsteuer mit Wirkung vom 1. Januar 1963 aufzu-
heben. Während der Finanzausschuß die ersatzlose
Aufhebung empfiehlt, hat der Wohnungsbauaus-
schuß mit den Stimmen der Koalition bei Stimment-
haltung der Opposition den Vorschlag beschlossen,
gleichzeitig mit der Aufhebung der Baulandsteuer
die Steuermeßzahl für unbebaute baureife Grund-
stücke auf 20 vom Tausend festzusetzen und ähn-
lich wie bei den Steuermeßzahlen für Einfamilien-
häuser eine Degression für kleine Grundstücke vor-
zusehen. Dabei soll sich die Steuermeßzahl von
20 vom Tausend für ein oder mehrere Grundstücke,
die demselben Eigentümer gehören, bis zu einem
Einheitswert von insgesamt 10 000 DM auf 10 vom
Tausend ermäßigen. Gleichzeitig soll die Befugnis
der Gemeinden, für die Baulandsteuer einen beson - ^ ^
deren Hebesatz festzusetzen, entfallen. Nach den
Vorstellungen des Wohnungsbauausschusses soll
damit vermieden werden, daß bei Aufhebung der
Baulandsteuer automatisch die niedrigere Steuer-
meßzahl von 5 vom Tausend in Kraft tritt.
Nach eingehender Prüfung hat der Finanzaus-
schuß jedoch, wie gesagt, die ersatzlose Aufhebung
der Baulandsteuer vorgeschlagen. Ich darf Ihnen im
folgenden die wesentlichen Gründe mitteilen, die
ihn zu diesem Beschluß veranlaßt haben.
1. Gegen den Alternativvorschlag des Wohnungs-
bauausschusses sprechen im wesentlichen die glei-
chen Argumente, die gegen die Baulandsteuer spre-
chen.
2. Eine Steuermeßzahl von 20 vom Tausend wäre
doppelt so hoch wie die allgemeine Steuermeßzahl
von 10 vom Tausend. Hierin würde sich ein Vor-
griff auf die Neubewertung des Grundbesitzes, die
einem besonderen Gesetz Vorbehalten ist, abzeich-
nen. Dagegen sprechen wie bei der Baulandsteuer
aus Gründen der Gleichbehandlung mit anderen
Grundstücksarten erhebliche Bedenken.
3. Die unter sozialen Gesichtspunkten vorge-
schlagene Ermäßigung der Steuermeßzahl von 20
V. T. auf 10 V. T. wäre sehr schwer praktikabel. Nur
durch ein umständliches und zeitraubendes Verfah-
ren könnte festgestellt werden, bei welchen von
mehreren, gegebenenfalls sogar in verschiedenen
Gemeinden liegenden Grundstücken die Ermäßigung
für 10 000 DM des Einheitswerts eintritt und welche
5974
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. Besold
Gemeinde diesen Steuerausfall tragen soll. Ganz
allgemein ist der Ausschuß aber der Ansicht, daß
durch die Baulandsteuer eine erhebliche Belastung
für die Verwaltung entstanden ist, insbesondere
durch die Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Be-
urteilung der Baureife unbebauter Grundstücke so-
wie durch die zahlreichen Ausnahmen von der Bau-
landsteuerpflicht.
(Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)
4. Man ist zu der Überzeugung gekommen, daß
die Baulandsteuer ihren Zweck nicht erreicht hat.
Das Grundstücksangebot wurde nicht vermehrt, auf
die Preisgestaltung hat sie keinen Einfluß gehabt.
5. Die sozialen Auswirkungen sind infolge der
konjunkturellen Entwicklung negativ. Der Klein-
vermögensbesitzer würde am härtesten getroffen
werden.
6. Die Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit soll
wiederhergestellt werden. Es kann nicht an der Tat-
sache vorübergegangen werden, daß beim Verwal-
tungsgericht in Hannover die Verfassungsmäßigkeit
der Baulandsteuer in Frage gestellt wurde. Dieser
Ansicht schließt sich auch ein Urteil des Finanz-
gierichts Düsseldorf und ein Urteil des Finanzgerichts
Kassel an. Außerdem muß auch festgestellt werden,
daß in einigen Bundesländern der Vollzug der Bau-
landsteuer ausgesetzt worden ist, in anderen wieder
nicht. Sogar innerhalb einiger Bundesländer ist der
Vollzug der Baulandsteuer in nebeneinander liegen-
den Gemeinden ganz verschiedenartig gehandhabt
(B) worden.
Es soll auch darauf hingewiesen werden, daß bei
den Feststellungen, die die Ausschüsse getroffen
und die sie zu ihrer Empfehlung bewegt haben, eine
Rolle spielt, daß das Aufkommen von 30 Millionen
DM nicht so sehr ins Gewicht fällt, wenngleich die
Haushalte auf jede Million angewiesen sind. Um die
Auswirkungen der Baulandsteuer wieder ins rich-
tige Lot zu bringen, dürfte der Ausfall von 30 Mil-
lionen DM nicht ins Gewicht fallen.
Endlich muß zum Schluß gesagt werden, daß die
Wiederherstellung organischer und rechtsgleicher
Verhältnisse auf dem Gebiete der Vermögens-
besteuerung auch bei unbebauten baureifen Grund-
stücken der Neuberwertung des Grundbesitzes und
den daran anschließenden steuerlichen Maßnahmen
Vorbehalten sein soll.
Es wird daher empfohlen, daß das Plenum dem
Antrag auf Drucksache IV/2142 zustimmt. Danach
soll mit Wirkung vom 1. Januar 1963 die sogenannte
Baulandsteuer aufgehoben werden. Es soll auch fest-
gestellt werden, daß ein Teil dieser Steuer schon
gestundet ist. Soweit Steuer erhoben wurde, müßte
die erhobene Steuer für diesen Zeitraum erstattet
werden.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Schoettle: Ich danke dem Herrn
Berichterstatter.
Die Aussprache ist eröffnet. — Das Wort wird
anscheinend nicht gewünscht. Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir stimmen ab über den Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung grundsteuerlicher Vorschriften, Art. 1,
— Art. 2, — Art. 3, — Art. 4, — Einleitung und
Überschrift. — Wer dem Gesetz dn dieser Form zu-
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke.
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzent-
wurf ist in zweiter Beratung einstimmig verab-
schiedet.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge-
wünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Die
Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Schluß ab Stimmung über den
Gesetzentwurf im ganzen. Wer ihm zustimmen will,
den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegen-
probe bitte! — Enthaltungen? — Keine Gegenstim-
men, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist ein-
stimmig verabschiedet.
Ich rufe auf Punkt 16 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten
Entwurfs eines Siebenten Strafrechtsände-
rungsgesetzes (Drucksache IV/1817);
Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses
„Strafrecht" (Drucksache IV/2186).
(Erste Beratung: 106. Sitzung.)
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. h. c.
Güde. Ein Schriftlicher Bericht liegt vor. — • Der p)
Berichterstatter wünscht diesen Bericht nicht zu er-
gänzen.
Ich eröffne die Aussprache in zweiter Beratung.
— Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache
ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf Art. 1,
— Art. 2, — Art 3 — Art. 4 entfällt — , Art. 5, —
Art. 6, — Art. 7, — Einleitung und Überschrift. —
Wer dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fas-
sung zustimmen will, den bitte ich um ein Hand-
zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltun-
gen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen.
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Lesung einstimmig
verabschiedet.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge-
wünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Die
Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Schluß abstimmung über den
Gesetzentwurf im ganzen. Wer ihm zustimmen will,
den bitte ich, sich zu erheben. — Danke. Die Gegen-
probe bitte! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf
ist in dritter Beratung leinstimmig verabschiedet.
Meine Damen und Herren, auf Grund des Be-
schlusses am Beginn der Sitzung und einer Verein-
barung zwischen den Fraktionen wird die Tagesord-
nung am folgenden Punkt erweitert;
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5975
Vizepräsident Sdioeltle
a) Beratung des Zweiten , Schriftlichen Berichts
des Rechtsausschusses (12. Ausschuß) über
den von der Bundesregierung eingebraditen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung miet-
rechtlicher Vorschriften (Drucksachen IV/806,
IV/2195);
b) Beratung des Schriftlichen Berichts des Rechts-
ausschusses (12. Ausschuß) über den von der
Fraktion der SPD -eingebraditen Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des § 556 a des Bür-
gerlichen Gesetzbuchs (Drucksachen IV/1554,
IV/2201).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Hauser.
— Herr Dr. Mommer!
Dr. Mommer (SPD): Herr Präsident, die Ände-
rungsanträge liegen noch nicht vor, und deswegen
können wir wohl nidit beraten.
Vizepräsident Schoettle: Wir müssen also die
Beratung zurückstellen. — Das Haus ist einverstan-
den. Die Begründung war, daß die Änderungsan-
träge noch nicht vorliegen. Das wollte ich noch hin-
zufügen.
Dann rufe ich auf Punkt 18 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Josten, Buchstaller, Dr. Danz und Genossen
betr. Verbesserung der Fahrwasserverhält-
nisse auf dem Rhein, der verkehrsreidisten
Wasserstraße Europas (Drucksache IV/2020).
Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das
ist nicht der Fall. Die Aussprache ist geschlossen.
Der Antrag soll an den Ausschuß für Verkehr, Post-
und Fernmeldewesen überwiesen werden. — Diesem
Überweisungsantrag wird nicht widersprochen; es ist
so beschlossen.
Ich habe vergessen, dem Hause mitzuteilen, daß
auf Grund einer interfraktionellen Absprache der
Punkt 17 bis morgen zurüdcgestellt wird.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
betr. Besetzung der Ämter des Präsidenten
des Bundesredinungshofes und des Bundes-
beauftragten für die Wirtschaftlichkeit der
Verwaltung (Drucksache IV/2048).
Ich eröffne die Aussprache. Wird der Antrag be-
gründet? — Der Antrag soll offenbar nicht begrün-
det werden. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich
schließe die Aussprache. Die Vorlage soll an den
Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Das Haus
widerspricht dieser Überweisung nicht; es ist so be-
schlossen.
Ich rufe Punkt 20 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Logemann, Sander, Wächter, Murr, Mauk und
Genossen betr. EWG-Regelung für Kartoffeln
(Drucksache IV/2153).
(C)
Soll der Antrag begründet werden? — Das scheint
nicht der Fall zu sein. Ich eröffne die Aussprache
über den Antrag. Wird das Wort gewünscht? — >
Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist
geschlossen. Der Antrag soll an den Ausschuß für
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — feder-
führend — und zur Mitberatung an den Außenhan-
delsausschuß überwiesen werden. Wird diesem
Überweisungsvorschlag widersprochen? — Das ist
nicht der Fall; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Logemann, Wächter, Walter, Murr, Reich-
mann und Genossen betr. Förderung der
bäuerlichen Veredelungswirtschaft (Druck-
sache IV/2154).
Soll der Antrag begründet werden? — Das ist
nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Wird das
Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Die Aussprache ist geschlossen. Der Antrag soll an
den Finanzausschuß — federführend — und zur Mit-
beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten überwiesen werden. — Das Haus
widerspricht diesem Vorschlag nicht; es ist so be-
schlossen.
Ich rufe Punkt 22 auf:
Beratung der Übersicht 21 des Rechtsausschus-
ses (12. Ausschuß) über die dem Deutschen
Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem
Bundesverfassungsgericht (Drucksache IV/
2021 ).
Eine Berichterstattung dazu wird offenbar nicht
gewünscht; die Vorlage liegt dem Hause vor. Wir
kommen zur Beschlußfassung. Wer dem Antrag des
Rechtsausschusses zustimmen will, den bitte ich um
ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Ent-
haltungen. Der Antrag ist angenommen.
Nunmehr soll der Punkt 14 auf gerufen werden:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Arzneimittelgesetzes (Drucksachen IV/1370,
IV/563);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ge-
sundheitswesen (11. Ausschuß) (Drucksachen
IV/2162, ^IV/2162).
(Erste Beratung; 83., 44. Sitzung.)
Es liegt ein Schriftlicher Bericht des Ausschusses
für Gesundheitswesen vor. Wird dieser Bericht
mündlich ergänzt? — Das Wort hat Frau Abgeord-
nete Dr. Hubert als Berichterstatterin.
Frau Dr. Hubert (SPD): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich darf mich auf meinen schrift-
lich vorliegenden Bericht beziehen und dazu nur
noch zwei ergänzende Bemerkungen machen.
Zunächst möchte ich zu § 35 a folgendes hinzufü-
gen. Dieser Paragraph bestimmt, daß Arzneimittel,
die aus Stoffen unbekannter Wirksamkeit und aus
Zusammensetzungen von Stoffen unbekannter Wirk-
samkeit bestehen, drei Jahre unter die Rezeptpflicht
5976
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Frau Dr. Hubert
fallen. Hiervon sind nicht nur dann Ausnahmen
möglich, wenn die Wirkung neuer Zusammenset-
zungen voraussehbar ist; vielmehr sind von vorn-
herein von dieser automatischen Rezeptpflicht für
drei Jahre auch Zusammensetzungen aus Stoffen
bisher unbekannter Wirksamkeit ausgenommen,
wenn sie bisher frei verkäuflich waren.
Dann möchte ich noch § 53 Abs. 1 näher erläutern.
Abs. 1 betrifft den Fall, daß, wenn die neuen Vor-
aussetzungen für die Herstellung von Arzneimitteln
für den Herstellung, sleiter nicht vorliegen, der Betref-
mende aber bei Inkrafttreten des Gesetzes minde-
stens zwei Jahre Arzneimittel hergestellt hat, für
diese oder nach der Zusammensetzung gleichartige
Arzneimittel die Erlaubnis zur Herstellung als er-
teilt gilt. Der Ausschuß ist einhellig der Meinung,
daß die Bestimmung des § 53 auch gelten soll, wenn
diese Tätigkeit im Gebiet der sowjetisch besetzten
Zone und in Ost-Berlin ausgeübt worden ist. Wir
wollen, daß die Fortgeltung der Erlaubnis — durch
Erstattung einer Anzeige gemäß § 53 Abs. 3 — auch
den Personen zugute kommt, die bisher ihre Tätig-
keit im dortigen Gebiet ausgeübt haben, aber durch
die dortigen Verhältnisse zur Flucht in das Bundes-
gebiet gezwungen wurden. Soweit nach Auslaufen
der Anzeigemöglichkeit — Ende 1964 — noch Flücht-
linge aus der sowjetisch besetzten Zone und Ost-
Berlin herüberkommen, wird § 69 des Bundesver-
trieb enengesetzes sinngemäß angewandt werden
müssen.
Zur Klarstellung möchte ich dies als die einhellige
(B) Meinung des Ausschusses klarlegen. Ich glaube, es
wird auch die einhellige Meinung des ganzen Hau-
ses sein.
(Beifall.)
Vizepräsident Schoettie: Damit ist die Bericht-
erstattung abgeschlossen. Wir kommen zur Aus-
sprache in der zweiten Beratung. Wird das Wort
gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Es liegen zwei Änderungsanträge vor. Werden sie
begründet? — Das Wort hat Herr Abgeordneter
Dr. Hamm zum Änderungsantrag Umdruck 441.
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! In dem Zeitpunkt,
in dem der Gesundheitsausschuß die Beratung des
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Ärzneimittel-
gesetzes abgeschlossen hatte, hat am 4. März 1964
das Bundesverfassungsgericht den § 36 Abs. 2 in
dem Punkte für verfassungswidrig und demnach un-
gültig erklärt, in dem es sich um das Aufsuchen von
Bestellungen für Tierarzneimittel handelt.
Die geltende Fassung des Arzneimittelgesetzes
hatte solches Aufsuchen von Bestellungen untersagt.
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bestimmung
für ungültig erklärt. So weit, so gut. Aber mit die-
ser Aufhebung der Bestimmung ist zugleich die
Möglichkeit gegeben, daß auch für apothekenpflich-
tige Tierarzneimittel ein Aufsuchen von Bestellun-
gen nunmehr zugelassen ist. Dem muß aus folgen-
den Gründen entgegengetreten werden:
fCl
Das Arzneimittelgesetz sieht aus guten gesund- '
heitspolitlschen Gründen vor, daß bestimmte Arz-
neimittel, auch Tierarzneimittel, nur über die Apo-
theke abgegeben werden können. Nun wird man
zwar sagen, mit einer Änderung dahin gehend, daß
diese apothekenpflichtigen Arzmeimittel wiederum
unter das Verbot des Aufsuchens von Bestellungen
gestellt werden, sei nichts gewonnen. Das Arznei-
mittelgesetz enthalte doch ohnehin die Bestimmung,
wonach solche Arzneimittel nur von Apotheken und
in diesem Falle auch von Tierärzten, die das Dis-
pensierrecht haben, abgegeben werden können. Die
Vertreter hätten also nichts davon, wenn sie Be-
stellungen für apothekenpflichtige Tierarznemüttel
aufsuchen, denn die Auslieferung müßte dann doch
über die Apotheke oder den Tierarzt erfolgen. Aber,
meine Damen und Herren, es kommt nicht selten
vor, daß mit einem Betrieb, der solche Tierarznei-
mittel — auch apothekenpflichtige — herstellt,
gleichzeitig eine Versandapotheke verbunden wird.
Um von vornherein solchen Mißbräuchen vorzubeu-
gen, ist der Änderungsantrag auf Umdruck 441 ge-
stellt. Wir glauben, daß es notwendig ist, eine sol-
che Änderung .einzufügen, und sind der Auffassung,
daß wir in dieser Hinsicht mit der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts völlig konform gehen.
Ich darf — mit Genehmigung des Herrn Präsidenten
— aus der Urteilsbegründung des Bundesverfas-
sungsgerichts folgendes zitieren:
Wenn die Beschwerdeführer meinen, daß die
Apothekenpflichtigkeit dem Aufsuchen von Be-
stellungen nicht entgegenstehe, sofern nur die
Auslieferung über eine Apotheke erfolge, so
kann offenbleiben, ob dies zutrifft. Unzuträg-
lichkeiten, die sich hieraus ergeben, könnten je-
denfalls durch ein die Rechtslage klarstellendes
Verbot des Aufsuchens von Bestellungen auf
apothekenpflichtige Mittel beseitigt werden.
Ich darf Sie bitten, dem Antrag auf Umdruck 441
Ihre Zustimmung zu geben.
(Beifall.)
Vizepräsident Schoettie: Das Wort zu diesem
Antrag hat der Herr Abgeordnete Dr. Elbrächter.
Dr. Elbrächter (CDU/CSU): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus beschäf-
tigt sich jetzt zum drittenmal mit dieser Frage. Wir
hatten in der zweiten Legislaturperiode aus Anlaß
der Änderung der Gewerbeordnung -Gelegenheit,
diese Materie zu behandeln. Damals hat dieses Haus
entschieden, daß es nicht erforderlich sei, bei Tier-
arzneimitteln ein Verbot des Aufsuchens von Be-
stellungen auszusprechen. Nun gebe ich zu, es
sollte damals nicht das Ärzneimittelgesetz präjudi-
ziert werden.
In der dritten Legislaturperiode hat dieses Haus
dem Antrag des Gesundheitsausschusses, das Auf-
suchen von Bestellungen zu verbieten, zugestimmt.
Ich darf erwähnen, daß der Gesundheitsausschuß
diesen Beschluß damals nur mit einer Stimme Mehr-
heit gefaßt hat, und ich verrate kein Geheimnis,
wenn ich sage, daß die Abstimmung hier etwas
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5977
Dr. Elbrächter
anders ausgefallen wäre, wenn die sachlichen Argu-
mente von diesem Hause wirklich gewürdigt wor-
den wären. Was ich damals befürchtet habe, ist ein-
getreten. Das Bundesverfassungsgericht hat den
damaligen Entscheid dieses Hauses nicht gebilligt
und die betreffende Bestimmung für nichtig erklärt,
weil es darin einen unzulässigen Eingriff in die
freie Berufsausübung sah.
Es handelt sich nämlich, meine Damen und Her-
ren, gar nicht um eine Frage der Gesundheitspolitik,
überhaupt handelt es sich nicht um Fragen der
menschlichen Gesundheit, sondern es geht um die
Behandlung von Tieren durch den Besitzer selber
mit Tierarzneimitteln. Es ist bei vielen bäuerlichen
Betrieben ein alter Brauch, die Stallmittel nicht über
die Apotheke zu beziehen, sondern, weil das beque-
mer ist, durch Bestellungen, die sie bei Vertretern
alteingeführter, renommierter Firmen aufgeben. Es
ist gar kein gesundheitspolitischer Grund vorhan-
den, dies zu untersagen. Es handelt sich nicht um
Fragen der Gesundheit, und alle für das Verbot
vorgebrachten Argumente sind doch reichlich dürf-
tig. Ich darf hier einmal diese Kritik aussprechen,
will mich aber im Hinblick auf den Zeitplan dieses
Hauses darüber nicht groß verbreiten. Ich möchte
nur darauf hinweisen, daß es einfach um Interessen
geht. Die Wahrnehmung von Interessen ist natür-
lich legitim. Es ist aber nicht Aufgabe dieses Hauses,
einseitig zugunsten einer Schicht — in diesem Falle
der Tierärzte oder der Apotheker — eine bestimmte
Lage zu schaffen und dadurch andere, seit Jahr-
zehnten eingeführte Betriebe zu behindern.
i Ich bin also der Meinung, daß wir diesem Ände-
rungsantrag nicht zustimmen sollten.
Vizepräsident Schoettle: Herr Abgeordneter,
gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Dr.
Hamm.
Dr, Hamm (Kaiserslautern) (FDP): Herr Kollege
Elbrächter, ist Ihnen klar, daß es sich nach diesem
Antrag nicht um ein Verbot hinsichtlich solcher
Stallmittel handelt, die nicht apothekenpflichtig
sind, sondern nur hinsichtlich solcher, deren Abgabe
laut Gesetz den Apotheken Vorbehalten ist?
Dr. Elbrächter (CDU/CSU): Ich komme gleich
auf dieses Argument zu sprechen. Ich darf also
fortfahren. Es stimmt doch merkwürdig, daß der
Fachausschuß sich mit dem Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts überhaupt nicht auseinandergesetzt
hat.
(Widerspruch bei der SPD.)
— Der Antrag ist doch erst gestern den einzelnen
Fraktionen vorgelegt worden, und mir ist gesagt
worden, daß er im Ausschuß nicht beraten worden
sei. Natürlich ist es das Recht von Kollegen in die-
sem Hause, solche Änderungsanträge in der zwei-
ten oder in der dritten Lesung zu stellen. Aber es
stimmt mich doch bedenklich, daß man hier ausge-
rechnet unter Hinweis auf ein Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts einen Änderungsantrag stellt, nach
dem dieses Verbot nun wieder eingeengt werden
soll.
(C)
Nun komme ich zu dem, was Herr Kollege Hamm
soeben sagte. Natürlich weiß ich, daß hier nur inso-
fern eine Einengung erfolgen soll, als es sich um
apothekenpflichtige Waren handelt. Nun kann man
dahingestellt s^ein lassen, ob die Frage der Apothe-
kenpflichtigkeit von Tierarzneimitteln wirklich eine
Frage der Gesundheit ist. Ich bin da etwas anderer
Meinung. Das Lebensmittelgesetz verbietet bei
Tieren, deren Fleisch von Menschen verzehrt wird,
die Anwendung solcher Stoffe, die irgendwie ge-
eignet sind, die menschliche Gesundheit zu beein-
trächtigen. Ich glaube, damit ist dem Schutz der
menschlichen Gesundheit Genüge getan.
Ich bin der Auffassung, daß hier insofern eine
gewisse Gefahr besteht, als die Abgrenzung zwi-
schen dem, was apothekenpflichtig ist, und dem,
was nicht apothekenpflichtig ist, Herr Kollege
Hamm, der Bürokratie überlassen bleibt. Ich habe
leider die Erfahrung gemacht, daß die Interessen
der Apotheker und der Tierärzte in der Ministerial-
bürokratie bestens vertreten sind, während die
Gruppe, die hier ihre Interessen anmeldet, gar nicht
vertreten ist. Daher habe ich das Bedenken, daß
durch die beantragte Einengung der Versuch ge-
macht wird, das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts einfach zu unterlaufen. Lassen Sie mich das
ganz deutlich sagen.
Ich bitte daher das Hohe Haus, nicht so zu ent-
scheiden, wie es in dem Änderungsantrag begehrt
wird. Ich betone noch einmal: es handelt sich nicht
um Fragen der Gesundheit, es handelt sich ganz ein-
fach um die Wahrnehmung von materiellen Interes- pj
sen. Es würde sehr weit führen, wenn ich auf die
Interessenlage gerade der Tierärzte näher eingehen
wollte.
(Zuruf von der SPD: Umgekehrt aber auch!)
— Meine Damen und Herren, ich weiß, daß das ein
Sonderfall ist, und ich weiß, daß es weder den Apo-
theken noch den Tierärzten besonders gut geht. Das
hängt mit vielen Dingen — Umstellung der Land-
wirtschaft — zusammen. Aber es geht nicht an, daß
wir im Interesse einer bestimmten Gruppe eine
andere Gruppe benachteiligen. Das ist nicht Auf-
gabe dieses Hauses.
Vizepräsident Schoettle: Noch einmal zu die-
sem Antrag Herr Abgeordneter Dr. Hamm!
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Zu meinem großen
Bedauern muß ich Ihre Zeit noch einmal etwas in
Anspruch nehmen. Aber hier sind einige Dinge vor-
getragen worden, die nicht unwidersprochen bleiben
dürfen.
Erstens. Es geht uns bei der Frage Apotheken-
pflicht oder nicht Apothekenpflicht weder um die
Interessen der Tierärzte noch um die Interessen der
Apotheker noch um die Interessen der Arzneimittel-
hersteller. Es geht allein um die Frage — und die
Berechtigung dieser Frage können Sie nicht bestrei-
ten — , ob aus gesundheitspolitischen Gesichtspunk-
ten, ob im Interesse des Schutzes der menschlichen
oder auch der tierischen Gesundheit, die ja unmit-
telbar eine Einwirkung auf die menschliche Gesund-
5978
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. Hamm (Kaiserslautern)
heit hat, bestimmte Vorschriften notwendig sind
oder nicht. Wir sind aber der Auffassung, daß sie
notwendig sind.
Zweitens. Das Lebensmittel- und das Futtermittel-
gesetz finden nur insoweit Anwendung, als das
Arzneimittelgesetz keine Anwendung findet. Das ist
die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln, Lebensmit-
teln und Futtermitteln, wie sie sowohl im Arznei-
mittelgesetz als auch im Lebensmittelgesetz als auch
im Futtermittelgesetz vorgenommen ist. Es geht also
nicht an, zu behaupten, das Lebensmittelgesetz biete
ja einen genügenden Schutz für den Bürger. Man
brauche also nicht den im Antrag angestrebten
Schutz der Menschen gegen an Tiere verfütterte
apothekenpflichtige Arzneimittel. Das ist falsch, weil
es hier um das Arzneimittelrecht und um apothe-
kenpflichtige Arzneimittel geht.
Drittens: Ich bin der Meinung, die Stallmittel der
Landwirtschaft, soweit sie außerhalb der Apotheke
erhältlich sind, sollen dem Landwirt voll erhalten
bleiben. Kein Mensch denkt daran, das Selbstbe-
handlungsrecht des Landwirts insoweit einzuschrän-
ken. Soweit aber öffentlich-rechtliche Gesichts-
punkte, nämlich Fragen des Schutzes der Gesund-
heit, zur Debatte stehen, muß der Staat dafür sor-
gen, daß Instanzen eingeschaltet werden, die diesen
Schutz übernehmen. Das sind in diesem Fall die
Apotheke und auf Grund des Dispensierrechts der
Tierarzt. Bei dieser Sachlage geht es nach unserer
Meinung nicht an, daß eine Firma Vertreter durch
das Land schickt, um Bestellungen auf apotheken-
pflichtige Tierarzneimittel aufzunehmen und diese
^ Mittel über ihre Versandapotheke direkt an den
Tierhalter abzugeben.
(Beifall bei der FDP und der SPD.)
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Dittrich. Herr Kollege Dittrich, ich
mache Sie darauf aufmerksam, daß ich unterrichtet
worden bin. Sie wollten zu dem Antrag Umdruck
442 sprechen. Ich bitte also um Nachsicht, wenn ich
Sie vielleicht benachteiligt habe.
Dr. Dittrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Mein Kollege Dr. Elbrächter
wird mir nachsehen, daß ich seine Ansicht nicht
teile und ihm widerspreche. Herr Kollege Elbrächter
hat die Dinge so dargestellt, als handelte es sich
um den Kampf der Tierärzte und Apotheker auf der
einen Seite und der veterinärpharmazeutischen In-
dustrie auf der anderen Seite. So sehe ich die Dinge
nicht. Ich glaube auch nicht, daß wir die Interessen
einer Gruppe,* die nicht besonders vertreten ist, wie
Sie meinen, wahrnehmen müßten. Es handelt sich
vielmehr um das Problem, ob Vertreter draußen im
Land, insbesondere in unseren landwirtschaftlichen
Betrieben, Bestellungen auf apothekenpflichtige
Arzneimittelspezialitäten aufnehmen dürfen.. Ich bin
der Ansicht, daß das eine Gefahr für die Volksge-
sundheit bedeuten würde. Sie machen es sich leicht,
Herr Kollege Elbrächter, wenn Sie meinen, bei Tier-
arzneimitteln gehe es nicht um Fragen der Gesund-
heit. Ich weiß nicht, ob man dem beipflichten kann.
Ich bin vielmehr der Ansicht, verehrter Kollege
Elbrächter, daß gerade die Diskussionen der letzten
Zeit gezeigt haben, welche Gefahr Tierarzneimittel,
die in den Körper der Tiere gebracht werden, für
die menschliche Gesundheit bedeuten können.
Ich möchte ausdrücklich betonen, was mein Vor-
redner, der Kollege Hamm, bereits zum Ausdruck
gebracht hat, daß es den Vertretern der veterinär-
pharmazeutischen Industrie unbenommen ist, Be-
stellungen auf nichtapothekenpflichtige Arzneimit-
tel draußen entgegenzunehmen. Nur Bestellungen
auf die den Apotheken vorbehaltenen Arzneimittel
sollen von den Vertretern nicht entgegengenommen
werden dürfen. Es handelt sich meines Erachtens
um ein gesundheitspolitisches Problem ersten Ran-
ges, hinter dem wirtschaftliche Gesichtspunkte ein-
zelner Interessengruppen zurücktreten müssen. Ich
bitte deshalb, den Antrag auf Umdruck 441 anzu-
nehmen.
Vizepräsident Schoettle: Zu Art. 1 liegt noch
der Antrag Umdruck 442 vor. Soll auch er be-
gründet werden? — Herr Abgeordneter Dr. Dittrich,
bitte.
Dr. Dittrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich in
aller Kürze den Antrag auf Umdruck 442 begründe,
der folgende Fassung des Abs. 1 Satz 2 in Art. 1
Nr. 01 vorsieht:
Auf Behältnissen von nicht mehr als drei Mil-
lilitern Rauminhalt und auf Ampullen müssen (D)
sich mindestens die Angaben nach Nummern 2,
4, 5, 6 und 9 befinden.
Meine Damen und Herren, außer Ampullen gibt
es manche Behältnisse, insbesondere Tablettenröhr-
chen und Tuben, die so klein sind, daß die Ober-
fläche nicht ausreicht, alle Angaben in lesbarer ,
Schrift anzubringen. Der Ausschuß für Gesundheits-
wesen hat sich deshalb entschlossen, § 9 Abs. 1
Satz 2 wie folgt zu fassen — Sie mögen das aus dem
Bericht entnehmen — :
Auf Behältnissen von nicht mehr als drei Milli-
litern Rauminhalt müssen sich mindestens die
Angaben nach Nummern 2, 4, 5, 6 und 9 befin-
den.
Damit werden die Ampullen, die mehr als drei
Milliliter Rauminhalt haben, von dieser verkürzten
Beschriftung ausgeschlossen. Das ist nicht zweck-
mäßig. Ich hätte die Möglichkeit, Ihnen diese Am-
pullen hier einmal vorzuzeigen. Ich habe aber ab-
sichtlich davon abgesehen, weil mein Kollege Unertl
unlängst auch nicht die Bierflaschen mitgenommen
hat.
(Heiterkeit.)
Ich glaube, daß wir die Fassung beschließen müs-
sen, die hier beantragt ist, so daß die Ampullen,
die samt und sonders klein sind und hinsichtlich der
Beschriftung Schwierigkeiten bereiten, in gleicher
Weise von der Verpflichtung der vollständigen An-
gaben ausgenommen werden wie die Behältnisse
von nicht mehr als drei Millilitern Rauminhalt.
Deutsdier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5979
Dr. Dittrich
Ich bitte deshalb, diesem Antrag auf Umdruck 442
zuzustimmen.
Vizepräsident Schoettle: Weitere Wortmel-
dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich rufe zunächst Art. 1 auf. Dazu liegen die
beiden bereits begründeten Anträge auf Ümdruck
442 und Umdruck 441 vor. Ich nehme den Antrag
Umdruck 442 zuerst, weil er auch in der Reihenfolge
der Entscheidungen an erster Stelle steht. Es ist der
Antrag zu Art. 1 Nr. 01, der Ihnen auf dem rosa
Umdruck vorliegt.
Wer dem Antrag auf Umdruck 442 zustimmt, den
bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Ge-
genprobe! — Eine Gegenstimme. Enthaltungen? —
Keine Enthaltungen. Der Antrag auf Umdruck 442
ist gegen eine Stimme angenommen.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den An-
trag Umdruck 441. Ich bitte diejenigen um ein Hand-
zeichen, die zustimmen wollen. — Danke. Die Ge-
genprobe! — ■ Das erste war eindeutig die Mehr-
heit. Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Bei einer
Enthaltung und etlichen Gegenstimmen angenom-
men.
Wir kommen damit zur Abstimmung über Art. 1
in der nunmehr durch die Entscheidung über die
Anträge erreichten Fassung. Wer Art. 1 in der neuen
Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Hand-
(B) Zeichen. — Danke. Die Gegenprobe bitte! — Ent-
haltungen? — Zwei Enthaltungen. Art 1 ist mit
großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf Art. 1 a, — Art. 2, — Art. 2 a, —
Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer den
aufgerufenen Bestimmungen zustimmen will, den
bitte ich um ein Handzeichen. — ■ Danke. Die Gegen-
probe! — Enthaltungen? — Weder Gegenstimmen
noch Enthaltungen; der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab-
geordnete Dr. Schmidt (Offenbach).
Dr. Schmidt (Offenbach) (SPD): Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestat-
ten Sie mir bitte namens der SPD-Fraktion einige
wenige grundsätzliche Bemerkungen zu dem vor-
liegenden Gesetzentwurf. Wenn wir Sozialdemo-
kraten es auch bedauern, daß unser Antrag von An-
fang 1962 so lange mit der Behandlung warten
mußte, bis die längere Zeit vorangekündigte Regie-
rungsvorlage kam, so sind wir heute doch befriedigt
darüber, daß diese so dringend erforderliche Novel-
lierung des Arzneimittelrechts endlich verabschiedet
werden kann. Wir können auch mit Genugtuung
feststellen, daß in dem vorliegenden Gesetzentwurf
Regelungen gefunden wurden, die wir schon in der
letzten Legislaturperiode gefordert hatten, die da-
mals aber von der Mehrheit dieses Hauses abge-
. fCl
lehnt waren. Damit soll kein Streit über die Prion- ' ’
tät der Anträge entfacht werden. Aber es verdient
meiner Auffasung nach festgehalten zu werden, daß
sich die Opposition frühzeitig und in konstruktiver
Form Gedanken um die Weiterentwicklung des
Arzneimittelrechts gemacht hat und daß diese Ge-
danken nun von allen Seiten des Hauses heute ak-
zeptiert werden.
Kernproblem der Novellierung ist die Einführung
der Rezeptpflicht für Arzneimittel, die Stoffe mit
bisher unbekannter Wirksamkeit enthalten. Ich
brauche nicht näher darauf einzugehen, da das im
Bericht ausführlich behandelt worden ist. Diese zeit-
lich auf drei Jahre begrenzte Rezeptpflicht muß im
Zusammenhang mit den Prüfungsbestimmungen ge-
sehen werden. Wir begrüßen es, daß die volle Ver-
antwortung für die Entwicklung und Prüfung neuer
Arzneimittel allein dem Hersteller überlassen bleibt.
Denn wir meinen, daß jede Teilung der Verant-
wortung zwischen Hersteller und Staat unweigerlich
auch zu einer Verwischung dieser Verantwortung
führen wird. Das wäre sicher nicht gut. Der vom
Ausschuß gefundene Weg zwingt den Hersteller zu
einem Höchstmaß an Sorgfalt bei der Entwicklung
und Prüfung neuer Arzneimittel, hält aber gleich-
zeitig auch den Weg frei zur Entfaltung der For-
schung in den einzelnen Produktionsstätten.
Wir bejahen auch die Lösung einer Reihe von
anderen Problemen in diesem Gesetz, die idi nur
stichwortartig aufzeigen kann. So erscheint uns das
zu beschließende Verbot der Verfütterung von Mast-
hilfsmitteln, insbesondere der Thyreostatica, von be-
sonderer Bedeutung, weil damit eine Gesetzeslücke
geschlossen wird, nachdem bisher nur die Injektion
und die Implantation solcher Mittel verboten waren.
Auch die Aufforderung an die Bundesregierung,
die zunehmende Verwendung rezeptpflichtiger Arz-
neimittel in kosmetischen Artikeln in einem beson-
deren Gesetz zu regeln, ist von wesentlicher Bedeu-
tung. Wir erwarten bei aller Arbeitsüberlastung des
Gesundheitsministeriums eine baldige Vorlage die-
ses so wichtigen Gesetzentwurfs.
Schließlich verdient festgehalten zu werden, daß
auf unseren Antrag in Zukunft alle Arzneimittel, die
einen negativen Einfluß auf das Verhalten im Stra-
ßenverkehr ausüben können, mit einem besonde-
ren, auch für den Laien verständlichen Warnhinweis
zu kennzeichnen sind.
(Beifall bei der SPD.)
Hiermit kann ein wesentlicher Beitrag zur Verbes-
serung der Verkehrssicherheit geleistet werden.
Trotz all dieser positiven Lösungen bedauern wir
es, daß die Koalitionsparteien sich nicht entschlie-
ßen konnten, unsere Forderung zu unterstützen, in
diesem Gesetz auch die Werbung für Arzneimittel
zu regeln. So müssen wir das Gesetz über die Wer-
bung auf dem Gebiet des Heilwesens isoliert und
dazu noch verspätet behandeln, so daß die be-
stehende Polizeiverordnung, die am 30. September
dieses Jahres ausläuft, nochmals verlängert werden
muß. Das ist sicher kein Zeichen für eine zielbewußt
geführte Gesundheitspolitik.
5980
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. Schmidt (Offenbach)
(A) Sozialdemokraten glauben, daß mit der vor-
liegenden Novelle zum Arzneimittelgesetz eine gute,
zeitgerechte und zudem praktikable Lösung gefun-
den worden ist, die allen Verantwortlichen, vom
Hersteller bis zum Arzt, die Möglichkeit bietet, nach
diesem so wichtigen Gesetz verantwortungsbewußt
zu handeln. In diesem Sinne geht diese Novelle
über eine normale Rechtsregelung hinaus und erhält
eine wesentliche gesundheitspolitische Bedeutung.
Die SPD-Fraktidn wird deshalb dem Gesetz zu-
stimmen, auch wenn eine Reihe von Problemen noch
nicht ideal gelöst sind, wobei es sicher ist, daß es
sich nicht um die letzte Novellierung handeln wird.
Eine moderne Arzneimittelgesetzgebung muß sich
immer den sich wandelnden Erkenntnissen der Wis-
senschaft anpassen, wenn sie voll wirksam bleiben
will.
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der Ab-
geordnete Dr. Dittridi.
Dr. Dittrich (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion
möchte ich zur zweiten Novelle zum Arzneimittel-
gesetz in der bisher beschlossenen Fassung folgende
Erklärung abgeben.
Mancher wird fragen: Wie ist es möglich, daß
ein Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln, das
im Jahre 1961 von diesem Hohen Hause beschlos-
sen wurde, jetzt schon zweier Novellierungen be-
darf? Das ist einfach zu erklären, nämlich mit der
Tatsache, daß die Forschung immer weiter voran-
schreitet, daß die Industrie immer neue Arzneispe-
zialitäten entwickelt und daß der Gesetzgeber
Schwierigkeiten hat, diesen neuen Erkenntnissen
mit der Gesetzgebung zu folgen.
Als wir im Jahre 1961 dem Arzneimittelgesetz
zustimmten, waren wir uns schon damals bewußt,
daß noch zahlreiche Bestimmungen dieses Gesetzes
ihre Bewährungsprobe würden bestehen müssen.
Das Gesetz stellte in weiten Teilen Neuland dar.
Wir wußten, daß erst in der Durchführung prak-
tische Erfahrungen gesammelt werden mußten. Der
Wert des Gesetzes wurde dadurch natürlich in kei-
ner Weise gemindert.
Mit der vorliegenden zweiten Novelle zu dem
Gesetz wird nun versucht, die inzwischen gesam-
melten Erfahrungen zur Geltung zu bringen, sei es
durch Änderung geltender Bestimmungen, sei es
durch Hinzufügung neuer Bestimmungen.
Noch deutlicher als im Jahre 1961 hat sich in der
Zwischenzeit gezeigt, welche Gefahren für die
menschliche und tierische Gesundheit dem Ge-
brauch von Arzneimitteln innewohnen können. Die
Frage, in welcher Weise bei der ständig steigenden
Produktion von pharmazeutischen Erzeugnissen und
der zunehmenden Verwendung bisher nicht bekann-
ter Stoffe und Zubereitungen die Sicherheit der Ver-
brauchers aufrechterhalten werden kann, bewegt
heute die Wissenschaftler der ganzen Welt. Wir
sind der Überzeugung, daß zwar der Forschung nach
neuen Mitteln keine Grenze gesetzt werden darf.
daß aber der Schutz des Verbrauchers vor schäd-
liehen Wirkungen gewährleistet bleiben muß. Wir
wollen dabei, wie schon beim Erlaß des Gesetzes,
an dem Grundsatz festhalten, daß die Verantwor-
tung allein bei dem Hersteller zu liegen hat. Wir
sind nicht der Ansicht — wie das soeben von dem
Sprecher der Opposition vorgetragen worden ist — ,
daß wir damals, als wir das Arzneimittelgesetz
schufen, gleichzeitig auch das Gesetz über die Wer-
bung für Heilmittel hätten beschließen können. Eine
solche Gesetzgebung ist so umfassend, daß sie der
Deutsche Bundestag seinerzeit schon rein zeitlich
nicht hätte bewältigen können. Es darf festgestellt
werden, daß es die Bundesregierung war, die nach
den bedauerlichen Contergan-Fällen die Initiative
ergriff. Der Ausschuß für Gesundheitswesen hat
eine Ausweitung des Regierungsentwurfs vorge-
nommen, die die Zustimmung aller interessierten
Kreise, ja, ich meine, der gesamten Bevölkerung
finden kann.
Vizepräsident Schoettle: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?
Dr. Dittrich (CDU/CSU) : Bitte sehr.
Dr. Schmidt (Offenbach) (SPD): Herr Kollege
Drittrich, ist Ihnen nicht bekannt, daß mehrere Mo-
nate vor der Einbrignung der Regierungsvorlage
schon eine Vorlage von meiner Fraktion eingereicht
worden ist, die sich ebenfalls mit den Auswirkun-
gen der tragischen Contergan-Fälle befaßt hat?
Dr. Dittrich (CDU/CSU): Verzeihung, Herr Kol-
lege Schmidt, natürlich ist mir das bekannt. Aber Sie
werden es doch nicht für notwendig halten, daß ich
das persönlich besonders unterstreiche. Das haben
Sie mit Ihren Ausführungen schon getan, Herr Kol-
lege Schmidt. Ich habe dem nichts mehr hinzuzu-
setzen. Wir wollen hier doch nicht um Prioritäten
streiten. Ein solcher Streit scheint mir hier nicht am
Platze zu sein.
Meine Damen und Herren, die ODU/GSU-Fraktion
glaubt, daß die zweite Novelle zum Arzneimittel-
gesetz für die Bundesrepublik wichtige Verbesse-
rungen bringt. Das soll nicht besagen, daß die Frak-
tion das Gesetz dann bereits für vollkommen hält.
Wir Werden weiterhin aufmerksam seine Auswir-
kungen verfolgen und, falls erforderlich, weitere
Korrekturen ins Auge zu fassen haben.
Die GDU/eSU-Fraktion wird diesiem zweiten An-
derungsgesetz zum Arzneimittelgesetz ihre Zustim-
mung geben.
(Beifall bei der ODU/CSU.)
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Hamm.
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Die PDP-Fraktion
dieses Hauses, für die zu sprechen ich die Ehre habe,
wird dem zweiten Änderungsgesetz zum Ärznei-
mittelgesetz zustimmen und begrüßt die Verab-
schiedung dieser wichtigen Vorlage.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5981
Dr. Hamm (Kaiserslautern)
Herr Kollege Schmidt von der SPD hat an den
Koalitionsfraktionen eine allgemeine Kritik geübt,
die mir als dem Vorsitzenden des Gesundheitsaus-
schusses Veranlassung gibt, besonders auf folgendes
hinzuweisen. Der Gesundheitsausschuß hat alles Für
und Wider bei der Neuregelung dieses Gesetzes
intensiv geprüft und nach reiflicher Überlegung den
Ihnen vorliegende Änderungsgesetzentwurf verab-
schiedet.
Meine Damien und Herren, wenn es möglich wäre,
durch eine staatliche materielle Prüfung eines Arz-
neimittels Arzneimittelschäden zu verhindern, dann
wären wir die ersten, die eine solche staatliche Prü-
fung einführen würden. Leider ist das nicht möglich.
Der Staat kann noch viel weniger als der Wissen-
schaftler, der in der pharmazeutischen Industrie ein
Arzneimittel von Null bis zu seiner Anmeldung ent-
wickelt und prüft, feststellen, ob dieses Arzneimittel
verborgene schädliche Nebenwirkungen hat oder
nicht. Wenn man eine solche staatliche Prüfung
einführte, würde man vielleicht manchmal einen
relativen Schutz erreichen. Möglicherweise! Ich
stelle das in Frage. Auf der anderen Seite würde
man die sehr wichtige Entwicklung neuer Arznei-
mittel so hemmen, daß der (Fortschritt der Therapie,
der Fortschritt in der Heilung mit Arzneimitteln in
Frage gestellt wäre.
(Ahg. Frau Dr. Hubert: Da sind wir uns ja
alle einig!)
Wir haben im Gesundheitsausschuß eine Regelung
gefunden, die die Verantwortung des Herstellers
(B) neuer Medikamente noch verstärken soll. Wir spre-
chen ihn sogar persönlich an, indem wir für die An-
meldung eine ausdrückliche schriftliche Erklärung
verlangen, wonach er alles getan hat, um dieses
neue Arzneimittel ausreichend und sorgfältig zu
prüfen. Das ist der eine Punkt dieser Gesetzesvor-
lage.
Vizepräsident Schoettle: Gestatten Sie eine
Zwiscbenfrage?
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP): Bitte schön.
Frau Dr. Hubert (SPD) : Herr Kollege Hamm, es
ist Ihnen doch klar, daß wir im Ausschuß in dieser
Sache völlig einig waren?
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP): Ja natürlich!
Ich spreche ja nicht gegen Sie, Frau Kollegin; ich
gebe eine Schlußerklärung.
Der zweite wesentliche Punkt des Gesetzes ist
die automatische Rezeptpflicht. Auch hier haben die
Beratungen ergeben, daß eine automatische Rezept-
pflicht für neue Arzneimittel durchaus ein Weg ist,
durch den der Schutz des Bürgers vor Nebenwirkun-
gen neuer Arzneimittel verstärkt werden kann. Es
kam uns aber darauf an, die Institution der Rezept-
pflicht, die eine besondeere Bedeutung hat — der
Arzt soll das Mittel verschreiben — , nicht auszu-
höhlen und die Rezeptflicht nur auf die Arzneimittel
anzuwenden, die wirklich geeignet sind, automa-
tisch unter die Rezeptflicht gestellt zu werden.
(CI
Schließlich hat der Ausschuß für Gesundheits-
wesen die Beratung des Änderungsgesetzes nicht
auf das Arzneimittelgesetz beschränkt, sondern er
schlägt auch eine Änderung des Lebensmittelgeset-
zes vor. Arzneiliche Mastmittel, die Tieren vor der
Schlachtung gegeben werden, dürfen nicht mehr
verfüttert werden. Ich halte das für eine sehr
wesentliche gesundheitspolitische Frage, weil durch
die Verfütterung solcher Mittel auch die mensch-
liche Gesundheit gefährdet werden kann. Dazu
haben wir weiter vorgeschlagen, die Einfuhr von
Schlachtvieh, das mit solchen nicht ungefährlichen
arzneilichen Mastmitteln gefüttert wird, intensiver
als bisher kontrollieren.
Die jetzt vorgesehene Neuregelung des Ärznei-
mittelgesetzes war gesundheitspolitisch notwendig.
Die Entwicklung auf dem Gebiet des Arzneimittel-
wesens ist schnell. Deshalb mußte das Gesetz eine
entsprechende Anpassung erfahren.
Eine weitere wichtige Aufgabe, die Regelung der
Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens, steht uns
bevor. Diese Aufgabe konnte mit der Novellierung
des Arzneimittelgesetzes nicht verbunden werden.
Denn dadurch hätte sich deren Beratung weiter ver-
zögert, was wir wegen der Geschehnisse, die uns zu
dieser Gesetzesänderung veranlaßt haben, nicht
hätten verantworten können.
Die FDP-Fraktion hält die in dem vorliegenden
Gesetzentwurf getroffene Regelung für richtig und
stimmt daher dem Gesetzentwurf zu.
(Beifall bei der FDP.) pj
Vizepräsident Schoettle: Weitere Wortmel-
dungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache
in der dritten Beratung geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz-
entwurf in der Fassung, die er durch die zweite
Beratung erhalten hat, zustimmt, den bitte ich, sich
zu erheben. — Die Gegenprobe bitte! — Enthaltun-
gen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen.
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung einstim-
mig angenommen und das Gesetz damit verab-
schiedet.
Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 2 des
Ausschußantrags, durch die Beschlußfassung über
den soeben angenommenen Gesetzentwurf den von
der SPD eingebraditen Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit
Arzneimitteln sowie die zu dieser Novelle einge-
gangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Wer
dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. —
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Haus stimmt
zu.
Schließlich haben wir abzustimmen über die Ent-
schließungen unter Ziffer 3 des Ausschußantrags
auf Drucksache IV/2162. Sind Sie damit einverstan-
den, daß wir über die Buchstaben a bis c zusammen
abstimmen? — Das ist der Fall. Dann bitte ich die
Damen und Herren, die diesen Entschließungen zu-
stimmen, um ein Handzeichen. — Danke. Die Ge-
genprobe! — Enthaltungen? — Diese Entschließun-
gen sind einstimmig angenommen worden.
5982
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Vizepräsident Schoettle
Ich rufe Punkt 23 a auf:
Beratung der von der Bundesregierung vor-
gelegten Sechsundfünfzigsten Verordnung zur
Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zoll-
aussetzung für Fische und Krebstiere — 1964)
Drucksache IV/2034).
Wird dazu von der Bundesregierung das Wort
gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Auch sonst wird
das Wort nicht gewünscht.
Vorgeschlagen ist die Überweisung an den
Außenhandelsausschuß. — Das Haus widerspricht
diesem Vorschlag nicht. Es ist so beschlossen.
Punkt 23 b;
Beratung der von der Bundesregiertmg vor-
gelegten Sechzigsten Verordnung zur Ände-
rung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zollkon-
tingente für EGKS-Waren) (Drucksache IV/
2151).
EGKS ist also nicht chinesisch, sondern heißt im
normalen Deutsch „Europäische Gemeinschaft für
Kohle und Stahl". Ich sage das für den Fall, daß
einzelne Kollegen nicht auf den ersten Blick begrif-
fen haben sollten, was diese Abkürzung bedeutet.
Begründet wird die Vorlage nicht. Das Wort wird
ebenfalls nicht gewünscht. Die Vorlage soll an den
Außenhandelsausschuß überwiesen werden. — Das
Haus widerspricht nicht. Dann ist so beschlossen.
Punkt 23 c:
(ö)
Beratung der von der Bundesregierung vor-
gelegten Einundsechzigsten Verordnung zur
Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Wein
zum Herstellen von Weindestillat) (Druck-
sache IV/2152).
Auch diese Vorlage wird nicht begründet. Das
Wort wird ebenfalls nicht gewünscht.
Die Vorlage soll an den Außenhandel saus schuß
— federführend — und an den Ausschuß für Er-
nährung, Landwirtschaft und Forsten — mitberatend
— überwiesen werden. Stimmt das Haus diesen
Vorschlägen zu? — Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 24 a auf:
Beratung des Berichts des Außenhandelsaus-
schusses (17. Ausschuß) über die von der Bun-
desregierung erlassene Fünfundvierzigste
Verordnung zur Änderung des Deutschen
Zolltarifs 1963 (Kaschu-Nüsse usw.) (Druck-
sachen IV/ 1937, IV/2095).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Diebäcker.
(Abg. Diebäcker: Ich verzichte! Ich verweise
auf den schriftlichen Bericht.)
— Wir haben festgestellt, daß Berichterstatter nicht
verzichten können. Das Haus kaün lediglich den
Berichterstattern für ihre Mühe danken. Immerhin:
Es ist keine Ergänzung des schriftlich vorliegenden
„mündlichen" Berichts notwendig.
Es ist auch nicht notwendig, daß abgestimmt wird.
Da aus der Mitte des Hauses kein Antrag vorliegt,
stelle ich fest, daß das Haus von dem Bericht Kennt-
nis nimmt.
Punkt 24 b;
Beratung des Berichts des Außenhandels-
ausschusses (17. Ausschuß) über die von der
Bundesregierung erlassene Zwölfte Verord-
nung zur Änderung der Einfuhrliste — An-
lage zum Außenwirtschaftsgesetz — Drei-
zehnte Verordnung zur Änderung der Ein-
fuhrliste — Anlage zum Außenwirtschafts-
gesetz — (Drucksachen IV/1980, IV/1981,
IV/2096).
Eine Ergänzung des von Herrn Abgeordneten San-
der erstatteten Berichts wird nicht gewünscht.
Ich stelle fest, daß das Haus von dem vorliegen-
den Bericht Kenntnis nimmt und isomit eine Auf-
hebung der Verordnungen nicht verlangt.
Punkt 24 c :
Beratung des Berichts des Außenhandelsaus-
ischusses (17. Ausschuß) über die von der Bun-
desregierung erlassene Fünfzigste Verord-
nung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs
1963 (Angleichungszoll für Dextrine und
Stärke — Neufestsetzung) (Drucksachen
IV/2032, IV/2182).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Krug. Der
Berichterstatter wünscht nicht, seinen Bericht zu er-
gänzen. Das Haus stimmt der Empfehlung des Aus-
Schusses zu, die Aufhebung der Verordnung nicht zu
verlangen.
Punkt 25 der Tagesordnung wird am 30. April
aufgerufen.
Punkt 26:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
schusses für Inneres (6. Ausschuß) über den
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Neu-
regelung der Arbeitszeit der Beamten des
Bundes (Drucksachen IV/1816, IV/2082).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Wagner.
Soll der vorliegende Bericht noch ergänzt werden?
— Das wird offensichtlich nicht gewünscht. Wird
sonst das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Aussprache.
Der Ausschuß schlägt vor, den Antrag der Frak-
tion der SPD für erledigt zu erklären. Wer dem An-
trag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich
um ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Ent-
haltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen ange-
nommen.
Ich werde gebeten, das Haus darauf aufmerk-
sam zu machen, daß alle Steuervorlagen — die
Punkte 17, 27, 36, 43, 44, 45, 46 und 47 — erst am
Donnerstag aufgerufen werden.
Ich rufe Punkt 28 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
schusses für Verkehr, Post- und Fernmelde-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 2,9, April 1964
5983
Vizepräsident Schoettle
wesen (23. Ausschuß) über den Antrag der
Abgeordneten Dr. Schmidt (Gellersen), Freh-
see, Seither, Saxowski und Genossen betref-
fend Sonderregelung für die Zulassung von
Mähdreschern im Straßenverkehr (Druck-
sachen IV/17Q1, IV/2129).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Lermer. Soll
der Bericht ergänzt werden? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröiffne die Aussprache. — Das Wort wird
nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Der Ausschuß schlägt vor, den Antrag der Abge-
ordneten Dr. Schmidt (Gellersen), Frehsee und Ge-
nossen für erledigt zu erklären. Wer stimmt dem
Antrag des Ausschusses zu? — Danke. Gegenprobe I
— Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 29 :
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
schusses für Verkehr, Post- und Fernmelde-
wesen (23. Ausschuß) über den Antrag der
Abgeordneten Wächter, Ertl und Genossen
zur Beratung des Berichts der Bundesregie-
rung über die Lage der Landwirtschaft gemäß
§§ 4 und 5 des Landwirtschaftsgesetzes be-
treffend Senkung der Frachtkosten für
Schlachtrinder (Drucksache IV/2131, Umdruck
184).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Faller. —
Der Bericht soll nicht ergänzt werden.
Der Ausschuß schlägt vor, den Antrag der Abge-
(B) ordneten Wächter, Ertl und Genossen für erledigt
zu erklären. Wer zustimmen will, den bitte ich um
ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Es ist
entsprechend dem Vorschlag des Ausschusses be-
schlossen.
Ich rufe auf Punkt 30:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Wirt-
schaftsausschusses (16. Ausschuß) über den
Antrag der Abgeordneten Dr. Martin, Neu-
mann (Allensbach), Blumenfeld, Holkenbrink,
Frau Dr. Maxsein und Genossen betreffend
Untersuchung über die Wetthewerbsgleidi-
heit von Presse, Funk/Fernsehen und Film
(Drucksachen IV/1400, IV/2158).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Arnold.
Soll der Bericht ergänzt werden? — Das wird offen-
sichtlich nicht gewünscht.
— ■ Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat Herr
Abgeordneter Sänger.
Sänger (SPD); Meine Damen und Herren! Der
Antrag, den wir im November vergangenen Jahres
hier im Plenum hatten und der mit dem Satz be-
gann: „Die Bundesregierung wird ersucht", ist da-
mals nicht an die Bundesregierung gegangen, son-
dern in den Ausschuß zurück, und zwar in den Kul-
turpolitischen — mitberatend — und in den Wirt-
schaftspolitischen Ausschuß als federführenden Aus-
schuß. Nun kommt er von da wieder zu uns. Wir
werden also jetzt die Bundesregierung bitten, diese
Kommission einzuberufen, die den Wettbewerb ^ ^
zwischen Presse, Film, Funk und Fernsehen zu über-
prüfen hat. Meine Freunde sind damit einverstan-
den, daß wir der Regierung den Auftrag geben, an
sie die Bitte richten, diese Kommission zu berufen
und sobald wie möglich eine umfangreiche, aus-
reichende, objektive, unabhängige Berichterstattung
darüber zu geben, wie die Wettbewerbsverhältnisse
tatsächlich aussehen. Wir werden also für den An-
trag stimmen.
Aber, meine Damen und Herren, wenn man diesen
Antrag in seinem Wortlaut mit der Begründung
vergleicht, die er erhalten hat, oder mit dem Bericht,
der erstattet worden ist, so sind doch einige Be-
merkungen notwendig. So richtig es erscheint, die
Regierung zu bitten, eine solche Kommission einzu-
berufen und dies bald zu tun, damit wir bald über
einen solchen Bericht verfügen, so notwendig er-
scheint es aber auch, darauf hinzuweisen, daß diese
Kommission ausreichend Ruhe und Zeit haben muß,
damit sie einen sorgfältig bearbeiteten Bericht vor-
legen kann. Die gründliche Arbeit, die wir erwar-
ten, muß uns endlich Klarheit über die wirklichen
Wettbewerbs Verhältnisse schaffen. Wir dürfen nicht
mehr auf heute von dieser, morgen von jener Seite
hingeworfene Zahlen angewiesen sein.
Ich habe einige Anmerkungen zu dem Bericht zu
machen. Merkwürdigerweise hat der Wirtschafts-
ausschuß in der Vorlage das Wort „sachverständig"
in bezug auf die Kommission gestrichen. Er will da-
mit sicherlich nicht sagen, daß kein Sachverstand be-
rufen werden soll; er schreibt dies ja auch. Er will,
daß vor allem die Unabhängigkeit der Kommission (D)
betont wird. Mir scheint, beides ist notwendig, so-
wohl die Unabhängigkeit als auch der Sachverstand.
Hier ist nämlich die Entwicklung mehrerer Jahr-
zehnte zu überprüfen, in denen oft sehr unsachver-
ständige Entscheidungen getroffen worden sind;
möglicherweise sind mangelhafte Erkenntnisse jetzt
auszugleichen, es ist manches nachzuholen und zu
korrigieren.
' Auf jeden Fall erwarten wir Lösungsvorschläge,
die dazu führen, daß alle Medien in der Demokratie
zu voller Wirkung kommen und daß Sachverstand
und Unabhängigkeit uns angeben, wie das ge-
schehen kann. Es wird Aufgabe der Regierung sein,
die Kommission in einer Weise zusammenzusetzen,
durch die eine unabhängige und objektive Bericht-
erstattung ermöglicht wird. Dabei sollten nicht allein
— wie es in dem Bericht des Ausschusses heißt —
Wirtschaftskenntnisse erforderlich sein. Mir scheint,
daß auch die Sachkenntnis der tatsächlichen Verhält-
nisse in Presse, Film und Rundfunk ausführlich und
gründlich berücksichtigt werden muß.
Eine zweite Bemerkung! Die Auskünfte, die wir
erhalten wollen, müssen vollständig sein. Ich glaube,
es ist notwendig, das zu sagen. Aber nicht minder
notwendig ist es, hinzuzufügen, daß sie natürlich
auch richtig sein müssen.
Der Ausschuß fragt, ob das Ganze ohne Gesetz
möglich sei. Ich glaube, daß das durchaus möglich
ist. Die Presse hat ein Interesse daran, daß die Tat-
sachen klargestellt werden. Die Verleger werden
5984
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Sänger
die Karten ebenso auf den Tisch legen müssen, wie
die Rundfunkanstalten das tun müssen.
Zweckmäßig scheint mir zu sein, daß von keiner
Seite Verzögerungen provoziert werden. Der Aus-
schußbericht sagt, daß, falls die Auskünfte nicht er-
teilt würden, erst ein Gesetz geschaffen werden
müßte, wie das in früheren Fällen in Aussicht ge-
nommen war. Dadurck würde eine Verzögerung von
beträchtlichem Ausmaße eintreten, an der niemand
ein Interesse haben kann.
Mir scheint, daß das wichtige Moment, klare, zu-
verlässige, redliche Auskünfte zu geben, in diesem
Augenblick noch einmal betont werden sollte. Wir
alle wollen ja die Tatsachen erkunden. Dabei ist es
selbstverständlich, daß diejenigen, die in der Kom-
mission solche Auskünfte erhalten, darüber Schwei-
gen bewahren; denn sonst kann man niemals eine
vernünftige Enquete vornehmen. Das gilt selbstver-
ständlich für alle Mitglieder der Kommission.
Nun ein dritter Punkt! In dem Bericht wird ge-
sagt, daß es sich wesentlich um Markenartikel-
werbung handele. Der Bericht konnte nicht darauf
eingehen, aber er hat — wie mir scheint: zweckmä-
ßigerweise — angedeutet, daß damit ein wichtiges
Thema angeschnitten worden ist, nämlich die Frage
der Verhältnisse der mittleren und kleineren Presse
und ihr Verhältnis zur großen Presse. Das ist eine
wichtige Frage, die auch der Untersuchung mit be-
darf.
Schließlich sollte auch der Wettbewerb zwischen
Film und Fernsehen nicht ausgelassen werden; der
* Bericht sagt das ebenfalls, und wir sollten das nicht
vergessen. Wir müssen uns dabei der Tatsache be-
wußt bleiben, daß wirtschaftliche Kraft, die heute
sehr stark bei Funk und Fernsehen liegt, niemals
dazu benutzt werden darf, daß wirtschaftlich' schwä-
chere Teile dieser Medien unserer demokratischen
Arbeit unterdrückt werden.
Letztens. Der Vergleich mit den Verhältnissen in
anderen Ländern sollte, so meine ich, nicht so be-
grenzt werden, wie es im Bericht — nicht so sehr im
Antrag — geschieht. Der Antrag sagt nämlich, man
sollte mit anderen Ländern vergleichen, z. B. mit
den Vereinigten Staaten, mit England und mit
Japan, während es im Bericht heißt, man sollte ver-
gleichen mit Amerika, England und Japan — also
ohne die Worte „z. B." — , diesen drei Ländern, in
denen ein privates Fernsehen und ein Privatfunk
existieren. Mir scheint, wenn wir Vergleiche mit
den Verhältnissen in anderen Ländern vornehmen,
sollten wir auch solche Länder in Betracht ziehen,
in denen der Privatfunk, aus welchen Gründen im-
mer, verboten ist.
So objektiv wie möglich soll untersucht werden
und so unabhängig wie möglich und niemand zu-
liebe und niemand zuleide. Denn wir brauchen eine
Ordnung der Zusammenarbeit der Medien und nicht
das Gegeneinanderarbeiten.
Wenn wir den Anfang damit machten, daß Funk
und Fernsehen sich insbesondere der großen Erfah-
rung der Presse auf dem Gebiet der Nachrichten-
sammlung und -bearbeitung bedienen, so sollten
wir die Fortsetzung finden, indem wir untersuchen.
ob auch strukturelle Änderungen notwendig erschei-
nen.
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Schoettle: Das Wort als Be-
richterstatter hat der Abgeordnete Dr. Arnold.
Dr, Arnold (CDU/CSU): Der Antrag der Abge-
ordneten Dr. Martin, Neumann, Blumenfeld, Hol-
kenbrink, Frau Dr. Maxsein und Genossen über die
Untersuchung der Wettbewerbsgleichheit von
Presse, Funk, Fernsehen und Film wurde in der
97. Sitzung des Deutschen Bundestages am 15. No-
vember 1963 dem Wirtschaftsausschuß — federfüh-
rend — überwiesen. Der Ausschuß ist in eine sehr
eingehende Beratung eingetreten; er ist zu folgen-
den Überlegungen gekommen.
Eine Untersuchung und ständige Beobachtung der
meinungsbildenden Medien hinsichtlich ihrer Orga-
nisation, der Art der Ausübung ihrer Tätigkeit und
ihrer wirtschaftlichen Struktur ist unter vielen
Aspekten im Interesse der Gleichgewichtigkeit die-
ser Medien zur Wahrung der demokratischen
Grundsätze zu jeder Zeit zweckmäßig und sogar
dringend geboten. Der Wirtschaftsausschuß hat sich
jedoch in Kenntnis dieser Notwendigkeit bewußt
darauf beschränkt, eine Untersuchung anzuregen,
die allein auf die wirtschaftlichen Aspekte ausge-
richtet ist.
Unter den Gesichtspunkten der Wettbewerbs-
gleichheit erscheint eine solche Untersuchung dann
dringend geboten, wenn durch die unterschiedliche
Rechtsstruktur, wie sie bei der Presse einerseits
und dem Funk andererseits gegeben ist, Wettbe-
werbsungleichheiten bestehen oder sich ergeben
können.
Eine Beschränkung auf die wirtschaftlichen
Aspekte ist aber auch mit Rücksicht auf die Verfas-
sung dringend geboten, um jeden Verdacht einer
Zuständigkeitsüberschneidung zwischen Bund und
Ländern auszuschließen.
Schließlich sieht der Wirtschaftsausschuß eine
Untersuchung der wirtschaftlichen Basis auch als die
Voraussetzung an, um das Gesamtverhältnis Presse
— Funk einmal zu überdenken; eine gesunde unab-
hängige wirtschaftliche Basis beider Institutionen ist
nämlich die unabdingbare Voraussetzung für eine
freie Nachrichtenübermittlung und auch eine freie
Meinungsbildung.
Unter diesen Gesichtspunkten hat der Wirt-
schaftsausschuß ausdrücklich die Meinung vertreten,
daß die Federführung für die geplante Untersu-
chung beim Bundesminister für Wirtschaft liegen
soll. Das Bundeswirtschaftsministerium hat auf
Grund der Konzentrationsenquete und auf Grund
einiger anderer Untersuchungen besondere Erfah-
rungen für die Programmierung und Durchführung
solcher Untersuchungen. Dieses Ministerium wird
deshalb der untersuchungführenden Stelle sehr
zweckdienliche Hinweise geben können, und es
wird dafür sorgen können, daß die Untersuchung
in der kürzesten Frist mit dem geringsten Aufwand
durchgeführt wird.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5985
Dr. Arnold
Nach Auffassung des Wirtschaftsaussdiusses soll
nidit die Vermögensstruktur der einzelnen Unter-
nehmen 'Gegenstand der Untersuchung sein; es soll
auch nicht festgestellt werden, oh die derzeitige Ko-
sten- und Ertragslage den wirtschaftlichen Erforder-
nissen entspricht. Vielmehr legt der Wirtsdiafts-
aussdiuß Wert darauf, daß geklärt werde, oh durch
die Begrenzung der von den Ländern zugelassenen
Rundfunk- und Fernsehanst alten die Vielfalt der
Nachrichtenübermittlung eingeschränkt wird. Da
Funk und Fernsehen unter völlig landeren Organi-
sationsformen ihre Tätigkeit ausühen und eine
andersartige Kostenstruktur haben und nicht wie
die Presse einem scharfen Konikurrenzkampf ausge-
setzt sind, isind Wettbeweihsverzerrungen zum
Nachteil der Presse denkbar.
Vizepräsident Schoettle: Herr Berichterstatter,
darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Ich meine,
es ist nicht nötig, dem Haus Ihren Schriftlichen B'e-
richt vorzulesen. Wenn Sie Ergänzungen vornehmen
wollen, ist Ihnen das unbenommen. Aber ich glaube,
um Zeit zu sparen, sollten wir uns nach Möglichkeit
mit dem Schriftlichen Bericht begnügen.
(Beifall bei der SPD.)
Dr. Arnold (CDU/CSU): Einen Augenblick noch,
Herr Präsident. Ich beschränke mich auf einige Er-
gänzungen.
Vizepräsident Schoettle: Gut. Ich hatte nur
die Unfreundlichkeit, mich hier einzumischen, weil
ich vom Hause her gebeten worden bin, zu verhin-
dern, daß ein Bericht noch einmal vorgelesen wird.
Dr. Arnold (CDU/CSU): Ich werde mich daran
halten und werde also nur noch einige Gesichts-
punkte heraussteilen.
(Zurufe.)
— Ich verlese nicht den Bericht, sondern es geht mir
darum, einige tragende Gesichtspunkte noch einmal
herauszustellen.
Vizepräsident Schoettle: Herr Kollege, wenn
das eine Kritik an meiner Intervention gewesen sein
sollte, dann möchte ich sie mir verbeten haben.
Dr. Arnold (CDU/CSU); Nein, ich habe das nur
zur Klarstellung auf Zwischenrufe gesagt, die hier
aus dem Plenum gekomimen sind. Es war keine
Kritik an der Amtsführung des Präsidenten.
(Dr. Mommer: Das ist nicht üblich, Herr
Kollege, den Bericht noch einmal vorzu-
lesen! — Weiterer Zuruf von der SPD.)
Vizepräsident Schoettle: Ich bitte, nicht weiter
zu unterbrechen.
Dr. Arnold (CDU/CSU): Herr Kollege Mommer,
ich komme ohnehin zum Bchluß; es ist also gar kein
Grund zur Aufregung vorhanden.
(Zuruf von der SPD: Doch, doch!)
Der zweite Gesichtspunkt — lassen Sie mich
diesen noch klar heraussteilen — war der, daß auch
die Tatsache der Werbung durch Funk und Fern-
sehen dann ein Wettbewerbsnachteil für die Presse
sein kann, wenn sich hier die Werbung weiter aus-
dehnt.
Aus diesen Überlegungen und aus den Motiven,
die in meinem ausführlichen Schriftlichen Bericht
dem Hause dargelegt isind, hat der Wirtschaftsaus-
schuß einstimmig beschlossen. Ihnen die Einsetzung
einer solchen Kommission vorzuschlagen.
Ich darf abschließend für die Fraktion der CDU^
CSU die Gesichtspunkte noch einmlal nachdrücklich
unterstreichen und hervorheben, welch großes
Interesse wir daran haben, daß diese Untersuchun-
gen nunmehr anfangen. Sprecher meiner Fraktion
haben das von dieser Stelle aus bei früheren Gele-
genheiten nachdrücklich zum Ausdruck gebracht.
Wir erwarten, daß die Bundesregierung nunmehr,
nachdem die parlamentarischen Voraussetzungen
geklärt sind, zügig an diese Arbeit herangeht und
dem Hohen Hause so schnell, wie es geht, einen
Bericht über die Wettbewerbssituation dieser Me-
dien vorlegt.
(Beifall.)
Vizepräsident Schoettie: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Aschoff.
Dr. Aschoff 1 (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich habe sicherheitshalber keinen Zet- (D)
tel mitgebracht, so daß ich nicht in die Gefahr
komme, etwas vorzulesen oder vorlesen zu müssen.
Ich kann midi auch ganz kurz fassen.
Die Fraktion der FDP begrüßt diesen Antrag und
unterstützt den Vorschlag des Wirtschaftsausschus-
ses. Da ich selbst die Ehre habe, diesem Ausschuß
vorzusitzen, wäre es mir möglich, noch einige der
„hintergründigen" Gesichtspunkte zu erörtern. Ich
möchte darauf verzichten, da sich sowohl der Herr
Vertreter der SPD als auch der Herr Vertreter der
CDU im wesentlichen mit dem identifizierten, was
der Ausschuß in seinem Bericht gesagt hat.
Uns liegt an zwei Dingen. Wir möchten zunächst
einmal mit absoluter Sachlichkeit die wirtschaft-
lichen und organisatorischen Voraussetzungen prü-
fen lassen. Dazu gehört, daß in dieser Kommission
— das ist unsere Aufafssung — auch Männer sitzen
müssen, die die außerordentlich schwierigen organi-
satorischen Formen unserer Medien, insbesondere
der Fernseh- und Rundfunkanstalten, verstehen.
Das Ergebnis dieser Untersuchung muß — • darauf
legen wir Wert — gewährleisten, daß im Geschehen
der Meinungsbildung auch in Zukunft die Vielfalt
unserer meinungsbildenden Medien, insbesondere
auch die kleine Presse, erhalten bleibt.
kh glaube, daß wir mit dieser Untersuchung einen
guten Schritt weiterkommen werden. Ob daraus
später organisatorische oder politische Konsequen-
zen zu ziehen sind, darauf wird eine Antwort erst
gegeben werden können, wenn die wirtschaftlichen
59Ö6
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. Asdioff
(A) Voraussetzungen geklärt sind. Bis dahin sollten wir
darüber keine weiteren Diskussionen führen.
(Beifall.)
Vizepräsident Schoettle: Weitere Wortmeldun-
gen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlos-
sen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
des Ausschusses. Wer ihm zustimmen will, den bitte
ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses
ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 31 :
a) Beratung des Antrags des Bundesministers
der Finanzen betr. Veräußerung einer Teil-
fläche des ehemaligen Flugplatzes Hamburg-
Bahrenfeld an die Freie und Hansestadt Ham-
burg (Drucksache IV/2046) ;
b) Beratung des Antrags des Bundesministers
der Finanzen betr. Veräußerung einer Teil-
fläche der ehemaligen Infanteriekaserne in
Lübeck an die Firma Edeka Großhandel
Lübeck GmbH (Drucksache IV/2103);
c) Beratung des Antrags des Bundesministers
der Finanzen betr. Deutsche Pfandbrief anstatt;
hier: Erhöhung des Grundkapitals und
Übernahme neuer Stammeinlagen
durch das Land Nordrhein-Westfalen
und das Saarland (Drucksache
IV/2146);
d) Beratung des Antrags des Bundesministers
der Finanzen betr, Veräußerung des ehemali-
gen Marine-Prüfstandes in Frankenthal (Pfalz)
an die Firma Aktiengesellschaft Kühnle,
Kopp & Kausch in Frankenthal (Drucksache
IV/2160).
Zunächst Punkt 31 a! Das Wort wird dazu nicht
gewünscht. Der Antrag soll an den Ausschuß für
wirtschaftlichen Besitz des Bundes überwiesen wer-
den. — Das Haus widerspricht nicht. Es ist so be-
schlossen.
Punkt 31 b! Das Wort wird dazu nicht gewünscht.
Der Antrag soll ebenfalls an den Ausschuß für wirt-
schaftlichen Besitz des Bundes überwiesen werden.
— Es erfolgt kein Widerspruch. Es ist so beschlos-
sen.
Punkt 31 c! Eine Begründung erfolgt nicht. Das
Wort wird nicht gewünscht. Es ist vorgeschlagen
worden, den Antrag an den Ausschuß für wirtschaft-
lichen Besitz des Bundes zu überweisen. — Kein
Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 31 d! Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.
Es ist vorgeschlagen worden, den Antrag an den
Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes zu
überweisen. — Kein Widerspruch; es ist so be-
schlossen.
Ich rufe auf Punkt 32 der Tagesordnung, und zwar
zunächst Punkt 32 a:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Wirt-
schaftsausschusses (16. Ausschuß) über den
von der Bundesregierung zur Unterrichtung
vorgelegten Vorschlag der Kommission der
EWG für eine Verordnung des Rats über die
Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 EWG
auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüs-
sen und aufeinander abgestimmten Verhal-
tensweisen (Drucksachen IV/2024, IV/2177, ^
IV/2177).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Deringer.
Es wird keine Ergänzung des Berichts gewünscht. Es
liegt ein Änderungsantrag Dr. Böhm (Frankfurt) und
Genossen auf Umdruck 439 vor. Soll dieser Ände-
rungsantrag begründet werden? — Das scheint nicht
der Fall zu sein.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den
Änderungsantrag auf Umdruck 439. Wer will die-
sem Änderungsantrag zustimmen? — Danke, Die
Gegenprobe! — Ich hatte den Eindruck, daß das
nicht ganz klar ist. Wir wiederholen die Abstim-
mung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 439
zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte
um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit.
Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
des Ausschusses auf Drucksache IV/2177. Wer dem
Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um
ein Handzeichen. — Der Antrag des Ausschusses ist
angenommen.
Punkt 32 b:
Beratung des. Schriftlichen Berichts des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten (19. Ausschuß) über den von der Bun-
desregierung zur Unterrichtung vorgelegten
Vorschlag der Kommission der EWG für eine
Richtlinie des Rats über die Einzelheiten der
Verwirklichung des freien Dienstleistungs-
verkehrs in den Berufen der Landwirtschaft
und des Gartenbaus (Drucksachen IV/2040,
IV/2181).
Hierzu liegt kein Antrag vor. Der Antrag des
Ausschusses lautet, den Vorschlag der Kommission
zur Kenntnis zu nehmen. Da aus dem Hause kein
Widerspruch erfolgt, stelle ich fest, daß das Haus
Kenntnis genommen hat.
Punkt 32 c;
Beratung des Schriftlichen Berichts des Au-
ßenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über
den von der Bundesregierung zur Unterrich-
tung vorgelegten Vorschlag der Kommission
der EWG für eine Verordnung des Rats über
die Prämiensätze für die Einfuhr von Reis
und Bruchreis (Drucksachen IV/2 136, IV/2 188).
Der Ausschuß antrag auf Drucksache IV/2 188,
Seite 2, lautet:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5987
Vizepräsident Schoettle
Der Bundestag wolle beschließen, den Vor-
schlag der Kommision für eine Verordnung des
Rats . . . zur Kenntnis zu nehmen.
Wir streiten uns hier oben, ob es sich um zustim-
mende Kenntnisnahme oder um bloße Kenntnis-
nahme handelt. Ich bin der Meinung, daß das Haus
auch nach der Vorlage des Ausschusses nur Kennt-
nis nehmen soll. Die Nuancen sind manchmal wich-
tig, Darf ich feststellen, daß kein Widerspruch gegen
die Kenntnisnahme erfolgt? — Dann nimmt das
Haus Kenntnis.
Punkt 32 d:
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
schusses für Inneres (6. Ausschuß) über die
von der Bundesregierung zur Unterrichtung
vorgelegten Entwürfe für
eine Verordnung Nr. . . ./63/EURATOM,
Nr. . . ./63/EWG der Räte vom . ! zur
Änderung der Berichtigungskoeffizienten für
die Dienst- und Versorgungsbezüge der Be-
amten
eine Verordnung Nr. . . ./63/EURATOM,
Nr. . . ./63/EWG der Räte vom zur
Anpassung bestimmter Berichtigungskoeffi-
zienten für die Dienst- und Versorgungsbe-
züge der Beamten (Drucksachen IV/2167,
IV/2193).
Berichterstatter: Abgeordneter Anders
Der Vorschlag des Ausschusses lautet auf zustim-
^ ^ mende Kenntnisnahme. Dieses Mal sind wir xms
auch hier oben einig.
Das Wort wird nicht gewünscht, obwohl es, wenn
ich mich recht erinnere, in den mitberatenden Aus-
schüssen gelegentlich Meinungen gegeben hat, die
hier zum Ausdruck zu bringen vielleicht nicht ganz
ohne Nutzen gewesen wäre. Aber da das nicht ge-
wünscht wird, schlage ich vor, daß das Haus ent-
sprechend dem Antrag des Ausschusses zustimmend
Kenntnis nimmt. — Dem wird nicht widersprochen;
das Haus nimmt zustimmend Kenntnis.
Punkt 32 e:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Wirt-
schaftsausschusses (16. Ausschuß) über den
von der Bundesregierung zur Unterrichtung
vorgelegten Vorschlag der Kommission der
EWG für eine Zweite Richtlinie auf dem Ge-
biete des Filmwesens (Drucksachen IV/1975,
IV/2197).
Berichterstatter: Abgeordneter Porzner
Auch dazu wird das Wort nicht gewünscht.
Der Antrag des Ausschusses auf Drucksache
IV/2197 lautet, Kenntnis zu nehmen. — Diesem Vor-
schlag wird nicht widersprochen. Das Haus nimmt
Kenntnis.
Ich rufe Punkt 33 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten (19, Ausschuß) über den von der
Bundesregierung zur Unterrichtung vorgeleg-
ten Vorschlag der Kommission der EWG für
eine Verordnung des Rats über die Bestim-
mung der zur Erzeugung von einem Kilo-
gramm zum Verbrauch bestimmter Geflügel-
eier in der Schale und der zur Erzeugung von
einem Kilogramm Bruteier von Hausgeflügel
erforderlichen Futtergetreidemenge (Druck-
sachen IV/2148, IV/2180).
Berichterstatter: Abgeordneter Dr, Siemer
Der Antrag des Ausschusses liegt vor auf Druck-
sache IV/2180, dritte Seite. Er schlägt vor, erstens,
den Vorschlag der Kommission zur Kenntnis zu
nehmen. — Zunächst einmal stelle ich fest: das
Haus nimmt Kenntnis von dem Vorschlag der Kom-
mission.
Zweitens söll die Bundesregierung ersucht wer-
den, bei den Beratungen in Brüssel darauf hinzu-
wirken, daß . . . usw. Wer diesem Vorschlag des
Ausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Hand-
zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltun-
gen? — Der Vorschlag des Ausschusses ist einstim-
mig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 34:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten (19. Ausschuß) über den von der
Bundesregierung zur Unterrichtung vorgeleg-
ten Vorschlag der Kommission der EWG für
eine Verordnung des Rats über die Fest-
legung der Kriterien für die Interventions- (D)
regelung auf dem Rindfleischmarkt (Druck-
sachen IV/2156, IV/2200).
Berichterstatter: Abgeordneter Wächter
Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Antrag des Ausschusses auf Drucksache
IV/2200 lautet, den Vorschlag der Kommission zur
Kenntnis zu nehmen. Dann folgt eine Entschließung
in drei verschiedenen Punkten. Ich schlage vor, daß
wir insgesamt über diesen Vorschlag des Ausschus-
ses entscheiden: erstens Kenntnisnahme und zwei-
tens die einzelnen Maßnahmen. Wer dem Vorschlag
des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um
ein Handzeichen. — Danke. Gegenprobe! — Enthal-
tungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 35:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außen-
handelsausschusses (17. Ausschuß) über die
von der Bundesregierung zur Unterrichtung
vor gelegten Vorschläge der Kommission der
EWG für
eine Verordnung des Rats über die Änderung
und Verlängerung der Verordnung Nr. 3/63/
EWG vom 24. Januar 1963 betreffend die
wirtschaftlichen Beziehungen zu den Ländern
mit Staatshandel (landwirtschaftliche Erzeug-
nisse der Verordnungen Nr. 19, 20, 21 und 22)
eine Verordnung des Rats über die Festset-
zung der Abschöpfungsbeträge für Erzeug-
5988
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Vizepräsident Schoettle
nisse der Geflügelwirtsdiaft, deren Zollsätze
im GATT konsolidiert worden sind (Druck-
sachen IV/2027, IV/2124, IV/2184).
Berichterstatter ist Herr Dr. Löhr. Er hat offenbar
kein Bedürfnis, seinen Bericht zu ergänzen. Der Vor-
schlag des Ausschusses lautet auf Kenntnisnahme;
außerdem hat der Ausschuß eine Entschließung an
die Bundesregierung vor gelegt.
Wir kommen zur Abstimmung über beide Vor-
schläge des Ausschusses. Wer ihnen zuslimmt, den
bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Gegen-
probe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenom-
men.
Punkt 36 der Tagesordnung soll erst am Donners-
tag aufgerufen werden, da es sich um eine Vorlage
mit finanziellem Charakter handelt.
Ich rufe auf Punkt 37 :
Beratung des Schriftlichen Berichts des Rechts-
ausschusses (12. Ausschuß) über den von der
Bundesregierung zur Unterrichtung vorgeleg-
ten Vorschlag der Kommission der EWG für
eine Richtlinie des Rats zur Koordinierung
der Schutzbestimmungen, die in den Mitglied-
staaten den Gesellschaften im Sinne des Ar-
tikels 58 Absatz 2 im Interesse der Gesell-
schafter sowie Dritter vor geschrieben sind,
um diese Bestimmungen gleichwertig zu ge-
stalten (Drucksachen IV/2Q14, IV/2190).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Wilhelmi.
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist
nicht der Fall.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der
Abgeordnete Dr. Reischl.
Dr. Reischl (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Zu der vorliegenden Richtlinie habe ich
namens der SPD-Fraktion folgende Erklärung abzu-
geben. Wir begrüßen sehr die Vereinheitlichung
des Gesellschaftsrechts; denn man muß im zwischen-
staatlichen Verkehr wissen, mit wem man es zu tun
hat. Die SPD-Fraktion stimmt daher dem Bericht zu
und ist auch damit einverstanden, daß er noch einige
vom deutschen Rechtsstandpunkt aus erforderliche
Vorbehalte enthält, deren Klärung bei den weite-
ren Verhandlungen versucht werden soll.
Zu einem dieser Vorbehalte jedoch muß die SPD-
Fraktion ihrerseits einen Vorbehalt machen. Wir
stimmen zwar dem Antrag auch insoweit zu, als die
Frage der Publizität der GmbH noch dem nationalen
Recht überlassen bleiben soll, bis über die Voraus-
setzungen dieser Publizität, vor allem über den In-
halt des Jahresabschlusses, ebenfalls eine einheit-
liche Richtlinie ergangen ist. Aber wir können nicht
ohne weiteres der Begründung im Ausschußbericht
für diese Zurückstellung zustimmen. In der Begrün-
dung im Ausschußbericht klingen nämlich grund-
sätzliche Bedenken gegen die Publizitätspflicht für
die GmbH an, die von unserem Standpunkt aus
nicht unwidersprochen bleiben können. Daher soll
diese Erklärung lediglich für meine Fraktion die
Nuancen der Begründung anders setzen. Ich betone
aber nochmals, daß wir dem Antrag selber in vollem
Umfang zustimmen.
Die SPD ist für die Publizitätspflicht auch der
GmbH, aber nur der volkswirtschaftlich bedeut-
samen ganz großen GmbHs. Wir haben hierfür auch
in Art. II unseres Änderungsgesetzentwurfs zum
Aktienrecht — Drucksache IV/203 — einen Anhalts-
punkt für die Abgrenzung der volkswirtschaftlich be-
deutsamen GmbHs gegeben. Die SPD-Fraktion
würde es sehr begrüßen, wenn die endgültige Richt-
linie für die großen GmbHs die Publizität allgemein
für den ganzen europäischen Bereich vorschriebe,
wobei gleichzeitig natürlich eine Angleichung des
Aussagewertes der Bilanzen, der Gewinn- und Ver-
lustrechnungen und der Geschäftsberichte erfolgen
sollte. Mit diesem Vorbehalt stimmen wir dem An-
trag des Rechtsausschusses zu.
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Wilhelmi.
Dr. Wilhelmi (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Namens meiner Fraktion freut
es mich, feststellen zu können, daß das ganze Haus
im Grundsatz einig ist. Gestatten Sie mir nur ein
paar Worte zu der vom Kollegen Reischl für die
SPD aufgeworfenen Frage. Es handelt sich um einen
der wichtigsten Komplexe in der Gestaltung des
Rechts der Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Wir sind uns mit der Regierung darüber einig, daß
wir nach Beendigung der Beratung des Aktienrechts
mit der Reform des Rechts der Gesellschaft mit be-
schränkter Haftung beginnen.
Wir halten es aber nicht für richtig, die zentrale
Frage, um die es sich bei dieser Reform handelt,
nämlich die Frage der Publizität der sogenannten
großen GmbH, jetzt schon zu behandeln. Das bedarf
eines genauen Durchdenkens. Deshalb ist der Be-
richt in der Ihnen jetzt vorliegenden Vorlage völlig
neutral gehalten. Er nimmt zu dieser Frage nicht
Stellung, oder man kann sagen: er stellt nur negativ
fest, daß die* Regelung so, wie der Vorschlag der
EWG lautet, unter keinen Umständen unseren Vor-
stellungen entspricht. Ich glaube, man sollte es des-
halb dabei belassen. Ich bin froh, daß trotz der
grundsätzlichen Ausführungen des Herrn Kollegen
Reischl diese Vorlage, die sich ja auf internationa-
lem Gebiet bewegt, vom ganzen Haus einstimmig
angenommen wird.
Vizepräsident Schoettle: Das Wort wird wei-
ter nicht begehrt. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
des Ausschusses auf Seite 4 der Drucksache IV/2190.
Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich
um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun-
gen? — Ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltun-
gen einstimmig beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 38 der Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
schusses für Gesundheitswesen (11. Ausschuß)
über den von der Bundesregierung zur Unter-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5989
Vizepräsident Schoettle
riditung vorgelegten Vorschlag der Kommis-
sion der EWG für eine Zweite Richtlinie zur
Angleichung der Rechts- und Verwaltungs-
vorschriften für pharmazeutische Spezialitäten
(Drucksachen IV/2028, IV/2194).
Der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Dr. Huys,
wünscht seinen Bericht nicht zu ergänzen. Das Wort
wird weiter nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
des Ausschusses auf Seite 2 der Drucksache IV/2194.
Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmen
will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegen-
probe! — Enthaltungen? — Weder Gegenstimmen
noch Enthaltungen; der Antrag des Ausschusses ist
einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 40 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Beweissicherung und Feststellung von
Vermögensverlusten in der sowjetischen
Besatzungszone Deutschlands und im Sowjet-
sektor von Berlin (Beweissicherungsgesetz)
(Drucksache IV/ 1994).
Soll die Regierungsvorlage begründet werden? —
(Zurufe: Nein!)
Offenbar ist niemand zur Begründung anwesend.
Wird das Wort gewünscht?
(Abg. Eichelbaum: Zur Überweisung!)
(B) — Darauf komme ich selber, Herr Kollege.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge-
wünscht? — Das ist nicht der Fall. Die Aussprache
ist geschlossen.
Es ist vorgeschlagen, die Vorlage an den Aus-
schuß für den Lastenausgleich — federführend —
sowie an den Rechtsausschuß und an den Ausschuß
für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — mitbe-
ratend — zu überweisen. — Bitte, Herr Kollege
Eichelbaum,
Eichelbaum (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich beantrage, den Gesetzent-
wurf denselben Ausschüssen zu überweisen, die den
Gesetzentwurf der SPD Drucksache IV/694, das
Flüchtlingsgesetz, zu behandeln haben, weil in die-
sem Gesetzentwurf der Opposition genau dasselbe
Problem behandelt wird, das sich beim Beweissiche-
rungsgesetz stellt. Das würde bedeuten: Überwei-
sung an den Ausschuß für den Lastenausgleich —
federführend — sowie an den Ausschuß für gesamt-
deutsche und Berliner Fragen und den Ausschuß
für Heimatvertriebene zur Mitberatung.
Vizepräsident Schoettle: Den Rechtsausschuß
wollen Sie ausklammern?
(Zurufe: Ja!)
Besteht Übereinstimmung darüber, daß der Rechts-
ausschuß nicht beteiligt werden soll?
(Zustimmung.)
— Dann zu dem Vorschlag, den Gesetzentwurf an
den Ausschuß für Heimatvertriebene zu überweisen.
Besteht darüber Einverständnis? — Ich kann also
feststellen, daß die Regierungsvorlage an den Aus-
schuß für den Lastenausgleich — federführend —
sowie an den Ausschuß für gesamtdeutsche und
Berliner Fragen und den Ausschuß für Heimatver-
triebene zur Mitberatung überwiesen werden soll. —
Sie sind damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 41 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Frau Beyer (Frankfurt), Kurlbaum, Lange
(Essen) und Fraktion der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb, des
Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung
(Drucksache IV/2001).
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? —
Frau Abgeordnete Beyer!
Frau Beyer (Frankfurt) (SPD): Herr Präsident!
Meine Herren und Damen! Bei dem Gesetzentwurf
Drucksache IV/2001 handelt es sich um eine Ände-
rung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb,
die bereits am 4. Dezember anläßlich der Großen
Anfrage meiner Fraktion zur Erreichung eines
größeren Verbraucherschutzes und einer besseren
Verbraucheraufklärung angekündigt wurde.
Es geht uns hier um zwei wichtige Punkte: ein-
mal darum, den Warentest als Mittel der verglei-
chenden Werbung zuzulassen, zum anderen darum, pj
den Verbraucherverbänden ein Klagerecht einzu-
räumen.
Um die Zulassung des Warentests bzw. der
Warenprüfung zu erreichen, schlagen wir vor, daß
Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wett-
bewerb, das aus dem Jahre 1909 stammt und 1957
Änderungen erfahren hat, einen Abs. 2 erhält, der
folgendes sagen soll:
Warenprüfungen durch Warentestinstitute, de-
ren Zweck die objektive und unparteiliche Auf-
klärung der Verbraucher über Beschaffenheit,
Wirksamkeit, Tauglichkeit, Sicherheit und Preis-
würdigkeit von Waren und gewerblichen Lei-
stungen ist, . . .
sind als Mittel der vergleichenden Werbung zuge-
lassen.
Natürlich müssen die Warenprüfungen mit wis-
senschaftlich anerkannten Methoden durchgeführt
werden und Sachlichkeit und Unparteilichkeit ge-
währleisten. Außerdem sollen die Prüfungsergeb-
nisse nicht verzerrt und unrichtig wiedergegeben
werden.
Wir geben dem Bundesminister für Wirtschaft die
Möglichkeit, durch Rechtsverordnung namentlich
festzulegen, welche Institute solche Warenprüfungen
vorzunehmen haben.
Damit haben wir sichergestellt, daß nicht jeder
Warentest, der durchgeführt wird, als Mittel der
vergleichenden Werbung angewandt werden kann.
Wir glauben, eine solche Änderung ist einfach not-
5990
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Vizepräsident Schoettle
(A) 'vvendig, wenn wir — - das ist wohl der Wille des
ganzen Hauses. — Warenprüfungen durch ein aner-
kanntes Warentestinstitut vornehmen lassen wollen.
Ich darf weiter folgendes anfügen. § 1 des Geset-
zes enthält heute nur eine Präambel. Ihr Inhalt ist
durch die Rechtsprechung entwickelt worden. Die
Rechtsprechung hat einmal festgelegt, was als sitten-
widrig anzusehen ist, zum anderen, was in der Wer-
bung nicht wettbewerbswidrig ist.
Inzwischen ist uns der Bericht der Bundesregie-
rung Drucksache IV/ 1976 vorgelegt worden. Darin
heißt es:
Während ein Teil die vergleichende Werbung
als solche ohne weitere Voraussetzungen zu-
lassen will, sofern sie nur wahrheitsgemäß ist
— diese Auffassung wird heute nach einer leb-
haften Diskussion im Schrifttum kaum noch ver-
treten — , wollen andere nur den Vergleich von
technischen Daten und den Preisvergleich zu-
lassen. Wieder andere dagegen halten einen
Vergleich nur dann für zulässig, wenn er „voll-
ständig" ist, d, h. wenn er alle Umstände dar-
legt, die für den Kaufentschluß wesentlich sind.
Gegen die bisherige Rechtsprechung werden
Bedenken erhoben, weil sie eine sachgerechte
Aufklärung der Verbraucher erschwere, wäh-
rend eine grundsätzliche Zulassung der ver-
gleichenden Werbung eine größere Markttrans-
parenz zur Folge habe . . .
So steht es also wörtlich im Bericht, den die Bundes-
regierung gegeben hat. Damit wird deutlich, daß
W doch noch sehr unterschiedliche Meinungen u. a.
auch bezüglich der Veröffentlichungen von Waren-
prüfungen durch Warentestinstitute bestehen.
Wenn wir nun verhindern wollen, daß es, wenn
wir das Warentestinstitut errichten und Waren-
prüfungen mit den von mir eben angeführten Merk-
malen durchgeführt werden, zu neuen Klagen
kommt, dann müssen wir uns bereit finden, das
Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb entsprechend
zu ändern und den von meiner Fraktion vorgeschla-
genen Abs. 2, den ich Ihnen eben zum Teil vorge-
lesen habe, in § 1 einzufügen.
Art. I Nr. 2 der Vorlage Drucksache IV/2001 be-
handelt das Klagerecht der Verbraucherverbände.
Hierzu hat die Bundesregierung dem Bundesrat
einen Entwurf zugeleitet. Deshalb kann ich mich
dazu kurz fassen. In der Begründung des Entwurfs
der Bundesregierung heißt es unter Nr. 4;
Die Bundesregierung hält es daher im Interesse
des Schutzes der Veihraucher für notwendig,
daß sie durch ihre Verbände gegen unlautere
Formen des Wettbewerbs Vorgehen können, so-
weit sie durch diese in ihren Interessen beein-
trächtigt werden.
Es gibt also in dieser Hinsicht keine Meinungsver-
schiedenheiten, da auch die Bundesregierung auf
Grund der in der Industrie vorliegenden Tatbe-
stände zu der Auffassung gekommen ist, daß ein
Klagerecht nicht nur den Gewerbetreibenden Vor-
behalten bleiben darf, sondern auch den Verbrau-
cherverbänden eingeräumt werden muß.
Die aufgezeigte Änderung bedingt zwangsläufig, ' '
die Möglichkeit der Klage durch Verbraucherver-
bände auch in das Rabattgesetz und in die Zugabe-
verordnung einzufügen. Das ist in Art. II und III
unseres Gesetzentwurfs vorgesehen.
Art. IV enthält die Berlinklausel.
Ich bitte rSie, unseren Antrag an den Wirtschafts-
ausschuß — federführend — und an den Rechtsaus-
schuß zur Mitberatung zu überweisen.
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Schoettle; Das Wort hat der Ab-
geordnete Dr. Aschoff.
Dr. Aschoff (FDP): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Wir stimmen der beantragten Aus-
schußüberweisung zu. Ich möchte hier nur eine kurze
Feststellung treffen.
Sehr verehrte Frau Kollegin Beyer, Sie haben
selbst darauf hingewiesen — ich bin Ihnen dafür
sehr dankbar — , daß, nachdem die Bundesregierung
eine Vorlage gemacht hat, eine Unterhaltung über
die von Ihnen vorgetragenen Probleme in diesem
Augenblick nicht dringlich ist. Ich möchte das Haus
daran erinnern, daß der Wirtschaftsausschuß schon
seit längerer Zeit mit dem Problem des Warentest-
instituts befaßt ist und daß es nicht seine Schuld ist,
daß man auf diesem Gebiet noch izu keinem Ergebnis
gekommen ist. Das liegt vielmehr daran, daß sich
die betreffenden Kreise und das Ministerium nicht
über eine endgültige Formulierung einigen konnten.
Meine Fraktion wird siich voraussichtlich — eine (D)
Festlegung in diesem Augenblick ist nicht möglich,
weil wir die endgültigen Vorlagen nicht haben —
den Gedanken nähern, die im letzten Entwurf des
Ministeriums enthalten sind.
Die Frage des Klagerechts der Verbraucherver-
bände wird wahrscheinlich eine unterschiedliche Be-
urteilung , erfahren, zumindest hinsichtlich der Vor-
aussetzungen und der Zielsetzung eines solchen
Klagerechts.
Wir siind uns wohl darin einig, daß der von Ihnen
eingebrachte Antrag in der Beratung der anderen
Dinge mit aufgehen wird. Wir isind jedenfalls genau-
so wie Sie daran interessiert, daß es auf diesem
Gebiet bald zu einer im Interesse der Allgemeinheit
liegenden Klärung kommt.
(Beifall bei der FDP.)
Vizepräsident Schoettle: Das Wort wird nicht ^
weiter gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Es ist vorgeschlagen, die Vorlage an den Wirt-
schaftsausschuß — federführend — und an den
Rechtsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. —
Gegen diesen Vorschlag erhebt sich kein Wider-
spruch; es ist so beschlossen.
Wir treten nun in die Mittagspause ein. Fort-
setzung der Sitzung um 15 Uhr.
Die Sitzung ist unterbrochen.
(Unterbrechung der Sitzung von 12.58 bis
15.02 Uhr.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5991
(A) Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Die Sitzung
ist wieder eröffnet. Ich rufe Punkt 3 der Tagesord-
nung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des 2.
Untersuchungsausschusses gemäß Antrag der
Fraktion der SPD (Drucksachen IV/1544, IV/
2170).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, Herrn Abge-
ordneten Dorn, ob er das Wort zu nehmen wünscht.
Als Berichterstatter hat das Wort der Herr Abge-
ordnete Dorn.
Dorn (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat
in seiner 91. Sitzung am 23. Oktober 1963 einen
Untersuchungsausschuß von sieben Mitgliedern ein-
gesetzt.
Dem Untersuchungsausschuß ist vom Bundestag
die Aufgabe gestellt worden, zu untersuchen:
1. Auf Grund welcher Dienstvorschriften sind
bisher durch das Bundesamt für Verfassungs-
schutz Verfahren zur Post-, Telefon- oder
Fernschreibüberwachung über alliierte
Dienststellen eingeleitet worden?
2. Auf welcher Rechtsgrundlage sind gegebe-
nenfalls derartige Dienstvorschriften erlas-
sen worden?
3. In welcher Form hat die Bundesregierung
das Bundesamt für Verfassungsschutz über
das Ergebnis ihrer Konsultationen mit den
Alliierten auf Grund der abgeschlossenen
Verträge unterrichtet?
4. Welche Bedienstete des Bundesamtes für
Verfassungsschutz hatten die Möglichkeit,
Post-, Telefon- und Fernschreibüberwachung
auszulösen?
5. Wie war für diese Fälle das Verfahren gere-
gelt?
6. Sind bei der Telefon-, Post- und Fernschreib-
überwachung nur die vom Bundesamt für
Verfassungsschutz für verdächtig gehaltenen
Personen unmittelbar überwacht worden,
oder sind bei Gelegenheit derartiger Über-
wachungen auch unbeteiligte Personen ein-
bezogen worden?
7. Auf Grund welcher Dienstvorschriften wurde
das durch Telefon-, Post- oder Fernschreib-
überwachung erlangte Material ausgewertet?
8. Wie waren insbesondere die Schutzvorschrif-
ten gegen eine mißbräuchliche Auswertung
derartigen Materials?
9. Welche Vorschriften gab es über die Unter-
richtung von Persönlichkeiten des öffent-
lichen Lebens, wenn diese durch die Auswer-
tung des Materials in Fälle einbezogen wor-
den sind?
Die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der
FDP haben folgende ordentliche und stellvertre-
tende Mitglieder für den 2. Untersuchungsausschuß
benannt: ordentliche Mitglieder CDU/CSU: Dr. h. c.
Güde, Dr. Süsterhenn, Wagner; SPD: Dr. Müller-
Emmert, Dr. Schäfer, Schmitt-Vockenhausen; FDP:
Dorn; stellvertretende Mitglieder CDU/CSU: Dr. Bie-
ringer, Dr. Even (Düsseldorf), Dr. Zimmermann
(München); SPD: Dr. Frede, Lautenschlager, Urban;
FDP: Busse.
In der konstituierenden Sitzung am 7. November
1963 wurden die Abgeordneten Schmitt- Vockenhau-
sen zum Vorsitzenden und Dr. Süsterhenn zum stell-
vertretenden Vorsitzenden des Untersuchungsaus-
schusses gewählt und Abgeordneter Dorn zum Be-
richterstatter bestellt.
Mit der konstituierenden Sitzung hat der Unter-
suchungsausschuß insgesamt 17 Sitzungen abgehal-
ten, in denen zum Teil in öffentlicher und zum Teil
in nichtöffentlicher Sitzung Zeugenvernehmungen
durchgeführt wurden. In allen Sitzungen ist streng
darauf geachtet worden, daß keine Fragenkomplexe,
die der Geheimhaltung unterlagen und als solche
von dem Beauftragten des Innenministers erklärt
wurden, in öffentlicher Sitzung behandelt wurden.
Weiter hat der Ausschuß in nichtöffentlicher Sitzung
seine Beratungen und Zeugenvernehmungen und
Beschlußfassungen vorgenommen. Darüber hinaus
haben die Abgeordneten Dr. Güde, Dr. Müller-
Emmert und Dorn das Bundesamt für Verfassungs-
schutz in Köln aufgesucht, um selbst einen Eindruck
von der Arbeitspraxis zu gewinnen.
Der Bundesminister des Innern und der Präsident
des Bundesamtes für Verfassungsschutz haben den
vom Ausschuß geladenen Zeugen, soweit dies erfor-
derlich war, die entsprechenden Aussagegenehmi-
gungen erteilt. Diese Aussagegenehmigungen waren
lediglich im Hinblick auf Art. 38 des Zusatzabkom-
mens zum NATO-Truppenstatut hinsichtlich der Ge-
heimhaltung bestimmter alliierter Sicherheitsinfor-
mationen beschränkt.
Dem Untersuchungsausschuß haben vor allem fol-
gende schriftliche Unterlagen für seine Beratungen
Vorgelegen: 1. Bericht des Bundesministers des In-
nern vom November 1963 zu den einzelnen Beweis-
themen, 2. Zusammenstellung über Geheimhaltungs-
vorschriften, Anweisungen und Richtlinien und
Hausverfügungen des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz im Zusammenhang mit den Beweisthemen,
3. Bericht des Bundesministers des Innern vom 3. Fe-
bruar 1964 über die Anwendbarkeit des Art. 38 des
Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut in
Verfahren vor parlamentarischen Untersuchungsaus-
schüssen und 4. das Gutachten des Oberlandes-
gerichtspräsidenten a. D. Dr. Silberstein vom Fe-
bruar 1964 gemäß Auftrag des Bundeskanzlers vom
5. November 1963.
Der 2. Untersuchungsausschuß hat den ihm ge-
stellten Auftrag mit der größtmöglichen Beschleuni-
gung durchgeführt. Er hat seine Beratungen zum Teil
auf den Freitagnachmittag und in sitzungsfreie Wo-
chen verlegen müssen, da u. a. auch die Besetzung
des Stenographischen Dienstes in diesem Haus nicht
stark genug war, um während der Ausschußwochen
oder in den Plenarwochen Sitzungen des Unter-
suchungsausschusses zu protokollieren.
5992
Deutscher Bundestag — 4, Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dorn
Als Ergebnis der Untersuchung ist folgendes fest-
zustellen; Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß das
Bundesamt für Verfassungsschutz seit etwa 1956
durch Mitteilung von Verdachtsfällen im Rahmen
des Austauschs von Sidierheitsinformatiomen die
Alliierten zur Einleitung von Verfahren zur Post-,
Telefon- oder Fernschreibüberwachung veranlaßt
hat. Soweit in den folgenden Ergebnissen der Unter-
suchung Mißbrauchsmöglichkeiten erwähnt werden,
ist hervorzuheben, daß Mißbräuche nicht festgestellt
wurden. Gleichzeitig muß aber betont werden, daß
wegen der Unvollständigkeit der Aktenführung und
wegen inzwischen erfolgter Vernichtung von Abhör-
material ein Mißbrauch nicht ausgeschlossen werden
kann. Die Kleine Kommission der drei Bundestags-
fraktionen, die vor der Einsetzung des Untersu-
chungsausschusses sich mit den Fragen des Bundes-
amtes für Verfassungsschutz befaßte, hat in ihrer
Sitzung am 3. Oktober 1963 beschlossen, daß alle
Kenntnisse alliierter Stellen aus Post- und Telefon-
überwachung, die nicht als Kenntnisse zur Wahrung
des gemeinsamen Sicherheitsinteresses im Sinne der
Verträge, gelten, unter Aufsicht des Präsidenten des
Bundesamtes für Verfassungsschutz zu vernichten
sind. In allen Fällen sind sie zu vernichten, sobald
sie zur Beurteilung des laufenden Falles entbehrlich
sind.
Der 2. Untersuchungsausschuß ist im einzelnen
bei der Prüfung der neun Fragen zu folgenden Er-
gebnissen gekommen.
Frage 1 :
(Bl
■ ^ Auf Grund welcher Dienstvorschriften sind
bisher durch das Bundesamt für Verfassungs-
schutz Verfahren zur Post- oder Fernschreib-
überwachung über alliierte Dienststellen ein-
geleitet worden?
Ergebnis der Untersuchung;
Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß schriftliche
Dienstvorschriften für die Veranlassung alliierter
Post-, Telefon- oder Fernschreibüberwachungen
nicht bestanden haben. Es lagen nur allgemein ge-
haltene und unvollständige mündliche Anweisun-
gen der Amtsleitung vor, die die Voraussetzungen
für die Veranlassung alliierter Post-, Telefon- oder
Fernschreibüberwachungen nicht klar umschrieben.
Daher gaben diese Anweisungen der Amtsleitung
auch keine ausreichende Möglichkeit, Einzelfälle
auf ihre korrekte Erledigung zu überprüfen.
Ferner ergab die Beweisaufnahme, daß nicht alle
Sachbearbeiter, die direkte Verbindung mit Alliier-
ten hatten, über die mündlichen Anweisungen
unterrichtet waren. Es war darüber hinaus keine
Vorsorge getroffen, daß ein möglicher Mißbrauch
der Initiative von der Amtsleitung erkannt wurde.
Frage 2:
Auf welcher Rechtsgrundlage sind gegebenen-
falls derartige Dienstvorschriften erlassen
worden?
Ergebnis der Untersuchung:
Die Rechtsgrundlage, von der auszugehen ist,
bilden folgende Verträge:
1. der Deutschland vertrag, der am 5. Mai 1955
in Kraft getreten ist, mit seinem Artikel 5 Abs, 2;
2. der Truppen vertrag, der zugleich mit dem
Deutschlandvertrag in Kraft getreten ist, in seinem
Artikel 4.
3. Der Truppenvertrag wurde ersetzt durch das
NATO-Truppenstatut sowie das Zusatzabkommen
dazu, das am 1. Juli 1963 in Kraft getreten ist. Hier
ist insbesondere der Artikel 3 des Zusatzabkom-
mens zu berücksichtigen.
Nach diesen Bestimmungen ist die Ausübung der
alliierten Vorbehaltsrechte von einer Gefährdung
der Sicherheit der alliierten Truppen abhängig.
In der Praxis müssen zwei Gruppen von Fällen
unterschieden werden:
1. Fälle, die das alliierte Sicherheitsinteresse, und
2. Fälle, die nur das deutsche Sicherheitsinteresse
berühren.
Zu 1 ist festzustellen: Nach den von mir genann-
ten Verträgen war in den Fällen, in denen das
alliierte Sicherheitsinteresse berührt war, die MÖ-
lichkeit der Post-, Telefon- oder Fernschreibüber-
wachung gegeben. Diese Voraussetzung wurde
allerdings in der Praxis sehr weit ausgelegt.
Zu 2: In den Fällen, in denen nur deutsche Sicher-
heitsinteressen berührt waren, sind die Ausübung
des alliierten Rechts der Post-, Telefon- und Fern-
schreibüberwachung durch die Alliierten und in-
folgedessen ihre Inanspruchnahme durch deutsche (d)
Behörden weder unmittelbar noch mittelbar zuläs-
sig. Die Beweisaufnahme hat gezeigt, daß ernstlich
bezweifelt werden muß, ob in allen Fällen, in denen
auf deutsche Anregung die alliierten Vorbehalts-
rechte ausgeübt wurden, das alliierte Sicherheits-
interesse berührt war. Eine konkrete Nachprüfung
der in Frage kommenden Einzelfälle war allerdings,
wie sich aus der Beweiserhebung ergibt, nicht mög-
lich.
Frage 3:
In welcher Form hat die Bundesregierung das
Bundesamt für Verfassungsschutz über das
Ergebnis ihrer Konsultationen mit den Alliier-
ten auf Grund der abgeschlossenen Verträge
unterrichtet?
Ergebnis der Untersuchung:
In den Jahren 1955 bis 1958 haben zwischen der
Bundesregierung und den Alliierten Konsultationen
über den Umfang und die Ablösung der alliierten
Vorbehaltsrechte stattgefunden. Das Bundesmini-
sterium des Innern hat zu keiner Zeit das Bundes-
amt für Verfassungsschutz über die Voraussetzun-
gen der Ausübung der alliierten Vorbehaltsrechte
unterrichtet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz
hat seinerseits das Innenministerium über diese
Voraussetzungen nicht befragt.
Frage 4:
Welche Bediensteten des Bundesamtes für
Verfassungsschutz hatten die Möglichkeit,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5993
Dorn
(A) Post-, Telefon- und Fernschreibüberwachung ]
auszulösen?
Ergebnis zur Untersuchung;
Es gab keine schriftlichen Anweisungen darüber,
wer zur Auslösung einer Post-, Telefon- und Fern-
schreibüberwachung durch die Alliierten befugt war.
In Abteilungsleiter- und Referentenbesprechungen
ist mündlich darauf hingewiesen worden — • wenn
auch nicht regelmäßig und nur in einem Falle akten-
kundig — , daß eine solche Initiative nur der Ab-
teilungsleiter oder dessen Stellvertreter einleiten
. dürfe.
Die Beweisaufnahme hat jedoch ergeben, daß zu-
mindest in der Abteilung IV auch die Referenten
und der Leiter der Außenstelle Frankfurt deutsche
Initiativen ausgelöst haben.
Wie schon zu Frage 1 ausgeführt worden ist, er-
gab ferner die Beweisaufnahme, daß nicht alle Sach-
bearbeiter, die direkte Verbindung mit den Alliier-
ten hatten, über die mündlichen Anweisungen unter-
richtet waren.
Frage 5:
Wie war für diese Fälle das Verfahren geregelt?
Ergebnis der Untersuchung:
Eine Dienstvorschrift, die das Verfahren allge-
mein geregelt hätte, bestand nicht. Lediglich in der
Abteilung III bestand eine schriftliche Anweisung
vom 29. April 1958 über die registraturmäßige Er-
fassung, Aufbewahrung und Vernichtung des aus
der Post-, Telefon- oder Fernschreibüberwachung
angefallenen Materials.
In der Abteilung IV und auch in der Außenstelle
Frankfurt ist das Material sehr unterschiedlich er-
faßt, aufbewahrt, behandelt und vernichtet worden.
Aktenvorgänge sind in vielen Fällen nicht feststell-
bar gewesen. Ein geregeltes Verfahren hat es hier-
für in der Abteilung IV nicht gegeben.
Im Mai 1961 haben die britischen Verbündeten
verlangt, deutsche Initiativen in Zukunft schriftlich
zu begründen. Das ist seit dieser Zeit geschehen,
während gegenüber den amerikanischen und fran-
zösischen Verbündeten bis vor kurzem nur das
mündliche Verfahren galt.
Frage 6:
Sind bei der Telefon-, Post- und Fernschreib-
überwachung nur die vom Bundesamt für Ver-
fassungsschutz für verdächtig gehaltenen Per-
sonen unmittelbar überwacht worden oder sind
bei Gelegenheit in derartige Überwachungen
auch unbeteiligte Personen einbezogen worden?
Ergebnis der Untersuchung:
Die Überwachung des Post-, Telefon- oder Fern-
schreibverkehrs verdächtiger Personen führt zwangs-
läufig dazu, daß auch Unverdächtige, die in Verbin-
dung mit ihnen stehen, einbezogen werden. Bedenk-
lich ist nur, daß es keine Vorschriften über die Aus-
scheidung und Vernichtung des über unverdächtige
Personen angefallenen Materials gab.
Frage 7:
Auf Grund welcher Dienstvorschriften wurde
das durch Telefon-, Post- oder Fernschreibüber-
wachung erlangte Material ausgewertet?
Ergebnis der Untersuchung:
Für die Auswertung des oben angeführten Mate-
rials gab es im Bundesamt für Verfassungsschutz
keine Dienstvorschriften, soweit nicht in den in der
Anwort zu Frage 8 aufgeführten Vorschriften Ein-
zelbestimmungen enthalten sind.
Frage 8:
Wie waren insbesondere die Schutzvorschriften
gegen eine mißbräuchliche Auswertung des
Materials?
Ergebnis der Untersuchung:
Gegen eine mißbräuchliche Auswertung bestan-
den folgende Vorschriften:
1. die Verschlußsachenanweisung für die Bundes-
behörden,
2. die Sicherheitsanweisung für das Bundesamt füi
Verfassungsschutz,
3. die Richtlinien für die Auswertung im politischen
Nachrichtendienst vom 20. September 1952,
4. die Hausverfügung 14/61 betr. die Herstellung
von Vervielfältigungen und
5. die Hausverfügung 4/63 betr. die Aufbewahrung
von Verschlußsachen.
Die Mitarbeiter wurden bei ihrem Eintritt in das
Bundesamt für Verfassungsschutz und in zeitlich
größeren Abständen über einen Teil dieser Vor-
schriften belehrt. Es ist aber unbestritten, daß die
Gefahr mißbräuchlicher Verwertung bestanden hat,
da nicht nur Abteilungsleiter, sondern auch Refe-
renten, Sachbearbeiter und Angehörige der Außen-
stellen Material von den Alliierten erhielten.
Die Vorschriften waren zum Teil auch unzurei-
chend, und in der Abteilung IV und in den Außen-
stellen bestanden keine Dienstvorschriften über die
registraturmäßige Behandlung von solchem Mate-
rial. Darüber hinaus ist mit Sicherheit in der Abtei-
lung IV Material ohne Vernichtungsverhandlung
vernichtet worden. Weitere Mißbrauchsmöglichkei-
ten ergaben sich schließlich daraus, daß die Über-
nahme und Weitergabe des Materials zum größten
Teil ohne Quittungen erfolgte.
Frage 9;
Welche Vorschriften gab es über die Unter-
richtung von Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens, die durch die Auswertung des Mate-
rials in Fälle einbezogen worden sind?
Ergebnis der Untersuchung:
Vorschriften darüber gab es nicht.
Meine Damen und Herren, ich komme dann zu
den Schlußfolgerungen.
5994
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dorn
1. Der Bundesminister des Innern hat vor und
während der Untersuchung schon eine Reihe von
Maßnahmen getroffen, die sich durch die Unter-
suchung als notwendig erwiesen.
So hat der Bundesminister des Innern das Bundes-
amt für Verfassungsschutz Ende September 1963
mündlich und im Dezember 1963 schriftlich ange-
wiesen, Ersuchen an alliierte Dienststellen zur Ein-
leitung von Post-, Telefon- oder Fernschreibüber-
wachungen in Zukunft schriftlich zu stellen, wie es
gegenüber den britischen Verbündeten seit 1961
notwendig war. Ferner ist festgelegt worden, daß
die Anregungen gegenüber den Alliierten lediglich
vom Präsidenten oder von dem Vizepräsidenten den
Verbündeten zugeleitet werden dürfen. Darüber
hinaus sind die Arbeiten an einem deutschen Ge-
setz zur Ausführung des Art. 10 des Grundgesetzes
und zur Ablösung der alliierten Vorbehaltsrechte
zur Post- und Telefonüberwachung auf Anregung
der Kleinen Kommission, der sich der Unter-
suchungsausschuß anschließt, wieder aufgenommen
worden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat
außerdem um die Jahreswende zahlreiche Vorschrif-
ten über die registraturmäßige Erfassung, Aufbe-
wahrung und Vernichtung des aus einer Post-, Tele-
fon- oder Fernschreibüberwachung angefallenen
Materials erlassen.
Die Bundesregierung wird nach Auffassung des
Ausschusses prüfen müssen, welche organisatori-
schen und personellen Konsequenzen sich im Bun-
desministerium des Innern und im Bundesamt für
(B) Verfassungsschutz aus der Untersuchung ergeben.
Darüber hinaus muß festgestellt werden, daß die
Untersuchung ergeben hat, daß die Erfüllung der
Aufgaben des Verfassungsschutzes und der übrigen
Nachrichtendienste auch der ständigen Kontrolle des
Deutschen Bundestages bedarf.
Ich darf Ihnen, meine sehr verehrten Damen und
Herren, nunmehr den Antrag des Untersuchungs-
ausschusses vortragen, der in der letzten Sitzung
des Ausschusses einstimmig beschlossen wurde. Der
Untersuchungsausschuß bittet das Parlament um Zu-
stimmung zu folgendem Antrag:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Der vom 2. Untersuchungsausschuß vorgelegte
Bericht wird zustimmend zur Kenntnis genom-
men.
2. Die Bundesregierung wird ersucht, dem Deut-
schen Bundestag bis zum 1. Oktober 1964 zu be-
richten, welche organisatorischen und personel-
len Maßnahmen auf Grund der Untersuchung
vorgenommen worden sind.
3. Die Bundesregierung wird außerdem ersucht,
dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Oktober
1964 Vorschläge über die parlamentarische Kon-
trolle der Nachrichtendienste vorzulegen.
(Beifall.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Ich danke
dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die Aus-
sprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-
Vockenhausen.
Schmitt- Vockenhausen (SPD): Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am
Schluß der Arbeiten des 2. Untersuchungsausschus-
ses erlauben Sie mir einige Vorbemerkungen, bevor
ich zu dem eigentlichen Thema komme.
Ich möchte zunächst Ihnen, Herr Kollege Dorn, als
dem Berichterstatter des Ausschusses für Ihre wert-
volle Arbeit danken. Ich danke auch dem Sekre-
tariat des Ausschusses und nicht ;zuletzt Ihnen,
meine verehrten Kollegen aller Fraktionen, herz-
lich für die gute, korrekte und auch menschlich an-
genehme Zusammenarbeit in diesen Wochen. Wir
sind ja in einer solchen Arbeit nicht, wie man
schon irrtümlich gemeint hat, hohe Richter, die weit
entfernt von der Tageskritik zu richten haben, son-
dern wir stehen mitten im politischen Leben und
müssen tagtäglich in den verschiedenen Formen uns
immer wieder in der politischen Auseinander-
. Setzung stellen und tätig werden. Wer die Arbeit
von Untersuchungsausschüssen verfolgt, der weiß,
daß auch die Mitglieder solcher Ausschüsse oft vor
schweren persönlichen Entscheidungen stehen.
Wenn es uns gelungen ist, bei aller Schwierigkeit
der Materie und bei aller Verschiedenheit der Auf-
fassungen ohne Rücksicht auf Vorurteile einen ein-
stimmigen Bericht vorzulegen, so bin ich überzeugt,
daß die deutsche Öffentlichkeit das entsprechend
würdigen wird. Wir legen der deutschen Öffent-
lichkeit einen Bericht vor, und das Parlament sollte
dieser deutschen Öffentlichkeit für ihre Anteil-
nahme sowohl an der Sache als auch an der Arbeit
des Untersuchungsausschusses dankbar sein. Ur-
sache dieser Anteilnahme und des lebhaften Inter-
esses war für den überwiegenden Teil der deutschen
Öffentlichkeit der Wunsch nach Sicherung unserer
rechtsstaatlichen Ordnung.
Wir sollten auch den Presseorganen dankbar sein,
die die Finger auf die Wunden der festgestellten
Mängel unserer rechtsstaatlichen Ordnung gelegt
haben, auch wenn ihnen im Hinblick auf die ge-
heime Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz die Mängel nicht sofort so überschaubar ge-
wesen sind, wie sie heute vor uns liegen.
Selbstverständlich wurde im Laufe der Unter-
suchungen auch das eine oder andere überspitzt
und überzogen dargestellt, weil nun einmal die
Tätigkeit des Amtes geheim ist. Das kann bei aller
Wahrung der journalistischen Sorgfaltspflicht Vor-
kommen. Fehler dieser Art können korrigiert wer-
den.
Viel nachteiliger war die Reaktion einer Zeitung
— der ich heute nur noch einen Nachruf widmen
kann — , die jede Kritik als Majestätsbeleidigung
abtun wollte.
(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)
Presse, Rundfunk und Fernsehen haben sich hier
um das Funktionieren unserer öffentlichen Meinung
in unserer rechtsstaatlichen Ordnung mit Erfolg be-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5995
Schmitt- Vockenhausen
müht. Wir bejahen diese Kontrollfunktion, die aller-
dings eine andere ist als die, die das Parlament
wahrzunehmen hat.
(Abg. Dr. Barzel: Billigen Sie die „Pano-
r ama " - Sendung ?)
— Herr Kollege Barzel, das ist nicht Gegenstand
der Untersuchung.
(Abg. Dr. Barzel: Aber Sie sprechen allge-
mein!)
Lassen Sie mich einiges dazu sagen, wie es
eigentlich zu diesem Untersuchungsausschuß ge-
kommen ist. Als „Die Zeit" sich im September 1963
erstmalig über die Abhörpraxis äußerte, hätte die
deutsche Öffentlichkeit nicht so empfindlich reagiert,
wenn von dem Herrn Bundesinnenminister nicht zu-
nächst alles abgestritten worden wäre. Denn schließ-
lich — und das hat ja auch „Die Zeit" mehrfach zum
Ausdruck gebracht — kann sich doch niemand dar-
über freuen^ wenn ein solches Amt monatelang im
Blickpunkt der Öffentlichen Meinung steht.
Wenn auch das Bundesamt für Verfassungsschutz
kein geheimer Nachrichtendienst im eigentlichen
Sinne des Wortes ist, sondern eine Behörde, so liegt
doch nicht nur dem Amt, sondern auch uns allen
nichts daran, daß seine Arbeit ständig in der Öffent-
lichkeit diskutiert wird. Ich möchte die Gelegenheit
benutzen, auch einmal ein Wort der Anerkennung
und des Dankes für die Arbeit des Amtes auf zahl-
reichen Gebieten zu sagen, die erfreulicherweise zu
keinen Mängeln und Beanstandungen geführt
haben.
(Beifall im ganzen Hause.)
Wenn gelegentlich einmal gefragt worden ist,
wer denn eigentlich den Verfassungsschutz schütze,
so geht diese Frage ins Leere; denn ich habe nir-
gends in der deutschen Öffentlichkeit ernst zu neh-
mende Stimmen gehört, die sich grundsätzlich gegen
die Arbeit des Bundesamtes richten. Im Gegenteil: es
besteht volle Übereinstimmung darüber, wie not-
wendig und wichtig diese Arbeit für die Ordnung
unseres Staates ist.
Es bleibt die Frage: Mußte denn diese Sache
eigentlich zu einer Affäre werden?
(Zurufe von der Mitte.)
Leider ist es ja so, daß für Regierungen unange-
nehme Dinge meist erst dadurch zu Affären werden,
daß verantwortliche Minister, wenn Veröffent-
lichungen erfolgen, zunächst einmal alles bestreiten
und dann nach und nach unter dem Druck der Tat-
sachen neue, rückwärtige Stellungen beziehen.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
Der Herr Bundesminister des Innern hat am
9. November 1962 anläßlich der „Spiegel" -Affäre
auf die Frage, ob in der Bundesrepublik das Post-
und Fernmeldegeheimnis in vollem Umfange ge-
wahrt werde, wörtlich geantwortet: „Ich kann die
Frage mit Ja beantworten."
Am 5. September 1963 — nach dem Bericht in der
angesehenen Wochenzeitung „Die Zeit" über die
fC)
Telefonüberwachung — sagte er zunächst, ihm sei
nicht das geringste von der Sache bekannt, er werde
gegebenenfalls die Schuldigen hinauswerfen. Am
8. September, drei Tage später, nach einer Blitz-
konferenz in seinem Heimatort, wurde er schon vor-
sichtiger. Er meinte damals: Es liegen keine Rechts-
verletzungen vor.
Am 11. September 1963 und am 21. September
1963 hat dann die Bundesregierung nach einem Be-
richt des Herrn Bundesinnenministers u. a. folgen-
des erklärt:
Bei der Untersuchung des Bundesinnenministe-
riums ist kein Fall festgestellt worden, daß der
deutsche Verfassungsschutz die Verbündeten
gebeten hat, den Fernsprech- oder Postverkehr
bestimmter Personen zu überwachen.
Diese Erklärung bedrückt mich am meisten. Sie
wurde nach einer Kabinettssitzung und nach Ihrem
Bericht, Herr Minister, abgegeben. Haben Sie selbst
zu diesem Zeitpunkt daran geglaubt? Haben Sie das
Kabinett getäuscht? Oder wußte die ganze Bundes-
regierung um die Tragweite dieser Erklärung? Es
ist unverantwortlich, solche Erklärungen abzugeben.
Eine Bundesregierung kann sich politisch irren. Sie
darf aber Tatbestände nicht falsch wiedergeben.
(Beifall bei der SPD und der FDP.)
Sie selbst sollte die Folge bedenken, unglaubwürdig
zu erscheinen.
Es gibt eine Reihe wi der sprrüchM eher Erklärungen, pj
Ich habe sie gesammelt und hier. Am 13. September
haben Sie, Herr Minister, im Rias gesagt:
Es ist nicht ein einziger Sachverhalt, der neu
wäre. Es wird so getan, als ob das neu wäre.
Das möchte ich noch einmal in aller Klarheit
feststellen.
Drei Tage später, am 16., haben Sie dann gesagt,
daß Sie sich über die Abhörtätigkeit in der Zwi-
schenzeit vergewissern mußten. Also war es doch
notwendig, einiges zu prüfen. In dem gleichen
Interview haben Sie erklärt, daß alliierte Dienst-
stellen gebeten wurden, ganz allgemein ihre Er-
kenntnisse zur Aufklärung des Falls unseren Dienst-
stellen zur Verfügung zu stellen. In der Erklärung
vom 11. September, veröffentlicht im „Bulletin" vom
13. September, hat der Bundesinnenminister unter
Punkt 3 nachdrücklich festgestellt:
Es ist bisher trotz gründlicher Untersuchung
kein einziger Fall festgestellt worden, in dem
das Bundesamt für Verfassungsschutz die Ver-
bündeten gebeten hätte, den Fernisprech- oder
Postverkehr bestimmter Personen zu über-
wachen.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Dr. Kohut (FDP): Darf ich eine Zwischenfrage
stellen? — Herr Kollege, glauben Sie, daß in Eng-
land unter solchen Umständen ein Minister noch
einen Tag länger im Amt gewesen wäre?
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
5996
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Meine Damen
und Herren, die politischen Schlußfolgerungen aus
der Debatte sind von uns gemeinisam zu ziehen.
Noch im gleichen Monat, am 30. September, mußte
der Minister in der Sendung „Report" zugeben, daß
es in den letzten fünf Jahren insgesamt rund
65 Fälle, im letzten Jahr 23 Fälle waren, bei denen
„auf Grund unserer Mitteilung" abgehört worden
war. Am 12. Oktober bat der Minister eingeräumt,
daß in jedem einzelnen Fall eingehend mündlich
und schriftlich mit der anderen Seite verhandelt
worden sei.
Nun noch eine besondere Arabeske. Am 3. Okto-
ber meldete AP um 16.37 Uhr: „Innenminister
Höcherl hält nichts von strafrechtlichen Schritten
gegen die Zeitschrift ,Die Zeit'. Nicht einmal drei-
einhalb Stunden später, um 19.51 Uhr, wußte DPA
bereits zu berichten: „Höcherl stellt Strafantrag ge
gen »Zeit'^Redakteure".
Es ging dann Weiter der Streit um die Frage, in
wieviiel Fällen das Bundesamt für Verfassungsschutz
die Kontrollmaßnahmen ausgelöst hat. Sie wissen,
meine Damen und Herren, daß die von dem Herrn
Minister genannten Zahlen durch den Herrn Ober-
landesgerichtspräsidenten a.D. Dr. Silberstein in-
zwischen nach oben berichtigt worden sind.
Man könnte diese eindrucksvolle Liste von mini-
steriellen Erklärungen unid .Stellungnahmen noch er-
gänzen und verlängern. Sie sehen, meine Damen
und Herren, wie widersprüchlich der Herr Minister
in der Öffentlichkeit argumentiert hat. Es ist ver-
* ständlich, daß die Öffentlichkeit durch derartige Ant-
worten und, wie er es nennt, „Untersuchungen" des
Innenministeriums mißtrauisch wuiide. Das Miß-
trauen war sogar in den eigenen Reihen vorhanden.
In der Zeitung „Die Welt" vom 25. September
zitiert der angesehene Bonner Korrespondent Peter
Horch eiinen „bayrischen Landsmann und Partei-
freund des Bundesinnenministers", der ihm wörtlich
gesagt habe:
Das nutzt jetzt gar nichts mehr. Höcherl muß
endlich die Hosen ganz runterlassen. So zenti-
meterweise geht das ndcht.
(Heitenkeit.)
Ich hoffe, daß diese etwas drastische Ausdrucks-
weise, die nicht von mir, sondern von einem Herrn
der CSU stammt, mir nicht als unparlamentarisch
angekreidet wird.
Nach dem gleichen Bericht hat einer der Freunde
Höcherls hinzugesetzt:
Wenn in diesem Amt etwas geschehen ist, was
nicht mit Recht und Gesetz in Einklang steht,
dann trägt er
— gemeint ist der Minister —
dafür die Verantwortung, ob er es wußte oder
nicht.
(Sehr wahr! bei der SPD.)
Dem kann ich nur beipflichten. In einer gesunden
und funktionierenden Demokratie hätte ein Mini-
ster, in dessen Amtsbereich sich so etwas ereignet
hätte und der so viele widersprüchliche Erklärungen
in einer solchen Sache abgegeben hätte, von sich aus
den Hut genommen. Es ist ganz gleichgültig, ob der
Minister bewußt unzutreffende Darstellungen gab
oder ob ihn seine Beamten schlecht informierten. Er
trägt in jedem Fall, wie der Herr von der CSU rich-
tig gesagt hat, die Verantwortung.
Sie wissen, daß sich dann der Innenausschuß und
auch die Kleine Kommission mit den Problemen, die
hier zur Debatte standen, beschäftigt haben und
einiges im Beisein auch der Herren Fraktionsvor-
sitzenden bzw. stellvertretenden Fraktionsvorsitzen-
den klären konnten, wenn auch keine volle Klärung
erreicht wurde.
Die Kleine Kommission hat immerhin erreicht,
daß für die Übergangszeit, bis klare deutsche
Rechtsgrundlagen vorliegen, die verfassungsmäßigen
Grenzen gewahrt werden, und die Bundesregierung
umgehend um die Vorlage eines Ausführungsgeset-
zes zu Art. 10 des Grundgesetzes gebeten, das auch
die alliierten Vorbehaltsrechte ablösen sollte.
Schon bei diesen Erörterungen in der Kleinen
Kommission ergab sich, daß erfreulicherweise kein
Anhalt vorlag, aus dem sich ergeben hätte, daß die
Telefon- und Postüberwachung parteipolitisch miß-
braucht worden wäre. Die Bundesregierung hat mit
einem gewissen Stolz diese Erklärung an ihre Fah-
nen geheftet. Ich frage mich: warum eigentlich? Das
muß man doch einfach voraussetzen, daß in einem
solchen Amt kein parteipolitischer Mißbrauch statt-
findet.
(Beifall bei der SPD.)
Denn, meine Damen und Herren, wenn Mißbräuche
auf diesem Gebiet vorhanden gewesen wären, dann
wäre ja unserem Staat wirklich ein kaum wieder-
gutzumachender Schaden zugefügt worden.
Es trat damit eine unvorhergesehene Wendung
ein. Im „Stern" erschien ein Aufsatz, in dem ein
Zeuge für eine sehr saloppe Praxis des Amtes auf-
geboten wurde. Nachdem mir von der Chefredaktion
ein Gespräch mit diesem Zeugen ermöglicht wurde,
war ich der Auffassung, daß diese Informationen
sorgfältig geprüft werden sollten,, und zu einer sol-
chen Prüfung war nur ein Untersuchungsausschuß
befähigt. Diese Informationen zeigten, daß die Bun-
desregierung auch in der Kleinen Kommission immer
noch keine ausreichende Aufklärung geschaffen
hatte.
Man hat damals viele Fragen gestellt, warum wir
den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsaus-
schusses nicht schon länger gestellt hätten. Manche
meinten sogar, wir wollten keine volle Aufklärung.
Das ist alles nicht richtig. Ein Untersuchungsaus-
schuß kann nur arbeiten, wenn Zeugen zur Verfü-
gung stehen, die bereit sind auszusagen. Ein Aus-
schuß kann nicht im Nebel mit der Stange herum-
tappen; denn nichts wäre schlimmer, meine Damen
und Herren, als wenn am Schluß die ganze Sache wie
das Hornberger Schießen ausgegangen wäre und das
Parlament als Institution nach den nicht immer guten
Erfahrungen mit Untersuchungsausschüissen auch
noch Schaden genommen hätte.
Meine Fraktion hat sich auch aus diesem Grunde
bei den Fragen darauf beschränkt, Auskünfte über
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5997
Schmitt- Vockenhausen
(A)
die Praxis und das Verfahren zu fordern, weil auch
die Antragsteller nicht wollten, daß die Arbeit des
Amtes für Verfassungsschutz lahmgelegt wird. Der
Untersuchungsausschuß wollte nicht die Arbeit ge-
fährden, sondern er sollte den Beamten und Ange-
stellten die Sicherheit geben, daß sie mit der vollen
Deckung der deutschen Öffentlichkeit ihre Arbeit
leisten können.
In diesem Stadium war nun die Einsetzung des
Untersuchungsausschusses unumgänglich; denn die
Aufgabe, über behauptete Mißstände in der Ver-
waltung Aufklärung zu schaffen, gegebenenfalls zu-
sätzliches Material für Gesetzgebung und Verwal-
tungsreformen zu sammeln, mußte ja gelöst werden.
Wenn Sie das Ergebnis des Untersuchungsausschus-
ses in dem Bericht des Herrn Berichterstatters vor
wenigen Minuten noch einmal verfolgt haben, dann
werden Sie mir zugestehen müssen, daß es sich bei
dem 2. Untersuchungsausschuß — auch hinsichtlich
seines Ergebnisses — um die klassische Form des
Untersuchungsausschusses des Parlaments gehandelt
hat.
Es ist mehrfach die Frage erörtert worden, ob an
Stelle des Untersuchungsausschusses nicht auch die
Untersuchung des Herrn Oberlandesgerichtspräsi-
denten a. D. Dr. Silberstein ausgereicht hätte. Sie
wissen, daß der Herr Bundesinnenminister unmit-
telbar vor der entscheidenden Fraktionssitzung der
SPD dem Herrn Bundeskanzler Herrn Oberlandes-
gerichtspräsidenten Dr. Silberstein als Untersu-
(B) chungsführer vor ge schlagen hatte. Nachdem ich den
in der Sache ausgezeichneten Silberstein-Bericht ge-
lesen habe, stimme ich zu, daß sicher viele Fragen
auch durch diese Untersuchung hätten geklärt wer-
den können. Nur der Schwerpimkt .der parlamenta-
rischen Untersuchung war nicht identisch mit der
Untersuchung, die Herr Silberstein durchgeführt hat.
(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)
Der Silberstein-Bericht ist auch aus einem recht
verblüffenden Grund nicht ausreichend. Er wurde im
Gegensatz zu dem Bericht von Lord Denning, der ja
zu einem Bestseller geworden ist und im Buchhandel
zu einem großen Erfolg wurde, für geheim erklärt.
(Abg. Dr. Barzel: Anderes Thema!)
— Herr Kollege Barzel,
(Abg. Dr. Barzel: Der Verleger!)
auch in diesem Bericht hätten nicht alle Passagen die
Geheimhaltung notwendig; darüber sind Sie sich
sicher mit mir einig. Obwohl dieser Bericht — und
jetzt kommt das Entscheidende — eine recht ein-
drucksvolle Kritik an verschiedenen Stellen der
Amtsleitung und des bürokratischen Verfahrens im
Bundesamt für Verfassungsschutz enthielt, waren die
offiziellen Verlautbarungen über diesen Bericht sanft
und gutmütig. Hier hat die Bundesregierung ein
zweites Mal der Öffentlichkeit einen falschen Ein-
druck vermittelt.
(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)
Wenn geheim, dann alles geheim, aber nicht eine
Auswahl, die die Dinge auf den Kopf stellt und
nicht die Möglichkeit gibt zu korrigieren!
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der
FDP.)
Hätte die Bundesregierung nicht zugestimmt, daß
der Silberstein-Bericht auch dem Untersuchungs-
ausschuß zur Kenntnis gebracht würde, hätte die
Gefahr bestanden, daß die Konsequenzen aus dem
Silberstein-Bericht ebenso sanft behandelt worden
wären wie die offizielle Verlautbarung über seinen
Inhalt. Schon aus diesem Grund hätte der geheime
Silberstein-Bericht nicht ausgereicht. Ich bedaure,
daß Teile des Berichts an die Öffentlichkeit gekom-
men sind, mehr allerdings, daß die Bundesregierung
ihn nicht von sich aus der deutschen Öffentlichkeit
übergeben hat.
(Sehr gut! bei der SPD.)
Ich erwähne das Schicksal der Silberstein-Unter-
suchung deshalb so ausführlich, weil in der deut-
schen Öffentlichkeit die Frage aufgeworfen worden
ist, ob auf Grund der Erfahrungen mit der Silber-
stein-Untersuchung nunmehr überhaupt Untersu-
diungsausschüsse des Parlaments vielleicht nicht
mehr erforderlich seien. Gewiß, es wird Fälle geben,
in denen eine Silberstein-Untersuchung richtiger ist
als die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Aber im vorliegenden Fall haben wir ein Beispiel
dafür, daß auf die Einsetzung eines Untersuchungs-
ausschusses trotz des guten Berichts nicht verzichtet
werden kann, zumal die Öffentlichkeit — wie alle (D)
politischen Kräfte, so auch die Opposition — das
Recht hat, sich selbst ein Bild machen zu können.
Es scheint notwendig, in diesem Zusammenhang
auch noch einmal hervorzuheben, was Gegenstand
der Untersuchung war. Gegenstand der Untersu-
diung waren Rechtsfragen und Verwaltungsfragen
im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Alliier-
ten hinsichtlich der Post-, Telefon- und Fernschreib-
überwachung. Das geht ja auch eindeutig aus dem
Antrag der SPD-Fraktion auf Einsetzung des Unter-
suchungsausschusses mit den neun gestellten Fra-
gen hervor. Gegenstand der Untersuchung waren
nicht — wie gelegentlich in sehr gezielten und deut-
lichen Ablenkungsmanövern behauptet wurde —
Behauptungen wie, daß selbst in Notfällen solche
Uberwachungsmaßnahmen ausgeschlossen sein müß-
ten, daß von deutscher Seite Maßnahmen durch-
geführt worden seien, daß politischer Mißbrauch ge-
trieben worden sei. Schon die Kleine Kommission
hatte ausdrücklich und einstimmig festgestellt, daß
offensichtlich ein parteipolitischer Mißbrauch nicht
vorliege.
Ich habe in diesem Zusammenhang bedauert, daß
die Angelegenheit hin und wieder auch etwas sen-
sationell dargestellt worden ist. Denn nichts eignet
sich weniger für Schlagzeilen als eine im Grunde
staatsrechtliche und büromäßige Untersuchung der
Arbeit des Verfassungsschutzamtes.
(Unruhe bei den Regierungsparteien. — Zu-
ruf von der Mitte: Beweise!?)
5998
Deutsdier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
(A) Schmitt- Vockenhausen
— Meine Damen und Herren, wären Sie in den Aus-
schuß gekommen, hätten Sie sich alle selber ein
Bild machen können.
Ich möchte nun auf die Dauer der Arbeiten des
Untersuchungsausschusses eingehen. Ich bedaure,
daß gelegentlich gesagt worden ist: Es dauert etwas
lange. Meine Damen und Herren, wir haben sehr
schnell gearbeitet, wenn man die Dauer dieses
Untersuchungsausschusses mit der anderer Aus-
schüsse vergleicht. Denken Sie bitte an die Dauer
des John- Ausschusses, der jahrelang tätig gewesen
ist, denken Sie an den Ausschuß über die Personal-
politik im Auswärtigen Amt und an all die anderen
Untersuchungsausschüsse, die sich meist über eine
ganze Legislaturperiode erstreckt haben.
Dem Untersuchungsausschuß sind natürlich nicht
immer nur von seiten des Herrn Ministers Rosen zu-
geschickt worden, sondern, wenn ich einmal eine
Bemerkung von Ihnen, Herr Minister, variieren
darf, wir haben gelegentlich auch einen Pfeil aus
„Höcherls Köcherl" erhalten. Uns ist der Vorwurf
gemacht worden, wir beachteten nicht genügend
die alliierten Geheimhaltungsinteressen, und außer-
dem kam noch ein Schuß vor den Bug aus der vor-
hin von mir zitierten, inzwischen verstorbenen Zei-
tung. Dieser Pfeil traf aber nicht meine Brust, son-
dern schwirrte verblüffenderweise auf einen hohen
Beamten des Innenministeriums; den hat er aber
gottlob auch nur gestreift. Ich will dazu hier keine
weiteren Ausführungen machen, sondern mich auf
die Wiedergabe der einstimmigen Erklärung der
(B) Ausschußmitglieder in der 10. Sitzung beschränken,
wonach der Untersuchungsausschuß „einmütig der
Auffassung ist, daß die bisherigen Verhandlungen
unter der Leitung seines Vorsitzenden in peinlicher
Korrektheit und unter Beachtung aller notwendigen
Geheimhaltungsinteressen nach dem bestehenden
Recht geführt worden sind.“
Nun, Herr Minister, Sie haben mehrfach, vor
allem in der Zeit der Einsetzung des Untersuchungs-
ausschusses, Ihren Ärger über den Ausschuß öffent-
lich bezeugt und einmal gemeint, es handele sich
um ein Strafgericht gegen einen renitenten Innen-
minister. Lassen Sie mich dazu Ihnen ganz freund-
schaftlich sagen: Ich habe stets Ihr Bemühen begrüßt
— und werde das auch begrüßen — , Sachfragen,
wie Sie, Herr Minister, so schön sagen, auf dem
Sofa zu besprechen. Das kann in vielen Fällen auch
gut sein, und ich hätte in einem bestimmten Zeit-
punkt durchaus Verständnis für Ihren Wunsch ge-
habt. Zu diesem Zeitpunkt, als der Untersuchungs-
ausschuß kam, nach so vielen widersprüchlichen
Erklärungen, hätte dieses Verfahren sicher zu einem
großen Vertrauensverlust für unsere junge Demo-
kratie geführt.
(Beifall bei der SPD.)
Es bleibt für Sie, Herr Minister, die wichtige
Frage, wie Sie der deutschen Öffentlichkeit erklä-
ren, wie es zu den Widersprüchen und falschen
Erklärungen vom 11. und 21. September kam, wer
Sie falsch unterrichtet hat und wie Sie dazu gekom-
men sind, daß Sie die deutsche Öffentlichkeit falsch
unterrichtet haben. Es wäre gut, wenn das in allem
Freimut geschehen könnte.
Bei dieser Gelegenheit darf ich auf einen Ände-
rungsantrag meiner Freunde zu dem Antrag des
Untersuchungsausschusses hinweisen. Wir bitten,
den Antrag des 2. Untersuchungsausschusses wie
folgt zu ergänzen:
4. Der Deutsche Bundestag bedauert, daß die
in dem Ausschußbericht festgestellten Miß-
stände in den zurückliegenden Jahren von
dem aufsichtsführenden, Bundesministerium
des Innern durch Unterlassung geeigneter
Dienstaufsichtsmaßnahmen nicht festgestellt
worden sind, insbesondere keine Schutz-
maßnahmen gegen Mißbräuche getroffen
worden sind.
5. Der Deutsche Bundestag mißbilligt, daß der
Bundesminister des Innern ohne ausrei-
chende Untersuchungen mehrfach die Öffent-
lichkeit unrichtig oder irreführend unter-
richtet hat.
Ich nehme Bezug auf die Erklärungen im Bulletin
der Bundesregierung vom 11. bzw. 13. und 21. Sep-
tember 1963, vor allem auf den Punkt 3. Ich bitte
Sie, das noch einmal im Bulletin nachzulesen. In der
Erklärung vom 13. September 1963 heißt es unter
Punkt 3, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz
in keinem einzigen Fall die Verbündeten gebeten
habe, den Fernsprech- oder Postverkehr bestimm-
ter Personen zu überwachen. Ich erinnere auch an
Punkt 5 dieser Erklärung, wo behauptet wird, es
habe ein streng rechtlich geregeltes Verfahren gege-
ben, Ferner gehört dazu die Erklärung des Ministers P)
in der Sendung „Bayern fragt Bonn“ :
Sie meinen, daß bei uns ein untergeordneter
Beamter, offenbar des Verfassungsschutzes, dar-
über entscheiden könnte. Das ist nicht richtig.
Die Entscheidung darüber, ob ein Telefonge-
heimnis in Anspruch genommen wird, liegt
allein bei den Verbündeten, und zwar nicht bei
den gleichlaufenden Stellen des verbündeten
Geheimdienstes, sondern bei sehr beachtlichen,
sehr gehobenen Dienststellen unserer Verbün-
deten.
Auch diese Behauptung ist durch die Ausschußbera-
tungen und durch die Berichterstattung widerlegt
worden. Eigentlich geht es auch weniger um Sie,
Herr Minister, es geht auch nicht um eine Partei, es
soll hier niemand gedeckt oder desavouiert werden;
es geht ganz einfach darum, daß unsere Bürger zu
unserer Verwaltung und nicht zuletzt auch zu einem
Ministerwort wieder Vertrauen haben müssen.
(Beifall bei der SPD und der FDP.)
Ein Rechtsstaat kann es sich nicht leisten, Vorwürfe
völlig ungeklärt zu lassen. Es geht darum, daß wir
in unserem Volk das Gefühl für Recht und Ordnung
erhalten und stärken.
Der Untersuchungsausschuß hat dazu beigetragen.
Tun Sie nun für die Regierung das Ihrige im Sinne
der Beschlüsse des Ausschusses!
(Abg. Dr. Barzel: Keine Mißbräuche!)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sit2ung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
5999
Schmitt- Vockenhausen
Es ist durchaus möglich, daß es am Schluß keine Sie-
ger und Besiegten gibt, sondern nur den Erfolg einer
wachsamen Demokratie in unserem Lande.
(Beifall bei der SPD und der FDP. — Zu-
rufe von der Mitte.)
Präsident D, Dr. Gerstenmaier: Einen Augen-
blick, Herr Abgeordneter! Der Wortlaut, den Sie als
Änderungsantrag verlesen haben, entspricht nicht
ganz dem Änderungsantrag Umdruck 453. Haben
Sie das geändert?
(Abq. Schmitt-Vockenhausen: Das ist geän-
dert!)
— Also eine Änderung von Ihnen zu diesem Um-
druck 453?
(Abg. Schmitt- Vockenhausen: Nein, der
Text, der jetzt verteilt ist!)
— Ist das der richtige Text?
(Abg. Schmitt- Vockenhausen: Der Ände-
rungsantrag wird verteilt!)
— Also das ist der Änderungsantrag Umdruck 453.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Süsterhenn.
Dr. Süsterhenn (CDU/CSU): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Die Feststellungen im Be-
richt des parlamentarischen Untersuchungsaussdius-
ses zur Frage der Telefonüberwachung können nach
meiner Überzeugung und auch nach überzeugimg
meiner politischen Freunde in ihrer Bedeutung nur
richtig und vollständig gewürdigt werden, wenn
man sie auf dem politischen und psychologischen
Hintergrund der Umstände und Emotionen sieht,
die letztlich zur Einsetzung dieses Untersuchungs-
ausschusses geführt haben. Es waren ja letzten
Endes nicht lediglich Rechts- und Verwaltungsfra-
gen, welche die Öffentlichkeit erregt haben. Es
ging der Öffentlichkeit gewiß nicht darum, nun
Material für eine Gesetzes- oder Verwaltungsre-
form zu sammeln. Vielmehr muß man feststellen,
daß seit dem Herbst des vergangenen Jahres eine
weitgehende Beunruhigung in der gesamten deut-
schen Öffentlichkeit zu spüren war,
(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)
und diese Beunruhigung ist hervorgerufen worden
nicht durch ein Interesse an irgendwelchen büro-
kratischen oder organisatorischen Regelungen, son-
dern durch alarmierende Mitteilungen über angeb-
lich skandalöse Verhältnisse beim Verfassungs-
schutz.
Insbesondere wurden Vorwürfe über angeblich
illegale, willkürliche und mißbräuchliche Praktiken
bei der Telefonüberwachung erhoben, und weite
Kreise der Öffentlichkeit waren geradezu empört.
Es wurde auch behauptet, die vom Verfassungs-
schutz veranlaßte Telefonüberwachung erstredce
sich nicht nur auf Personen, die der verfassungs-
feindlichen Arbeit oder der Spionage verdächtigt
seien, sondern — ich zitiere wörtlich — „auch auf
viele andere Bundesbürger, darunter zahlreiche
Journalisten, Bundestagsabgeordnete und führende
Politiker".
(Zuruf von der SPD: Konrad Adenauer!)
. — Der hat ja nur gesagt, daß es im Telefon „ge-
knackt" habe-, er hat aber niemals die Behauptung
aufgestellt, daß er vom Verfassungsschutz über-
wacht worden sei.
(Beifall in der Mitte. — Lachen bei der
SPD. — Abg. Dr. Mommer: Lesen Sie doch
mal nach, was er gesagt hat!)
— Meine Herren, ich nehme hier nicht Stellung zu
den Erklärungen des Herrn Adenauer, sondern zu
dem Bericht des Untersuchungsausschusses, zu sei-
nen Hintergründen und seiner Veranlassung.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren, es ist Ihnen vielleicht
unangenehm, daß ich diese Dinge zitiere;
(Lachen bei der SPD.)
ich kann Ihnen das durchaus nachfühlen. Es wurde
ja auch die Behauptung aufgestellt, die Verteidiger
der beschuldigten Journalisten in der „Spiegel-
Affäre" seien vom Verfassungsschutz überwacht
worden. Und, meine Damen und Herren von der
Linken, gerade Ihr Herr Fraktionsgeschäftsführer,
der Herr Kollege Dr. Schäfer, hat doch ganz er-
heblich mit zu der allgemein Beunruhigung stei-
gernd beigetragen durch seine erwiesenermaßen
falsche Behauptung,
(Beifall in der Mitte — Zurufe von der (D)
SPD)
die dann von „Panorama" gesendet wurde, hier im
Bundestag sei in der Telefonzentrale eine Abhör-
anlage eingebaut.
(Pfuü-Rufe und Beifall bei der CDU/CSU.)
Das ist mehr als eine bürokratische Angelegenheit.
(Abg. Wehner: Das ist mehr als ein Phari-
säer!)
Weiterhin wurde in der Presse behauptet, es ge-
höre zu den Praktiken dieses Verfassungsschutzes,
Abhöranlagen in Hotelzimmern anzubringen, und
es entstand natürlich eine weitgehende Beunruhi-
gung wegen dieses mit Recht zu rügenden Eingrif-
fes in die Intimsphäre. Sie konnten in der Presse
auch lesen, und zwar gestützt auf Aussagen und An-
gaben eines ehemaligen Verfassungsschützers, daß
im Verfassungsschutzamt ein frischfröhlicher Be-
trieb geherrscht habe und daß manche Abhörergeb-
nisse, insbesondere soweit es sich um irgendwelches
Liebesgeflüster gehandelt habe, mehr oder weniger
zur persönlichen Belustigung der Verfassungsschüt-
zer gedient habe.
Meine Damen und Herren, wenn man die Gesamt-
heit dieser Vorwürfe zusammenfaßt, muß man zu
dem Ergebnis kommen, daß in der Öffentlichkeit
mit Recht eine gewaltige Empörung über derartige
Dinge entstanden ist. Ich freue mich über die loben-
den und anerkennenden Worte, die heute der Kol-
lege Schmitt-Vockenhausen für die Mitglieder des
Verfassungsschutzes gefunden hat. Aber damals
6000
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. Süsterhenn
herrschte doch in der Öffentlichkeit der Eindruck,
als handle es sich da um einen Verein von üblen
Burschen, der nicht darauf ausgehe, die Verfassung
zu schützen, sondern nur darauf, sie mißbräuchlich
zu obskuren Zwecken zu verletzen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
der SPD.)
Es entstand damals sogar so etwas wie eine regel-
rechte Abhörpsychose, und es war doch so, daß
nicht nur der von Ihnen zitierte Bundeskanzler
Adenauer es in der Leitung hat „knacken" hören,
sondern das war — wenn ich hier einmal die viel-
zitierte Symbolfigur „Lieschen Müller" nehme —
allgemein verbreitet, und Lieschen Müller wagte es
eben nicht mehr, ihr Liebesgeflüster den Telefon-
drähten anzuvertrauen, weil ja auch
(Abg. Wehner: Hören Sie doch mit der Er-
wähnung des „Liebesgeflüsters" auf!)
— Entschuldigen Sie mal, welchen Anstoß nehmen
Sie daran? Auch ein Liebesgeflüster hat Anspruch
auf Schutz der Persönlichkeitssphäre, Herr Wehner.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Und, meine Damen und Herren, wenn meine Frak-
tion damals der Einsetzung dieses Untersuchungs-
ausschusses zugestimmt hat, dann hat sie das nicht
zuletzt auch getan, um einmal diese in der Öffent-
lichkeit verbreiteten angeblichen Mängel und Miß-
stände klarstellen zu lassen.
(Beifall in der Mitte.)
(B) Nun zum Ergebnis der Ausschußuntersuchung.
Der Ausschußbericht ist, wie Sie wissen, einstim-
mig angenommen worden. Ich gehörte selber die-
sem Ausschuß an und habe diesen Bericht mit
akzeptiert. Aber wenn Sie gut zuhörten, wie der
Herr Berichterstatter diesen Bericht verlesen hat,
mußten Sie bemerken, daß der Untersuchungsaus-
schuß im wesentlichen festgestellt hat, daß Ver-
fahrensmodalitäten, für die Regelung der persön-
lichen Kompetenzen zur Einleitung der alliierten
Überwachung, für die Formen der Registrierung,
der Aufbewahrung, der aktenmäßigen Behandlung,
der Auswertung, der Sicherstellung, der Geheim-
haltung und schließlich auch der Vernichtung und
der Anfertigung von Protokollen und Verhandlun-
gen Über die Vernichtung des Materials, die für ei-
nen geordneten Behördenbetrieb allgemein erfor-
derlichen Dienstvorschriften entweder zum Teil nicht
vorhanden oder zum Teil nicht ausreichend waren
oder nur in mündlichen Anweisungen bestanden.
Ich stehe gar nicht an zu erklären, daß das zwei-
fellos bedauerliche organisatorisch-bürokratische
Mängel sind. Aber man muß auch den Versuch
machen, das Vorhandensein dieser Mängel nun
irgendwie zu erklären und sie sich als gründlicher
Beurteiler begreiflich zu machen. Da scheint mir
sehr wesentlich zu sein, daß in den Verhandlungen
des 1. Untersuchungsausschusses, der im Jahre 1955
zur Behandlung der Affäre John eingesetzt worden
war Kritik am Bundesinnenministerium geübt wor-
den ist, weil es das Bundesamt für Verfassungs-
schutz fast wie eine Ministerialabteilung behandelt
und eine zu straffe Aufsicht ausgeübt habe. Gegen-
über dieser Praxis wurde damals von dem Unter-
suchungsausschuß in dem Bericht des damaligen
Abgeordneten Bucerius ausdrücklich der Wunsch
geäußert, das Ministerium solle in Zukunft lediglich
Kontrolle und nicht leitende Aufsicht ausüben.
(Sehr wahr! in der Mitte.)
Damals hat man also die Zügel zu straff angespannt.
Wir sind nun in unserem 2. Untersuchungsaus-
schuß zu dem Ergebnis gekommen, daß das Lockern
der Zügel auf dem Gebiete der Organisationskon-
trolle vielleicht etwas zu großzügig gehandhabt
worden ist. Wir haben ja gar keine bürokratischen
Mängel irgendwie abgestritten; sie ergeben sich
ganz klar aus diesem Bericht.
Sodann ist die Frage aufgeworfen worden, war-
um der Präsident des Bundesamts für Verfassungs-
schutz nun nicht etwa seinerseits die entsprechen-
den Organisationsanordnungen und -anweisungen
und bürokratischen Regelungen schriftlich
getroffen habe, die das Bundesinnenministerium
hätte vielleicht treffen können. Ich glaube, daß man
hier folgendes nicht unberücksichtigt lassen darf.
Der Herr Kollege Schmitt- Vockenhausen hat gesagt;
der Verfassungsschutz ist zwar einerseits eine Be-
hörde, hat aber andererseits doch sehr, sehr viele
Züge gemeinsam mit einem geheimen Nachrichten-
dienst, und wenn er diese gemeinsamen Züge
nicht hätte, könnte er seine Arbeit überhaupt ein-
stellen und wäre von vornherein zum Mißerfolg
verurteilt.
Es liegt nun einmal in der Natur derartiger ge-
heimer Nachrichtendienste, daß sie ihren besonde-
ren Arbeitsstil haben, daß sie ihrer Natur nach
wesentlich anders und vor allem weniger bürokra-
tisch arbeiten als etwa ein Grundbuch- oder ein
Katasteramt. Das sind eben wesentliche Unter-
schiede. Ohne ein gewisses Maß von Flexibilität
kann sich die Arbeit eines derartigen Dienstes über-
haupt nicht mit einiger Aussicht auf Erfolg ab-
spielen.
(D)
Hinzu kommt, daß alle derartigen Institutionen
geheimdienstlichen Charakters gezwungen sind,
sich mit einem sich tarnenden, mit einem konspira-
tiv arbeitenden Gegner auseinanderzusetzen. Von
der Arbeitsmethode des Gegners her wird einem
solchen Dienst ja auch eine entsprechende Arbeits-
methode aufgezwungen. Daher gehört es zum
selbstverständlichen Arbeitsstil aller dieser Behör-
den oder Dienste in der gesamten Welt, erstens
möglichst wenig schriftlich zu fixieren, zweitens
möglichst schweigsam gegen jedermann sowohl im
eigenen Hause als auch im Verkehr mit außen-
stehenden Behörden zu sein sowie auch, den ein-
zelnen Bediensteten nach Möglichkeit nur mit dem
engen Ausschnitt von Tatsachen vertraut zu machen,
die der einzelne Bedienstete notwendigerweise wis-
sen muß, um die ihm gestellte Aufgabe zu erfüllen.
(Könen [Düsseldorf]: Dann muß man auch
die Leute gut aussuchen, die man da hin-
schickt!)
Der Dank, den der Herr Kollege Schmitt- Vockenhau-
sen für den Verfassungsschutz eben zum Aus-
druck gebracht hat, beweist doch, daß man bei der
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — l24. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6001
Dr. Süsterhenn
Personalauswahl zumindest nicht generell derartige
Fehler gemacht hat, wie Sie es durch Ihren Zwi-
schenruf offensichtlich andeuten wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren, auch für den Ausschuß,
auch für mich war es überraschend, zu erfahren, daß
das Ministerium und insbesondere auch der Herr
Minister, oder eigentlich umgekehrt, daß vor allen
Dingen die damit betrauten Beamten und dann in
letzter Linie auch der Herr Minister eigentlich über
diese Form der Zusammenarbeit zwischen dem Ver-
fassungsschutz und den alliierten Stellen nicht infor-
miert waren. Ich habe versucht, mir das zu erklären,
und bin, nicht alleine, zu dem Ergebnis gekommen,
daß der Umstand mitgewirkt haben kann und sicher
hat, daß in den bestehenden Verträgen - — Deutsch-
landvertrag, Zusatzabkommen zum NATO-Truppen-
statut usw. — Konsultationen zwischen den Alliier-
ten und der Bundesregierung über die Ausübung
der alliierten Vorbehaltsrechte vorgesehen sind und
daher von den Beamten des Verfassungsschutzamtes
durchaus angenommen werden konnte, daß die Bun-
desregierung auf Grund dieser Konsultationen über
die Formen der Zusammenarbeit des Verfassungs-
schutzes mit den alliierten Dienststellen im Bilde
war. Bedauerlicherweise ist sie nicht iim Bilde ge-
wesen, nicht ins Bild gekommen. Hier ist zweifellos
eine stärkere Befassung seitens des Bundesinnen-
ministeriums mit der Arbeit des Bundesverfassungs-
schutzes eine für ein geordnetes Staatswesen drin-
gende und nicht außer acht zu lassende Notwen-
digkeit.
(B)
Aber das entscheidende Faktum, das der Unter-
suchungsausschuß festgestellt hat, ist ja folgendes.
Er ist in seiner Arbeit zu dem Ergebnis gekommen,
daß trotz gewisser bürokratischer und organisato-
rischer Mängel ein Mißbrauch bei den Anregungen
zur Telefon- oder Postüberwachung nicht festgestellt
wurde. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit den
Feststellungen der sogenannten Kleinen Kommis-
sion, die bereits vom Herrn Kollegen Schmitt-
Vockenhausen zitiert wurde. Sie ist zu dem Ergeb-
nis gekommen, daß sich aus den ihr zur Verfügung
stehenden Unterlagen kein Anhalt für die Annahme
eines Mißbrauchs derTelefon- und Post Überwachung
in der innenpolitischen Auseinandersetzung ergeben
hat. Zum gleichen Ergebnis — daß kein Mißbrauch
festgestellt worden sei — kam auch der von der
Bundesregierung mit der Überprüfung des Bundes-
amtes für Verfassungsschutz beauftragte Oberlan-
desgerichtspräsident a. D. Dr. Silberstein, wie dies
ausdrücklich in einer Presseerklärung von ihm be-
kanntgemacht worden ist.
Das Allerinteressanteste ist folgendes: Die beiden
sogenannten Kronzeugen der in der öffentlichen
Meinung vorhandenen Anklage, die Belastungszeu-
gen, von denen man die große Sensation und ge-
radezu die Überführung des Bundesinnenministe-
riums und des Bundesamtes für Verfassungsschutz
erwartete, auch der Herr Patsch und der Herr Bethke
haben keinen Mißbrauch behauptet. Bethke hat so-
gar erklärt, er kenne keinen Mißbrauchsfall. Meine
Damen und Herren, das festgestellt zu wissen,
scheint mir für die deutsche Öffentlichkeit von einer
ganz wesentlichen Bedeutung zu sein.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen, daß
von einer verfassungswidrigen Bespitzelung demo-
kratischer Politiker, Journalisten, Anwälte oder son-
stiger Bürger überhaupt keine Rede sein kann,
(Beifall bei der CDU/CSU)
daß sich in dieser Richtung bei den durchgeJührten
Untersuchungen nicht die geringsten Anhaltspunkte
ergeben haben. Selbstverständlich müssen sich im
Interesse der Staiatssicherheit auch politische Persön-
lichkeiten ebenso wie sonstige Bürger mit einer
Überwachung abfiinden, wenn gegen sie hinrei-
chende Verdachtsmomente wegen verfassungsfeind-
lichen, hoch- oder landesverräterischen Verhaltens
bestehen. Ich nenne hier den Fall — nicht um eine
Partei damit zu belasten, sondern weil er der be-
kannteste gewesen ist — Frenzel. Man könnte auch
noch andere Fälle nennen.
(Abg. Dr. Mommer: Wollen Säe Schmidt-
Wittmack auch nennen?)
— Ich habe Sie geradezu aufgefordert, durch
Zwischenrufe — —
(Abg. Wehner: Ich sage nur: Schweigen! —
Weitere Zurufe von der SPD.)
— Der eine schweigt, der andere macht den Zwi-
schenruf.
(Abg. Wehner: Ich sagte bloß: Schweigen!)
— Das miag jeder Abgeordnete machen, wie er will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die
Telefon- und Postüberwachung verdächtiger Per-
sonen führt notwendigerweise dazu, daß auch Un-
verdächtige, die mit den Verdächtigen in Verbin-
dung stehen, in die Überwachung einbezogen wer-
den. Wenn z. B. die Telefongespräche einer Person
überwacht werden, die in hinreichendem Verdacht
steht, einem feindlichen Spionagering anzugehören,
dann ist es unvermeidlich, daß auch die Gespräche
der bei dem Verdächtigen anrufenden Personen zur
Kenntnis der überwachungsstelle gelangen. Es gibt
überhaupt keine andere Möglichkeit, wenn man
eine Überwachung vornehmen will.
Der Untersuchungsausschuß hat dies einstimmig
als eine zwangsläufige Folge bezeichnet und ledig-
lich Bedenken dagegen angemeldet, daß es beim.
Bundesamt für Verfassungsschutz keine besonderen
Vorschriften über die Ausscheidung und Vernich-
tung des über unverdächtige Personen angelaufenen
Materials gab. Aber, meine Damen und Herren, da-
für, daß infolge des Fehlens solcher einschlägiger
Vorschriften das gegen unverdächtige Personen an-
gefallene Material in irgendeiner Form mißbräuch-
lich verwertet wurde, hat sich nicht der geringste
Anhaltspunkt ergeben, und eine diesbezügliche Be-
hauptung ist in den ganzen Verhandlungen des
Untersuchungsausschusses auch niemals von irgend-
jemandem aufgestellt worden.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
6002
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. Süsterhenn
(Al
Der Untersudiungsaussdiuß hat an einer Stelle
gesagt, daß zwar einerseits ein Mißbrauch nicht fest-
gestellt wurde, andererseits aber auch ein Miß-
brauch bei der Anregung der Telefon- oder Post-
überwachung nicht ausgeschlossen werden könne
und daß die Gefahr mißbräuchlicher Benutzung des
angefallenen Materials bestanden habe. Meine Da-
men und Herren, diese Feststellung, die ich als Aus-
schußmitglied ja auch zu verantworten habe und
auch zu verantworten gewillt bin, enthält in gewis-
ser Hinsicht eine Selbstverstänidlichkeit, als nirgendr
wo und niemals die Gefahr des Mißbrauchis von In-
stitutionen oder Befugnissen völlig ausgeschlossen
werden kann. Das ist letzten Endes immer eine
Frage des Viertrauens, nicht nur bei den Mitgliedern
und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes, sondern
auch bei jedem Nachtwächter, dem ich einen
Schlüssel in die Hand drücke, damit er nachts in die
fremden Büro- oder Fabrikräume hineingehen kann.
Letzten Endes ist also der Charakter entscheidend.
Da muß ich aber sagen
(Lachen bei der SPD.)
— Ich weiß nicht, was da zu lachen ist. Ich glaube,
wir sind doch alle der Überzeugung, daß es 'auf den
Charakter ankommt. Oder wollen Sie dem irgend-
wie widersprechen, Herr Kollege Hermsdorf? Das
unterstelle ich Ihnen gar nicht.
(Zurufe von der SPD.)
Meine Damen und Herren, hinsichtlich der cha-
rakterlichen Qualität der als Zeugen vor dem Unter-
(3) suchungsausschuß vernommenen iführenden Persön-
lichkeiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz
ist nicht nur nichts Negatives festgestellt worden,
sondern jedenfalls ich habe den Eindruck gewonnen
— und ich glaube, auch die anderen Mitglieder — ,
daß sie in vollem Bewußtsein ihrer hohen Verant-
wortung, die sie in einem demokratischen Rechts-
staat haben, ihre Aufgaben ausgefüihrt haben. Sogar
der Belastungszeuge Bethke hat gesagt, daß er auch
ohne Vorhandensein der im einzelnen notwendigen
Vorschriften aus seinem eigenen Gewissen heraus
sich richtig und anständig und korrekt verhalten hat.
Es scheint mir notwendig zu sein, hier über die
grundsätzliche Einstellung der Leitung des Bundes-
amtes für Verfassungsschutz noch einen Hinweis zu
geben, der den Beweis dafür erbringt, daß sich das
Bundesverfassungsschutzamt genauso von den
Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit leiten läßt, wie
wir das als Parlament tun und wie wir es von der
Exekutive und von der rechtssprechenden Gewalt
erwarten. In einer Schriftenreihe für den Bundes-
verfassungsschutz, die zwar speziell für die Anlei-
tung V-Leute herausgegeben worden ist, die aber
Gegenstand der gesamten Schulung aller Verfas-
sungsschützer gewesen ist, heißt es:
Der absolute Rechtsstaat, den das Bonner
Grundgesetz verwirklicht, kennt keine justiz-
freien Hoheitsakte.
Meine Damen und Herren, das ist eine Erklärung
des Verfassungsschutzes und nicht etwa des Bun-
desverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsge-
richt hätte das nicht rechtsstaatlicher ausdrücken
können, als es hier vom Verfassungsschutz aus ge-
schehen ist.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren! Es wird auch eine
Unterscheidung gemacht zwischen solchen Inter-
essen, die gemeinsame deutsche und alliierte Inter-
essen waren, wo also in bestimmten Fällen alliierte
Interessen mitberührt waren, und solchen Fällen, wo
es sich ausschließlich um deutsche Interessen gehan-
delt habe, und bezüglich der letzten vertritt der
Ausschuß die Auffassung, daß, sofern es sich um
ausschließlich deutsche Interessen gehandelt habe,
eine Inanspruchnahme der Uberwachungsmöglich-
keiten mit Hilfe der Allierten unzulässig gewesen
sei. Es ist auch gesagt, daß sich Verdachtsmomente
ergeben haben, daß die Frage der Mitbeteiligung
alliierter Interessen etwas extensiv ausgelegt und
nicht immer genügend berücksichtigt worden ist.
Auch hier aber, meine Damen und Herren, muß man
von der sachlichen Schwierigkeit ausgehen. Wir sind
schließlich Mitglieder des Bündnissystems der NATO
und er WEU, und die deutschen und die alliierten
Truppen, die auf dem Boden der Bundesrepublik
stehen, unterstehen einem integrierten Oberkom-
mando. Jede Störung der verfassungsmäßigen inne-
ren Ordnung wird sich daher zwangsläufig irgend-
wie politisch und unter Umständen auch militärisch
auf dieses Bündnissystem zum mindesten auswirken
können, so daß die Entscheidung in der Frage der
Grenzziehung weitgehend eine Angelegenheit des
Ermessens, wenn nicht sogar der subjektiven Wer-
tung ist.
(D)
Bei einer Würdigung des Ermittlungsergebnisses
des Untersuchungsausschusses drängt sich einem
die Feststellung auf, daß der kreißende Berg von
Vorwürfen, Unterstellungen, Verdächtigungen, Ver-
drehungen und Falschbehauptungen tatsächlich nur
ein winziges Mäuslein geboren hat.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
Aber wenn es um die Wahrung der Grund- und
Menschenrechte geht, wenn es sich um Eingriffe in
die Persönlichkeitssphäre des Bürgers handelt, ver-
dient auch ein Mäuschen ernste Beachtung, selbst
wenn es sich, wie im vorliegenden Falle, nur um
ein bürokratisches Mäuslein handeln sollte.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
Aus diesem Grunde haben auch meine politischen
Freunde und ich sich der Forderung des Untersu-
chungsausschusses angeschlossen, daß die organisa-
torischen Mängel, soweit sie inzwischen noch nicht
behoben sind, behoben werden sollen. Die Bundes-
regierung mag darüber ihre Überlegungen anstel-
len. Wir sind auch der Meinung, daß es zweckmäßig
ist — der Herr Bundesinnenminister hat das übri-
gens schon einmal angeb oten — , daß das Parlament
in Form eines Beirats wie bei anderen Institutionen
so auch bei der Institution des Verfassungsschutzes
mit vertreten ist.
Ich möchte zum Schluß kommen imd folgendes
sagen.
(Zuruf von der SPD: Das Mäuslein! —
Heiterkeit.)
6003
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. Süsterhenn
(A)
' ' — Es war wirklich nur ein Mäuschen,
(Lachen und Widerspruch bei der SPD)
und es wird auch Ihnen nicht gelingen, es zu einem
Elefanten aufzublasen.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU
— Abg. Blachstein: Abhörmäuschen Süster-
hennl)
— Sie können mich „Abhörmäuschen Süsterhenn"
mit genau derselben Berechtigung nennen, wie Herr
Wehner den Innenminister „Mithörminister" ge-
nannt hat, der ebenso wenig mitgehört hat, wie ich
abgehört habe.
Meine Damen und Herren! Der Verfassungsschutz
ist immer eine heikle Angelegenheit. Individuelle
Interessen und die Erfordernisse der öffentlichen
Sicherheit und des Gemeinwohls, die für den Rechts-
staat typischen Forderungen des strengen Formen-
zwanges, des gesetzlich geordneten Verfahrens
sowie die Notwendigkeit der Flexibilität zur wirk-
samen Beobachtung und Abwehr staatsfeindlicher
Kräfte stehen stets in einem unvermeidlichen Span-
nungsverhältnis. Wir sind alle daran interessiert,
dieses Spannungsverhältnis in einer möglichst
rechtsstaatlichen Weise zu lösen. Ich glaube, daß
den Weg dazu der amerikanische Justizminister
Bob Kennedy gewiesen hat, wenn er gegenüber dem
Repräsentantenhaus und dem Senat erklärte:
Ich vertrete mit Nachdruck den Standpunkt, daß
jeder Bürger der Vereinigten Staaten ein Recht
darauf hat, daß niemand seine Telefongespräche
mithört.
(B)
— Einschließlich Liebesgeflüster, Herr Wehner!
(Heiterkeit.)
Dieses Recht ist jedoch, wie die meisten per-
sönlichen Rechte innerhalb der Gesellschaft,
nicht absolut frei von Einschränkungen. Die
Gesellschaft hat auch ein Recht, wirksame
exekutive Mittel einzusetzen, um sich gegen
Spionage und staatsfeindliche Umtriebe, gegen
Mord und Entführung sowie gegen das organi-
sierte Verbrecher- und Schiebertum zu schüt-
zen.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
(Lebhafter anhaltender Beifall bei der
CDU/CSU.)
Präsident D. Dn Gerstenmaier: Das Wort hat
der Abgeordnete Busse.
Busse (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Als dieses
Hohe Haus sich das letzte Mal mit Problemen des
Verfassungsrechts, des Rechtsstaates befaßte,
herrschte eine erfreuliche Übereinstimmung, Da-
mals besprachen wir den Fall Argoud. Quer durch
die Fraktionen hindurch, ohne Unterschied der Par-
teien, wurde klargestellt, daß sowohl im Hinblick
auf die Vergangenheit unseres Volkes wie auch auf
unsere gegenwärtige Situation, unabhängig von
parteipolitischer Zugehörigkeit auf nichts dringender
geachtet werden müsse als darauf, daß die Ver-
fassung, die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland ge-
wahrt würden. Wir haben damals aus dieser Grund-
einstellung Forderungen dem Ausland, unseren
Freunden, den Franzosen, gegenüber abgeleitet, und
wir können mit Freude feststellen, daß die Regie-
rung diesem gemeinsamen Appell dieses Hohen
Hauses damals gefolgt ist.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir würden
unglaubwürdig werden, wenn wir diese Forderung
auf strenge Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit nur
nach außen richteten, wenn wir nicht ebenso strenge
Maßstabe für unser eigenes Verhalten im Innern
anlegten.
Wir haben es daher begrüßt, daß, als die Proble-
matik um die Abhörpraxis des Verfassungsschutz-
amtes auftauchte, das Hohe Haus sich entschloß,
einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der die
Dinge klären sollte. Es fiel bei den Beratungen des
Ausschusses einmal das Wort, daß es sich um einen
Ausschuß der SPD gehandelt habe. Ich bin dem da-
mals schon entgegengetreten. Zwar ist der Aus-
schuß von der SPD beantragt worden, beschlossen
worden ist er vom ganzen Hause. Die Untersuchung
ist von den Vertretern des ganzen Hauses geführt
worden, und ich darf als erfreulich feststellen, daß
die Untersuchung in diesem Ausschuß in dem Sinne
geführt worden ist, wie wir es einzig für möglich
gehalten haben. Die einstimmige Feststellung eines
Sachverhalts, die einstimmige Feststellung gewisser
Konsequenzen, die sich aus diesem Sachverhalt er-
gaben, sind doch Anzeichen dafür, daß sie aus einem
gemeinsamen Geiste heraus erarbeitet worden sind.
Diese Tatsache scheint mir in zweierlei Hinsicht
von Bedeutung. Erstens zeigt die Reaktion der
Öffentlichkeit, daß das bis dahin nicht immer sehr
hoch angesehene Institut der parlamentarischen
Untersuchungsausschüsse durch die Arbeit dieses
Ausschusses doch in ein recht gutes Licht gerückt
worden ist; die Öffentlichkeit hat positiv auf das
reagiert, was dieser Ausschuß geleistet hat.
(Beifall bei der FDP und der SPD.)
Eine zweite Konsequenz möchte ich aber ebenso
klar ziehen. Auch das ist klar ad absurdum geführt,
was — ich will es einmal so sagen — an Quer-
schüssen gekommen ist; sei es die erste Warnung
vor Beginn der Arbeit des Untersuchungsausschus-
ses, man möge sich ja nicht gegen Strafgesetze ver-
gehen, sei es die zweite Warnung, daß man doch
die Geheimhaltungsbestimmungen den Alliierten
gegenüber beachten müsse. Wir waren damals über-
rascht, daß diese Dinge zunächst nicht dem Ausschuß
gegenüber geäußert, sondern in die deutsche Öffent-
lichkeit gebracht wurden. Erst dann war Gelegen-
heit gegeben, daß der Ausschuß selber dazu Stel-
lung nahm. Er hat sich gleichfalls in einmütiger
Weise dahin ausgesprochen, daß alle diese Angriffe
unberechtigt seien. Ich glaube, wir sollten das auch
hier zur Klarstellung der Verhältnisse eindeutig
aussprechen.
Leider bin ich nicht in der Lage, von allen, die
darüber hinaus an der Arbeit des Ausschusses be-
teiligt waren, gleich Gutes hier zu sagen. Ich könnte
manches Beispiel anführeii. Ich will mich auf ein
6004
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Busse
meines Erachtens recht eklatantes Beispiel beschrän-
ken, das auch für die weitere Beurteilung des Falles
von Bedeutung sein dürfte.
Nachdem zunächst laufend erklärt worden war, es
lägen nur mündliche Anweisungen über die Behand-
lung von Telefoninitiativen von deutscher Seite vor,
stellte sich eines Tages heraus, daß doch ein Proto-
koll über eine Sitzung vorlag, in der mit den Dezer-
nenten diese Frage besprochen worden war. Dieses
Protokoll hatte nicht etwa zum Inhalt, daß, wie und
unter welchen Umständen man deutsche Initiativen
ergreifen könnte, sondern es besagte, daß — nach
vorhergegangenen Erörterungen — Aufträge von
deutschen Stellen an die Alliierten zum Abhören
von Telefongesprächen nicht zulässig seien. Die Her-
ren vom Verfassungsschutzamt erklärten dazu:
Selbstverständlich sind wir nicht in der Lage, Auf-
träge zu erteilen; die Alliierten nehmen doch von
uns keine Aufträge im engeren Sinne des Wortes
entgegen; wir können sie höchstens bitten, wir kön-
nen höchstens Initiativen in die Wege leiten. — Ich
fragte damals, ob denn Anlaß dazu Vorgelegen habe,
klarzustellen, daß deutsche Stellen keine Aufträge
in diesem engeren Sinne des Wortes erteilen dürf-
ten. Man erklärte: nein, ein solcher Anlaß habe nicht
Vorgelegen. Der Ausschuß ist dann aber in mühe-
voller Arbeit den Anlässen nachgegangen und hat
festgestellt — es hat lange gedauert, bis wir diese
Dinge einigermaßen klar hatten — , daß vorher dar-
über gesprochen worden war, wo denn die Grenzen
der verschiedenen Sicherheitsdienste in rechtlicher
Hinsicht lägen. Das Ergebnis dieser Untersuchungen
ß)war dann die Besprechung bei den Dezernenten.
Unter diesem Aspekt gesehen, glaube ich, ist die
Ausdrucksweise: das Verfassungsschutzamt war
nicht berechtigt, Aufträge an die Alliierten zu ertei-
len, eindeutig klar.
(Beifall bei der FDP und der SPD.)
Ich kann wohl, ohne einen Fehlschluß zu ziehen,
daraus folgern, daß mindestens die Problematik, die
sich ergab, im Verfassungsschutzamt eindeutig er-
kannt worden war. Denn daß eine Problematik vor-
liegt, darüber sind wir, glaube ich, alle einig.
Ich will hier nicht den Streit der Juristen über die
rechtlichen Möglichkeiten vertiefen; aber ich meine,
hier doch folgendes ganz klar sagen zu sollen. Art. 10
des Grundgesetzes und die Vorbehaltsrechte der
Alliierten stehen in einem gewissen Widerspruch
zueinander.
(Sehr richtig! bei der SPD.)
Eine deutsche Stelle — - und darauf kommt es mir
an — kann aber nur im Rahmen des Grundgesetzes
praktizieren.
(Beifall bei der FDP und der SPD.)
Wenn das aus tatsächlichen Gründen, aus staat-
lichen Notwendigkeiten nicht möglich ist, so zeigt
das Grundgesetz den Weg, der von der Regierung
gegangen werden muß.
(Zustimmung bei der SPD.)
Wir sind zur Zeit in Deutschland in einer relativ
glücklichen Lage. Unser Parlament verfügt über eine
Opposition, die manchmal wegen ihres Mangels an
Opposition getadelt wird. Eines kann man ihr nicht
nachsagen: daß sie in diesem Parlament eine Ob-
struktion betreibt. Jeder in diesem Hause — davon
bin ich zutiefst überzeugt - — ist bereit, der Regie-
rung, die aus diesem Hause gebildet ist, die Mög-
lichkeiten zu geben, die notwendig sind, um ver-
fassungsmäßige Ordnung, Recht und Sicherheit im
deutschen Volke und in der Bundesrepublik zu ge-
währleisten.
(Beifall bei der FDP und der SPD.)
Wenn das aber die allgemeine Auffassung dieses
Hauses ist, dann kann jede Regierung mit gutem
Gewissen vor dieses Haus hintreten und das, was in
der nächsten Zeit geschehen muß, tun. Sie kann ein
Gesetz vorlegen, das klar die Befugnisse regelt, die
die Regierung, die die deutschen Behörden dann
haben. Und wenn ein solches Gesetz da ist, sind
alle Zwielichtigkeiten aus der Welt geschafft. Was
heute möglich ist, war auch seit 1956 möglich. Daß
es nicht geschehen ist, hat mit dazu beigetragen,
daß wir in diese zwielichtige Situation hineinge-
raten sind.
Ein Weiteres zu den internen Verhältnissen im
Amte. Da ist gesagt worden — und die Herren vom
Verfassungsschutzamt haben uns das auch vorge-
tragen — : Die Besonderheit unseres Amtes ver-
bietet es, Dienstanweisungen zu erlassen, Vorschrif-
ten zu machen, wie man nun dies oder jenes machen
solle. Meine Damen und Herren, heute liegen diese
Dienstanweisungen, diese Vorschriften vor. Heute
ist es möglich, und ich frage mich: Warum ist es
heute erst möglich, diese Dinge zu regeln? pj
(Abg. Dr. Schäfer: Richtig!)
Warum hat man es nicht längst so gemacht?
(Beifall bei der FDP und bei der SPD.)
Geht man von diesem Gesichtspunkt aus, so muß
ich in der Tat sagen, daß bei der Schwierigkeit der
Frage, die hier zur Entscheidung stand, die leiten-
den Herren des Verfassungsschutzamtes - — ich will
mich hier ganz neutral ausdrücken — ^ ihrer Pflicht
nicht genügend nachgekommen sind. Das mindeste,
was in einer solchen Situation hätte geschehen müs-
sen, wäre gewesen, daß man diese Angelegenheit
mit der für verfassungsrechtliche Fragen zuständi-
gen Stelle im Innenministerium besprochen hätte.
Auf Grund meiner kurzen Erfahrungen in diesem
Hause und mit den Herren des Innenministeriums,
die diese Stelle betreuen, habe ich den festen Glau-
ben und die Überzeugung, daß die Dinge dann an-
ders gelaufen wären, als sie damals tatsächlich ge-
laufen sind.
(Beifall bei der FDP und bei der SPD.)
Insofern ist es, glaube ich, doch wohl berechtigt,
daß der Ausschuß vorschlägt, daß diese Dinge sehr
sorgfältig überprüft werden sollen — • auch dies ist
ein gemeinsamer Vorschlag des Ausschusses — und
daß darüber berichtet werden soll, welche Konse-
quenzen sich aus diesen Tatsachen ergeben.
Diese Notwendigkeiten ergeben sich aber auch
aus einem anderen Grunde. Von den zahlreichen
Fällen, die hier insbesondere von Herrn Kollegen
Schmitt- Vockenhausen heute erörtert worden sind,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6005
Busse
möchte ich nur noch einmal den aufgreifen, der sich
hier im Parlament abgespielt hat — ich brauche ihn
nicht zu wiederholen — , als auf die Frage des Kol-
legen Schäfer das klare Ja des Herrn Innenmini-
sters erfolgte. Ich gehe dabei davon aus — es hat
sich für mich bisher kein Anhaltspunkt für etwas
anderes ergeben — , daß der Herr Minister diese
Antwort gutgläubig erteilt hat. Um zu einer ande-
ren Schlußfolgerung kommen zu können, müßte ich
erst sehr konkrete Unterlagen haben. Hat er die
Antwort aber gutgläubig erteilt, so war er mangel-
haft informiert worden. Bevor eine solche Antwort
gegeben werden konnte, mußte er sich bei den in
seinem Ministerium dafür zuständigen Beamten in-
formieren. Diese konnten ihm erst die Möglichkeit
zu einer solchen Antwort geben, nachdem sie die
entsprechenden Rückfragen gestellt hatten.
(Beifall bei der SPD.)
Daß das unterblieben ist und daß dadurch hier beim
Parlament tatsächlich Eindrücke hervorgerufen wor-
den sind, die mit der Wirklichkeit nicht in Einklang
stehen, meine Damen und Herren, ich glaube, das
wird man schlecht billigen können. Und wir meinen
auch, daß sich daraus Konsequenzen ergeben soll-
ten, Konsequenzen, die wir nicht heute hier zu
ziehen haben, sondern über die wir bis zum 1. Ok-
tober den Bericht des Herrn Innenministers erwar-
ten.
(Bl
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
komme zum Schluß meiner Ausführungen, da ich
nicht die Absicht habe, über das eigentliche Thema
hinauszugehen, das uns im Untersuchungsausschuß
gestellt war, und mehr zu sagen, als im Rahmen der
Erfüllung dieses Auftrages hier heute gesagt wer-
den muß. Nur eines möchte ich noch mit wenigen
Worten streifen, da ich eine Klarstellung dieses
Punktes, wenn er auch in unserem Bericht und in
den Anträgen des Ausschusses bisher nicht erwähnt
ist, einfach für notwendig halte.
Es ist immer wieder die Frage aufgetaucht, ob
und wieweit das Innenministerium über die tatsäch-
lich geübte Praxis informiert gewesen ist. Hier sind
wir, glaube ich, bei der Untersuchung im Ausschuß
nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen.
Aus den Unterlagen ergibt sich, daß schon im Jahre
1956 Fragen aufgeworfen wurden — und zwar von
dem heutigen Staatssekretär Bargatzky — , die mit
dem Problem, das uns hier beschäftigt, in engstem Zu-
sammenhang stehen, Fragen aus dem Ministerium
heraus an das Verfassungsschutzamt. Wir wissen
weiter, daß im Innenministerium laufend an der
Frage eines Ausführungsgesetzes zu Art. 10 des
Grundgesetzes gearbeitet worden ist, wenn auch
nicht mit dem nötigen Elan, der erst aufgetreten ist,
als diese ganzen Untersuchungen liefen.
Wir wissen endlich, daß der Verbindungsoffizier
der Engländer dem Präsidenten des Verfassungs-
schutzamts erklärt hat, er habe, bevor das Formular,
das für die schriftlichen Anträge später benutzt wor-
den sei, festgelegt worden sei, diese Angelegenheit
im Innenministerium besprochen. Derselbe Verbin-
dungsoffizier hat zwar in einer Unterredung mit
Herrn Staatssekretär Dr. Schäfer diese Erklärung
(O
nicht aufrechterhalten. Er hat sie aber im Gegensatz ^ *
zu anderen Dingen auch dem Präsidenten des Ver-
fassungsschutzamts gegenüber nicht widerrufen.
Was mich unbefriedigt läßt, ist die Unklarheit, die
hierin wieder mal steckt.
(Beifall bei der FDP und der SPD.)
Es ist die Zwielichtigkeit, die sich in allzu vielen •
Dingen findet. Diese Zwielichtigkeit halten wir mit
der Klarheit, die das Grundgesetz von uns verlangt
— nur so können wir es praktizieren, nicht mit
Zwielichtigkeiten — , für nicht vereinbar.
Wir haben uns weder heute hier noch im Unter-
suchungsausschuß mit den Fragen auseinanderzuset-
zen gehabt, die in der Presse und sonst in der
Öffentlichkeit lang und breit diskutiert worden sind.
Die Feststellungen, die wir einstimmig getroffen
haben, sind in manchem Punkt nicht völlig erschöp-
fend, wie ich dargelegt habe. Sie zeigen aber ein-
deutig, daß nicht alles so gewesen ist, wie es hätte
sein sollen. Daß die Konsequenzen, die der Aus-
schuß daraus gezogen hat, wiederum einstimmig ge-
zogen worden sind, zeigt trotz allen Ausführungen,
die auch heute von diesem Platz gemacht worden
sind, daß im Grunde genommen jeder anerkennen
muß, daß diese Konsequenzen einfach gezogen wer-
den müssen.
(Beifall bei der FDP und der SPD und bei
Abgeordneten der CDU/CSU.)
Die Regierung — ich spreche das nun als Mitglied
einer Fraktion aus, die die Regierung mit stellt —
wäre meines Erachtens schlecht beraten, wenn sie
lediglich sagte: Es war alles gut, aber künftig wol- (D)
len wir es noch besser machen. Es soll ruhig aner-
kannt werden, daß nicht alles gut war. Dann haben
die Presse, die diese Dinge angerührt hat, die Kleine
Kommission, die sie zunächst aufgegriffen hat, und
der Untersuchungsausschuß, der dann die Unter-
suchungen durchgeführt hat, deren Resultat jetzt
vorliegt, wirklich ihre Aufgabe erfüllt. Denn das
sind die Gründe gewesen, warum heute jedenfalls
schon eine wesentlich bessere Organisation —
Dienstanweisungen, Dienstauf sicht — im Verfas-
sungsschutzamt vorhanden ist und warum wir auch
in absehbarer Zeit — wir haben heute unter den
Drucksachen die Unterlagen gefunden — das Aus-
führungsgesetz zu Art. 10 des Grundgesetzes be-
kommen werden. Diese Resultate sind mir viel we-
sentlicher als alles andere, was sonst hier heute ge-
sagt worden ist. Sie. zeigen, daß, wenn Mißstände
klar angesprochen werden und der gute Wille vor-
handen ist, sie zu beseitigen, allen Beteiligten das
entsprechende Lob gespendet werden muß.
Nun zu Ihrem Antrag, meine Damen und Herren
von der SPD. Wir haben einstimmig im Ausschuß
gewisse Anträge formuliert. Ich hoffe, daß sie nach
den Darlegungen, die heute hier gemacht wurden,
von der Regierungsseite richtig verstanden werden.
Es sollten uns bis zum 1. Oktober nicht nur die ma-
teriellen Unterlagen, die Gesetze und ähnliches hier
vorliegen, sondern wir wollen auch erfahren, welche
weiteren Konsequenzen von der Regierung daraus
gezogen sind.
(Beifall bei der FDP und bei der SPD.)
6006
Deutscher Bundestag • — ■ 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
(A)
Wir haben keinen Auftrag gehabt — und ich
lehne es auch ab, heute dazu irgendeine Erklärung
abzugeben, bevor nicht auch diese Dinge im einzel-
nen substantiiert untersucht worden sind — , das
Verhalten des Herrn Ministers zu untersuchen. Das
steht in keiner Ihrer Fragen, die Sie formuliert
haben, die von Ihnen ausgingen, und ehe wir da
nicht in ganz substantiierte Untersuchungen eintre-
ten können — dazu ist das Parlament heute in die-
sen Stunden einfach nicht in der Lage — , (Solange
werden wir diesen weiteren Anträgen, die Sie ge-
stellt haben, unsere Zustimmung nicht geben, da-
gegen im übrigen dem Anträge des Ausschusses zu-
stimmen.
(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der
CDU/CSU.)
Präsident D, Dr. Gerstenmaier: Das Wort
hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Dr. Schäfer (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich bin dem Herrn Kollegen Busse sehr
dankbar, daß er zu der sachlichen Atmosphäre, die
uns im Untersuchungsausschuß während aller Sit-
zungen beherrscht hat, wieder zurückgeführt hat.
Wir dürfen wohl feststellen, daß Herr Kollege
Schmitt- Vockenhausen durchaus im Rahmen der Ar-
beit des Untersuchungsausschusses fortfahrend seine
Darlegungen hier gemacht hat. Herr Kollege S ü -
sterhenn hat eine neue Methode eingeführt, in-
dem er einen Artikel, der im „Rheinischen Merkur"
am 1. Mai veröffentlicht wird — ich habe ihn schon
(ß) hier liegen: „Es knackt in der Leitung"; Sie kennen
ja Ihren eigenen Artikel, Herr Kollege Süster-
henn — ,
(Abg. Dr. Süsterhenn: Natürlich!)
mit kleinen Änderungen und Kommentaren hier
verlesen hat. Es ist dem Herrn Präsidenten sicher
entgangen; denn es würde der Gepflogenheit des
Hauses nicht entsprechen, eigene' Zeitungsartikel
hier vorzulesen und zu kommentieren.
(Abg. Dr. Süsterhenn: Ich häbe keine Zei-
tungsartikel verlesen; ich habe eine freie
Rede gehalten, gestütet auf Notizen!)
— Ich habe das streckenweise wörtlich verfolgt
unter Assistenz einiger Kollegen; man kann das ja
nachher im Protokoll vergleichen, Herr Kollege.
(Abg. Dr. Süsterhenn: Der Artikel ist eben
mein geistiges Eigentum! — Zuruf von der
SPD: Das haben wir gemerkt! — Heiterkeit
bei der SPD.)
— Das möchte ich Ihnen aller^dings nicht bestreiten,
daß das Ihr geistiges Eigentum ist.
(Beifall bei der SPD.)
Nun, Sie haben iso Atmosphäre machen wollen.
Das zeugt nicht immer gerade von Überzeugung,
daß man in der Sache recht hat. Sie haben die
Panorama-Angelegenheit angeführt. Das gibt mir
einen willkommenen Anlaß, iden Brief des Präsiden-
ten dieses Hohen Hauses in das Protokoll des Bun-
destages zu bringen. Ich darf die ersten zwei Ab-
sätze verlesen ;
Der Präsident Bonn, den 10. Oktober 1963
des Deutschen Bundestages
An
Herrn Bundestagsabgeordneten
Dr. Friedrich Schäfer
im Hause
Sehr geehrter Herr Kollege!
Im Anschluß an die letzte Sitzung des Ältestenr
rates bestätige ich Ihnen, daß ich mich davon
überzeugt habe, daß Ihnen seitens des Präsi-
denten des Deutschen Bundestages kein Vor-
wurf über Ihr Verhalten in der Panorama- An-
gelegenheit gemacht werden kann.
(Abg. Dr. Süsterhenn: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage?)
— Ich bin noch nicht -fertig; ich zitiere:
Es ist zwar erwiesen und von Ihnen in und
außerhalb der Sitzung des Ältestenrates mehr-
fach bestätigt worden, daß Sie bei Ihrer Äuße-
rung gegenüber den Panorama^Mitarbeitern
eine objektiv falsche Aussage gemacht haben,
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)
aber es ist inzwischen ebenfalls erwiesen, daß
Sie dabei tatsächlich selber das Opfer eines
Irrtums waren.
(Abg. Dr. Süsterhenn: Darf ich jetzt eine
Zwischenfrage stellen?) (D)
Ich darf Ihr Erinnerungsvermögen auffrischen,
Herr Kollege Süsterhenn, indem ich aus dem Proto-
koll vom 9. November 1962
(Abg. Dr. Süsterhenn: Darf ich eine Frage
stellen?)
— ich zitiere; ich kann mich hier von Ihnen nicht
stören lassen; Sie können nachher fragen — , indem
ich aus dem Protokoll vom 9. November 1962 zitiere.
Ich hatte den Herrn Innenminister gefragt. Der Herr
Innenminister hat in Vertretung des Ministers für
das Post- und Fernmeldewesen geantwortet. Ich
habe gefragt:
Ich frage die Bundesregierung, ob auf Grund
der durchgeführten Dienstaufsicht Vorsorge da-
für getroffen ist, daß das Grundrecht des Art. 10
des Grundgesetzes, wonach das Briefgeheimnis
sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis un-
verletzlich sind, in vollem Umfang, soweit die
deutsche Zuständigkeit dafür gegeben ist, ge-
wahrt ist.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich kann
die Frage mit Ja beantworten.
Dann meldete sich der Herr Bundeskanzler zu Wort
und führte folgendes aus — Seite 2085, unter C; ich
will es Ihnen erleichtern, das wiederzufinden — ;
Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Seit einiger Zeit
wage ich nicht mehr, vertrauliche Sachen —
geheime Sachen kommen nicht in Frage —
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6007
Dr. Schäfer
über meinen Fernsprecher von Rhöndorf nach
Bonn zu sprechen,
(Hört! Hört! bei der SPD)
(Hört Hört! bei der SPD)
(Heiterkeit)
weil offenbar ständig andere damit verbunden
sind.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Ich habe den Herrn Postminister — < —
(Abg. Wehner: Da sind wir ja Leidens-
genossen! — Heiterkeit!)
— Ja eben.
(Anhaltende Heiterkeit!)
Ich habe den Herrn Postminister gebeten, doch
gerade diesen Fall auch genau zu untersuchen.
Er hat mir gestern hier im Saale erklärt, daß er
einen besonderen Untersuchungstrupp aus Mün-
chen kommen lasse, der diese Verhältnisse des
Mithörens untersuchen werde.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe
von der SPD.)
Das gab unserem Kollegen Schmidt (Wuppertal)
als Vorsitzendem der Interparlamentarischen
Arbeitsgemeinschaft Anlaß, sich mit Schreiben vom
14. Januar 1963 an den Herrn Bundeskanzler zu
wenden, die Frage des Mithörens von Telefonge-
sprächen anzuschneiden und um Auskunft zu bitten,
welche Firmen solche Instrumente hersteilen und
wie der Stand der Technik ist und wie man sich
_ dagegen schützen soll. Der Bundeskanzler über-
sandte mit Schreiben vom. 26. Mai 1963 eine Stel
lungnahme an die Interparlamentarische Arbeits-
gemeinschaft, über die die Interparlamentarische
Arbeitsgemeinschaft mit Drucksache 306 am 28. Juni
1963 berichtete. Herr Kollege Süsterhenn, das ist
der Vorgang. Ich wundere mich, daß Sie hier Dinge
vorgetragen haben, die mit dieser unmittelbaren
Arbeit nichts zu tun haben.
(Abg. Dr. Süsterhenn: Darf ich eine Frage
stellen?)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Eine Zwi-
schenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Süsterhenn!
Dr. Süsterhenn (CDU/CSU): Herr Kollege, wol-
len Sie mit der Zitierung dieser Ausführungen etwa
zum Ausdruck bringen, daß alle diese Dinge auf
das Wirken des deutschen Verfassungsschutzes
oder sogar auf das Fehlen irgendwelcher Organisa-
tionsanordnungen im Verfassungsschutz zurückzu-
führen seien?
Dr. Schäfer (SPD): Herr Kollege Süsterhenn, ich
will damit zum Ausdruck bringen, daß der erste
Teil Ihrer Ausführungen ungewöhnlich war im Zu-
sammenhang mit dem, was hier zur Debatte steht.
(Beifall bei der SPD. — Abg. Schmitt-
Vockenhausen: Doch mit Absicht! — Wei-
tere Zurufe von der SPD. — Gegenrufe von
der CDU/CSU.)
In diesem Hause besteht Einigkeit darüber —
und es sollte von niemandem in Zweifel gezogen
(C)
werden — , daß Verfassungsschutz notwendig ist,
Verfassungsschutz zum Schutz unseres Staates, zum
Schutz der Grundfreiheiten. Ich habe mir die sehr
beachtliche Arbeit des Privatdozenten Evers „Pri-
vatsphäre und Ämter für Verfassungsschutz" ein-
mal vorgenommen. Ich möchte den Herrn Bundes-
minister bitten, dieses sehr beachtliche Werk bei
der Weiterschulung und Unterrichtung der Beamten
des Verfassungsschutzes zum Unterrichtsmaterial zu
machen. Wenn man das früher getan hätte und
wenn man das beherzigt hätte, was dort gesagt ist,
wäre sicher manches von vornherein verhindert
worden. Ich darf Herrn Evers zitieren. Er sagt in der
Einleitung:
Das Grundgesetz gewährleistet Freiheit nur in
einer bestimmten Herrschaftsform, nämlich der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Darunter ist, der Begriffsbestimmung des Bun-
desverfassungsgerichts folgend, eine rechts-
staatliche Herrschaftsordnung zu verstehen, die
auf der Grundlage der Selbstbestimmung des
Volkes, der Freiheit und Gleichheit beruht und
jegliche Gewalt- und Willkürherrschaft aus-
schließt.
Er fährt dann fort, daß mit den im Verfassungs-
schutz erforderlichen Maßnahmen der Staat gerade
in den Freiheitsbereich des einzelnen eingreife, der
durch das Grundgesetz in weiterem Umfang als
herkömmlich gesichert werden solle. Wir haben uns
vor einigen Jahren dagegen gewandt, als Versuche
unternommen wurden, den Verfassungsschutz zum
Staatssicherheitsdienst — nicht nur dem Namen pj
nach, sondern auch aus einer falsch verstandenen
Einstellung — umzuwandeln. Damals haben wir aus-
geführt — und das gilt für uns heute noch — , daß
der Verfassungschutz nicht den Staat als solchen
allein zu schützen hat, sondern daß er zu schützen
hat alle diejenigen Organisationen, die diesen
Staat mit Leben füllen: die Parteien, die Kirchen,
die Gewerkschaften, die Wirtschaftsverbände, all
die vielen Organisationen, die Verfassungsleben
darstellen und die in unserem zweigeteilten Vater-
land der besonderen Aufmerksamkeit empfohlen
werden müssen.
In einem Rechtsstaat ist es notwendig, daß gerade
solche Fragen, die im Schnitt des Interesses des ein-
zelnen und des Interesses der Gesamtheit stehen,
geregelt werden und daß diese Grundzüge, diese
Rechtsbestimmungen gewissenhaft befolgt werden.
Evers formuliert hierzu:
Der Verfassungsschutz darf daher nicht die
wesentlichen Grundzüge eines demokratischen
Staatssystems aufheben oder verfälschen, und
er darf sich nicht Mittel totalitärer Herrschafts-
formen, auch nicht aus der Abwehr heraus, auf-
drängen lassen.
Gerade auf das letzte möchte ich besonderen Wert
legen.
Vor diesen Feststellungen war die Arbeit des
Untersuchungsausschusses durchzuführen. Es war
also zu untersuchen, ob der Verfassungsschutz seine
Aufgaben, insbesondere in der Zusammenarbeit mit
den Alliierten, rechtsstaatlich durchführe oder ob
6008
Deutscher Bundestaig — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. Sdiäfer
er hier die Bestimmungen vierletze. Es war zu
prüfen, ob das Bundesministerium des Innern seine
Aufsichts- und politische Leitungspflicht hier kor-
rekt wahrgenommen habe oder ob das nicht der
Fall sei.
Da es sich um die Zusammenarbeit mit den alliier-
ten Stellen handelt, kommt außer dem Gesetz vom
27. September 1950 der General vertrag vom 5. Mai
1955 in Frage. Wir hatten zunächst, zwischen 1950
und 1955, den Zustand, daß die Alliierten auf Grund
des Besatzungsstatuts vom 12. Mai 1949 auch die
Verantwortung für Grundgesetz und Länderverfas-
sungen trugen und damit auch die Verantwortung
für den Verfassungsschutz. Der Generalvertrag hat
aber gerade in diesem Punkt die entscheidende
Änderung gebracht, und hier ist der Punkt, bei dem
wir prüfen müssen, ob Bundesverfassungsschutzamt
und Bundesinnenministerium ihre politische Aufgabe
wahrgenommen haben.
Ich darf auch auf Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandver-
trages, Art. 4 des Truppenvertrages und — seit
1. Juli 1963 — Art. 3 des Zusatzabkommens zum
NATO-Truppenstatut verweisen. Sie finden den
Wortlaut auf Seite 3 der Drucksache IV/2170.
Bei der Durchführung der Zusammenarbeit mit
den Alliierten darf kein deutscher Beamter Hand-
lungen ausführen, die im Gegensatz zu den Bestim-
mungen des Grundgesetzes stehen. In Art. 5 Abs. 2
des Deutschlandvertrages wird darauf Bezug genom-
men, daß die von den Drei Mächten bisher inne-
gehabten oder ausgeübten Rechte nur nach Konsul-
(B) tation und nur dann ausgeübt werden dürfen, wenn
die Bundesregierung in den Konsultationen zu-
stimmt. Daraus entstanden für das Ministerium und
für die Leitung des Bundesamtes für Verfassungs-
schutz besondere Pflichten. Das Bundesverfassungs-
gericht hat sich mit dieser Fragestellung wiederholt
befaßt. Ich darf insbesondere auf die in Band 3,
Seite 368, und in Band 14, Seite 1, abgedruckten
Urteile hinweisen. Danach ist folgendes festzuhal-
ten.
Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages hätte vom
Bundesamt für Verfassungsschutz seiner weiteren
Arbeit nicht zugrunde gelegt werden dürfen, so-
lange nicht dem Bundesamt mitgeteilt worden war,
in welchem Umfange Einverständnis im Wege der
Konsultation über die weitere Ausübung der früher
von den Alliierten innegehabten Rechte erzielt wor-
den ist.
Das Innenministerium hat sich seinerseits nicht
veranlaßt gesehen, das Bundesamt für Verfassungs-
schutz darüber zu informieren — eine ernstlich zu
rügende Unterlassung. Das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz hat seinerseits keinen Anlaß genom-
men, die Rechtsgrundlage seiner Arbeit zu über-
prüfen und nach Kenntnisnahme von Art. 5 Abs. 2
des Deutschlandvertrags beim Innenministerium
rückzufragen, wie denn nun die Rechtslage sei, ob
Konsultationen stattgefunden hätten und ob und
in welchem Umfange die Bundesregierung ihre Zu-
stimmung zu weiteren Maßnahmen der Alliierten
gegeben habe. Beide Stellen haben das nicht getan.
Damit muß man feststellen, daß das Bundesamt für
Verfassungsschutz, ohne sich um die Verfassungs-
rechtslage zu kümmern, an die Alliierten, an die (C)
Verbündeten mit sogenannten Anregungen heran-
getreten ist und daß das Bundesinnenministerium
sich zu keinem Zeitpunkt die Mühe gemacht hat,
nachzuprüfen, inwieweit das Bundesamt für Ver-
fassungsschutz seine Arbeit rechtmäßig durchführt.
Entscheidend ist aber noch folgender Gesichts-
punkt, mit dem sich gerade das Bundesverfassungs-
gericht noch befaßt hat. Das Bundesverfassungs-
gericht stellt bei anderer Gelegenheit fest, daß die
Regierung und alle Stellen die Aufgabe haben, den
dem Grundgesetz konformen Zustand herzustellen.
Das heißt: Soweit aus der Zeit vor dem Inkrafttre-
ten des Grundgesetzes Rechte in Kraft sind, die die
Bestimmungen des Grundgesetzes einschränken, hat
die Regierung alles zu tun, um die Ablösung dieser
Rechte zu erreichen. Sie hat das durch entsprechende
Gesetzesvorlagen zu tun und sie hat sich ihrerseits
darum zu bemühen.
Die Bundesregierung hat sich um eine Notstands-
gesetzgebung bemüht. Die Notstandsgesetzgebung,
die 1960 vorgelegt wurde, wurde in diesem Hause
von allen Fraktionen gemeinsam nicht weiter be-
handelt. Es muß hier aber gesagt werden, daß die
Notstandsgesetzgebung • — im Gegensatz zu dem,
was Herr Innenminister Höcherl wohl infolge eines
Irrtums auf eine Frage des Abgeordneten Schmitt-
Vockenhausen antwortete — nicht die Grundlage
dafür gewesen wäre, die alliierten Rechte bezüglich
der Telefon- und Postkontrolle abzulösen, weil
sie davon — das ist unbestritten — unabhängig
sind.
Es ist ein — ich möchte sagen — erfreuliches und
wichtiges Ergebnis der Arbeit des Ausschusses, daß
dieser Gesetzentwurf heute wenigstens in die Ge-
setzgebungsarbeit einbezogen worden ist, so daß
wir damit rechnen können, daß die Frage des Art. 10
einer befriedigenden Regelung zugeführt wird. Die
Bundesregierung hat die politische Aufgabe, die —
ich darf es noch einmal sagen — darin besteht, die
Bestimmungen des Grundgesetzes — die noch nicht
voll in Kraft sein können, weil noch alliierte Rechte
bestehen — in Kraft zu setzen, vollkommen ver-
nachlässigt. Es besteht doch kein Zweifel daran, daß
sich die Verhältnisse seit 1955, seit man im General-
vertrag diese Regelung getroffen hatte, wesentlich
weiterentwickelt haben und daß es in Verhandlun-
gen mit den Alliierten auch durchaus erreichbar ge-
wesen wäre, zu einem Übereinkommen in der Rich-
tung zu kommen, diese Ablösung durch Vereinba-
rungen zu erreichen. Diese kritische Feststellung des
Nichthandelns und der Nichtwahrnehmung der Mög-
lichkeiten zur vollen Inkraftsetzung des Grundge-
setzes muß hier getroffen werden.
Man muß dann aber des weiteren prüfen, inwie-
weit das Bundesamt für Verfassungsschutz seiner
Tätigkeit eine Rechtsauslegung zugrunde gelegt hat,
die wir nicht teilen können. Das Bundesamt für Ver-
fassungsschutz hat, nachdem die Dinge untersucht
wurden, den Standpunkt vertreten, daß alle Fragen
der Spionage, Spionageabwehr und des Linksradi-
kalismus auch den Schutz und die Sicherheit der
alliierten Truppen in Deutschland berührten. Das ist
eine Recht.skonstruktion — ich sage ausdrücklich
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6009
Dr. Schäfer
Konstruktion — , die wohl niemand ernsthaft auf-
rechterhalten kann. Denn die Alliierten haben ja
selbst gezeigt, daß sie es so nicht verstanden. Sie
haben es damit gezeigt, daß sie das Material, das
dort auf Anregung der deutschen Stellen entstanden
ist, ohne eigene Prüfung und ohne eigene Auswer-
tung unmittelbar an die deutschen Stellen mit dem
Anheimstellen weitergeleitet haben, damit zu ver-
fahren, wie sie es für richtig hielten. Die Alliierten
haben also damit eine Hilfestellung in den unteren
Bereichen — nicht in den Bereichen des Politisch-
Verantwortlichen ■ — gegeben, daß sie als verlän-
gerter Arm des Bundesamtes für Verfassungsschutz
gewirkt haben. Evers stellt dazu fest:
Ein schwerer Verstoß gegen das Recht wäre es,
wenn deutsche Stellen auf diesem der demokra-
tischen Kontrolle entzogenen Umwege Grund-
rechtsbe Stimmungen umgehen würden, um sich
Nachrichten mit Mitteln zu verschaffen, die
ihnen nach deutschem Recht ausdrücklich ver-
sagt sind.
Der Untersuchungsausschuß kam zu der Feststel-
lung und mußte dazu kommen, daß sich das Bundes-
amt für Verfassungsschutz tatsächlich auf diese
Weise entgegen den Bestimmungen des Art. 10 und
damit unter Mißachtung des Grundgesetzes Material
verschafft hat.
Man muß des weiteren prüfen, wie es möglich
war, daß eine solche Praxis nahezu sieben Jahre
lang durchgeführt wurde, ohne daß das Innenmini-
sterium etwas tat. Aus den Zeugenaussagen ergab
^ ^ sich, daß man es im Innenministerium nicht für not-
wendig hielt, eine Kontrolle durchzuführen. Der zu-
ständige Referent sagte auf die Frage, was denn im
Wege der Dienst auf sicht überhaupt gemacht worden
sei:
Wir haben zunächst dafür gesorgt, daß das Amt
effektiv arbeitet. Das schien uns das allerwich-
tigste zu sein, einen erfolgreichen Nachrichten-
dienst zu haben und sicherzustellen, daß die
Ergebnisse des Amts so schnell wie möglich an
die Ministerien und insbesondere an uns heran-
kommen.
Und dann sagte er:
Wir hatten in Präsident Schrübbers einen aus-
gezeichneten Juristen. Da Herr Schrübbers im-
mer wieder versicherte, daß er stets darum be-
müht bleibe und daß bei dem in seiner Verant-
wortung Liegenden nach rechtsstaatlichen Prin-
zipien gearbeitet werde, glaubte ich, mich dar-
auf verlassen zu können, daß das auch ge-
schehe.
Eine wirklich interessante Begründung! So übt
man Fachaufsicht nicht aus, daß man sagt: Der Be-
treffende, der der Fachaufsicht unterliegt, erklärt ja,
daß alles in Ordnung ist; also haben wir keinen
Anlaß zu Überprüfungen.
Der gleiche Zeuge sagte kurz darauf:
Die Rechtsauffassung hätten wir uns zweifellos
durch den Kopf gehen lassen. Aber bei Zwei-
feln, die Herr Schrübbers darüber gehabt hätte,
hätten wir das zu einem früheren Zeitpunkt
getan, als es nun geschehen ist. Wir hätten uns
dann ein Rechtsgutachten der Verfassungsab-
teilung besorgt.
Mit anderen Worten, man hat seit dem Abschluß
des John-Untersuchungsausschusses — so wurde es
nahezu auch dargestellt — im Innenministerium
nichts mehr getan, was mit einer echten Fachaufsicht
zusammenhängt. Als 1960 der neue Staatssekretär
kam, bemühte er sich offensichtlich auch nicht sehr
darum, bei einer ersten Einarbeitung auch diese Fra-
gen zu prüfen, sondern man hat die Dinge so schlei-
fen lassen, wie sie waren.
Der Untersuchungsausschuß muß daher im End-
ergebnis zu der Feststellung kommen — das ist
unsere Schlußfolgerung — : die Bundesregierung,
insbesondere der verantwortliche Bundesinnenmini-
ster, hat die politische Aufgabe, den Rechtszustand
des Grundgesetzes herzustellen, nicht erfüllt. Er und
— dafür ist er verantwortlich — seine Beamten ha-
ben die ihm obliegende Fachaufsicht nicht ausrei-
chend durchgeführt. Der Präsident des Bundesamtes
für Verfassungsschutz hat sich nicht entsprechend
den Bestimmungen des Generalvertrages um die
verfassungsrechtliche Begründung bemüht, sondern
hat aus rein operativen Gründen geglaubt, sich über
rein rechtliche Bestimmungen hinwegsetzen zu kön-
nen. Wir halten es für unbedingt erforderlich, daß
der Bundestag in seiner Gesamtheit nicht nur den
ersten drei Punkten der Empfehlung des Untersu-
chungsausschusses, sondern auch den beiden ande-
ren Punkten zustimmt.
(Beifall bei der SPD.)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Das Wort hat
der Herr Abgeordnete Dr. Qü'de.
Dr. h. c. Güde (CDU/CSU): Herr Präsident! Mei-
ne Damen und Herren! Ich kann den Herrn Kollegen
Dr. Schäfer beruhigen. Ich habe keinen Aufsatz ge-
schrieben. Er braucht also nicht fünf Minuten auf
meine Belehrung zu verschwenden. Nur eines sage
ich ihm gleich. Er hat gemeint, der Herr Kollege Dr.
Süsterhenn habe die Atmosphäre verdorben, indem
er die Mitwirkung des Herrn Kollegen Dr. Schäfer
an der Panorama-Affäre erwähnt habe. Erstens ist
unbestreitbar: diese Panorama- Affäre stand mitten
im ersten Wirbel dieser ganzen Abhörgeschichte.
Zweitens frage ich: Warum haben Sie sie mit all den
Zitaten zugedeckt? Es gäbe viel interessantere Dinge
von Ihrer Seite darauf zu sagen, als Briefe und ich
weiß nicht was zu zitieren. Aber das nur vorweg
auf Sie, Herr Kollege Dr. Schäfer.
Herr Kollege Schmitt- Vockenhausen hat einige
Vorbemerkungen gemacht. Ich will auch ein paar
Worte Vorbemerkungen sagen. Er hat zu Recht die
einmütige Äußerung des Ausschusses zitiert, daß er,
der Vorsitzende, den Ausschuß korrekt geführt
habe. In peinlicher Korrektheit! Jawohl, das bestä-
tige ich ihm. Nur eines muß ich sagen, nicht um ihn
jetzt anzugreifen, sondern weil das eine gewisse
Interessantheit auch für dieses Parlament als Parla-
ment hat. Mich hat unentwegt schockiert, daß der
Herr Vorsitzende zwar peinlich korrekt den Vorsitz
6010
Deutscher Bundestag — 4, Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. h. c. Güde
geführt hat, atber «daß er dann zu den Schlagzeilen in
den Pausen zwischen den Ausschußsitzungen sehr
lebhaft beigetragen hat,
(Beifall bei der CDU/CSU)
zu jenen Schlagzeilen, die er vorhin so beklagt hat.
Ich habe die meisten Schlagzeilen im Zusammenhang
mit Äußerungen meines sehr geehrten Herrn Aus-
sdiußvorsitzenden gelesen. — Bitte, Herr Kollege
Mommer!
Dn Mommer (SPD): Herr Kollege Güde, wollen
Sie sagen, daß ein Ausschußvorsitzender aufhören
soll, ein politischer Mensch zu sein,
(Lachen bei der GDU/CSU)
und daß er etwas von seiner Freiheit verliert, wenn
er den Vorsitz in einem Ausschuß übernimmt?
Dn h. c* Güde (CDU/CSU) : Nein, Herr Kollege
Mommer, ich sage es ohne alle Aggressivität. Ich war
zum erstenmal Mitglied eines Untersuchungsaus-
schusses in diesem Hause. Mich hat natürlich die
Frage beschäftigt, die draußen in der Publizistik
durchweg erörtert wird: Wo liegen die etwaigen
Unzuträglichkeiten parlamentarischer Untersu-
chungsausschüsse? Wenn der Herr Kollege Schmitt-
Vockenhausen Vorsitzender eines Gerichts gewesen
wäre, wäre er bei der zweiten Sitzung wegen Be-
fangenheit abgelehnt worden.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
Schäfer, Abg. Dr. Mommer: Es ist ja kein
Gericht! — Abg. Dr. Mommer meldet sich
zu einer Zwischenfrage.)
— Nein, Herr Kollege Dr. Mommer, Sie dürfen sich
die Frage sparen. Das ist kein Gericht. Nur eines
ist sicher. Wenn die parlamentarischen Untersu-
chungsausschüsse wirksamer sein sollen, brauchten
sie einen unparteiischen Vorsitzenden.
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg.
Wehner: Das ganze Parlament sollte im
Dienst der Regierung unparteiisch gemacht
werden, dann hätten Sie, was Sie brauchen!
Abg. Blachstein: Tiefgekühlt! Eisschrank!
Weg mit der Politik!)
— Gar nicht, sondern dann könnte man herzhaft
unter einem unparteiischen Vorsitzenden streiten. —
(Abg. Wehner: Sterilisiert werden muß das!)
Bitte, Herr Dr. Mommer!
Dr. Mommer (SPD) : Herr Kollege Dr. Güde, was
haben Sie denn zu einem früheren Vorsitzenden
eines Untersuchungsausschusses gesagt, der Ihrer
Fraktion angehörte?
(Abg. Dr. Schäfer: Und der davon sprach,
daß Sie kein Eigentor schießen wollen!)
Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) : Ich sage Ihnen, das
war meine erste eigene Erfahrung; und ich bin so
frei. Ihnen meine erste eigene Erfahrung mitzutei-
len. Da Sie sich aber so wundern, lese ich Ihnen
ganz geschwind Eschenburg vor, wo es heißt:
Die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse
in ihrer jetzigen Gestalt haben isich als eine
Fehlkonstruktion erwiesen. Abgeordnete mit-
einander rivalisierender Parteien sind nicht ge-
eignet, die Aufhellung eines Sachverhalts her-
beizuführen; denn sie sind nicht an der Auf-
hellung an sich interessiert, sondern nur an
einem bestimmten Ergebnis der Untersuchung.
Sie belasten und entlasten je nach Parteiinter-
esse.
(Abg. Schwabe: Auch Eschenburg irrt!)
Präsident D. Dr. Gerstenmaier: Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr.
Schäfer? — Bitte!
Dr. Schäfer (SPD): Herr Kollege Dr. Güde, sind
Sie nicht mit mir der Meinung, daß es diesem Unter-
suchungsausschuß dank allseitiger korrekter Mit-
arbeit gelungen ist, Aufklärung zu «schaffen?
Dr. h.c. Güde (CDU/CSU): Ich habe mir für
mein Teil vorgenommen, Tatsachen festzustellen, so
wie ich sehe und nur so, gleichgültig, ob das dem
Herrn Innenminister oder Ihnen paßt, und ich kon-
zediere jedem anderen Ausschußmitglied dasselbe.
Aber da Sie mich schon ansprechen, eine zweite
allgemeine Bemerkung. Was mich noch bitterer stört:
Es kam während des ganzen Verfahrens dieses
Untersuchungsausschusses laufend zu Indiskretionen.
Sie, Herr Schmitt-Vockenhausen, haben vorhin be-
dauernd gesagt, daß der Silberstein-Bericht teilweise
an die Öffentlichkeit gekommen sei. Ja, ich habe
wörtliche Zitate aus ihm gelesen und kann nur un-
entwegt sagen: Von mir stammen sie nicht, von
meinen Freunden stammen sie nicht.
(Zurufe von der SPD.)
— Ich sage nur: Von meinen Freunden stammen sie
so wenig wie von mir; denn sie sind durchweg in
einem Zusammenhang gebraucht worden, der gegen
uns gerichtet war. Das nur, weil eine solche Tatsache
an dem Ansehen des Untersuchungsausschusses und
des ganzen Parlaments nagen muß.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Wenn wir nicht in der Lage sind, einen Unter-
suchungsausschuß mit der Diskretion zu führen, die
dazu gehört, dann nagt das an unserem Ansehen.
Ich habe schon in der Zeitung gelesen und von
Herrn Schmitt- Vockenhausen heute auch wieder be-
stätigt gehört, daß wir ein erfolgreicher Unter-
suchungsausschuß waren. Ich freue mich natürlich
dieser Ehre, wenn ich schon in einem Untersuchungs-
ausschuß bin, in einem erfolgreichen Untersuchungs-
ausschuß «gewesen zu sein. Ich habe mich natürlich,
wie ich es zum erstenmal gelesen habe, gefragt:
Worin besteht denn der Erfolg?
(Abg. Dr. Frede: Im Ergebnis des Berichts!)
6011
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. h. c. Güde
fA)
* — Sie haben recht. Wissen Sie, ich bin ein alter
Staatsanwalt, und Staatsanwälte meinen manchmal,
sie hätten bloß dann ein Ergebnis, wenn sie ihre
Beschuldigten auch überführen können. Ich habe
meinen Herren, meinen Staatsanwälten durch lange
Jahre gepredigt; Eine anständige Einstellung, die
den Sachverhalt aufklärt, weil sie die Unschuld des
Angeklagten erweist, ist ein sehr schönes Ergebnis.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.)
In diesem Sinne akzeptiere ich: ein erfolgreicher
Untersuchungsausschuß,
(Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU)
der zwar einige Unebenheiten und, wenn Sie wollen
und wenn Sie mit mir um Worte streiten, auch Miß-
stände festgestellt hat, der aber die große Wolke
von Beschuldigungen und Verdächtigungen, die im
Raum stand, weggeweht hat, insofern durchaus er-
folgreich, meine Damen und Herren. Der Herr Kol-
lege Dr. Süsterhenn hat Ihnen vorhin plakatiert,
was am Anfang dieser Untersuchung im öffentlichen
Raum Stand. Was ist davon übrig?
(Abg. Schmitt- Vockenhausen meldet sich zu
einer Zwischenfrage.)
— Ja, Herr Schmitt- Vockenhausen, bitte sehr!
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Herr Kollege
Güde, leider hat auch der Herr Kollege Süsterhenn
vorhin eine Wolke in Gang gebracht. Er hat nur
vergessen, zu zitieren, wo ernsthafte Zeitungen so
etwas geschrieben haben. Ich frage Sie: Können Sie
Zitate ernsthafter Zeitungen bringen, die diese be-
hauptete Wolke dargestellt haben?
Dr* h. c* Güde (CDU/CSU): Ich muß ja schließlich
nicht mit Zitaten belegen, was Herr Süsterhenn
schreibt.
(Heiterkeit. — Abg. Schmitt- Vockenhausen:
Gestatten Sie eine weitere Frage?)
— Bitte sehr.
Schmitt-Vockenhausen (SPD): Ich frage Sie,
Herr Kollege Güde: Ist Ihnen nicht vielleicht aufge-
fallen, daß Herr Kollege Süsterhenn überhaupt
keine Belege für seine Behauptungen gebracht hat?
Dr. h.c. Güde (CDU/CSU): Herr Schmitt- Vok-
kenhausen, ich habe nur wenig Papier mit herauf-
gebracht und muß jetzt auf gut Glück das nächste
greifen. Da steht in der „Zeit" ganz dick: „Der Ver-
fassungsschutz bricht seit Jahren das Postgeheimnis,
läßt Telefongespräche zahlreicher Bundesbürger ab-
hören und Briefe öffnen." — „Eklatante Grundrechts-
verletzung" usw. Nun, hat sich das bewahrheitet,
was hier in der Überschrift oder im Text steht? Ich
sage nein.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Im übrigen, Herr Kollege Dr. Mommer, Sie haben
mich vorhin daran erinnert, daß wir hier im poli-
tischen Raum stehen. Sie brauchten mich nicht daran
zu erinnern. Das hätten Sie vorhin Herrn Dr. Schä-
fer sagen müssen, als er eine Vorlesung über Ver-
fassungsschutzrecht gehalten hat. Nein, daran brau-
chen Sie mich nicht zu erinnern. Mir schien die poli-
tische Grundfrage, das politisch Wesentliche geklärt
und entschieden zu sein, als die kleine Kommission
der drei Fraktionen — wenn ich mich nicht täusche,
am 10. Oktober — festgestellt hat, daß sich aus den
vorgelegten Unterlagen „kein Anhalt für die An-
nahme eines Mißbrauchs in der innenpolitischen
Auseinandersetzung" ergeben hat. Diese prägnante
Feststellung stand schon am 10. Oktober da, und sie
ist im Grunde sowohl durch den Silberstein-Bericht
wie durch das Ergebnis dieses Untersuchungsaus-
schusses nur bestätigt worden: „kein Anhalt für die
Annahme eines Mißbrauchs in der innenpolitischen
Auseinandersetzung I "
Ich will durchaus anerkennen, daß der Ansatz zu
dieser Formulierung Ihrem Vertreter in der klei-
nen Kommission, dem Herrn Kollegen Erler, zu ver-
danken ist. Ich habe damals schon — und tue es
rückblickend auch noch in der Erinnerung — den
nüchternen Realismus und das Veranwortungsbe-
wußtsein des Kollegen Erler sehr achtungsvoll zur
Kenntnis genommen. Aber offenbar leben zwei See-
len in Ihrer Brust, meine Herren von der Opposi-
tion, wenn auch nicht in derselben Person. Denn
ich frage mich: Weshalb mußte dann der Unter-
suchungsausschuß noch in Gang gesetzt werden?
Herr Schmitt-Vockenhausen hat diese Frage auch
aufgeworfen, und er hat — ich muß schon sagen,
naiverweise — auf den wirklichen Anlaß hingewie-
sen, nämlich auf den oder die Artikel im „Stern".
Ich erinnere mich, daß mir damals von Ihrer Seite '
gesagt wurde, den Untersuchungsausschuß hätten
wir nicht gebraucht, wenn der Innenminister schnell
genug dementiert und widerlegt hätte. Ich könnte
noch sagen, wer mir das gesagt hat. Aber ich habe
mir im Gegensatz zu anderen Leuten auferlegt, per-
sönliche Gespräche nicht mit Namensnennung zu
zitieren. Andere Leute haben andere Sitten. Aber
Sie haben es ja vorhin mit anderen Worten eben-
falls gesagt. Dazu muß ich allerdings etwas Grund-
sätzliches sagen.
Natürlich haben Sie den Innenminister doch ge-
radezu von Tag zu Tag zu Erklärungen gehetzt.
(Zuruf von der SPD: Nicht zu falschen! —
Abg. Wehner: Der Mann, „kurzgeschlos-
sen" und „etwas außerhalb der Legalität",
ist doch wohl nicht zu hetzen!) •
— Herr Kollege Wehner, einmal sollten Sie sich
doch wohl etwas Neues einfallen lassen als dieses
Zitat des Herrn Innenministers.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Das ist ein Salz, das nicht mehr salzt.
(Abg. Wehner: Gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage?)
— Bitte sehr!
Wehner (SPD): Würden Sie es nicht als Akt der
Versöhnlichkeit auffassen, daß ich nur mit „ollen
6012
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Wehner
Kamellen" auf den Herrn Innenminister in diesem
Falle losgehe und nicht mit neuen?
(Heiterkeit)
Dr. h.C. GÜde (CDU/CSU): Herr Kollege Weh-
ner, wenn Sie neue hätten — so wie ich Sie re-
spektvoll einschätze, würden Sie die bestimmt nicht
in der Hosentasche verbergen.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
Der Herr Kollege Dr. Schäfer konzediert sich in
seiner „Panorama" -Affäre -selbstverständlich, daß
er sich geirrt haben kann. Einen Minister hält er
offenbar für ein gottähnliches Wesen, das sich nie
irren darf.
funden — sie können verkauft werden. Je grö-
ßer der Skandal, um so höher der Marktpreis.
Wenn dazu noch Briefe oder Fotografien die
Geschichte stützen, um so besser, ob sie nun
echt oder falsch sind. Sehr oft gestehen die
Verkäufer, daß sie bei den Mißständen, die sie
ausbeuten wollen, selbst die Hand im Spiel
haben.
Das nur zur allgemeinen Kenntnis aus dem Lord-
Denning-Bericht, und zwar deswegen, Herr Kollege
Schmitt- Vockenhausen, weil Sie vorhin unterschieds-
los alle gelobt haben, die zu dieser Affäre geschrie-
ben haben, unterschiedslos, ob das ernst und ver-
antwortungsbewußt oder auf dem Markt, auf dem
eben beschriebenen Markt, endstanden ist
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.
— Abg. Wehner: Irren will, heißt es! Das
ist ein Unterschied!)
Und im übrigen, meine sehr verehrten Damen und
Herren, ist da eine grundsätzliche Frage: ob wir
nämlich — und ich sage jetzt: wir alle — einen
Minister oder überhaupt einen Politiker als in An-
klagezustand versetzt ansehen wollen, weil er
irgendwo auf gedrucktem Papier, also in der Presse,
und ohne jede Unterscheidung, was das für eine
Presse ist, verdächtigt wird, und ihm die Last der
Widerlegung und des Entlastungsbeweises aufbür-
den wollen. Wollen wir das wirklich? Dann ist es
schlecht um uns alle bestellt.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich weiß nicht, wer von Ihnen — ich glaube, es
(B) war Herr Schmitt- Vockenhausen — - den Lord-Den-
ning-Bericht so lobend zitiert hat. Ein paar Sätze —
mit Erlaubnis — aus dem Denning-Bericht in ähn-
lichem Zusammenhang:
... Es scheint mir sehr unkorrekt dem Herrn
Minister gegenüber zu sein-, denn es bedeutet,
daß er, sobald er das Ziel von Gerüchten ist, die
Pflicht auferlegt bekommt, seine Unschuld zu
beweisen. Das wäre für jedermann sehr schwer.
Es ist schon schlimm genug, jemanden aufzufor-
dern, einer auf Gerüchten aufgebauten Anklage
zu entgegnen, d. h. einer Anklage, die keinen
Ankläger hat, über die man keine Einzelheiten
kennt, in der sehr oft die Zeugen nur vom
Hörensagen berichten und auch nicht ins Kreuz-
verhör genommen werden können. Aber es
wäre noch schlimmer, wenn der Betreffende
auch noch beweisen müßte, daß das Gerücht
falsch ist, wenn über'haupt keine Beweise gegen
ihn vorliegen.
Das steht bei Lord Denninig. Ja, ein sehr einleuch-
tendes Prinzip.
Und da ich schon im Lord-Denning-Bericht lese,
noch drei Sätze aus dem Schluß. Da heißt es —
Sie haben vorhin offenbar nicht zugehört, als Herr
Schäfer vorgelesen hat, sonst hätten Sie das Herrn
Schäfer sagen müssen nein, das ist so interes-
sant, daß Sie ganz bestimmt auch gern zuhören — :
Skandalgeschichten über prominente Persön-
lichkeiten sind heute ein Verkaufsartikel ge-
worden. Wahr oder erlogen, tatsächlich oder er-
Bitte, Herr Schmitt- Vockenhausen!
Schmitt-Vockenhausen (SPD): Sie irren sich
offensichtlich. Ich könnte Ihnen aus meiner Rede
ausführlich die Stelle zitieren, in der ich dazu Stel-
lung genommen habe.
(Zuruf: Frage!)
Dr. h.C. GÜde (CDU/CSU): Erstens: Es hat mich
betrübt, daß Sie das Manuskript vorgelesen haben,
was den Grundsätzen dieses Hohen Hauses wider-
spricht; und zweitens: dem Sinne nach haben Sie
ein sehr breites Lob auf alle diejenigen herunter-
strömen lassen, die diese „segensreiche" Affäre in
Gang gebracht haben. Das sage ich nicht nur für
diesen Fall. Man muß unterscheiden, wo, aus wel-
chen Motiven und zu welchem Zweck geschrieben
worden ist. Das schöne Wort von Souterrain der
Öffentlichen Meinung stammt nicht von mir, son-
dern von dem sehr geehrten Kollegen Dr. Adolf
Arndt. Er sprach von dem Souterrain der Illustrier-
ten und Magazine. Nichts gegen sie, aber dagegen,
daß sie so ernst genommen werden wie eine ernste
und veranwortungsbewußte Presse.
(D)
Bitte !
Sänger (SPD): Herr Kollege Dr. Güde, wollen
Sie denn wirklich diese Skandalgeschichten, die Lord
Denning zu dieser Aussage veranlaßt haben, in
einen Vergleich setzen zu der ernsten Besorgnis, die
in allen Parteien dieses Hauses vorhanden ist
gegenüber dem, was das Verfassungsschutzamt ge-
macht hat?
(Beifall bei der SPD.)
Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) : Ich teile jede ernste
Besorgnis mit jedem ernst Besorgten in diesem
Hause.
(Zuruf von der SPD: Anscheinend nicht!)
— Doch, sehr geehrter Herr Kollege. Ich wende mich
nur dagegen, daß Dinge, die auf dem Markt zum
Marktwert verkauft worden sind, hier ernst genom-
men werden, als ob sie aus Verantwortungsbewußt-
sein geschrieben seien.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Wenn Sie mich schon darauf ansprechen: Eber-
hard Stammler, Mitglied der freiwilligen Sdlbstkon-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6013
Dr. h. c. Gilde
fAl
' trolle der Illustrierten, hat vor anderthalb Jahren
einmal ein Gespräch wiedergegeben, das er mit
einem der Matadore der deutschen Illustrierten
hatte; ich weiß nicht, wer es war.
(Zuruf von der SPD: Der Kollege Bucerius!)
— • Es ist mir an sich gleich, ob es Bucerius oder
sonst jemand ist; ich glaube nicht, daß Stammler
Bucerius als einen der Matadore der deutschen
Illustrierten bezeichnet. Der Mann hatte ihm zur
Antwort gegeben — ich zitiere jetzt aus dem Ge-
dächtnis, aber wenn es Sie ganz arg interessiert,
kann ich es auch irgendwo sudien und vorlesen — :
„Verantwortung? — Ich habe keine Verantwortung
zu tragen. Ich produziere eine Ware, die der Markt
verlangt. Meine Aufgabe ist es, die Bedürfnisse zu
befriedigen mit einer reellen Ware, die ich zu
erwecken verstanden habe." Das ist der Markt.
Ich sehe in diesen Affären und in allen anderen
die Versuchung für die Opposition und für alle,
die vielleicht halb mit opponieren möchten, groß
im Aufwind einer solchen Marktbewegung zu
segeln.
(Zuruf von der SPD; Hoi! — Abg. Wehner:
Allerhand!)
— Natürlich ist es allerhand, Herr Wehner. Ich
sage es ja deswegen, weil es allerhand ist. Ich sage:
die Versuchung ist groß, im Aufwind einer solchen
Marktbewegung zu segeln. Warum ist eine solche
Ware marktgängig? Weil es attraktiv ist, gegen
den Staat zu argumentieren.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner:
Sehr interessant! Will uns das der Herr
Staatsanwalt auch noch anhängen?)
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sänger? — •
Bitte!
Sänger (SPD): Herr Kollege Güde, da Sie von der
Marktgänjgigkeit von Äußerungen sprechen, darf ich
Sie fragen: Wenn ein amtierender Bundesminister
sagt, die Beamten des Verfassungsschutzamtes könn-
ten nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz
unter dem Arm herumlaufen, finden Sie nicht, daß
das edne marktgängige Äußerung ist, die die Presse
geradezu provoziert?
(Beifall bei der SPD.)
Dr. h. c. Glide (CDU/CSU): Es ist eine aus der
bayerischen Sprache, aus dem bayerischen Sprach-
gebrauch,
(Lachen bei der SPD)
leicht zu verstehende saloppe Äußerung, die zweifel-
los nicht geeignet und nicht bestimmt war, publiziert
zu werden.
(Lachen bei der SPD. — Äbg. Wehner: Äch
so, dann soll er hier § 51 kriegen oder so
was!)
— Herr Kollege Wehner, ich würde, doch die Gren-
zen einhalten, die einzuhalten diesem Hause an-
steht.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
der SPD.)
— Nein, meine Damen und Herren! Ich bringe den
Gedanken zu Ende, ob er Sie ärgert oder nicht.
Natürlich ärgert er Sie. Die Versuchung ist groß,
wenn eine Hexenjagd gegen einen bestimmten
Mann, gegen einen Minister von gewissen Trägern
der öffentlichen Meinung, vom „Souterrain" der
Illustrierten und Magazine — vom „Souterrain"
sage ich mit Ädolf Ärndt — entfesselt wird, in ihrem
Aufwind zu segeln. Ob das Ihnen bekommt, meine
Damen und Herren von der Opposition, das müssen
Sie sich angesichts des letzten Sonntags selber über-
legen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen und
Zurufe von der SPD.)
— Ich habe mich auch redlich gemüht, zum Erfolg
meiner Partei im Wahlkarnpf Baden-Württemberg
zu reden.
(Abg. Wehner: Dabei scheinen Sie ziemlich
tief unten gewesen zu sein!)
— Tief unten?
(Abg. Wehner: Ziemlich tief unten!)
— Wenn Sie mit „unten" den Süden bezeichnen
wollen, .ist das wahr: ich bin bis an die Schweizer
Grenze gekommen. Wenn es „unten" im anderen
Sinne war, dann lag da unten ganz reichlich di^
Frucht (dessen, was Sie an solcher Propaganda aus-
gesät haben.
(Beifall bei der CDU/GSU. — Abg. Wehner:
Können Sie nehmen, wie Sie wollen, Herr
Staatsanwalt!)
überlegen Sie es sich bitte selber! Ich sage gar
nichts weiter. Da Sie ja vermutlich die Wahl vom
letzten Sonntag sorgfältig analysieren, werden Sie
sich das auch überlegen.
Jedenfalls, das Ergebnis dieses Untersuchungs-
ausschusses sollte man ganz sachlich und loyal zu-
sammenzufassen versuchen: Es bleibt kein ernst-
licher Vorwurf gegen den Innenminister.
(Zuruf von der SPD: Sehr schön!)
— Ich habe den Ausschußbericht sachlich mitberaten
und ihm zujgestimmt und sage auf Grund dieses
Ausschußberichts: Es bleibt kein ernstlicher Vor-
wurf gegen den Innenminister, gegen diesen Innen-
minister ganz bestimmt nicht. Alle strukturellen
Unebenheiten, die sich im Laufe der dreifachen
Untersuchung — Kleine Kommission, Untersuchungs-
ausschuß, Silberstein-iBericht — - vorgefunden haben,
sind auch von dem Minister, von diesem Minister,
so vorgefunden worden. Er hat sie in keiner Weise
geschaffen. Er hat gewisse Dinge nicht geändert,
weil er sie nicht kannte.
(Zuruf von der SPD: Aha! — Abg. Dr.
Schäfer: Jetzt meint er -den Schröder!)
— Ich meine weder noch, sondern ich stelle nur fest,
weil das psychologisch
(Abg. Schoettle: Diese Methode sind wir
seit einer halben Stunde gewöhnt!)
6014
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. h. c. Güde
— Welche Methode?
(Abg. Schoettle: Die Sie gerade anwen-
den! Madien Sie ruhig weiter!)
— Ich madie ruhig weiter, Herr Kollege Schoettle.
Gern mache idi ruhig weiter. Wenn Sie es ärgert,
kann idi nichts dafür.
(Abg. Schoettle: Nein, nein! Sie sind sowie-
so der Berufsreiniger geworden!)
— Was bin ich geworden?
(Abg. Schoettle: Der Berufsreiniger!)
— Wissen Sie, Herr Kollege Schoettle, ich bin unge-
fähr 20 Jahre meines Lebens Staatsanwalt gewesen.
(Zurufe von der SPD.)
Warum gönnen Sie mir nicht auch mal den Genuß,
gegen die Staatsanwälte zu plädieren, die Sie in
diesem Fall sein wollen? Sie müssen das doch ver-
stehen. Sie wollen anklagen, und ich verteidige
einstweilen.
(Abg. Wehner: Fauler Witz! — Abg.
Sdioettle: Wir wollen gar nicht anklagen!
Wir wollen bloß nicht, daß Sie den Spieß
' umkehren! Das ist offenbar Ihre Absicht!
— Beifall bei der SPD.)
— Nein!
Meine Damen und Herren, es ist vorhin schon ge-
sagt worden: In der Frage der allgemeinen Auf-
sicht — die zweifellos nicht vollkommen war, wie
jgj sich ja zeigt —
(Zuruf von der SPD: Kein Wort zur Sache
bis jetzt!)
kann sich das Ministerium — nicht bloß dieser Mini-
ster, sondern das Ministerium — seit Jahren auf den
Bericht des John- Ausschusses und den Beschluß die-
ses Parlaments berufen, die nur eine Kontrolle und
nicht leitende Aufsicht empfohlen haben.
(Abg. Dr. Schäfer: Aber Kontrolle!)
— Gewiß. Ich sage auch nicht, daß ich den Zustand
für sehr glücklich halte, bei dem sich ergeben hat,
daß etwas, was ich für wohl wichtig gehalten habe,
nämlich diese Beziehung zu den Alliierten, dem
Ministerium und dem Minister unbekannt blieb.
Wenn das einem am wenigsten vorzuwerfen ist,
dann dem Minister. Wenn man erklären will, warum
zu Beginn einige widersprüchliche Erklärungen,
nicht ganz konforme Erklärungen herausgekommen
sind, dann muß man sich zunächst einmal klar-
machen, daß dieser Minister da überhaupt erst ins
Bewußtsein bekam, was da existierte, und das ist
keineswegs besonders zu begrüßen. Aber Sie kön-
nen das ja weiter ausschlachten. Mir kommt es dar-
auf noch nicht einmal so sehr an.
Worauf es mir ankommt, ist, daß die Behauptung,
hier sei die Verfassung gebrochen worden, ganz ent-
schieden beweislos geblieben ist. Nein, sie ist nicht
wahr. Die Verfassung ist weder subjektiv noch ob-
jektiv gebrochen worden, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des
Abg. Dr. Schäfer.)
— Ach was, Herr Kollege Dr. Schäfer.
(Abg. Dr. Schäfer: Urteile des Bundesver-
fassungsgerichts interessieren Sie ja nicht!)
— Nein, weil ich offengestanden gar nicht kapiert
habe, was Sie mit der Entscheidung aus dem dritten
Band genau zum Thema Verfassungsbruch des Ver-
fassungsschutzes sagen wollten. Das habe ich leider
nicht begriffen. Ich stelle bloß fest: Wenn in dieser
Materie ein Verfassungsbruch läge, dann hätten
nicht nur der Bund, das Bundesinnenministerium
und das Bundesamt für Verfassungsschutz, dann
hätten auch die Länder und die Landesämter für
Verfassungsschutz und Ihre Herren samt mir in den
Beschlüssen der Kleinen Kommission die Verfassung
gebrochen, selbst wir im Untersuchungsausschuß.
Denn wir haben doch alle eingesehen — und daran
soll man nicht mäkeln, das soll man in Gottes Na-
men im Raum stehen lassen — , daß das Abhör recht
der Alliierten in einem extrakonstitutionellen Raum
steht. Es ist begründet außerhalb der Verfassung
und hat Geltung unabhängig von der Verfassung.
^Niemand beklagt diesen Zustand mehr als wir und
ich, niemand beklagt mehr diese Diskrepanz zwi-
schen zwei Rechtsgrundlagen. In dieser Diskrepanz
ist diese Praxis des Abhörens entstanden. Ich er-
innere Sie an sehr einleuchtende Ausführungen des
Silberstein-Berichts, der sagt: Wenn diese Praxis
von den Deutschen etwa verweigert worden wäre,
dann wäre die Folge, daß die Alliierten wie in den
ersten Jahren sehr viel breitere, eigene Sicherheits-
behörden halten müßten.
(Abg. Dr. Schäfer: Ich habe das dort nicht
gelesen!)
— Ich zeige es Ihnen nachher, Herr Schäfer.
(Abg. Dr. Schäfer: Den dürfen Sie doch nicht
zitieren, der ist doch geheim! — Zuruf des
Abg. Wehner.)
— Entschuldigen Sie, ich würde gern zuhören, Herr
Wehner. Aber da muß ich vorher still sein, damit
ich Sie verstehen kann.
(Abg. Wehner: Ich frage, wie Sie den Be-
richt hier zitieren können gegenüber
Leuten, die ihn nicht lesen konnten und
durften!)
t — Ich habe zu Herrn Schmitt- Vockenhausen gespro-
chen, der ihn kennt, und habe ein Argument ver-
wendet, das jedem einleuchten muß: daß hier eine
Lücke so oder so ausgefüllt werden muß.
Nein, meine Damen und Herren, es kann auf
Grund dieser (Untersuchung niemand mit gutem
Gewissen sagen, hier sei ein Verfassungsbruch
begangen worden, und trotz aller Unebenheiten
und teilweiser Mißstände sage ich Ihnen: Das Amt
im ganzen ist in Ordnung. Das Amt ist ordentlich
geführt. Wer das Amt seit Jahren kennt — und
einige von Ihnen müssen es von anderer Seite her
ebenso gut kennengelernt haben wie ich — , muß
zugeben, daß das Amt als solches in Ordnung ist.
Ein Nachrichtendienst läßt sich nicht mit einer ge-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6015
Dr. h. c. Güde
wöhnlidien Verwaltungsbehörde vergleichen. Die
Spione haben, glaube ich, keine Dienstvorschriften,
(Heiterkeit bei der CDU/CSU)
und die Spionageabwehr — —
(Abg. Sänger: Gestatten Sie eine Zwischen-
frage?)
Dr. h.c. Güde . (CDU/CSU): Ja, Herr Kollege
Sänger, wenn es der Herr Präsident erlaubt.
Sänger (SPD): Herr Kollege Güde, würden denn
auch Sie den Weg gehen, den Herr Professor
Süsterhenn vorhin beschriften hat, die Spionage-
oder Nachrichtendienste mit einem Verfassungs-
schutzamt auf die gleiche sachliche Stufe zu stellen?
(Abg. Dr. Süsterhenn: Von gemeinsamen
Zügen habe ich gesprochen!)
(B)
Dr. h.c. Güde (CDU/CSU): Zu den Aufgaben
dieses Verfassungsschutzamtes gehört in der Tat
die Spionageabwehr. Es besteht kein Zweifel daran,
daß in der Abwehr in gewissen Beziehungen eine
Abhängigkeit von der Art des Angreifens besteht.
Das liegt in der Natur der Sache. Ich sage noch ein-
mal: ich glaube nicht, daß die Spione nach Dienst-
vorschriften handeln. Ich erinnere mich zwar jenes
Buchtitels von C. S. Lewis: „Dienstanweisung für
einen Unterteufel", aber ich glaube nicht, daß die
gegnerischen Nachrichtendienste Dienstanweisungen
für Unterteufel erfunden haben. In einem gewissen
Spielraum des Operativen und Taktischen reicht
man mit Dienstvorschriften nicht bis ins letzte, wo-
bei ich Ihnen zugebe — auch wenn Sie mich danach
jetzt gerade fragen wollen; nein. Sie tun es nicht — :
Registratur, Aktenbehandlung, das gehört also auch
bei einem Verfassungsschutz so sorgfältig geregelt,
wie es möglich ist. Da war nicht alles so, wie es
sein sollte, akzeptiert, was Herr Kollege Busse
sagte, und wir versuchen, es besser zu machen.
Der Innenminister war jederzeit, in der Kleinen
Kommission schon, bereit, alles auf den Tisch des
Hauses zu legen und jeder vernünftigen Anregung
nachzugeben. Aber das sind sozusagen bürokra-
tische Dinge, um die sich der Politiker, auf den
allein Sie schauen, Herr Kollege Mommer, gar nicht
so sehr kümmern sollte. Man kann umgekehrt
sagen: Dieses Amt ist nun dreimal durchleuchtet
worden, einmal von der Kleinen Kommission, ein-
mal von Silberstein und einmal vom Untersuchungs-
ausschuß. Dafür hat es bei Gott gar nicht schlecht
bestanden.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Das muß man einmal ganz sachlich sehen und hin-
nehmen.
Es wäre gut, meine Damen und Herren, wenn wir
tatsächlich unter diese ganze Affäre nun den Strich
der Gelassenheit tun würden, der Gelassenheit, wo-
bei ich durchaus einig bin mit den drei Anträgen,
die anzunehmen der Ausschuß dem Hause vor-
schlägt, auch mit dem auf parlamentarische Kon-
trolle für den ganzen Bereich des Nachrichtendien-
stes. Das kann lediglich zur Entlastung, zur politi-
schen Entlastung, wie Figura zeigt, auch des Mini- ^ ^
Sters dienen und liegt durchaus im Sinne einer par-
lamentarischen Demokratie.
Nein, meine Damen und Herren, seien wir gelas-
sen und ehrlich. Das, was Sie sicher ehrlich befürch-
tet haben, was auch mancher von uns befürchtet hat,
war gar nicht wahr, nämlich daß das im extrakonsti-
tutionellen Raum entstandene Abhörrecht der Alli-
ierten von deutschen Dienststellen mißbraucht wor-
den sei. Es ist nicht mißbraucht worden. Der Verfas-
sungsbruch, der so plakatiert worden ist, lag nicht
vor, und damit sollte sich die politische Seite der
Angelegenheit in der Tat erledigt haben.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Wagner.
Wagner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Am 26. März dieses
Jahres gab die Bundesanwaltschaft die Aushebung
eines kommunistischen Agentenringes bekannt. Er
sollte über politische Agitation und über Spionage
hinaus im Falle eines drohenden Krieges auch durch
Sabotageakte ein Chaos in der Zivilbevölkerung
hervorrufen. Zwei Tage zuvor hat der der SPD an-
gehörende Hamburger Innensenator Schmidt vor
der Presse berichtet, die verbotene KPD unterhalte
in 300 Betrieben Betriebsgruppen oder Stützpunkte,
von denen fast 100 zu Unternehmen gehörten, die
geheimhaltungsbedürftige Aufträge für die Landes-
verteidigung ausführen.
Am 6. März 1964 warnte der niedersächsische
Innenminister die Öffentlichkeit vor einer verstärk-
ten Tätigkeit von Ostagenten, die er auf über 10 000
schätzte. Sie können nun sagen: „Das gehört nicht
zum Thema dieses Untersuchungsausschusses", und
Sie haben recht damit, denn seit Wochen sitzen ja
nicht die Agenten und Spione auf der Anklagebank,
sondern seit Wochen saßen die Männer des Ver-
fassungschutzes auf der Anklagebank, die sich eben
der Abwehr dieser kommunistischen Unterhöhlung
und Zersetzung verschrieben hatten.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Aber zugehört haben ihnen die Agenten, und ich
bin der Meinung, ,sie haben dies nicht ohne Freude
getan.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Ich will mich an dieser Stelle gar nicht sehr breit
mit dem Sprecher des SPD-Vorstandes beschäftigen,
der es damals am Beginn dieser Auseinandersetzun-
gen unerhört fand, daß der deutsche Verfassungs-
schutz die Allierten auch bei der Bekämpfung links-
radikaler Elemente eingeschaltet habe, der sich da-
mals darüber mokierte, daß 400 000 amerikanische
Soldaten mit Panzern und Atomwaffen sich — wie
es hieß — vor kommunistischen Flugblattverteilern
fürchten sollten. Ich .glaube und ich weiß, daß die
SPD in diesem Punkt in der Zwischenzeit ihre Mei-
nung gründlich geändert hat. Ich möchte aber die
6016
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Wagner
Frage hier wiederholen, ob es notwendig war, dieses
Schauspiel der deutschen Öffentlichkeit zu zeigen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich sagte soeben „Schauspiel", und ich bleibe da-
bei. Nicht daß die Mitglieder des Untersuchungsaus-
schusses sich nicht redlich um eine sachliche Klärung
der Vorwürfe bemüht hätten; sie haben das nach
besten Kräften und korrekt getan. Aber eine be-
stimmte Sensationspresse hat doch immer und immer
wieder den Versuch gemacht, diesen Untersuchungs-
ausschuß zur Bühne eines Reißers ^ — so möchte ich es
einmal nennen — zu erniedrigen. Erinnern Sie sich
an die Schlagzeilen, die damals erschienen sind mit
der Vernehmung des Zeugen Patsch: „Jeder Belie-
bige kann abhören", oder, Herr Kollege Dr. Schäfer,
erinnern Sie sich an die Schlagzeilen, üie im Zusam-
menhang mit Ihrer Mitteilung im „Panorama" ent-
standen isind, hier in diesem Hause habe eine Ab-
höranlage bestanden.
(Abg. Dr. Schäfer: Das war keine Mit-
teilung von mir! — Bitte, drehen Sie nicht
um! Sie wissen es ganz genau! Sie waren
im Ältestenrat dabei!)
— Herr Kollege Schäfer
(Abg. Dr. Schäfer: Ich bin erstaunt, daß Sie
nicht korrekt die Wahrheit sagen!)
— Herr Kollege Schäfer, Sie haben, das weiß ich,
in einer ganzen Reihe von Versammlungen den
Brief, den der Herr Bundestagspräsident an Sie ge-
schrieben hat, zitiert und erwähnt.
(Abg. Dr. Schäfer: Nein, den habe ich ver-
öffentlicht!)
Aber dch bin bis heute nicht darauf gekommen, wie
Sie eigentlich folgende zwei Fragen beantworten
wollen: auf Grund welcher Informationen Sie seiner-
zeit zu dieser Aussage gegenüber „Panorama"
kamen,
(Sehr gut! bei der CDU/CSU)
und vor allem warum Sie die Mitteilung in dieser
Form Weitergaben und nicht in erster Linie dieses
Haus oder den Präsidenten dieses Hauses informiert
haben.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage? — Bitte!
Dr. Schäfer (SPD): Herr Abgeordneter Wagner,
halten Sie es für korrekt und mit Ihrem Gewissen
vereinbar,
(Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU)
hier Dinge wiederzugeben, die Sie aus der Sitzung
des Ältestenrates ganz genau wissen? Sie wissen,
daß ich den stellvertretenden Direktor des Bundes-
tages darüber informiert habe und wie ich diese
Information bekommen habe.
(Erregte Zurufe von der CDU/CSU; Wann?)
— Das habe ich dem Ältestenrat alles dargelegt, und
ich habe genauso im Ältestenrat dargelegt, daß ich
fC)
nichts weitergegeben habe, sondern gefragt worden ^ ^
bin.
(Lachen bei der CDU/CSU.)
Wagner (CDU/CSU): Her Kollege Dr. Schäfer,
ich habe Ihnen keine Vorschrift zu machen, wie Sie
eine solche Kenntnis oder vermeintliche Kenntnis
verwerten. Aber ich bin persönlich der Auffassung:
es wäre zweckmäßiger gewesen, die Stichhaltigkeit
einer solchen Behauptung hier im Hause unter-
suchen zu lassen und das Ergebnis abzuwarten, ehe
eine Mitteilung an die Öffentlichkeit gegeben wurde.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Zu-
rufe von der SPD.)
Zurück zum Thema. Wo in aller Welt werden denn
so heikle Themen wie Spionage, umstürzlerische
Bestrebungen, Spionagebekämpfung iSO wie hier in
aller Öffentlichkeit behandelt? Als im Oktober 1963,
zur gleichen Zeit also, da hier in der Bundesrepublik
die Auseinandersetzung über dieses Thema begann,
im kanadischen Unterhaus die Frage gestellt wurde,
ob irgendeine Behörde der Regierung Einrichtungen
habe, die zum Abhören von Telefongesprächen be-
nutzt würden, sagte der liberale Minister Pickergill:
„Es war die Politik dieser Regierung und der frühe-
ren Regierung, die Beantwortung von Fragen dieser
Art abzulehnen, da sie dem öffentlichen Interesse
entgegenstehen. "
(Zuruf von der SPD.)
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion
hat aus dem gleichen Grunde vor der Bildung eines (I^)
Untersuchungsausschusses gewarnt — nicht weil wir
etwas verschleiern wollten oder weil wir an einer
Aufklärung nicht interessiert gewesen wären, son-
dern weil wir der Meinung waren, daß die Vorwürfe
. ebensogut in der Kleinen Kommission und durch die
Untersuchung einer unabhängigen Persönlichkeit
hätten geklärt werden können, ohne daß so viel
Porzellan zerschlagen worden wäre.
(Beifall in der Mitte.)
Das hätte mit weniger Aufwand, mit weniger Spek-
takel, mit weniger Schaden für den Verfassungs-
schutz und mit weniger Schaden für die Zusammen-
arbeit mit unseren Verbündeten geschehen können.
Darüber hinaus bin ich der Meinung, daß wir
wahrscheinlich auch eher zu gemeinsamen Über-
legungen gekommen wären, wie noch bestehende
Rechtsunklarheiten oder Lücken in unserer Gesetz-
gebung — ich erinnere beispielsweise an dais Aus-
führungsgesetz zu Art. 10 des Grundgesetzes — be-
seitigt werden könnten, wenn die Kleine Kommis-
sion ihre Arbeit fortgesetzt hätte. In ihr saßen die
Vorsitzenden der Fraktionen dieses Hauses.
An dieser Stelle bin ich versucht, vom eigent-
lichen Thema abzuweichen und zu fragen: Haben
sich die Untersuchungsausschüsse in der Praxis bis-
her wirklich bewährt? Ist nicht vielmehr durch zu
häufige Strapazierung eine im Prinzip gute Einrich-
tung zum parteipolitischen Kampfinstrument gewor-
den?
(Zurufe von der SPD.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6017
Wagner
(A) Wird nicht bei solchen Untersuchungen dem demo-
kratischen Gedanken in unserem Volk eigentlich
geschadet? Ich meine, wir alle sollten uns einmal
diese Fragen ernsthaft stellen und nach einer Ant-
wort darauf suchen. Bei dieser Diskussion sollten
auch diejenigen mitwirk en, die es schon einmal
miterlebt haben, wie eine Demokratie in Deutsch-
land Schaden nahm durch den Kampf mit sogenann-
ten Affairen.
(Beifall in der Mitte. — Zuruf von der SPD;
Ermächtigungsgesetz!)
Ich wiederhole: das positive Ergebnis des Unter-
suchungsausschusses hätte auch ohne diese Einrich-
tung erzielt werden können. Dazu noch ein paar
Bemerkungen. Lange bevor der Bericht des Unter-
suchungsausschusses vorlag, hatte Bundesinnenmi-
nister Höcherl für klare Anweisungen im Verfas-
sungsschutzamt gesorgt. Bevor überhaupt jemand
die Frage einer verstärkten parlamentarischen Kon-
trolle aussprach, war er es, der vor der Kleinen
Kommission genau diese zusätzliche Sicherung vor-
schlug. Während dieses Hohe Haus noch darüber
berät, ob und welche personellen Konsequenzen
aus dem Ergebnis der Untersuchung gezogen wer-
den sollen, hat der Bundesinnenminister schon ohne
großes Aufheben gewisse notwendige Veränderun-
gen vorgenommen oder vorbereitet. Schließlich
hätte es genausowenig eines Untersuchungsaus-
schusses bedurft, um ein Gesetz zur Einschränkung
des Post- und Fernmeldegeheimnisses vorzulegen,
das in seinem demokratischen Charakter seines-
gleichen sucht.
Aber nehmen wir einmal an, der Untersuchungs-
ausschuß hätte das nun alles durch sein Verfahren
und durch seine Arbeit beschleunigt. Ist es diese
Beschleunigung wert, daß so viel Porzellan zer-
schlagen wurde? Ich meine, es ist mehr Porzellan
zerschlagen worden, als unserem demokratischen
Staat guttut. Auch hier wäre ich versucht zu fragen,
ob es einer Demokratie frommt, wenn man versucht,
den guten Ruf eines Ministers, wenn schon nicht
bösartig, so doch zumindest leichtfertig, zu ruinie-
ren.
(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)
Ich denke dabei insbesondere beispielsweise an
einen Chefredakteur, der in einer klaren Verfäl-
schung der Wahrheit den Bundesinnenminister
einen Lügner nannte, ihn mit Fouche auf eine Stufe
stellte, ja sogar das unselige Gespenst Himmlers
beschwor, um ihn in den Augen seiner Leser abzu-
werten.
(Zuruf von der SPD: Warum verklagt er
ihn nicht?
Meine Damen und Herren, es war allerdings der
gleiche Chefredakteur, der diese sogenannte Affäre
mit eingefädelt hat, der von sich aus einen Unter-
suchungsausschuß forderte, dann allerdings seine
Bereitschaft erklärte, auf jede Untersuchung zu ver-
zichten, wenn der Bundeskanzler den Bundesinnen-
minister dahin zurückschickte, woher er käme, näm-
lich in das schöne Brennberg in der Oberpfalz. Diese
Bemerkung beweist doch, daß es diesem Mann gar
nicht so sehr um Fragen der Rechtsstaatlichkeit, um
Fragen der Sauberkeit ging, sondern um die Per-
son dieses Ministers.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
der SPD.)
Ich glaube nicht, daß unser demokratischer Staat
schon so fest gefügt ist, daß wir uns in reichem
Maße einen solchen politischen Stil leisten können,
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Ich meine, es wäre auch eindrucksvoll gewesen,
wenn gewisse Kollegen in diesem Hause, die bei
anderer Gelegenheit immer wieder die politische
Fairneß und den guten politischen Stil beschwören,
auch einmal einen politischen Gegner vor solch
infamen Beschimpfungen in Schutz genommen hät-
ten.
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
Schäfer: Herr Wagner, das hat doch der
Untersuchungsausschuß im Endergebnis
getan!)
— Herr Kollege Schäfer, die Debatte hat viel länger
gedauert, und ich kann mich daran erinnern, daß
manchmal Organe Ihrer Partei diese Dinge zwar
nicht völlig übernommen, sie aber doch zitiert
haben.
Aber ich meine mit dem „Zerbrechen von Porzel-
lan" vor allem jenes Porzellan, das im Verfassungs-
schutz selbst zerschlagen worden ist. Niemand,
möchte ich sagen, wollte das bewußt in diesem
Hause; davon bin ich fest überzeugt. Aber die
Welle, die mit dieser Untersuchung über die deut- P)
sehe Öffentlichkeit hinwegging, hat, wennschon
nicht den Verfassungsschutz zerschlagen, so doch
seine Arbeit auf bestimmte Zeit ernsthaft gelähmt.
(Widerspruch bei der SPD.)
Denken Sie einmal an das Bild, das zwar einzelne,
aber einflußreiche Publikationsorgane von unserem
Verfassungsschutz gemalt haben. Es war doch das
Zerrbild des Schnüfflers, des gesetzlosen Gesellen,
der scheinbar aus persönlicher Neugier, vielleicht
auch unter Mißbrauch seiner Befugnisse, zum Kampf
gegen mißliebige politische Gegner mit verwerf-
lichen Methoden in dte Privatsphäre harmloser Bür-
ger mit einbrach. Es war zumindest — wie es ein-
mal ein Kollege im Hause ausdrückte; ich glaube,
es war Kollege Schmitt- Vockenhausen — ein „frisch-
fröhlicher Betrieb", der da im Verfassungsschutz ge-
herrscht haben soll. Oder nehmen Sie nur einmal
die Kommentare, die zum Ausschußbericht selbst
gegeben worden sind. Wie viele ziehen aus der For-
mulierung, daß ein Mißbrauch nicht festgestellt
wurde, daß ein Mißbrauch aber nicht ausgeschlos-
sen werden kann, die Folgerung: Also konnte Miß-
brauch stattfinden und hat Mißbrauch stattgefunden.
(Abg. Dr. Schäfer: Sie haben doch zuge-
stimmt!)
Und wieviel hämische Kommentare sind doch an
die Feststellung geknüpft worden, Unterlagen im
Verfassungsschutzamt seien gelegentlich auch ohne
die übliche Vernichtungs Verhandlung vernichtet
worden.
6018
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Wagner
Da behauptet beispielsweise die Gewerkschafts-
zeitung „Metall", im Bundesamt für Verfassungs-
schutz seien nach Einleitung der parlamentarischen
Untersuchung schnell noch Akten beseitigt worden,
eine Behauptung, die verständlicherweise von Nach-
richtenagenturen der Sowjetzone gern übernommen
wurde.
Ein Mißbrauch, meine Damen und Herren, ist nie-
mals ausgeschlossen, bei keiner Behörde, durch
keine Dienstvorschrift und auch nicht durch streng-
ste Aufsicht. Aber wer aus der genannten Formu-
lierung automatisch das Schlimmste ableitet, der
unterstellt doch, daß unsere Verfassungsschützer —
ich möchte einmal sagen — halbe Ganoven siiid, und
nicht Männer, die für eine gute Sache kämpfen, und
zwar mit großem Eifer. Wie kann man erwarten,
daß diese Männer mit vollem Herzen diese Auf-
gabe fortführeii, wenn sie sich groteskerweise plötz-
lich auf der Anklagebank sehen müssen!
Meine Damen und Herren, wie soll denn unser
Verfassungsschutz eigentlich erfolgreich arbeiten
können, wenn man das Vertrauen zu ihm in der
deutschen Bevölkerung zerstört! Er ist doch auf die
Mitarbeit und Mithilfe des Bürgers angewiesen, um
die Feinde des Staates, die Feinde der Verfassung
erfolgreich abwehren zu können. Denken Sie einmal
an die Popularität, an das Ansehen, das beispiels-
weise FBI in den Vereinigten Staaten oder Secret
Service in England genießt.
(B)
Der einfache Mann verfolgt das Ergebnis solcher
Untersuchungen nicht in allen Einzelheiten. Bei ihm
bleibt das Bild haften, das in einer grotesken Ver-
zerrung über den Verfassungsschutz entworfen
wurde,
(Zurufe von der SPD)
und ich meine, auch mit durch Ihre Schuld, meine
Kollegen von der Opposition.
(Abg. Dr. Schäfer: Wer gab den Anlaß?)
Sicher, der deutsche Bundesbürger muß davor ge-
schützt werden, daß irgend jemand ohne Not in
seine Freiheitssphäre eindringt ; auch der Verfas-
sungsschutz darf es nicht. Dafür müssen Sicherungen
vorhanden sein. Solche Sicherungen wurden einge-
baut. Aber die Freiheit des einzelnen ist, glaube ich,
z. B. doch noch mehr durch jenes kommunistische
System bedroht, das ich am Anfang skizziert habe,
das sich den Umsturz in der Bundesrepublik, die
Vernichtung der Demokratie und damit auch die
Zerstörung der Grundfreiheiten zum Ziele gesetzt
hat. Ich meine, ein Staat, der in Überspitzung der
Freiheitssphäre des einzelnen auf einen Kampf ge-
gen die eigentlichen Feinde der Freiheit verzichten
wollte, muß zugrunde gehen.
Ich glaube, die heutige Debatte wäre umsonst,
wenn wir nicht auch auf diese Tatsache hinwiesen;
sie wäre verfehlt, wenn wir nicht an dieser Stelle
dem deutschen Verfassungsschutz Dank für seine
aufopferungsvolle Arbeit sagen würden.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
für einen energischen Kampf gegen ein Heer von
Agenten und Staatsfeinden, die sich ganz anderer
Methoden bedienen als derjenigen, die „Super-
demokraten" bei uns dem Verfassungsschutz zum
Vorwurf machen.
Meine Damen und Herren, wir sollten nicht nur
überlegen, welche Sicherungen eingebaut werden
müssen, damit der Verfassungsschutz seine Grenzen
nicht überschreitet. Wir sollten uns im eigenen
Interesse erst recht den Kopf darüber zerbrechen,
wie wir diesem Verfassungsschutz helfen können,
uns und diesen Staat zu schützen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
der SPD.)
Noch eine abschließende Bemerkung zum Ände-
rungsantrag der Fraktion der SPD, der zu dem An-
trag des 2. Untersuchungsausschusses gestellt ist.
Ich gestehe, ich bin etwas sonderbar davon berührt,
daß Sie, meine Damen und Herren, diesen Ände-
rungsantrag hier bei der Aussprache im Plenum vor-
legen und daß Sie diese Formulierungen nicht be-
reits anläßlich der Schlußberatung im Untersuchungs-
ausschuß zum Antrag erhoben haben. Ich kenne Ihre
Gründe nicht; aber es drängt sich die Vermutung
auf, daß Sie gar nicht wollten, daß man sich mit
Ihren Argumenten in allen Einzelheiten auseinan-
dersetzt.
Zu der Nr. 4 eine Bemerkung: Haben Sie einmal
den John-Ausschuß-Bericht damit verglichen? Dort
ist von diesem Parlament weitgehend ein Hinweis
gerade auf diese Art der Arbeitsführung gegeben
worden.
Zu dem zweiten Punkt, dem Vorwurf gegen den
Bundesinnenminister, hat mein Kollege Dr. Güde
bereits ausführlich Stellung genommen. Ich brauche
dazu nichts mehr weiter zu sagen. Wir haben Ver-
trauen zu diesem Bundesinnenminister.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren, wir werden den Ände-
rungsantrag der Fraktion der SPD ablehnen. Die
CDU/CSU-Fraktion wird dem Antrag des Ausschus-
ses die Zustimmung geben.
(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord-
neten der FDP.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Kohut.
(Lachen und Zurufe von der Mitte: Ach, ach!)
Dr. Kohut (FDP): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Zunächst danke ich Ihnen, möine lieben
Kollegen von der CDU/CSU, für den Beifall, mit dem
Sie mich empfangen haben.
(Heiteiikeit.)
Ich muß weiter sagen, daß ich nicht im Aufträge
meiner Fraktion spreche, sondern aus eigenem Ent-
schluß.
(Zuruf von der ODU/OSU: Dachte ich mir!)
Ich kann leider nicht, wie Herr Dr. Güde empfoh-
len hat, einen Strich der Gelassenheit unter eine
Affäre ziehen, die mich aufs tiefste erschüttert hat.
(Rufe: Oho! bei der CDU/GSU.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6019
Dr. Kohut
Ich bin 1945 politisch tätig geworden, weil ich
gliahbte, nach idem Zusammenibriudi des Reiches mit-
helfen zu können, eine Demokratie aufzuhauen, die
einen Rechtsstaat darstellt, in der die -Fehler der
Vergangenheit nach Möglichkeit vermieden werden,
eine Demokratie, in der sich jeder Staatsbürger
wohlfühlt.
Wenn ich mich jetzt umschaue, sind wir auf dem
besten Wege, restaurative iBestrebungen zu ent-
wickeln.
(Beifall bei der SPD. — Unruhe bei der
■CDU/CSU.)
Ich hörte hier mehrfach das Hohelied des Verfas-
sungsschutzes. Ich kann nur feststellen, daß erst
nach Zusammentritt des Untersuchungsausschusses
die SS-Leute aus dem Verfassungsschutz entfernt
wurden, die offenbar als bewährte Fachleute die
ersten Aufgaben zu lösen hatten. Das ist für einen
Mann mit demokratischem Empfinden, der die
N-azi'S haßte, tatsächlich die richtige Mannschaft im
Verfassungsschutz. Das muß mian hören. Sie sind in
der Mehrzahl an das Oberverwaltungsgericht nach
Köln gekommen, wo ja im wesentlichen Wiedergut-
machungssachen betrieben werden. Hoffentlich ist
man — nachdem man nicht taktvoll genug war und
sie in den Verfassungsschutz holte — so taktvoll,
’ sie wenigstens nicht mit Wiedergutmachungssachen
zu beschäftigen. Das ist das eine, -was ich wenigstens
von diesem Innenminister zu ei^hofiten wage, wenn
er noch bleibt.
(Abg. iSchoettle: Er bleibt!)
(B)
Meine Damen und Herren, wie bedeutend diese
Debatte ist, geht schon damus hervor, daß sich
wedier der Herr Bundeskanzler noch der Herr Vize-
kanzler hier sehen lassen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Weil sie nach
Berlin müssen!)
Offenbar sind Fragen, die die bürgerlichen Freihei-
ten betreffen, nicht so interessant wie andere Dinge,
für die man da ist.
Ich bin auch der Meinung, nachdem der Unter-
suchungsausschuß so hervorragend zusa-mmenge-
arbeitet haben soll, daß die CDU/GSU alles versucht,
diese Affäre zu vermeidlichen. „Es kreißte ein Berg
und geboren wurde eine Maus". Ich glaube, das ist
doch nur der Versuch, etwas, was hier geschehen ist,
zu bagatellisieren. Es ist einfach nicht zu bagatelli-
sieren. Denn wenn jetzt die deutschen Stellen zur
Räson gebracht werden, wenn sie dazu bewogen
werden, in dem Abhörspiel vorsichtiger zu treten,
so bleibeh immer noch die Alliierten übrig. Gerade
diese Tatsache, daß die alliierten Vorbehalte be-
stehen, beweist uns, daß wir kein souveräner, auto-
nomer Staat sind. Wir sind das Produkt unserer
Besatzungsmächte. Wir sind abhängig, und die so-
genannte Bundesrepublik ist genauso abhängig von
diesen Besatzungsmächten wie die sogenannte
Deutsche -Demokratische Republik.
(Lebhafte Rufe von der CDU/GSU: Pfui! —
Zurufe von der CDU/CSU: Abtreten! —
Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/GSU.)
(C)
— Sie können brüllen, soviel Sie wollen. Ich wollte '
Ihnen das nur einmal sagen, damit Sie die Ab-
hängigkeit smaße erkennen. Hier war der Beweis
geliefert, und das muß man einmial sagen.
(Zurufe von der CDU/GSU: Abtretenl —
Abg. Dr. Stoltenberg: Warum treten Sie
nicht aus der FDP aus? Was wollen Sie
denn noch in der FDP, wenn Sie solche
Reden halten? ■ — Zuruf von der CDU/CSU:
Der sogenannte Kc^hut schmeckt! — Weitere
Zurufe von der CDU/CSU.)
— Ich habe Ihnen nur gesagt, daß die Bundesrepu-
blik nicht so absolut souverän ist
(Zuruf von der CDU/GSU: Sogenannte!)
und daß wir uns nicht 'auf das hohe Pferd setzen
sollten, wenn wir gewisse Fragen behandeln, die die
Einheit Deutschlands betreffen, wozu wir laut
Grundgesetz verpflichtet sind und wozu gerade Ihre
GDU/CSU nicht das geringste tut.
(Erneute lebhafte Rufe von der ODU/OSU:
Pfui!)
Sie gehen alle über Umwege, lassen Sie sich das
gesagt sein. Ich werde demnächst die Gelegenheit
wahrnehmen — heute würde das zu weit gehen — ,
das noch einmal in aller Deutlichkeit nuch von dieser
Stelle aus Ihnen unter die -Nase zu reiben.
(Unruhe bei der GDU/CSU.)
Meine Herren Kollegen, ich habe vorhin bei
Herrn Süsterhenn den Zwischenruf gemacht: In Eng-
land würde ein Minister zurücktreten, in dessen pj
Ressort so etwas passierte, selbst wenn er vollkom-
men unschuldig an der Sache wäre. Bei uns sind
offenbar die Ministersessel mit Klebstoff versehen.
Sie werden nicht zurücktreten, sondern sie werden
gefeiert, wie mein Vorredner sagte: Volles Ver-
trauen zu diesem Minister!
' (Zuruf von der CDU/CSU: Haben wir auch!)
Ich würde mich schämen, wenn mir das passierte.
Und wenn mir hier von dem Vorsitzenden des In-
nenausschusses des Deutschen Bundestages, ich
glaube, beinahe ein dutzendmal attestiert würde,
daß ich zumindest nicht die Wahrheit gesagt habe,
dann würde ich die Dinge aufklären. Entweder
würde ich als Minister gehen, oder ich würde meine
Ministerialbürokratie an die Luft setzen, wenn sie
mich belogen hat. Aber dies alles mit dem Schleier
der konfessionslosen Verschwiegenheit zu ver-
sehen, geht mir über die Hutschnur. Das wollte ich
Ihnen nur gesagt haben als inoffizieller Redner,
nicht als Redner meiner Partei, weil ich mich dazu
verpflichtet fühle.
(Vereinzelter Beifall bei der SPD. — Zu-
rufe von der GDU/GSU: Beifall von links!
— Weitere Zurufe.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Dorn.
Dorn (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Der Herr Kollege Kohut
6020
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dorn
(A) hat von dem Abgeordnetenrecht eines jeden Mit-
glieds dieses Hauses Gebrauch gemacht
(Zurufe von der CDU/CSU: Narrenfreiheit!)
und seine Meinung hier vorgetragen und geäußert.
Er hat dabei Äußerungen getan, die in ihrem sach-
lichen Inhalt von der Fraktion der FDP nicht geteilt
werden können, vor allen Dingen soweit es sich um
die Frage der staatlichen Anerkennung und der
staatlichen Ordnung innerhalb der Bundesrepublik
Deutschland als Staat handelt.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Lassen Sie mich nun zu dem hier anstehenden
Punkt der Tagesordnung noch einiges sagen. Ich
hatte zu Beginn der Behandlung dieses Punktes die
Aufgabe, als Berichterstatter Ihnen etwas vorzutra-
gen, was die einstimmige Billigung im Ausschuß ge-
funden hat. Um so erstaunter, meine Damen und
Herren — das muß ich allerdings in aller Offenheit
hier vortragen — , bin ich über die diversen Aus-
legungen unseres Beschlusses und unserer einstim-
migen Auffassungen im Ausschuß hier im Verlaufe
der Diskussion geworden.
Herr Kollege Süsterhenn hat sich so geäußert —
wenigstens habe ich diesen Eindruck — , als ob man
das mit einer bagatellisierenden Handbewegung er-
läutern könnte und man nur zugestimmt hätte, weil
es sich hier um Fragen des Verfahrens, der büro-
kratischen Ordnungsliebe handelt. Herr Kollege
Süsterhenn, so haben wir die Dinge nicht aufgefaßt,
als wir dem Ausschußbericht unsere Zustimmung
gaben.
(Bj (Beifall bei der FDP und bei der SPD.)
Herr Kollege Wagner hat in seinen Schlußausfüh-
rungen gesagt: Es bedurfte dieses Untersuchungs-
ausschusses nicht, und er hat weiter gesagt, es sei
viel Porzellan zerschlagen worden. Herr Kollege
Wagner, ich vermag der Schlußfolgerung noch der
Begründung zu folgen. Auch Herr Kollege Güde hat
diese Auffassung begründet, daß der Untersuchungs-
ausschuß eigentlich gar nicht nötig war, weil in der
Kleinen Kommission doch schon alles geregelt und
in Ordnung befunden wurde. Meine Damen und
Herren, nach Vorlage des Untersuchungsberichts,
nach den Beratungen im Untersuchungsausschuß
und nach dem, was uns in der Kleinen Kommission
und vorher im Innenausschuß vom Innenminister,
von den zuständigen leitenden Herren des Verfas-
sungsschutzamtes und des Innenministeriums vor-
getragen worden ist, verhält es sich doch nicht so,
wie Sie es hier vortragen. Ich werde Ihnen nachher
noch im einzelnen darlegen müssen — ich bedaure
sehr, daß das jetzt noch erfolgen muß — , daß die
Vorlagen für die Kleine Kommission, daß die Vor-
lagen für die Beratung im Innenausschuß leider in
Wielen Fällen nicht mit den Ergebnissen des Unter-
suchungsausschusses übereinstimmen. Deswegen
war es zwingend notwendig, die Beratungen des
Untersuchungsausschusses durchzuführen, um Klar-
heit und Wahrheit wieder an den Tag zu bringen.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Herr Kollege Wagner hat erklärt, es sei ein Vor-
wurf erhoben worden, als seien die Verfassungs-
schützer sozusagen halbe Ganoven. Herr Kollege
Wagner, niemand von uns im Untersuchungsaus-
schuß — —
(Abg. Wagner: Das habe ich gesagt! Nie-
mand in diesem Hause, habe ich gesagt!)
— Da bin ich eben mit ihnen nicht einer Meinung;
deswegen komme ich jetzt darauf zu sprechen. —
Niemand von uns im Untersuchungsausschuß hat
jemals diese Auffassung vertreten;
(Sehr wahr! von der CDU/CSU)
aber daß diese Auffassung aufkommen konnte, Herr
Kollege Wagner ist in erster Linie die Schuld des
Herrn Innenministers persönlich,
(Beifall bei der SPD.)
der am zweiten Tage der Auseinandersetzung um
dieses Problem nicht nur die Äußerung „mit dem
Grundgesetz unter dem Arm“ machte, sondern auch
wörtlich erklärte: „Es handelt sich hier zum Teil um
Leute, mit denen man nicht zu Abend essen kann.“
(Hört, Hört! und Beifall bei der SPD. —
Abg. Dr. Stoltenberg: Herr Kollege Dorn,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?)
— Bitte sehr!
Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) : Halten Sie es wirk-
lich für fair, obwohl Sie die Umstände kennen, un-
ter denen dieses Gespräch geführt worden ist, ob-
wohl Sie wissen, daß es nicht publiziert ist, so
zu verfahren, nachdem Ihre Fraktion und Ihr Mini-
ster Bücher sich dagegen verwahrt haben, daß ver-
trauliche oder telefonische Gespräche mit Journali-
sten in dieser Form gebraucht werden?
Dorn (FDP): Herr Kollege Stoltenberg, Sie ver-
wechseln hier Ursache und Wirkung.
(Sehr wahr! und Beifall bei der SPD.)
Es kommt hier darauf an, klarzustellen, was sich
abgespielt hat; und daß dieser Eindruck draußen
entstanden ist, ist nun einmal diesem Wort Ihres
Ministers mit zu verdanken. Ob es beabsichtigt war,
daß das in die Presse kam, oder nicht, ist eine Frage,
für deren Beantwortung ich nicht zuständig bin.
Aber leider ist es nun einmal so in der Presse er-
schienen.
Wenn Herr Kollege Güde gesagt hat, der Aus-
schuß habe die Dunstwolke der Verdächtigungen
zerrissen, so folge ich ihm. Natürlich ist vieles von
dem, was an Kombinationen veröffentlicht wurde,
was an Gesprächen geführt wurde, nunmehr wieder
auf den realen Grund der Wirklichkeit zurückge-
führt worden. Dafür, meine ich, sollten wir auch
dankbar sein. Das ging aber nur durch den Unter-
suchungsausschuß; denn mit dem Silberstein-Beridit,
der geheim ist, konnte man das ja nicht erledigen.
(Sehr gut! bei der SPD.)
Ich folge Ihnen, Herr Kollege Güde, allerdings
nicht, wenn Sie sagen, die Versuchung sei groß, im
Aufwind solcher Marktgängigkeiten zu segeln, und
ich folge auch Ihrer Zitierung von Herrn Professor
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6021
Dorn
Eschenburg nicht. Herr Eschenburg ist eigentlich
durch das einstimmige Untersuchungsergebnis ad
absurdum geführt.
(Sehr gut! bei der SPD.)
Ich meine, auch das ist eine Bestätigung unserer
parlamentarischen Aufgabe, die wir, sämtliche Kol-
legen aller Fraktionen, sehr ernst genommen und
vorgetragen haben.
(Beifall bei der FDP und der SPD.)
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch
wenige Worte zu den Ausführungen des Kollegen
Süsterhenn sagen. Sie haben zu Recht, Herr Kol-
lege Süsterhenn, die Frage der parlamentarischen
Kontrolle, ihrer Wirkungsmöglichkeit und die Frage
der Kontrolle und der Dienstaufsicht des Innenmini-
steriums angeschnitten. Ich meine aber, die Fragen
der Kontrolle, die seinerzeit im John- Ausschuß be-
sprochen worden sind, sind für uns doch gleichzu-
setzen mit der Dienstaufsicht des Innenministeriums
gegenüber dem Amt, und ich glaube, auch aus den
Worten des Kollegen Süsterhenn entnommen zu
haben, daß ein Ministerium oder die Abteilung eines
Ministeriums, das die Dienstaufsicht über ein sol-
ches Amt hat und das nach achtjähriger Dienstauf-
sicht — ohne Wechsel der Personen — nicht ge-
merkt hat, was hier los war, und erst aus der Presse
erfahren hat, welche Dinge sich in dem Amt und den
Außenstellen abspielten, seine Dienstaufsicht nicht
so ausgeübt haben kann, wie es notwendig gewesen
wäre.
(Beifall bei der FDP und der SPD.)
Die konspirativen Auseinandersetzungen mit dem
Gegner und ihre Notwendigkeit werden von uns
nicht bestritten, Herr Kollege Süsterhenn, aber idi
würde Sie herzlich bitten, auch einmal das zu lesen,
was Herr Silberstein über die Konspiration inner-
halb des Amtes, der Abteilungen und der Personen
untereinander, geschrieben hat.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun
etwas dazu sagen, warum dieser Untersuchungsaus-
schuß doch notwendig war. Ich kann leider nicht dar-
auf verzichten, jetzt einige Zitate zu bringen. Ich
beginne mit der 58. Sitzung des Innenausschusses
vom 26. September des vergangenen Jahres. Der
Herr Innenminister erklärte dort wörtlich:
Es kann dokumentarisch nachgewiesen werden,
daß in jedem Fall der Gesichtspunkt der alliier-
ten oder derjenige der gemeinsamen Sicherheit
beachtet worden ist.
Ich stelle dazu fest, daß das Innenministerium im
Rahmen der Beweisaufnahme im Untersuchungsaus-
schuß durch seine Vertreter erklärt hat, daß Doku-
mente in dem Sinne nicht vorhanden sind, daß die
Fälle aus dem Gedächtnis der Abteilungsleiter re-
konstruiert worden sind, und daß auf Seite 4 zu
Ziffer 2 des Untersuchungsberichtes, der einstimmig
gefaßt worden ist, diese Ausführungen des Innen-
ministers eindeutig widerlegt sind.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Der Herr Innenminister hat in derselben Sitzung
erklärt:
Der zuständige Abteilungsleiter muß im Falle ^ ^
der Inanspruchnahme von Sonderrechten Unter-
lagen dafür haben, daß alliierte oder gemein-
same Sicherheitsinteressen berührt werden.
Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß das nicht zu-
traf.
(Zuruf von der SPD: Wieder ein „Mäus-
chen" !)
In derselben Sitzung erklärte der Innenminister:
Wenn ein Abteilungsleiter keine Unterlagen
hat, handelt er nicht rechtmäßig.
Nun, meine Damen und Herren, wir sind der glei-
chen Auffassung und hoffen, daß das Innenministe-
rium daraus die entsprechenden Konsequenzen zie-
hen wird.
(Beifall bei der SPD.)
Wir begrüßen es, daß das Innenministerium in
einem Falle, bei dem Abteilungsleiter IV, wo es ja
wohl auch am dringendsten war, die Konsequenzen
bereits gezogen hat. Ob es allerdings sehr sinnvoll
ist, daß dieser Abteilungsleiter nun im Ruhestand
darangeht, für Illustrierte Artikel über seine Arbeit
im Verfassungsschutz und die Möglichkeiten und
die Arbeitsmethoden des Verfassungsschutzes zu
veröffentlichen, ist eine Frage, über die ich mich
hier nicht weiter äußern möchte.
(Heiterkeit bei der SPD.)
Der Herr Innenminister hat weiter wörtlich er-
klärt: p)
Was den Personenkreis angeht, über den durch
Einschränkung des Telefongeheimnisses er-
langte Nachrichten an deutsche Behörden ge-
langt sind, so handelt es sich nur um Personen,
die die Sicherheit der Alliierten bedroht haben,
und dieser Personenkreis ist einfach abgrenz-
bar.
Der Herr Innenminister hat in der nächsten Sitzung
dann erklärt, daß in 60 Vo aller Fälle eine Entlastung
der Betroffenen stattgefunden hat. Damit ist also
das Gegenteil dieser Behauptung erwiesen.
Er hat dann erklärt:
Der Artikel in der „Zeit" ist voller Widersprü-
che und falscher Angaben. Ich habe über den
Journalisten Dr. Strobel eine ganze Reihe von
Richtigstellungen veranlaßt.
Herr Dr. Strobel hat mir erklärt, das stimme nicht,
und es seien auch keine Berichtigungen erfolgt.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Der Herr Innenminister hat in derselben Sitzung
zugesichert, daß eine genaue Prüfung stattfinden
werde, sofern aus einer solchen Formulierung nicht
abgeleitet werde, daß die Praxis vorher etwas groß-
zügig und locker gewesen wäre. Die Beweisauf-
nahme hat ergeben, daß die Voraussetzungen für
die Einleitung der Überwachung sehr weit ausge-
legt wurden. — Das steht alles im Bericht drin.
Lassen Sie mich dann noch zu einigen anderen
Dingen etwas sagen. Er hat in der 57. Sitzung des
. 6022
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dorn
Innenausschusses eine Reihe von Behauptungen
aufgestellt, insgesamt vier an der Zahl, die eindeu-
tig nicht mit der Wahrheit in Übereinstimmung sind.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Meine Damen und Herren, da diese Sitzung für den
Teil, den ich anführen müßte, für geheim erklärt
worden ist, kann ich mich in der Formulierung jetzt
dazu nicht äußern-, ich bin aber gern bereit, allen
Fraktionen dieses Hauses diese Vorgänge schrift-
lich zu übergeben.
(Abg. Dr. Stoltenberg: Das ist doch gerade-
zu der Höhepunkt der Unverschämtheit!)
— Herr Kollege Stoltenberg, es ist leider so, daß
das geheim ist, und ich halte mich daran.
Es ist dann weiter vom Herrn Innenminister am
11. September in der Kabinettssitzung erklärt wor-
den:
In keinem Falle hat der Verfassungsschutz die
Alliierten um die Telefonüberwachung oder
Zensur gebeten.
Herr Kollege Schmitt- Vockenhausen hat schon das
angeführt, was zwei Tage später im Bulletin ganz
normal veröffentlicht worden ist. Genau das Gegen-
teil von dem, was der Herr Innenminister dem Ka-
binett erzählt hat, trifft zu.
Ich will nicht die anderen Dinge über die Sendung
„Report" wiederholen. Ich will auch nichts darüber
sagen, was in der zweiten Sitzung der Kleinen
Kommission vom Herrn Innenminister zu diesen
ßj Dingen vorgetragen worden ist. Der Herr Innen-
minister, das Innenministerium hat in seiner Stel-
lungnahme noch eine Reihe von Erklärungen abge-
geben, die ebenfalls nicht mit den Tatsachen über-
einstimmen. Er hat u. a. erklärt: Im Bundesamt
haben die Abteilungsleiter die Meldungen der
Alliierten entgegengenommen. Auch das trifft nicht
zu. Er hat darüber hinaus erklärt: Ausgewertetes
Material ist unter Aufnahme einer Vernichtungsver-
handlung vernichtet worden. Die Beweisaufnahme
hat das Gegenteil festgestellt.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Er hat erklärt: Die Zusammenarbeit mit den Alliier-
ten trug dazu bei, daß in den letzten Jahren zahl-
reiche rechtsradikale Organisationen verboten wer-
den konnten. Auch das ist mit „zahlreich" nicht zu
vergleichen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dorn (FDP): Bitte sehr!
Spies (CDU/CSU): Herr Kollege Dorn, ich frage
Sie, wie Sie bei diesen Behauptungen dem Aus-
schußbericht zustimmen konnten; das verstehe ich
nicht.
Dorn (FDP) : Das habe ich in der Einleitung schon
erklärt; ich will es aber gern für Sie nachher wie-
derholen.
(Lachen bei der SPD.)
(Q
Der Herr Innenminister hat weiter erklärt: Nach
Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages werden die
Rechte der drei Mächte grundsätzlich nur nach Kon-
sultationen mit der Bundesregierung ausgeübt. Die
Beweisaufnahme ergab, daß seit 1958 keine Konsul-
tationen mehr stattfanden.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Ich habe noch sechs Seiten mit Behauptungen und
Äußerungen. Ich will mir ersparen, jetzt noch weiter
auf die Einzelheiten einzugehen.
(Abg. Dr. Stoltenberg: Es genügt der Vor-
wurf der Lüge; man braucht es ja nicht zu
beweisen, weil es geheim ist!)
— Herr Kollege Stoltenberg, der Vorwurf der Lüge
ist im sachlichen Zusammenhang von Ihnen hier
angesprochen. Ich habe zu Beginn meiner Ausfüh-
rungen erklärt, daß der Herr Innenminister eine
Vielzahl von Erklärungen abgegeben hat, die mit
den Tatsachen nicht in Übereinstimmung stehen.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Deswegen, Herr Kollege, ist es für uns von entschei-
dender Bedeutung, daß wir nicht mit der Kleinen
Kommission aufgehört haben; denn dann hätten wir
das alles nicht feststellen können, was wir nun-
mehr einmütig im Untersuchungsausschuß festge-
stellt haben. Darum ging es uns nämlich, daß hier
Klarheit geschaffen wird und daß wir uns nicht
mehr in dem Dschungel der halben Indiskretionen
und halben Informationen weiter bewegen wollen.
Das wollte ich an dieser Stelle nur noch sagen.
(Beifall bei der FDP und der SPD.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Gedat.
Gedat (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Als einer der Abgeordneten aus dem
süddeutschen Raum, die sich insonderheit mit der
Panorama-Affäre und dem Wirbel, den Herrn Dr.
Schäfer dadurch hergerufen hat,
(Zuruf von der SPD: Ablenkung!)
auseinandersetzen mußten, fühle ich mich zu einer
ganz einfachen Feststellung gezwungen. Wenn Herr
Dr. Schäfer Wert darauf legt, daß ausgerechnet der
Brief, den der Herr Bundestagspräsident ihm ge-
schrieben hat, hier im Protokoll festgehalten wird,
dann lege ich Wert darauf, daß festgehalten wird,
daß Herr Dr. Schäfer diesen Brief nicht zur Klärung
der Sache benutzt hat, sondern idaß die Verwirrung
nur noch größer gemacht wurde.
(Zuruf von der SPD: Bei Ihnen!)
Ich glaube es ist nötig, daß das festgehalten und
auch der Öffentlichkeit gesagt wird.
(Zustimmung in der Mitte. — Lachen und
Zurufe von der SPD.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Schmitt- Vockenhausen,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6023
Schmitt-Vockenhausen (SPD): Nach diesem
Ausflug des Kollegen Gedat, der in )der Hoffnung
gesprochen hat, im nächstjährigen Wahlkampf da-
mit spazieren gehen zu können, können wir uns
wieder der Sache zuwenden.
(Heiterkeit bei der SPD.)
Der Herr Kollege G ü d e war so liebenswürdig,
von dem Souterrain der Journalistik zu sprechen.
(Abg. Dr. h. c. Güde: Ich habe Herrn Arndt
zitiert!)
— Sie haben Herrn Arndt zitiert, haben es sich aber
zu eigen gemacht.
(Abg. Dr. h. c. Güde: Ganz gern!)
— Auch das ist bei Ihnen zweifelhaft; es ist bei
Ihnen ja immer am Schluß alles zweifelhaft.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
Ich darf Ihnen mal eines sagen, Herr Kollege
Güde: ganz sicher gibt es auch ein Souterrain der
Politik,
(Abg. Dr. h. c. Güde: Ja!)
(B)
und ganz sicher sind Sie heute in einzelnen Passagen
Ihrer Rede da reingestiegen. Lassen Sie mich ganz
klar sagen. Ich bin eigentlich traurig, nach der Art,
wie Sie im Ausschuß mit uns zusammengearbeitet
haben, daß Sie hier heute so eine klägliche Absatz-
bewegung von der deutschen Öffentlichkeit durch-
geführt haben.
(Beifall bei der SPD.)
Das war kein Ruhmesblatt für Sie.
(Abg. Wehner: Ein Feigenblatt!)
Meine Damen und Herren, hier ist viel vorge-
tragen worden, um die Sache zu bagatellisieren. Um
auf den Bucerius-Bericht zurückzukommen, Herr
Kollege Güde: Sie wissen genau, wie der Bericht
zustande gekommen ist, mit welchen Mehrheiten.
Sie haben doch sicher die Protokolle nachgelesen.
Ich kann hier nur dem zustimmen, was der Kollege
Dorn gesagt hat: Das ist kein Freibrief, daß man fast
zehn Jahre nichts davon gemerkt hat, was eigentlich
in diesem Amt passiert ist.
in das sie damals durch die Erklärung des Herrn
Bundesministers gekommen waren.
(Beifall bei der SPD.)
Da kann man doch nicht von einer Hexenjagd reden,
sondern da muß man sich doch einmal vorstellen,
wie erregt die deutsche Öffentlichkeit war, wenn sie
jeden Tag aus ministeriellem Munde eine andere
Erklärung bekam.
(Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von
der CDU/CSU.)
— Ja, meine Damen und Herren, ich kann doch
nichts dafür, daß Sie alles, was ein Minister sagt, für
wahr halten. Das müssen Sie doch vor sich selbst
verantworten.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
Ich kann mich hier nur der Ansicht des Kollegen
Dorn anschließen. Was heißt hier „Porzellan zer-
schlagen"? Ich weiß nicht, womit mehr Porzellan zer-
schlagen wird, mit leichtfertigen Äußerungen der
Regierung, die in der Sache nicht stimmen, oder mit
einer sachgemäßen Prüfung, mit der wir hier ge-
meinsam vor das Parlament und die deutsche
Öffentlichkeit treten, um das gemeinsam vor ihr zu
verantworten.
(Beifall bei der SPD.)
Herr Kollege Güde, Sie haben gemeint, wir hät-
ten die Absicht, den Ruf eines Ministers zu ruinie-
ren. Es gibt Minister, denen gelingt es selbst viel
besser, ihren Ruf zu ruinieren, als es eine Oppo-
sition jemals kann.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) (D)
Ich kann Ihnen auch sagen: wir haben nie ein
Zerrbild der Sache geben wollen.
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Im Gegenteil, ich muß Ihnen sagen: Wie kann uns
daran liegen, hier ein Zerrbild zu geben? Sie wissen
genau, wieviel uns am Verfassungsschutz liegt. Sie
wissen ja selbst, in welcher Weise wir gerade auch
durch die positive Arbeit dieses Ausschusses uns
bemüht haben, dem Verfassungsschutz, der uns ge-
nauso wie Ihnen am Herzen liegt, das Vertrauen der
Bevölkerung zu erhalten bzw. wiederzugeben.
Ich bin auch überrascht, Herr Kollege, daß Sie von
Schlagzeilen sprechen, die der Vorsitzende gemacht
habe. Entschuldigen Sie, die Schlagzeilen hat der
Minister immer gemacht. Der Vorsitzende hat natür-
lich geantwortet. Ich bitte dafür um Nachsicht. Glau-
ben Sie, daß ich ruhig bin, wenn ich angegriffen
werde? Das kann doch nicht der Fall sein.
(Abg. Dr. h. c. Güde: Ich .suche gleich etwas
raus für Sie!)
— Suchen Sie mir etwas raus!
Herr Kollege Güde, Sie haben hier dann den Ver-
such gemacht, so mit der großen Geste von (der Ver-
suchung der Opposition zu sprechen. Herr Kollege
Güde, es gibt auch die Pflicht der Opposition, Fragen
aufzuklären, vor allem dann, wenn sie so im Dunkel
und im Halbdunkel sind,
(Abg. Wehner: im Souterrain!)
Der Herr Kollege Wagner sagt, der Untersu-
chungsausschuß habe das Verfassungsschutzamt auf
die Anklagebank gebracht. Entschuldigen Sie, ich bin
der Meinung, ein parlamentarischer Untersuchungs-
ausschuß ist keine Anklagebank. Ich hätte Sie mal
hören mögen: der Herr Kollege Strauß hat doch
auch nicht auf der Anklagebank gesessen vor dem
Untersuchungsausschuß. Sonst hätte der Kollege
Hoogen ihm nie ein so wohlwollendes Attest geben
können.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Abg.
Strauß: Glauben Sie das alles selber?)
— Ich halte mich hier an den Kollegen Hoogen,
Herr Kollege Strauß.
Der Herr Kollege Wagner sagt hier: Das war
ein Schauspiel. Meine Damen und Herren, die Ar-
beiten des Untersuchungsausschusses waren kein
Schauspiel. Aber ein Schauspiel waren die ministe-
6024
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Schmitt- Vodtenhausen
riellen Erklärungen vom 5. September bis zum Ende
dieser Geschichte.
(Zuruf von der CDU/CSU: Was daraus
draußen gemacht wurde!)
— Ach, meine Damen und Herren, ich will Ihnen
was sagen: ich habe natürlich Verständnis dafür,
wenn Sie die Geschichte hier jetzt verniedlichen und
verharmlosen wollen und gewissermaßen ein Mäus-
chen daraus machen wollen. Herr Kollege Süster-
henn, es waren natürlich Mäuse, die hier im Ge-
bäude der rechtsstaatlichen Ordnung genagt haben.
Und wir haben sie gefangen! Das ist doch die Haupt-
sache! Das sollten wir nicht vergessen.
(Beifall bei der SPD.)
Ich muß es Ihnen überlassen, ob und wie Sie
hier Ihren angeschlagenen Minister verteidigen,
meine Damen und Herren. Sie haben ja noch mehr
angeschlagene Minister. Einer ist Blank, und ein
anderer na, ja, meine Damen und Herren, tun
Sie, was Sie für recht halten. Wir haben jedenfalls
unsere Haltung in den Punkten 4 und 5 unseres
Änderungsantrags zum Ausdruck gebracht, und ich
darf Sie noch einmal bitten, unseren Antrag anzu-
nehmen.
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dr* Schmid: Weitere Wortmel-
dungen liegen nicht vor. Da ich annehme, daß Sie
als letzter sprechen möchten, habe ich das Haus
gefragt, ob noch jemand sprechen möchte.
(B)' (Zurufe von der SPD: Dann geht es wieder
los!)
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister
des Innern.
Höcherlr Bundesminister des Innern: Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich darf eine Bemerkung vorweg machen: ich möchte
nicht in eine polemische Debatte eintreten. Das
Thema ist für mich zu bedeutungsvoll, und der An-
laß berührt uns gemeinsam und ist Gegenstand
unserer gemeinsamen Sorge.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Es ist gerade im letzten Teil der Debatte sehr viel
Polemik getrieben worden. Ich werde einige An-
merkungen tatsächlicher Art machen und überlasse
es Ihnen, daraus Schlüsse zu ziehen und sich ein
Urteil zu bilden.
Ich darf eine zweite Bemerkung machen: ich bin
außerordentlich dankbar, daß durch alle möglichen
Beiträge, worunter der von Oberlandesgerichtpräsi-
dent Silberstein vom Sachlichen und von der Gründ-
lichkeit her naturgemäß den ersten Rang einnimmt,
so viele Verbesserungsvorschläge für eine bessere
Organisation dieses sehr schwierigen Amtes, das in
allen Ländern der Welt Probleme besonderer Art
aufwirft, gemacht worden sind. Ein Teil ist uns auch
selbst eingefallen. Wir haben die Dinge sehr rasch
verbessert, soweit das in der kurzen Zeit möglich
war. Wir sind auch heute und morgen dankbar für
jeden ehrlich gemeinten und sachlichen Beitrag für
eine Verbesserung der Organisation, der Arbeits-
(Q
weise und vor allem der Gesetzmäßigkeit. Das ist
mein Standpunkt. Dafür gilt Dank jedem, der in
ehrlicher und anständiger Absicht dazu beigetragen
hat, diese Dinge zu verbessern und in Ordnung zu
bringen.
Es ist nicht das erste Mal, daß der Verfassungs-
schutz in diesem Hause zur Debatte steht, es ist
das dritte Mal. Man muß eigentlich die Väter unse-
rer Verfassung wegen ihres Weitblicks bewundern.
Sie haben schon in der Verfassung selbst in Art. 87
Abs. 1 von solchen Einrichtungen gesprochen, Ein-
richtungen nachrichtendienstlicher Art auf der Ebene
des Bundes und der Ebene der Länder, die beide
zu einer gewissen Kooperation gehalten sind. Daß
damals in einer Zeit, in der noch sehr frische Wun-
den aus der Vergangenheit in diesem Bereich vor-
handen waren und Schmerz verursachten, sich die
Verfassungs Väter und das Hohe Haus trotzdem sehr
rasch im Gesetz vom 27. September 1950 zur Aus-
führung dieser Absichten entschlossen haben, ehrt
die Mitwirkenden von damals. Sie haben sich in
notwendiger Erkenntnis der unerhörten Gefahren,
die kein anderes Land in diesem Ausmaß berühren,
würdig gezeigt und Vorsorge getroffen.
Ich habe ausdrücklich erwähnt, daß auch die Ver-
fassungsschutzämter der Länder schon damals zur
Debatte standen und auch in der Verfassungsbestim-
mung genannt waren. In der ganzen Aussprache, die
wir hier führen, ist von den Verfassungsschutzäm-
tern der Länder sehr wenig die Rede gewesen.
Sehr viele, die hier aufklärend beigetragen haben
und auch in der Debatte gesprochen haben, kennen (D)
aus dem Bereich der Länder — das weiß ich ganz
genau — sehr viele Einzelheiten über diese gute
Zusammenarbeit, über gemeinsame Rechtsauffas-
sungen und die gemeinsame Praxis. Es hätte der
Wahrheit außerordentlich gedient, wenn das ge-
meinsam vorgetragen vor den wäre. Man hätte aus
diesen Quellen wahrscheinlich sehr vieles schöpfen
können. Man hat auch daraus geschöpft, aber dieses
Wissen unterdrückt. In Wirklichkeit waren diese
Dinge anderen mehr bekannt. Sie waren auch den-
jenigen, die sich in eine anklagende Rolle begeben
haben, mehr bekannt, als sie mir nach dieser kur-
zen Tätigkeit bekannt waren und bekannt sein
konnten. Das Gesetz vom 27. September 1950 zur
Einrichtung dieser Ämter hat schon eine ganz we-
sentliche rechtsstaatliche Vorsorge getroffen. Es
hat nämlich diese Ämter rein auf die Nachrichten-
sammlung beschränkt und sie ganz entschieden
von der Verwertung und von der Exekutive abge-
setzt. Es war das entscheidende rechtsstaatliche Ele-
ment und die entscheidende rechtsstaatliche Garan-
tie überhaupt, daß diese beiden großen Aufgaben,
die in der inkriminierten Vergangenheit jener zwölf
Jahre zusammengeschlossen waren, getrennt wur-
den und daß ferner alle politischen Instanzen von
dieser Einrichtung abgesetzt wurden, die aus diesen
Erkenntnissen entsprechende Folgerungen zu
ziehen hatten.
Innerhalb des Amtes selbst und in seiner ersten
Organisation gab es ein weiteres Moment der
Sicherung, indem man Beschaffung und Auswertung
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6025
Bundesminister Höcherl
getrennt und sich gegenseitig unter Kontrolle ge-
halten hat.
Das sind Elemente, meine Damen und Herren, die
eine hohe rechtsstaatliche Funktion und eine hohe
rechtsstaatliche Bedeutung haben.
Damals mußte man, da wir nicht Herr im eigenen
Hause waren, sondern die alliierten Sicherheits-
direktoren die absolute Verfügungsgewalt über
diesen ganzen Bereich hatten und sie sehr energisch
und sehr intensiv in Anspruch genommen hatten,
in einem pragmatischen Verfahren sehen, wie über-
haupt im Rahmen dieses Amtes eigene Arbeits-
möglichkeiten geschaffen werden konnten. Das war
ein sehr schwieriger Prozeß.
Vor allem aber war etwas entscheidend, was
auch in den heutigen Zusammenhang hineingehört.
Alles das, was heute zur Debatte steht, ist nämlich
in der Presse durch zwei Behauptungen hochge-
bracht worden. Es wurde einmal behauptet, in die-
sem Amt sei eine ganz große Zahl von alten Nazis,
Gestapo- und SD-Angehörigen, und außerdem hät-
ten diese Leute die Möglichkeit, ohne Rücksicht auf
alles, allein über den Weg des Augenzwinkerns,
unter grober Verletzung aller Bestimmungen des
Art. 10 des Grundgesetzes jeden nur mißliebigen
Bürger abzuhören. So kräftig, so stark waren einmal
die Behauptungen, die das ganze Verfahren aus-
gelöst haben.
Nun darf ich Sie doch auf folgendes aufmerksam
machen. Die erste Vorsorge über die organisatori-
(B) sehen Bestimmungen hinaus, die man in der Richtung
der Rechtsstaatlichkeit treffen konnte, lag im perso-
nellen Bereich. An die Spitze des Amtes wurde da-
mals, wie Sie wissen, Herr John gesetzt, der durch
den Ausschuß gegangen ist, der zur Beurteilung
über die Einstellung und den Aufbau des Auswär-
tigen Amtes eingesetzt war; er hat auch sehr viele
Gutpunkte von allen möglichen Seiten bekommen.
Als Vizepräsident wurde der heute noch amtierende
Vizepräsident Radtke eingesetzt, ein Mann der Ab-
wehr, ein Generalstabsoffizier und ein Mann, der
im Zusammenhang mit dem 20. Juli mehrere Mo-
nate in Haft verbracht hat. Das war der Mann, der
damals von der Bundesregierung als Vizepräsident
in diesem Amt mit der technischen Leitung betraut
worden ist. Herr Heinemann wird vielleicht mehr
darüber sagen können, weil er die ersten Anfänge
miterlebt hat. Ich weiß es nicht. Das zur personellen
Sicherstellung.
Das Vorrecht der Alliierten im personellen Bereich
wurde so ausgeübt, daß kaum eine Putzfrau — ich
darf es in dieser etwas vulgären Form vortragen —
ohne Billigung der Alliierten eingestellt werden
konnte. Denken Sie jetzt einmal daran, wie Anfang
September 1963 die ersten Behauptungen hoch-
kamen, in diesem Amt seien SD-, Gestapo-Beamte in
maßgebenden Positionen mit diesen und jenen
Möglichkeiten. Ich darf dem Hohen Hause hier in
aller Form folgendes mitteilen. Es wurde damals
auch ein Vertrauensmann der Opposition in eine
sehr wichtige Position in diesem Amt eingebaut. Es
war der Leitende Regierungsdirektor Merz, der die
bedeutsame Abteilung der Auswertung leitete und
der im personellen Bereich in engster Zusammen-
arbeit mit dem Vorstand der Opposition stand und
auch bei Einstellungen, die in der letzten Zeit sehr
heftig angegriffen worden sind, schon 1954, also vor
10 Jahren, sein Votum abgegeben hat. Man war
übereingekommen, diese Einstellungen zu billigen,
wie überhaupt festgehalten werden muß, daß wir
in der Ausführung des Art. 131 des Grundgesetzes
die Rechtslage haben, daß das Element der persön-
lichen Schuld und nicht einer formellen Belastung in
Betracht kommt. Das hat den Herrn Kollegen Weh-
ner nicht gehindert, im Rahmen dieses ersten Wir-
bels Äußerungen von sich zu geben, daß es der
Innenminister nicht fertigbringe, diese Leute aus
diesem Amt herauszubringen, die in der Zwischen-
zeit — 10 Jahre — in ein Angestellten-, zum Teil
ins Beamtenverhältnis gekommen waren.
Vizepräsident Dn Schmid: Gestatten Sie eine
Zwisdienfrage?
Wehner (SPD) : Herr Bundesminister, darf ich Sie
fragen, ob Sie sich hier nicht vielleicht irren? Bezog
sich meine Bemerkung nicht darauf, daß aus Ihrem
Hause die Behauptung kam, die Leute seien wegen
ihrer „Sachkenntnisse", wegen ihrer „Spezialkennt-
nisse" nicht zu entbehren? Und erinnern Sie sich
nicht, daß ich sagte: Was auch sonst immer über die
Menschen zu sagen ist — wir jedenfalls wollen
keine neue Entnatifizierung — , aber das ist der
schlechteste Dienst, der ihnen und dem Amt geleistet
wird!? — Erinnern Sie sich daran, wenn Sie schon
zitieren?
Höcherl^ Bundesminister des Innern: Ja, Herr
Wehner, ich erinnere mich auch an folgendes. In
der Äußerung, auf die Sie Bezug nehmen, ist erklärt
worden, wie die Rechtslage nach Art. 131 des Grund-
gesetzes ist, wie sie sich gefestigt hat, daß Ihre
Partei genau über die Einstellung informiert war
und sie damals gebilligt hat.
Ich bin der Meinung, rechtlich war gar nichts zu
machen, rechtlich waren die Dinge gefestigt, — Sie
wußten es und hatten es gebilligt. Aber ich meine,
es ist eine Frage des politischen Taktes, ob man den
einen da oder dort verwendet. Ich habe die Ver-
wendung geändert. Ich habe sie nicht in der Form
geändert, wie es der Herr Kohut hier zu behaupten
beliebte, daß diese Beamten vielleicht in die Wieder-
gutmachungsabteilung des Kölner Verwaltungs-
amtes gekommen seien, sondern ich habe die Ver-
wendung in einer korrekten und anständigen Form
geändert — 14 Jahre nach der Einstellung — , so
geändert, daß diese Leute einen angemessenen Ar-
beitsplatz und nicht einen solchen Arbeitsbereich
hatten. Das habe ich gegenüber Herrn Kohut klar-
zustellen, vne es kürzlich auch in der Presse klar-
gestellt v/orden ist. Aber Herr Kohut hält sich an
solche Berxhtigungen nicht, weil er sonst kein
Material für ungerechtfertigte Angriffe hätte.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Nun war die große Frage, in welcher Form die
ersten Organisationsverfügungen zu erlassen waren.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6026
Bundesminister Höcherl
' ' Die damalige Leitung des Amtes hat sich an einem
Beispiel orientiert, das uns in vielen Bereichen und
in vielen Fällen als musterhaft vor Augen steht.
Wir sind zur Mutter der Demokratie, nach England
gegangen und haben uns nach den dortigen Organi-
sationsverhältnissen im Geheimdienst orientiert.
Dort herrschen interessante Praktiken, die vielleicht
aus rechtlichen Gründen in unseren Bereich nicht
ganz übertragen werden können, aber die immerhin
lesenswert sind. Ich zitiere aus einem Bericht von
Sir Findlater Stewart aus dem Jahre 1945:
. . , mit Rücksicht auf die Natur dieser Arbeit
kann die Notwendigkeit für eine Anleitung,
ausgenommen allgemeinste Gesichtspunkte,
oberhalb der Ebene des Generaldirektors nie-
mals entstehen. Dessen Ernennung ist von gro-
ßer Verantwortlichkeit, die ungewöhnliche Er-
fahrung und eine solche Verbindung von Eigen-
schaften erfordert; . . .
Genau diesen Weg, meine Damen und Herren, ist
dieses Amt gegangen. Es hat den Versuch — den
leider nicht geglückten Versuch — mit Herrn John
unternommen und hat als Vizepräsident einen Im
Widerstand verhafteten Mann mit Abwehrerfahrun-
gen aus dem Militärbereich eingesetzt und ver-
sucht, eine ganz neue Institution einzurichten, die
sich vor allem noch dadurch von allen vergleich-
baren Einrichtungen unterscheidet, daß sie unter
einer ganz harten und starken Besatzungsaufsicht
stand und erst in einem schwierigen und langwieri-
gen Prozeß ein Eigenleben entwickeln mußte.
(B)
Ich glaube, daß niemand ein Recht hat, hinsichtlich
dieser Entwicklungsgeschichte — und deswelgen
wiiid sie von mir hier zitiert — Angriffe wiegen
mangelhafterOriganisation, die in eicn'em Neuland be-
gonnen werden mußte, zu führen. Viele von Ihnen
sind noch mit den Einzelheiten aus dieser Zeit aus
eigenem Erleben und aus der großen DeJbatte vom
Juli und vom September 1954 genauestens vertraut.
Andere wissen aus dem John-Untersuchungsaus-
schuß ebenfalls sehr genau Bescheid.
Ich darf hier in aller Form klarsitellen: wer auf die
Entstehurtgsjgeschichte zurückblickt und wer sich das
Vermögen erhalten hat, an Hand von Tatsachen
gerecht zu urteilen, der wird izugeben müssen, daß
in der Spitzjenbesetzung bei den ersten tastenden
Versuchen den damaligen bescheidenen Möglich-
keiten Rechnung getragen woiiden ist. So und nicht
anders waren die Dinge. Das muß hier festgestellt
werden, um die historischen Tatsachen ins rechte
Licht zu rücken und keine Legende aufkommen zu
lassen.
Lassen Sie mich auf die eigentliche Problematik
eines solchen Amtes eingehen. Ich habe schon die
bewundernswerte Weitsicht der Väter unserer Ver-
fassung wie auch der Mitglieder des 1. Deutschen
Bundestages hervorgehoben, die, offenbar beein-
druckt durch die damalige Berlin-Blockade, sich ge-
nötigt sahen, diese Gedanken so rasch wie möglich
in die Tat umzusetzen. Es ist ein uraltes Thema,
das damit angesprochen wird, ein Thema, das gar
nicht auf den Verfassungsschutz beschränkt ist, .son-
dern sich auf Polizei und alle derartigen Einrichtun-
gen erstreckt: auf der einen Seite die Wirksamkeit
und Arbeitsfähigkeit, auf der anderen Seite die
RechtSiStaatlichkeit und Gesetzmäßigkeit. In diese
Polarität ist jiede Einrichtung hineingezwungen, die
sich mit solchen Aufgaben zu befassen hat. Das gilt
ganz besonders für die Einrichtung eines Verfas-
sungsschutzamtes.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen doch
noch einige wieitere ausländische Stimmen aus dem
englischen Bereich vertragen, die die dortige Denk-
weise illustrieren und uns auch einiges zeigen, was
durchaus nachahmenswert erscheint. Im Rahmten der
Vorgänge um Burgess und McLean sagte z. B. der
damalige englische Außenminister Macmillan:
Am Können und an der Aulsidauer unid an der
Loyalität des Sicherheitsdienstes kann kein
Zweifel bestehen. Es ist wirklich erstaunlich,,
daß wir immer noch Männer mit so festem
Charakter unJd S'Olchen Fähigkeiten bekommen.
Die Entlohnung ist nicht isehr hoch, die Verant-
wortung dagegen ist sehr groß. Die meisten
Menschen finden ihre Befriedigung darin . . .
So könnte ich weiter zitieren. Aber nun ein Wort
von Herbert Morrison in »einer gleichen Debatte,
und zwar in einer Debatte, die unmittelbar zum
Gegenstand unserer Verhandlungen führt. Damals
wurde in England ebenfalls untersucht, aber in einer
ganz -anderen Richtung, nämlich wegen mangelhafter
Wirkung. Herbert Morrison, ein Mann, der Ihnen
viel nähersteht, erklärte:
Es ist äußerst schwierig, eine Untersuchung des pj
Sicherheitsidienstes vorzunehmen. Es ist klar,
daß es keine öffentliche Untersuchung sein
kann. Das wäre einfach lächerlich. Es darf auch
keine Untersuchung mit einem öffentlichen Be-
richt sein. Das steht meines Erachtens außer
Präge. Wir können die Aibeitsmiethoden des
Geheimdienstes nicht öffentlich preisgeben,
weder unsere eigenen Methoden noch die an-
derer Staaten. Wir können nicht riskieren, daß
Geheimnisse der Spionage und der (Spionage-
abwehr enthüllt wenden. In diesem Fall sollte
eine Untersuchung durch einen Richter oder
einen Richter außer Dienst vorgenommen wer-
den, und es sollte für den Ministerpräsidenten
ein persönlicher Bericht erstellt werden.
Genau diesen Weg, meine Damen und Herren,
bin auch ich gegangen, obwohl ich gar nicht zu de-
nen gehöre, die sich über den Untersuchungsaus-
schuß in der Form beklagen, wie Sie das hier vor-
getragen haben. Ich werde noch auf die Rolle des
Untersuchungsausschusses zu sprechen kommen, auf
seine Funktion, auf das, was sich während der Ar-
beit dieses Ausschusses alles ereignet hat, und auf
seine Ergebnisse. Ich bin der allerletzte, der in die
Kontrollfunktion des Parlaments auch nur den ge-
ringsten Zweifel setzen wollte. Ich möchte nur fol-
gendes sagen: wenn wir Untersuchungsausschüsse
nicht immer in dieser etwas spektakulären Form
einsetzen wollten, sondern vielleicht viel häufiger
in Form von Hearings als Kontrollinstrument arbei-
ten lassen wollten, dann würde das nicht immer als
Sanktion, als großes politisches Ereignis, als Straf-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6027
Bundesminister Höcherl
geridit und weiß Gott was alles in der Öffentlich-
keit erscheinen. Es kommt doch auf den öffentlichen
Eindruck an, der mit dieser Art erweckt wird, und
ein solcher Eindruck ist in diesem Fall zweifellos
erweckt, wenn nicht beabsichtigt worden.
Meine Damen und Herren, es kann keinen Zwei-
fel darüber geben, daß Einrichtungen dieser Art aus
dieser Polarität, aus dieser harten dialektischen
Spannung zwischen Wirksamkeit auf der einen und
Rechtmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit auf der ande-
ren Seite entstanden sind, wobei wir überall — das
darf ich mit ganz besonderem Nachdruck hier be-
tonen — der Gesetzmäßigkeit, der Rechtmäßigkeit
und der Verfassungsmäßigkeit den absoluten Vor-
rang einräumen. Daran darf es keinen Zweifel
geben, auch wenn dies auf Kosten der Wirksamkeit
geht. Das sind Dinge, die ich aus einem Vortrag
zitieren könnte, den der derzeitige Präsident des
Amtes im Jahre 1959 in Köln gehalten hat. Dann
würden Sie die Denkweise des Präsidenten kennen-
lernen und die Art, wie er an seine nicht leichte
Aufgabe herangegangen ist.
Im Juli 1954 kam es hier im Hause zu der ersten
großen Debatte über dieses Thema. Es war im An-
schluß an die „Vulkan-Affäre", wie Sie wissen. In
einer sehr tiefgründigen und weit ausholenden,
rechtlich, sachlich und politisch unerhört fundierten
Debatte wurden dazu von dem zur Zeit amtieren-
den Herrn Präsidenten von der Abgeordnetenbank
aus wesentliche Beiträge geliefert, auch von Herrn
Kiesinger, von Herrn von Merkatz und vielen an-
ßj deren wurden dazu bedeutsame Ausführungen ge-
macht.
(Abg. Schoettle: Reinhold Maier dürfen Sie
nicht vergessen!)
— Ja; Reinhold Maier hat sich aber erst bei der
zweiten Debatte im September geäußert.
(Abg. Schoettle: Er hat ein wunderschönes
Wort geprägt, das auch heute noch gilt!)
— Ich habe es nachgelesen; ich habe die Debatte
selbst erlebt, aber ich habe es noch einmal nach-
gelesen, und ich muß sagen: das, was damals gesagt
worden ist, ist heute noch gültig, wird von mir an-
erkannt und von mir praktiziert, Herr Schoettle.
Dann kam der Fall „John", und damit kam für
das neue und junge Bundesamt für Verfassungs-
schutz eine ganz schwere Prüfung. Es ist interessant,
meine Damen und Herren, wenn man heute nach-
liest, was damals über diese Dinge gesagt worden
ist. Damals hat mein Herr Amtsvorgänger die These
vertreten, es sei vielleicht doch nicht eine Flucht ge-
wesen, vielleicht doch eine Entführung oder etwas
Ähnliches. Wenn ich jetzt an die neueste Prozeß-
lage denke, dann weiß ich nicht, ob er so ganz un-
recht gehabt hat; aber das werden die Gerichte zu
klären haben. Wenn ich an die Leidenschaften
denke, die damals hier in Szene gesetzt worden
sind, dann, muß ich sagen, ist die heutige Ausspra-
che in der rechtlichen und politischen Fundierung
der damaligen nicht angemessen. Damals wurde
sehr hart gesprochen. Aber ich glaube, daß damals
in einigen Punkten etwas mehr Fairneß geübt
wurde, als leider da oder dort gelegentlich, in einem
fO
Zwischenruf vor allem und dann in einigen Aus- ^
führungen zum Ausdruck gekommen ist.
(Zuruf von der SPD.)
Nun war für das Bundesamt für Verfassungs-
schutz eine ganz neue Lage geschaffen. Es mußte
vorübergehend eine stellvertretende Besetzung
erfolgen, und es mußte ein neuer Mann gefunden
werden. Das war eine Vertrauenskrise, die weit
über den Bereich dieses Amtes hinausgegangen ist,
eine Vertrauenskrise, die eine ganz andere Ursache
hatte und die einen ganz anderen Auslösungspunkt
hatte. Aber immerhin, es war doch außerordentlich
schwierig und außerordentlich kompliziert, jeman-
den zu finden, der an die Spitze eines solchen Amtes
treten wollte. Ich glaube, die Bundesregierung war
gut beraten — und das Haus hat das ja auch bestä-
tigt — , daß sich nach über einjähriger Suche ein
Mann aus der Justiz, der hohe Positionen und einen
hohen Rang in der Justiz als Generalstaatsanwalt
und als Bundesanwalt eingenommen hat, bereit
fand, an die Spitze dieses Amts zu treten und einen
neuen Abschnitt in der Geschichte dieses Amts zu
schreiben. Das war ein Einschnitt, den wir uns bei
der Betrachtung auch heute immer wieder vor
Augen halten sollten, um rückblickend aus der Ge-
schichte in die Wahrheit der Zusammenhänge ein-
zudringen.
Meine Damen und Herren, Herr Präsident Schrüb-
bers hat sich nur mit äußerster Zurückhaltung — er
mußte von vielen Seiten bewogen werden — bereit
erklärt, diese schwierige Aufgabe des moralisch
und innerlich, kann man fast sagen, aufgelösten (D)
Amtes zu übernehmen und einen neuen Abschnitt
zu schreiben.
Dann, meine Damen und Herren, gab es einen
Untersuchungsausschuß John, einen Untersuchungs-
ausschuß, der zwei große Aufträge hatte. Der eine
Auftrag war, zu prüfen, wie die Dienstaufsicht des
Bundesinnenministeriums über das Verfassungsamt
geführt wurde. Der zweite Auftrag war der, zu prü-
fen, ob, wenn ich es mit einem Wort bezeichnen
darf, ein innenpolitischer Mißbrauch vorgekommen
sei. Bei der damaligen Untersuchung über die Art
und Weise und die Methode, eine solche Dienstauf-
sicht zu führen — man hatte sich an dem Beispiel
des englischen Amtes orientiert, das, wie es über-
haupt der englischen Verwaltungspraxis entspricht,
eine sehr lockere und distanzierte und der beson-
deren Art und Arbeitsweise des Amtes angepaßte,
zurückhaltende Aufsicht führt — , ist man einen
neuen Weg gegangen. Der Untersuchungsausschuß,
dem Herr Bucerius Vorstand und der im Juli 1957
seinen Bericht ablieferte — Herr Bucerius ist im
Rahmen der heutigen Ereignisse und mit seinen
Verlagserzeugnissen genannt worden — , hat zu
der Frage der Dienstaufsicht in einer Ziffer des
Berichts folgende Erkenntnis niedergelegt:
Das Bundesministerium des Innern hat über das
Bundesamt eine sehr straffe Aufsicht ausgeübt,
fast als ob es sich um eine Abteilung des Bun-
desinnenministeriums handeln würde. Im Aus-
schuß ist diskutiert worden, ob die Aufsichts-
behörde die eigene Aufgabe und die Aufgabe
des Amtes hierbei richtig gesehen habe und ob
6028
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Bundesminister HÖdierl
vielleicht die eingetretene Entwicklung vermie-
den worden wäre, wenn John ein größeres Maß
an Selbständigkeit und damit das Bewußtsein
besonderer eigener Verantwortung gehabt
hätte. Der Ausschuß hat aber von einer ab-
schließenden Meinungsbildung in dieser Frage
Abstand genommen. Jedoch sollte für die Zu-
kunft stets eine Persönlichkeit ausgewählt wer-
den, der gegenüber nur eine Kontrolle, nicht
eine leitende Aufsicht nötig ist.
Meine Damen und Herren, das ist ein Absatz aus
einer Drucksache des Bundestages, der ganz unab-
hängig von den Mehrheitsverhältnissen war, mit
denen der eine oder andere Punkt des Ausschußbe-
richts angenommen wurde; aber in diesem Punkt
war man offenbar ganz einer Meinung. Man wollte
haben, daß die bisherige Art der Aufsicht geändert
wurde. Ich könnte Ihnen hier aus den Akten jener
Zeit Berichte von Herrn von Lex usw. vorlegen und
Ihnen vortragen, wie sehr man darauf aus war, die-
sem jungen, neuen Gebilde, das seiner Natur nach
immer einem demokratischen und parlamentarischen
Soup<pon ausgesetzt ist, eine adäquate, angemessene
Kontrolle zuteil werden lassen könnte. Aber hier
war der Beschluß, war die Willensbekundung des
Parlaments im Jahre 1957, eine distanzierte Aufsicht
zu führen, weil man die bisherige Art in einen Kau-
salzusammenhang mit den Ereignissen von 1954
brachte.
Ich darf vielleicht noch eine Aussage des damals
zuständigen Abteilungsleiters, des Ministerialdirek-
. tors Egidi, vortragen. Danach ist keine Bundesver-
waltung so intensiv beaufsichtigt worden wie das
Bundesamt für Verfassungsschutz, so intensiv, daß
bisweilen dieses Verfahren von der anderen Seite
als kleinlich und als reglementierend empfunden
worden sei. Staatssekretär Ritter von Lex hat vor
dem Ausschuß erklärt, das Bundesministerium des
Innern habe das Bundesamt als ein junges Amt in
einer ungemein schwierigen und neuralgischen
Sphäre als dem Ministerium sehr attachiert betrach-
tet und eine strengere Aufsicht ausgeübt, als das
sonst gegenüber einer oberen Bundesbehörde der
Fall gewesen sei.
Da war der frühere Abschnitt: 1957 die Willens-
kundgebung des Parlaments. Und, meine Damen und
Herren, jetzt möchte ich denjenigen sehen, der ange-
sichts einer solchen Entwiddung den ersten Stein
werfen will, weil nun in Ausführung eines solchen
Beschlusses die Aufsicht etwas distanzierter gehand-
habt worden ist, weil zwischen das Amt und das
Miniisterium ein hoher Justi^zbeamter geseitzt wurde,
bei dem jeder auf Grund der Persönlichkeit und
früherer Amtsführung das Vertrauen haben konnte,
daß er in einem besonderen Maße auf Gerechtigkeit
und auf Gesetzmäßigkeit sehen würde.
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Abgeordneten Sänger?
Höcherlr Bundesminister des Innern: Bitte sehr.
Sänger (SPD): Herr Minister, stimmen wir darin
überein, daß distanzierte Aufsicht ein relativer Be-
griff ist und daß es die Aufgabe des zur politischen
Verantwortung Berufenen ist, diese Distanz jeweils
richtig auszuloten?
Höcherlr Bundesminister des Innern: Ja, Herr
Sänger, ich komme noch darauf. Ich möchte mich
zwar Ihrer Relation nicht anpassen, aber ich bin der
Meinung, daß es ein relativer Begriff ist.
Ich möchte denjenigen sehen — ich darf es wieder-
holen ■ — , der angesichts einer solchen Entwicklung
für ein Amt mit dieser Vertrauenskrise bei all den
Ereignissen mit Fug und Recht hier aufstehen und
sagen kann: Es ist das eine oder das andere in der
Organisation aus wesentlichen Schuldgründen ver-
säumt worden.
Wir sollten uns eigentlich dafür bedanken, daß
schon 1954 bis 1957 die gründliche Untersuchung des
Personals erfolgt ist, bei der auch ein Ausschuß aus
vier Landesministern aller Couleurs tätig war. Das
Personal ist ja heute noch da. Die ersten Verände-
rungen wurden überhaupt von mir vorgenommen.
Da war Ihr Herr Ehlers, Bremen, dabei, Herr Wehner,
er hat Gelegenheit gehabt, alles zu sehen, und hat
1954 und 1955 nichts beanstandet. Zehn Jahre später
ist es auf einmal zu einem neuen „Verbrechen" des
neuen Innenministers gemacht worden, der einige
Monate im Amt war. Meine Damen und Herren, Sie
müssen mich von der Ehrlichkeit eines solchen Vor-
wurfes immer noch überzeugen.
Welches sind die klassischen Vorwürfe, die einem
solchen Amte begegnen können? Der klassische Vor-
wurf betrifft den politischen Mißbrauch; Dossiers
fallen an, die in innerpolitischen Auseinandersetzun-
gen mißbraucht werden. Das war doch auch der
innere Kern des Vorwurfs. Und es ist doch nicht das
geringste vorgekommen oder auch nur der Schatten
eines solchen Beweises gefunden worden. Das ist
ein Ergebnis, das zumindest sehr beachtlich ist, und
dankbar von uns zur Kenntnis genommen werden
sollte.
(D)
(Zustimmung bei der CDU/CSU.)
Der /Zweite Vorwurf, mit dem sich sehr viele an-
dere Länder auseinanderzusetzen haben, ist der, daß
hier nicht ordentlich gearbeitet werde und daß nicht
die nötige Effektivität gegeben sei. Auch in dieser
Richtung hat es gegenüber diesem Amte bisher
keinen Vorwurf gegeben. Ich meine, ein Land, das
geradezu von solchen Gefahren subversiver Betäti-
gung, der Spionage, der Sabotage umflutet ist, müßte
außerordentlich dankbar sein, daß sich die klas-
sischen Vorwürfe nicht bestätigt haben.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Nun ist ein neuer Vorwurf im Zusammenhang mit
der deutsch-alliierten Zusammenarbeit erhoben wor-
den. Ich habe Ihnen die Entstehungsgeschichte der
deutsch-alliierten Zusammenarbeit mit wenigen
Worten dargestellt. Die Verträge sind zitiert, sind
schon wiederholt angesprochen worden. Sie sind —
die letzte Fassung ist vom Bundestag einstimmig
genehmigt worden — innerdeutsches Recht. Ange-
sichts der Ratifikation hat niemand das Recht, so zu
reden, wie es geschehen ist. Die erste Ratifikation
war etwas anderes. Die zweite Fassung war aber
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6029
Bundesminister Höcherl
dann doch so, daß Sie sich etwas anderes hätten über-
legen müssen, wenn Sie einen solchen Vorwurf erhe-
ben. Jetzt komme ich auf einen ganz entscheidenden
Punkt: Wer hier behauptet, daß das Bundesamt für
Verfassungsschutz durch ganz gleich welche Organe
über die Alliierten den Art. 10 verletzt hat, der be-
hauptet in Wirklichkeit, daß sich die Alliierten be-
wußt durch deutsche Stellen hätten mißbrauchen las-
sen, deutsche Verfassungsbestimmungen zu brechen.
Einen solchen Vorwurf weise ich in aller Form, mit
allem Nachdruck energisch zurück.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Hier wird in einer sehr merkwürdigen Weise ver-
fahren, Das impliziert doch diesen Vorwurf. Der
erste Zeitungsartikel — Sie sagen, das sei vielleicht
eine Konstruktion — , der die Dinge hochgebracht
hat, lautete, daß untergeordnete Funktionäre des
Amtes auf Grund des engen Einvernehmens mit den
Alliierten mit Augenzwinkern eine Telefon- und
eine Postzensur in Gang setzten. So ist es behaup-
tet worden, auch wenn es nicht wörtlich war, bis
vor wenigen Tagen die Haltlosigkeit für alle greif-
bar und sichtbar geworden ist. So hat man die Pro-
paganda, die Demagogie, die Hetze und die Kam-
pagne betrieben; das wird doch niemand von Ihnen
bestreiten wollen.
Hier ist über die alliierten Vorbehaltsrechte in
einer sehr lockeren Form gesprochen worden. Abge-
sehen von der Rechtslage finde ich es merkwürdig
— das muß ich schon sagen — , daß man in einem
Land, das in seiner Sicherheit in Berlin und in der
(B) Bundesrepublik davon abhängt, daß die Alliierten
körperlich und physisch anwesend sind,
(Beifall bei der CDU/CSU)
diesen unseren heutigen Verbündeten das Recht
bestreiten will, die Sicherungsmaßnahmen zu tref-
fen, die sie für notwendig halten. Darauf geht doch
alles hinaus.
Herr Dorn, was Sie mit der Konsultation als einem
Lieblingskind von Ihnen immer ansprechen, geht
weit in den außenpolitischen Bereich hinein.
(Abg. Dorn; Sie haben das gar nicht begrif-
fen, Herr Minister, was ich vorgetragen
habe! — Abg. Schoettle; Dann sagen Sie es
Ihren Freunden meinetwegen, aber doch
nicht uns! — Weitere Zurufe.)
— Herr Dorn, Ihnen muß ich es auch sagen, auch
dem Herrn Schäfer muß ich es sagen. Herr Schäfer
hat nämlich große Ausführungen darüber gemacht;
Warum haben keine Konsultationen stattgefunden?
Wie war die Rechtslage? Das war nicht eine juri-
stisch zu lösende Frage, meine Damen und Herren,
das war eine politische Frage allerersten Ranges.
Wenn wir auf Grund irgendwelcher Ereignisse und
Bündnisverpflichtungen verpflichtet wären, z. B.
deutsche Truppen in irgendein Land zu geben, dann
würde ich dringend daran interessiert sein, daß das
Höchstmaß an Sicherungsmöglichkeiten für unsere
Truppen ausgenützt wird. Genauso ist das hier.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Das heißt keineswegs, meine Damen und Herren,
daß man sich nicht um die vorgesehene Ablösung
der alliierten Vorbehalts rechte bemühen sollte.
Aber man sollte sich mit politischem Takt und zur
richtigen Zeit darum bemühen, und man sollte nicht
bei untergeordneten, sondern bei ganz großen Din-
gen anfangen. Und bei ganz großen Dingen habe
ich mit der Notstandsverfassung angefangen, die ich
Ihnen vorgelegt habe, weil hiermit der unerhörte
Bereich des alliierten Vorbehalts, der über das
ganze Grundgesetz weit hinausreicht, angesprochen
wird. Seit eineinhalb Jahren, meine Damen und
Herren, haben Sie Gelegenheit, diesen Ablösungs-
prozeß in Form einer deutschen Gesetzgebung zu
vollziehen und damit den größten Teil' des Vorbe-
halts wegzubringen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Die Mitwirkung und die rasche Verabschiedung
eines solchen Komplexes ist der richtige Maßstab
dafür, auch hier hineinzuleuchten. Dies ist zweifellos
auch eine wichtige Angelegenheit, aber im Vergleich
zu dem anderen Komplex doch nur von relativer
Bedeutung.
Nun steht in dem Bericht die Bemerkung, daß von
1955 bis 1958 Konsultationen stattgefunden haben
— • das ist richtig — und daß sie 1958 nicht mehr
stattgefunden haben. Es steht mir mit Rücksicht auf
die alliierte und die deutsche Geheimhaltung nicht
zu, alle Einzelheiten in diesem Zusammenhang hier
auszubreiten. Aber die Tatsache einer solchen Kon-
sultation ist in dem Bericht mit Recht erwähnt. War-
um, glauben Sie, haben im Jahre 1958 auf einmal
die Konsultationen auf gehört? Ist Ihnen das Jahr
1958 mit der Drohung Chruschtschows und all die- (D)
sen Dingen nicht mehr in Erinnerung? Glauben Sie,
daß es passend gewesen wäre, 1958 bei besonderer
Beanspruchung zu sagen: All diese Sicherungen und
all diese Vorbehaltsrechte müssen vom Tisch, aber
ihr müßt eure Truppen verstärken und ihr müßt
euch noch mehr engagieren? Meine Damen und
Herren, so sind doch die Dinge. Es ist ein hochpoli-
tischer Bereich, dem man mit solchen Betrachtungen,
wie Sie sie angestellt haben, Herr Dorn, gar nicht
gerecht wird,
(Beifall bei der CDU/CSU)
obwohl ich Ihnen gar nicht absprechen möchte —
und das ist ein gemeinsames Bemühen — , daß wir
einen politisch günstigen Zeitpunkt erspähen müs-
sen, damit wir die volle Souveränität auch in diesem
Bereich bekommen, weil wir das, was wir rechtlich
zurückbekommen, durch Bündnistreue ausgleichen
und damit den Zustand faktisch hersteilen können,
der vorher durch eine rechtliche Bindung begründet
war.
Diese VoFwiürfe, die ich bereits dargestellt habe,
die hier wiederhoit formuliert worlden sind, wiurden
in der Öffentlichkeit erhoben und aufgenomanen.
Jetzt will ich Ihnen einmal sangen, wie — Herr Kol-
lege Wagner hat es schon vorgetragen — in einem
anderen Parlament, im kanadischen Parlament, das
uns doch recht vorbildlich erscheint, der kanadische
Innenminister, ein Liberaler, und wie sein Vorgän-
ger, ein Konservativer, auf eine solche, im selben
zeitlichen Zusammlenhang gestellte Anfrage geant-
wortet hat. Die Anfrage im kanadischen Parlament
lautete :
6030 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Bundesminister Höcherl
^ ^ Hat irgendeine Behörde der Regierung Einrich-
tungen, die zum A'bhören ^von Tel ef Ölleitungen
benutzt iweiiden, unid wenn ja, welche Behörde,
iür welchen Zweck und auf welcher Rechts-
grundlage?
Die Antwort des liberalen Ministers lautete:
Es war die Politik dieser Regierung und der
früheren Regierungen, die Beantwortung von
Fragen dieser Art abzulehnen, da sie dem
öffentlichen Interesse entgegenstehen. Es be-
'steht nicht die Absicht, diese Politik izu ändern.
Auf eine ähnliche Anfrage des Abgeordneten
Howard im Jahre 1962 gab der konservative Mini-
ster Brown wörtlich die gleiche Erklärung. In Hol-
land hat sich vor wenigen Monaten dasselbe voll-
zogen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht wis-
sen, was geschehen wäre, wenn ich es gewagt hätte,
hier eine solche Antwort zu geben. Ich glaube, das
ganze Haus von links bis rechts wäre explodiert.
(Rufe: Na, na! und ^weitere Zurufe von der
SPD.)
— Meine Herren, Sie sind doch schon explodiert,
obwohl ich alles auf den Tisch gelegt habe, und Sie
versuchen jetzt noch, eine Explosion zu spielen, ob-
wohl der ganze Sprengstoff längst beseitigt ist.
(Beifall bei der CDU/GSU.)
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen ins Ge-
dächtnis zurückrufen, was ich gemacht habe. Ich
^ habe von diesen Dingen gerade so wie Sie in der
Presse gelesen. Ich habe darauf unverzüglich, schon
am nächsten Tag, mit dem Staatssekretär, dem Prä-
sidenten des Amtes und dem Sachbearbeiter unserer
Abteilung eine Untersuchung begonnen. Das war
der erste Schritt. Dann habe ich das getan, was in
allen heiklen, hochpolitischen Fragen in diesem
Hause üblich, ist: ich habe den Fraktionsvorsitzenden
angeboten, in einer Dreier-Kommission alle diese
Dinge auf den Tisch zu liegen. Wenige Tage darauf
ist diese Dreier-Kommission — leider nicht in der
prominenten Besetzung, wie ich es mir gewünscht
hätte — zusammengetreten. Dort sind — das kann
niemand bestreiten — Dinge auf den Tisch gelegt
worden, wie sie in der ganzen westlichen Welt in
einem ähnlichen Fall nicht auf den Tisch gelegt
werden. Das war der „Vertuschungsversuch" des
Innenministers, von dem hier in dieser leichtffertigen
Weise gesprochen wiiid.
(Beifall bei der GDU/CSU.)
Meine Damen und Herren, es ist ein Volkssport
geworden, daß man sagt: Parlamentarismus besteht
vielleicht darin, daß mun recht großzügig und recht
ungeprüft, vor allem wenn es sich um einen Resisort-
chef hanidelt, Behauptungen, izum Teil mit ehren-
rührigem Charakter, in die Welt setzt. Ich habe eine
andere Meinun)g. Ich bin der Meinung, unser Grund-
gesetz hat einen ganz entscheidenden Artikel, das
ist der Artikel 1 über die Menschenwürde, und die-
ser Artikel muß hier auch in der Praxis gehandhabt
werden.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Wenn man allein die Höflichkeit, die man im Stra-
ßenbahnwagen zeigt, hier anwenden würde, hätten
wir für unsere gemeinsame politische Arbeit schon
viel gewonnen. Aber das bringt man nicht fertig,
sondern es werden Behauptungen aufgestellt, die
einfach objektiv unrichtig sind, und zum Teil in
einer Form aufgestellt, daß man vermuten muß, daß
subjektiv eine unlautere Absicht dahintersteckt —
um mich ganz vorsichtig und zurückhaltend auszu-
drücken.
Dieses Dreier-Gremium wurde dann durch den
Innenausschuß verstärkt; ich habe dann den In-
nenausschuß ebenfalls mit allem bedient, was ich
überhaupt zur Verfügung hatte. Ich darf hier viel-
leicht noch etwas erwähnen. Ich war erst wenige
Monate im Amt, als ich am 16. März 1962 eine sehr
scharfe Dienstanweisung herausgegeben und die
Berichtspflicht außerordentlich verschärft habe. Das
darf ich vielleicht in diesem Zeitpunkt mitteilen, da-
mit Sie nicht meinen, es wäre mir vollkommen
gleichgültig gewesen. Die Dinge interessieren midi
von der Vertrauensbasis her, die für eine solche
Einrichtung unerläßlich ist. Wir können unsere ganze
politische Arbeit ohne laufende Abstimmung und
Einpendelung mit den Grundzügen, den ethischen
Grundzügen der öffentlichen Meinung nicht voll-
ziehen, und ein solches Amt kann nicht existieren,
wenn es nicht von dem Vertrauen aller getragen
ist.
(Zuruf des Abg. Dr. Schäfer.)
Darum habe ich ja doch, Herr Schäfer, vom ersten
Augenblick an alles an Untersuchungen auf geboten, pj
was mir überhaupt zur Verfügung stand, habe dann
Herrn Dr. Silberstein gewonnen. Ich stehe nicht
an, meine Damen und Herren, hier zu sagen, ob-
wohl Freunde sich anders ausgedrückt und erklärt
haben: „Ja, der Untersuchungsausschuß war dann
überflüssig!": Für mich ist überhaupt nichts über-
flüssig, was dazu beitragen kann, hier zu besseren
Verhältnissen zu führen. Das ist und bleibt meine
Einstellung.
Aber ich lasse den Vorwurf nicht auf mir sitzen,
ich hätte bewußt falsche Aussagen und falsche An-
gaben gemacht. Ich gebe zu, meine Damen und Her-
ren, daß ich jeweils von Stadium zu Stadium An-
gaben gemacht habe. Dieser ganze Vorgang hat sich
in einer hektischen, von vielen angeheizten, von
vielen merkwürdigen Elementen angeheizten Atmo-
sphäre vollzogen. Man war von Stunde zu Stunde
zu Äußerungen gezwungen, wenn man sich nicht
dem Verdacht aussetzen wollte, daß das Schweigen
ein Eingeständnis der Schuld sei. So waren doch
diese Dinge. Was konnte ich mitteilen? Ich konnte
das mitteilen, was mir im Rahmen der Untersuchung
an Erkenntnissen zugewachsen ist, und ich habe, je-
weils den Stand — immer mit der Einschränkung:
.„soweit ich das weiß" — bekanntgegeben.
Jetzt werden Sie sagen: „Na ja, da sind Sie falsch
informiert worden." Ich .will Ihnen einmal etwas
sagen, meine Damen und Herren, wie der Herr Prä-
sident Schrübbers, dessen Amtsübernahme, dessen
Aufbauleistung, dessen Herkunft und dessen Ein-
stellung zu Recht und Gesetz ich Ihnen schon dar-
stellen konnte, seine Aufgabe angesehen hat. Es
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6031
Bundesminister Höcherl
hat einige Zeit gedauert, bis ein Mann aus der
Justiz, der eine ganz andere Arbeitsweise gewöhnt
ist und in ein solches Amt an die Spitze gesetzt
wird, Boden unter den Füßen gewonnen und neue
Formen gefunden hat. Formen, die ihm auch vorge-
schrieben waren durch den Ausschuß im Rahmen
der John-Untersuchung. Es war Schrübbers, der
keine Gelegenheit vbrübergehen ließ, im Amt und
außerhalb des Amtes die Rechtsstaatlichkeit bis
hinunter zur Beschaffung klarzulegen. Ich könnte
hier zitieren — auch im Ausschuß ist die Aussage
gemacht worden, die Beteiligten wissen das ge-
nau — , daß er peinlich darauf gesehen hat, daß den
Alliierten gegenüber nicht unmittelbare Aufträge
für namentlich genannte Personen erteilt wurden.
Und er hat bewußt formaljuristisch formuliert und
definiert. Das lag ihm, und das lag auch im Bereich
und im Rahmen seiner Aufgabe, und deswegen hat
er das vielleidit überspitzt gemacht, und ich habe
es überspitzt übernommen. Aber ich stelle -midi vor
diesen Mann! Ich kenne seine Rechtlichkeit und sein
sauberes Eintreten, seine Aufbauarbeit, und ich
weiß, daß er mich nicht hereinlegen wollte. Wir
haben vielleicht, in dem Bemühen, jedes Wort ganz
genau zu ziselieren, einen Sinn hineingebracht, den
ich heute nicht mehr schreiben würde. Das ist zuzu-
geben. Das sind Dinge, die aus der Entwicklung ver-
ständlich sind. Aber ich nehme die Ehre für mich in
Anspruch und lasse sie mir auch durch so oberfläch-
liche Verdächtigungen nicht nehmen, dadurch, daß
sich jemand hinstellt und sagt, das sei vielleicht ein
Vertuschung s versuch. Wer solche Untersuchungsin-
stanzen und Instrumente einschaltet, meine Damen
ß) und H erren, und unverzüglidi, sofort, noch bevor
weitere Klärungen in Betracht kommen, eine ganze
Reihe von entscheidenden Organisationsverbesse-
rungen trifft, dem dürfen und können Sie — das
liegt nicht im Interesse der Sache und der Zusam-
menarbeit — nicht vorwerfen, daß etwas habe ver-
tuscht werden sollen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Daß da oder dort, meine Damen und Herren, et-
was geändert werden muß, bestreite auch ich nicht;
das ist bereits geschehen und wird noch mehr ge-
schehen. Ich bin gerade dabei, eine einheitliche
Dienstanweisung zu erlassen. Diese Dinge haben
allerdings zwei Seiten. Je mehr Sie die Dinge ver-
bürokratisieren, um so mehr , gefährden Sie die
Wirksamkeit. Aber ich gebe dieser Formalisierung
den Vorzug, weil sie ein weiteres rechtsstaatliches
und gesetzmäßiges Element für die Praxis ist; und
das ist für das Vertrauensverhältnis im Rahmen
einer allergischen und jungen Demokratie notwen-
dig. Vielleicht kommen wir noch in eine Gewöhnung
und in eine Art der Betrachtung hinein, wie sie
glücklichere Völker in England und in Amerika seit
eh und je in diesem Bereich haben. Aber das dauert
auch seine Zeit, und diesen „pädagogischen" Teil
müssen wir einfach, wenn auch auf Kosten der
Effektivität, durchstehen; das ist gar nicht anders
zu denken.
Herr Dorn hat bei den vielen Punkten, in denen
ich objektiv nicht die Wahrheit gesagt haben soll,
auch vorgetragen, ich hätte einmal erklärt, es gebe
ein Dokument dafür, daß es bei diesen Anregungs-
fällen immer um alliierte oder gemeinsame Sicher-
heitsinteressen gegangen wäre. Ich kann keine Ein-
zeldokumente vorlegen. Aber ich kann ein anderes
Dokument vorlegen, das bereits einmal verlesen
worden ist. Wir haben mit den Alliierten ein Proto-
koll aufgesetzt. Dieses Protokoll handelt von der
Arbeitsweise. Es ist der Öffentlichkeit durch eine
Pressemitteilung bekanntgeworden. Deswegen darf
ich es hier in dem entscheidenden Teil wiederholen.
Es lautet:
Im Gefolge von Informationen, die von deut-
schen Behörden stammen oder von ihnen einge-
holt werden, ergeben sich Fälle, bei denen aus
gemeinsamem Sicherheitsbedürfnis Verbin-
dungslinien von den Alliierten in Übereinstim-
mung mit ihren Rechten überwacht werden.
Jede derartige Überwachung, die von den
Alliierten vorgenommen wird, geschieht auf
ihre eigene Initiative und in Übereinstimmung
mit den Erfordernissen des Schutzes ihrer Streit-
kräfte.
Das ist das entscheidende Dokument derjenigen
Kräfte — —
Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Minister, würden Sie uns
bitte Überschrift, Datum und Unterschrift, von wem
diese Erklärung ist, hier mitteilen.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ja, wir ha-
ben schon im Innenausschuß darüber gesprochen. Ich
werde Ihnen das persönlich mitteilen.
Dr, Schäfer (SPD) : Jetzt hier, wenn Sie zitieren,
Herr Minister! Von wem stammt es, wer hat es
unterschrieben, welcher Kopf ist oben?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Schä-
fer, ich sage Ihnen jetzt: das ist eine Erklärung, die
mit den Alliierten im September 1963 formuliert
worden ist.
(Abg. Dr. Schäfer: Und nie von den Bot-
schaften veröffentlicht wurde!)
— Herr Schäfer, das gebe ich Ihnen zu.
(Zuruf von der SPD: Also!)
Ich habe aber erklärt, daß es vorher in der Presse
stand und daß ich es deswegen bekanntgebe. Sie
sollten sich an dem sachlichen Sinn orientieren und
nicht an Formalitäten; wir wollen gemeinsam die
Dinge bewältigen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Ein weiterer Vorwurf: daß jeder untergeordnete
Funktionär und Referent usw. eine solche Anregung
hätte auslösen können. Sie haben zwei klassische
Zeugen, auf die Sie nicht stolz sein können; aber
das weiß man nie bei Zeugen. Was Pätsch und
Bethke ausgesagt haben, war interessant. Die bei-
den, die den Beweis bringen sollten, daß die Dinge
6032
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29, April 1964
Bundesminister Höcherl
fAl
' ' nicht rechtlich und gesetzlich vollzogen werden,
haben gesagt: Ich nicht und der andere auch nichts
ich weiß keinen Fall, ich hätte es phyisich gekonnt.
— Ich kann mich auch auf den Marktplatz hinstellen
und physisch etwas vorlesen, was nicht verlesen
werden darf. So waren die Dinge. — Bitte, Herr
Wehner,
Wehner (SPD): Herr Minister, würden Sie nicht
annehmen, daß der Begriff Zeuge hier für die Öffent-
lichkeit eigentlich etwas irreführend ist? Ist es nicht
so, daß es die Aufgabe des Parlaments ist, im Falle
so gravierender und in einer Weise, wie das jeder
miterlebt hat, vorgetragener Vorwürfe, Behauptun-
gen und Feststellungen, den Dingen auf den Grund
zu gehen? Verwischen Sie damit, daß Sie von Zeu-
gen sprechen — für die man nicht immer könne — ,
nicht die eigentliche Funktion des Parlaments und
seines Untersuchungsausschusses?
HÖcherlr Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lege Wehner, ich habe in meinen Ausführungen er-
klärt, daß ich mich nicht gegen die Einsetzung des
Untersuchungsausschusses und nicht gegen das Er-
gebnis wende, sondern daß ich die Kontrollaufgabe
des Parlaments bejahe, daß ich mir aber einige For-
men, die ich selbstverständlich bejahe, anders vor-
stellen könnte und daß jieder Anschein vermieden
werden muß, daß hier Sanktionen stattfinden und
daß — darauf kommt es an — die äußerste Zurück-
haltung bewiesen werden muß.
(B) (Abg. Dr. Mommer: Da könnten wir uns
auch einen anderen Innenminister vor-
istellenl)
— Ja, ja! Aber wenn Sie so weitermachen wie in
Baden-Württemberg, müssen Sie sich mit einem aus
unseren Reihen noch lange zufriedeugeben.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
der SPD.)
Herr Wehner, ich darf Ihre Frage beantworten.
Ich bin Ihrer Meinung, daß Zeugen gehört werden
müssen. Andere Auskunftsmittel gibt es nicht. Ich
darf hier auf folgendes hinweisen — und das war
das, was ich zum Ausdruck bringen wollte — ; der
Herr Bethke war in einer gehobenen Position, in
der er viel mehr Möglichkeiten physischer Art hatte
als andere, die unmittelbar in den Rahmen des Am-
tes eingebaut waren. Selbst er hat zugegeben und
mußte zugeben, daß er nichts gegen die vom Präsi-
denten verfügte Ordnung in diesem Bereich gemacht
hat. Das ist eine wertvolle Feststellung.
Nun ist vorhin etwas über die Zahl der Fälle ge-
sagt worden. Meine Damen und Herren, dazu darf
ich Ihnen jetzt einmal in aller Offenheit folgendes
sagen. Was sagen Sie denn zu der Tatsache, daß
z. B. in der Abteilung IV, in der Spionage- und
Sabotagefälle zu behandeln sind, im Jahr Tausende
von Fällen über den Tisch gehen, daß aber selbst
in dem peinlich genauen Bericht des Herrn Silber-
stein, der Unterlagen der Alliierten für seine Fest-
stellungen hatte, im Jahr nur 15 bis 20 Fälle fest-
gestellt worden sind? Ich kann dazu leider keine
weiteren Einzelheiten vortragen. Aber für jeden.
der hören kann, für jeden, der über ein inneres
Verständnis für solche Zusammenhänge verfügt, be-
deutet dieses Zahlenverhältnis eine größere Ent-
lastung als alles andere, was hier vorgelegt worden
ist.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Daraus ergibt sich, daß hier nicht der blinde Eifer
am Werke war, die Verfassung zu brechen, sie zu
umgehen und mit Hilfe der Alliierten, denen hier
Mißbrauch oder Beihilfe imd Begünstigung vorge-
worfen wird, etwas Rechtswidriges zu unternehmen,
sondern daß man äußerst zurückhaltend war, schon
deswegen, weil die Dienste ja nun auch einen ge-
wissen eigenen Ehrgeiz entwickeln und weil hier
viele andere Dinge mitspielen, die nur in vertrau-
testem Kreise besprochen werden können.
Meine Damen und Herren, so ist die Lage. Wir
müssen heute, wenn wir uns ein Urteil zu bilden
haben, die Beschuldigungen und das Untersuchungs-
ergebnis einander gegenüberstellen. Wenn es heißt:
Es ist kein Mißbrauch festgestellt worden, dann
heißt das, kein rechtlicher und kein tatsächlicher
Mißbrauch. So war es gemeint, und eine bessere
Lösung im Interesse des Amtes ist gar nicht denk-
bar. Da geht es gar nicht um die Person. Ich könnte
mich leicht herausreden und könnte vielleicht sagen:
Der oder jener meiner Vorgänger . . . Das tue ich
nicht, meine Damen und Herren. Hier wirkt eine
Kontinuität, eine gemeinsame politische Verant-
wortung, die Sie im übrigen angesichts Ihres Kon-
trollrechtes und Ihrer Konfrollpflicht genauso tref- (D)
fen würde wie mich — damit wir die Dinge völlig
klarstellen. Nein, nicht Schuldfragen stehen hier zur
Debatte, sondern das Ergebnis, und eine befriedi-
gendere Feststellung als die, daß weder rechtlich
noch tatsächlich Schuld in der schwersten Form der
Verletzung des Art. 10 des Grundgesetzes vorliegt,
kann ich mir nicht vorstellen. Das ist ein befriedi-
gendes Ergebnis. Ebenso befriedigend war es, daß
in den 14 Jahren ein Mißbrauch politischer Art mit
Dossiers nicht nachgewiesen werden konnte.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Das sind Dinge, meine Damen und Herren, die die-
sem Amt alle Ehre machen, die diesem Amt ein An-
sehen verleihen und die von uns allen — wir haben
es ja zu tragen — Respekt gegenüber diesem Amt
verlangen.
Heute sind einige sehr anerkennende Worte für
dieses Amt gefunden worden. Es wäre recht gut
gewesen, wenn solche Äußerungen gleich im Sep-
tember und Oktober zu hören gewesen wären.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Dann hätten wir uns alle viel leichter getan. Es gibt
Leute — ich meine sicher nicht Sie, Herr Güde; es
gibt andere — , die betrachten, soweit sie früher
Staatsanwalt waren, ihre politische Tätigkeit als
Fortsetzung der staats anwaltschaftlichen Tätigkeit
mit anderen, mit politischen Mitteln.
(Zuruf von der SPD: Wer?)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6033
Bundesminister Höcherl
(■A-) — Wer? Na ja, es muß ja nicht immer alles so ge-
nau ausgesprochen werden. Die Andeutung ist ja
viel interssanter als das Unmittelbare.
(Abg. Schoettle: Da sind Sie Meister!)
— Nein, Herr Schoettle, Sie werden mir nicht vor-
werfen können, daß in einem einzigen Satz dessen,
was ich jetzt gesagt habe, etwas enthalten war, was
Sie mehr belastet, als Sie selbst verschuldet haben.
(Lachen bei der SPD. — Zuruf des Abg.
Schoettle.)
Es genügt nicht, angesichts einer solchen Debatte
und angesichts einer solchen Entscheidung wie der,
die wir zu fällen haben, einfach zu sagen: Jawohl,
wir erkennen das Amt an und die Pflichttreue usw.
Wir müssen auch noch sehen, welche Aufgaben be-
wältigt worden sind. Im militärischen Bereich, im
Bereich der zivilen Verteidigung, im Bereich der
Wirtschaft, meine Damen und Herren, könnte ich
Ihnen Namen über Namen von Personen nennen,
die von diesen Männern in unerhörter Pflichterfül-
lung zur Strecke gebracht worden sind. Unsere
Sicherheit ist vermehrt worden. Bis hinnein in den
Bundestag reichen diese Dinge. Keine einzige Partei
ist von Unterwanderung verschont geblieben. Und
in welcher taktvollen, diskreten, vornehmen und
staatspolitischen Form hat das Bundesamt die Mit-
teilung an die Parteien vollzogen! Das muß jeder,
der von diesen Dingen etwas weiß — und es sitzen
einige hier im Saal — , bestätigen. Das ist ohne
Dienstvorschriften in einer vorzüglichen Weise ge-
(B) macht worden, vielleicht besser, als wenn auch noch
für diesen Fall für Schriftgelehrte eine Dienstvor-
schrift ausgearbeitet worden wäre. Es gibt so viel
individuellen Fälle, die sich oft gar nicht in eine
Dienstvorschrift fassen lassen. Im übrigen gab es
auch ein Gesetz. Die Verwaltung ist gesetzmäßig
zu führen. Das scheint mir im wesentlichen doch
der Fall gewesen zu sein.
Ich brauche nicht darauf hinzuweisen, wie der
Rechtsradikalismus in Schach gehalten worden ist
und wie sehr wir der Beobachtung der internationa-
len Öffentlichkeit gerade in diesem Bereich ausge-
setzt sind. Immer wieder kommen internationale
Verbände in meine Diensträume und erkundigen
sich, wie die Dinge gerade in diesem Bereich sind.
Im ganzen kommunistischen Bereich gibt es heute
viel, viel mehr davon. Ich bin sehr erstaunt, Herr
Kollege Schäfer, daß Sie wiederum Ihre alte These
vertreten, daß die Abwehr der kommunistischen
Subversion nicht eine gemeinsame deutsch-alliierte
Sache sei. Das gehört mehr als alles andere in die-
sen Bereich.
(Abg. Dr. Schäfer: Sie haben gar nicht be-
griffen, was ich gesagt habe!)
— • Ich habe das sehr wohl begriffen; Sie haben das
schon zwei- oder dreimal gesagt.
(Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.)
— Herr Schmitt, das ist nicht die Art, wie wir dis-
kutieren sollten. Das ist die Art, wie man sich auf
der Straße etwas zuruft, aber nicht die Art, wie wir
uns hier in diesem verantwortlichen Gremium aus-
einanderzusetzen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich brauche nicht darauf hinzuweisen, mit welchem
materiellen Einsatz die andere Seite arbeitet, von
der Methode und vom personellen Einsatz gar nicht
zu reden. Es sind Beispiele zitiert worden, die das
Maß der Aufgabe und das Maß der Schwierigkeiten
besser umschreiben als alles andere, was dazu ge-
sagt worden ist.
Ich darf noch einmal betonen, was ich eingangs
gesagt habe. Das Entscheidende, zu dem sich die
Bundesregierung und alle Parteien — daran besteht
gar kein Zweifel — bekennen, ist folgendes. In der
Spannung zwischen dieser unerhörten Aufgabe und
der Rechtssicherheit der Gesetzmäßigkeit hat die
Gesetzmäßigkeit den Vorrang, auch wenn sie Nach-
teile für unsere Sicherheit bringt. Das Ganze ist ja
in erster Linie ein Sicherheitsproblem. Aber weil
wir gemeinsam die Verantwortung für die Rechts-
sicherheit genauso wie für das andere tragen, müs-
sen Sie, wenn Sie dieser Verantwortung gerecht
werden wollen, den Sicherheitsbereich genauso ab-
stützen und genauso unterstützen. Dann wird es
eine Ausgewogenheit geben und ein Einpendeln in
der öffentlichen Meinung. Das muß in einem stän-
digen Prozeß errungen werden, und das wird viel-
leicht noch vielen Prüfungen ausgesetzt sein.
Ich würde es für richtig halten, wenn wir unter
diese ganzen Vorgänge, die sehr viel Unangeneh-
mes und sehr Peinliches und Ehrenrühriges und
alles mögliche enthalten, einen Strich ziehen könn-
ten, damit wir uns in dieser bedeutsamen Frage der
nationalen Sicherheit in Zukunft auf einer gemein-
samen Front bewegen können.
P)
Meine Damen und Herren, ich darf schließen mit
einem Wort von Kennedy, der sich auch zu diesem
Bereich geäußert hat: Die Erfolge dieser Männer,
vor die ich mich stelle und deren Pflichterfüllung
unsere gemeinsame Anerkennung verdient, bleiben
unbesungen. Ihre Fehlschläge werden ausposaunt.
Ich bin davon überzeugt, daß Sie wissen, wie wich-
tig und wie wesentlich für das Ganze ihre Arbeit
ist. In diesem Geiste und in diesem Sinne sollten
wir auf dem Weg nach vorn gemeinsam den Streit
begraben und die Einrichtung in ihrer Sicherheits-
bedeutung für das Volk beachten und stützen. Auch
diejenigen, die keine Gelegenheit versäumen, uns
anzugreifen, leben von dieser Sicherheit.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
(Zuruf von der CDU/CSU. — Abg. Schmitt-
Vockenhausen: Die Debatte ist wieder er-
öffnet; das ist mein gutes Recht!)
Schmitt-Vockenhausen (SPD): Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnen-
minister hat jetzt eine Stunde gebraucht, um an dem
eigentlichen Kern der Probleme vorbeizureden.
(Beifall bei der SPD.)
6034
Deutsdier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 20. April 1964
Schmitt- Vockenhausen
Et hat nämlich die ganze Stunde dazu gebraucht, um
hier, wenn auch nur bruchstückweise, sich endlich
zu den Behauptungen zu stellen, die objektiv un-
richtig waren und die der Herr Berichterstatter noch
einmal, nach dem ich heute mittag schon darauf
zurückgekommen war, vorgetragen hat; der Mini-
ster hat bekannt, daß seine damaligen Äußerungen
falsch waren. Er hat es begründet. Gut, wir werden
in seinem Bericht sicher Näheres hören, wie es da-
zu kam, daß er die Öffentlichkeit damals falsch
unterrichtet hat. Meine Damen und Herren, die
Frage bleibt weiter gestellt, und ich bin dankbar,
wenn in dem Bericht der Bundesregierung dann im
einzelnen dazu Stellung genommen wird, warum
damals die deutsche Öffentlichkeit in einer Reihe
von Punkten falsch unterrichtet worden ist.
Ich will nun nicht — das würde in der vorhande-
nen Zeit gar nicht mehr möglich sein — auf all das
eingehen, was Sie, Herr Minister, gesagt haben.
Lassen Sie mich eines erklären. Sie haben gesagt:
Den Kampf müssen wir gemeinsam mit den Verbün-
deten führen. Natürlich führen wir ihn gemeinsam.
Helfen Sie auch dabei beispielsweise Ihrem Außen-
minister, statt mit dem Dolch im Gewände in der
Gegend herumzuschleichen, wie das gerade in den
Kreisen der CSU geschieht.
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/
CSU: Bleiben Sie bei der Sache!)
Noch einige kleine Bemerkungen zu der person-
nellen Frage. Herr Minister, Sie wissen genau, um
(B) was es damals gegangen ist. Nachdem Herr Globke
in der Sache Felfe eine unglückliche 1-Vo-Rechnung
aufgemacht hatte, hatte Ihr Haus eine 2-®/o-Rech-
nung aufgemacht, ohne sich dabei klarzusein, wel-
ches Sicherheitsrisiko in einer solchen Situation
steckt. Und darum ging es damals. Und sagen Sie
doch nicht, die Viererkommission habe die Perso-
nalien dieser Leute geprüft. Sie wissen doch, Herr
Minister, daß die Leute, um die es hier geht, zu die-
sem Zeitpunkt nicht eingestellt waren, sondern sehr
viel später eingestellt worden sind. Das haben wir
doch alles schon im kleineren Kreise besprochen.
Warum müssen wir uns über diese Dinge nun wie-
der auseinandersetzen?
Lassen Sie mich noch folgendes sagen, Herr Mini-
ster. Wenn die Öffentlichkeit das Gefühl hatte, hier
sei eine Clique, — war das falsch? Soll ich mich auf
einen prominenten Untersuchungsführer als Zeugen
berufen, der sich in Ihrem Amt umgesehen hat? Ist
es denn nicht so, daß man dort selbst das Gefühl
hatte, daß ein bißchen viel der Leute auf einem
Fleck waren?
(Sehr wahr! bei der SPD.)
Und sagen Sie doch nicht, Herr Minister, die Oppo-
sition hätte das gebilligt! Sie wissen ganz genau,
daß die Einstellung einzelner Leute der Opposition
niemals in diesem Sinne vorgetragen worden ist.
Das alles geht doch an den Tatsachen vorbei.
Ich bitte nochmals um Annahme unseres Antra-
ges.
(Beifall bei der SPD.)
(C)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Schultz.
Schultz (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Gerade zu diesem An-
trag, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wollte
ich noch ein paar Worte sagen. Aber zunächst bin
ich der Auffassung — und mit mir meine Freunde — ,
daß Herr Kollege Dorn keine leichtfertigen Behaup-
tungen aufgestellt hat. Ich glaube vielmehr, daß die
beiderseitigen Temperamente meines Kollegen und
des Herrn Ministers sie nicht immer so Zusammen-
kommen ließen, wie das wünschenswert gewesen
wäre.
Der Herr Innenminister hat sich, so glaube ich
das jedenfalls betrachten zu können, von Anfang
dieser Ereignisse an vor die Beamten und Ange-
stellten des Verfassungsschutzes und seines Hauses
gestellt. Daraus sind manche Äußerungen zu erklä-
ren, die der Herr Minister getan hat und die meiner
bescheidenen Meinung nach besser unterblieben
wären. Ob alle, vor die er sich gestellt hat,' ihm das
gelohnt haben, wage ich auch zu bezweifeln. Ich
meine nämlich, daß der Minister falsch informiert
worden ist und sich daher zwangsläufig im Unter-
suchungsausschuß korrigieren lassen mußte. Herr
Kollege Dorn mußte aber auf Grund der Debatte,
die hier geführt worden ist, an zitierten Beispielen
dartun, daß eben der Untersuchungsausschuß doch
notwendig gewesen war. Wäre in der vorangegan-
genen Debatte diese Notwendigkeit nicht in dieser
Form bestritten worden, dann, glaube, ich, hätten
wir uns die Auseinandersetzungen sparen können
und die Debatte wesentlich verkürzt. Wir von der
Freien Demokratischen Partei haben aber keine
Veranlassung, einem Antrag der SPD zuzustimmen,
(Zurufe von der SPD)
der, meine sehr verehrten Kollegen, wenn über-
haupt, dann im Ausschuß hätte gestellt werden müs-
sen.
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
Abg. Schmitt-Vockenhausen: Nicht im Aus-
schuß! Das haben wir extra besprochen!)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Wird weiter das
Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Aussprache; wir kommen zur Abstim-
mung.
Ich schlage Ihnen vor, daß wir den einfachsten
Weg nehmen: Abstimmung zuerst über die Ziffern 1
bis 3, die den Antrag des Ausschusses enthalten,
dann über die Ziffern 4 und 5, die den Änderungs-
oder Ergänzungsantrag der SPD darstellen. Sind Sie
mit dieser Methode einverstanden? — Das ist der
Fall.
Erstatten Sie zum 1. 10. den fälligen Bericht! Die
deutsche Öffentlichkeit wartet gespannt, wie Sie im
einzelnen zu den Fragen Stellung nehmen, wie es
kam, daß wir von Ihnen falsch unterrichtet wurden.
Ich lasse also abstimmen über den Antrag des
Ausschusses, Ziffern 1, 2 und 3. Wer zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6035
Vizepräsident Dr. Jaeger
Enthaltungen? — Bei wenigen Enthaltungen ohne
Gegenstimmen angenommen.
Dann lasse ich abstimmen über den Antrag der
SPD Umdruck 453, dem Antrag des Ausschusses noch
die Ziffern 4 und 5 anzufügen. Wer zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Keine
Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt und damit
die Beratung zu diesem Punkt der Tagesordnung ab-
geschlossen.
Gemäß der interfraktionellen Vereinbarung rufe
ich nun auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vor-
schriften (Drucksache IV/806). Zweiter Schrift-
licher Bericht des Rechtsausschusses (Druck-
sachen IV/2195 und ^ IV/2195),
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der
SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des § 556 a des Bürgerlichen
Gesetzbuchs (Drucksache IV/1554);
Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses
(Drucksache IV/2201).
Berichterstatter ist für beide Entwürfe der Abge-
ordnete Dr. Hauser, der jeweils einen Schriftlichen
Bericht erstattet hat. Ich danke ihm dafür.
In der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs unter
a) rufe ich auf Art. I Nr. 1. — Das Wort wird nicht
gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich
um das Handzeichen. — Ich bitte um. die Gegen-
probe. • — Angenommen.
Ich rufe auf Nr. 2 und dazu den Antrag der Frak-
tion der SPD auf Umdruck 445, Buchstabe a.
Das Wort hat der Herr Abgeordneter Jacobi.
(Anhaltende Unruhe.)
— Ich bitte um Ruhe, damit wir die Verhandlungen
zügig fortführen können.
Jacobi (Köln) (SPD): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Ich spreche zu dlem Antrag Um-
druck 445, Buchstabe a. Nach der in den Ausschuß-
beratungen unverändert gebliebenen Regierungs-
vorlage SiOll der § 538 neu gefaßt werden. Der bil-
ligenswerte Grund hierfür ist die Behebung von
Zweifeln, die durch die bisherige Fassung hinsicht-
lich des Rechtes der Mietminderung nach § 537 und
der eventuellen Geltendmachung auch eines Scha-
densersatzanspruches wiegen Nichterfiüllung aufge-
treten sind. Die Neufassung entscheidet dahin, daß
der Mieter auch im Falle der Mietminderung Scha-
densersatz wegen Nichterfüllung verlangen kann.
In Übereinstimmung mit der Stellungnahme des
Bundesrats sind die Antragsteller der Auffassung,
daß die Rechte des Mieters wie in § 537 auch in
§ 538 unabdingbar sein sollten. Es ist nicht einzu-
, sehen, warum diese Unabdingbarkeit bei Mängeln
der Mietsache nur hinsichtlich der Mietminderung
gelten soll. Sie ist auch hinsichtlich einer eventuel-
len Schadensersiatzforderung geboten, um zu verhin-
dern, daß ein solcher Schadensersatzanspruch idurdi
Formularmietverträge ausgeschlossen wird.
Im Ausschußbericht wird die gegenüber der An-
regung des Bundesrats ablehnende Stellungnahme
der Mehrheit des Rechtsausschusseis geradezu haar-
spalterisch begründet. Die Gleichsetzsung der Miet-
rechte aus •§ 538 mit denen aus § 537 wird mit fol-
genden Hinweisen abgelehnt:
Erstens regele § 537 nur die Mietminderung, § 538
dagegen weite rgehende Ansprüche.
Zweitens stellten diese weitergehenden An-
sprüche nur einen Teil möiglicher Schadensersatz-
ansprüche dar. So seien die im Falle des Verzugs
entstehenden Ansprüche unabdingbar.
Drittens würden bei einer Unabdingbarkeit der
Ansprüche aus § 538 besonders Fälle einer Scha-
densersatzpflicht ohiLe Verschulden betroffen. Das
belaste den Vermieter besonders stark, zumal er
sich um eine zusätzliche Versicherungs-Deckungs-
vorsotge bekümmern müsse.
Alle diese Argumente -erscheinen wenig überzeu-
gend. Sie lassen deutlich erkennen, daß die Mehr-
heit des Rechtsausschusses davon ausgeht, daß die
formularvertragliche Ausschließung des Schadens-
ersatzanspruchs die Regel sein sollte. Damit wir/d
aber die ganze Neufassung des .§ 538 Abs. 1 prak-
tisch zu einer bloßen Deklamation. Wenn das nicht
beabsichtigt, wenn eine Effektivität dieser Bestim-
mung .gewollt ist, dann bedarf es der Einfügung der
beantragten Unabdingbarkieitsklausel.
Ich bitte demigemäß um Zustimmung zu dem An- pj
trag Umdruck 445 Buchstabe a.
Vizepräsident Dn Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Hauser.
Dn Hauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich bitte, den Antrag Um-
druck 445 auf Einfügung eines Abs. 3 in § 538 zwecks
Einführung einer Unabdingbarkeitsklausel abzuleh-
nen,
Wohl hat der Bundesrat empfohlen, auch die
Rechte des Mieters nach § 538 für unabdingbar zu
erklären, weil er meint, es sei nicht einzusehen,
daß zwar die Befugnisse eines Mieters auf Miet-
minderung vertraglich abbedungen werden könn-
ten, die Rechte auf Schadensersatz wegen Nichter-
füllung aber im Mietvertrag ausschließbar sein sol-
len.
Nun handelt es sich hier aber doch um einen sehr
erheblichen quantitativen Unterschied. Während bei
§ 537 nur der Mietzins in Frage steht, den der Ver-
mieter eventuell nicht hereinbekommt, macht eine
Schadensersatzforderung aus § 538 BGB weit mehr
aus als nur den Mietzins.
Hinzu kommt, daß in § 538 eine Schadensersatz-
pflicht des Vermieters auch ohne dessen Verschul-
den, ja ohne Kenntnis des Mangels und der Erkenn-
barkeit des Mangels statuiert ist, und zwar aus
dem Gedanken heraus, daß die Haftung auf der
stillschweigenden Garantie des Vermieters beruht.
6036
Deutsdier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Dr. Hauser
die Mietsache im vertragsgemäßen Zustand zu über-
geben und zu erhalten.
Drittens regelt § 538 Abs. 1 BGB auch nicht alle in
Betracht kommenden Schadensersatzansprüche. Ist
nämlich ein Verzugsschaden gegeben, so greifen
ganz allgemein die schuldrechtlichen Bestimmungen
der §§ 286 und 326 ein, die auch sonst abbedungen
werden können.
Viertens schließlich ist gegen die Erwägung der
Opposition zu sagen, daß sehr wohl versicherungs-
wirtschaftliche Überlegungen auch für uns im
Rechtsausschuß maßgebend waren, die dem Antrag
der Opposition hier entgegengesetzt werden müs-
sen. Der Vermieter könnte sich nämlich genötigt
sehen, bislang nicht übliche Versicherungen zu
seinem Schutz und zum Schutz des Mieters abzu-
schließen, soweit solche Schäden überhaupt durch
eine Versicherung abdeckbar sind. Die Kosten der-
artiger zusätzlicher Versicherungen würden dann
aber meist so hoch, daß sie zwangsläufig einer Er-
höhung des Mietpreises zur Folge hätten.
(Abg. Jacobi [Köln]: Glauben Sie wirklich
daran?)
— Aber sicher! — Wenn dann gar der Mieter seiner-
seits, etwa durch eine Hausratsversicherung gegen
Wasserschäden oder gegen Gesundheitsschäden
durch eine Kranken- oder Unfallversicherung, ge-
schützt ist, müßte er im Grunde eigentlich zweimal
zahlen. Gerade aus dieser letzten Erwägung wird
sich eine Vorschrift, wie sie die Opposition aufzu-
nehmen beantragt, nicht zugunsten des Mieters aus-
wirken.
(Abg. Jacobi [Köln]: Wer lacht da?)
Schließlich erstreben wir nun auch einen ver-
nünftigen Interessenausgleich zwischen Mieter und
Vermieter, der nach unserer Überzeugung gerade
hier ohne Ausschlußklausel weit eher erreicht ist
als durch eine entsprechende gesetzliche Festlegung,
wie Sie sie mit Ihrem Antrag aufgenommen haben.
(Abg. Jacobi [Köln]: Warum steht sie denn
in der Regierungsvorlage, wenn sie so über-
flüssig ist?)
— Nein, der Absatz 3 steht nicht in der Regie-
rungsvorlage, Herr Kollege Jacobi.
(Abg. Jacobi [Köln]: BundesratI)
Ich bitte deshalb im Auftrag meiner Freunde um
Ablehnung dieses Änderungsantrags.
(Beifall in der Mitte.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Herr
Abgeordneter Busse.
Busse (FDP): Her Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen! Meine Herren Kollegen! Auch ich bitte,
den Antrag der SPD abzulehnen. Das Leben ist nun
einmal vielgestaltig, Herr Jacobi, und es gibt alle
möglichen Fälle, wo zu Beginn des Mietverhältnis-
ses Mängel vorhanden sind. In Kenntnis dieser
Mängel mietet der Mieter. Unter den Parteien wird
eine Regelung getroffen, die die Verhältnisse be-
rücksichtigt. Im Laufe der Zeit entstehen Dinge, die
man untereinander vernünftig regelt. Wollen Sie —
wir kommen auf die Frage im Laufe unserer Dis-
kussion heute häufiger zu sprechen — alles das
durch die Weisheit des hiesigen Gesetzgebers er-
setzen? Ich bin der Überzeugung, daß viele ver-
nünftige Leute das besser können.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Weitere Wortmel-
dungen hierzu liegen nicht mehr vor.
Ich lasse über den Änderungsantrag der Fraktion
der SPD Umdruck 445 Buchstabe a abstimmen. Wer
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand-
zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das
zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über Art. I Nr. 2 in der Aus-
schußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht,
den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um
die Gegenprobe. — Mit der gleichen Mehrheit an-
genommen.
Wir kommen zu Nr. 3 und damit zu dem Antrag
unter b auf Umdruck 445. Wird das Wort ge-
wünscht?
Herr Abgeordneter Jahn.
Jahn (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Wir haben es beim § 541 a Abs. 2 mit einer
sehr interessanten Frage zu tun. Sie ist in zweier-
lei Hinsicht interessant, der Sache nach und auch pj
der Form nach. Es handelt sich um eine Frage, auf
die wir heute noch öfters zurückkommen werden,
nämlich auf den merkwürdigen Umstand, daß die
Opposition sich genötigt sieht, das Haus darum zu
bitten, die Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Ich habe mehrfach Gelegenheit gehabt, in diesem
Hause einiges über unsere grundsätzlichen Einwen-
dungen und Vorbehalte gegenüber dieser und den
früheren Mietrechtsvorlagen vorzubringen.
Immerhin muß eingeräumt werden, daß die Re-
gierungsvorlage gegenüber dem, was in den Aus-
schüssen und insbesondere im Rechtsausschuß be-
schlossen worden ist, immer noch das geringere
Übel darstellt. Ich wäre dem Herrn Bundesminister
Lücke außerordentlich dankbar, wenn er nun endlich
das täte, wozu er gelegentlich schon aufgefordert
werden mußte, hier seine eigene, die Regierungs-
vorlage zu vertreten und sie gegenüber den Ver-
schlechterungsabsichten und Beschlüssen seiner
eigenen Fraktion und der Koalitionsfraktion zu ver-
teidigen.
Worum geht es bei § 541 a Abs. 2? Es geht um die
Frage, welche Regelung gilt, wenn der Vermieter
den Wunsch hat oder in der Notwendigkeit ist, in
seinem Hause die Räume, die gemietet worden sind,
durch bauliche Maßnahmen zu verbessern oder in
sonstiger Weise zu verändern.
Die Regierungsvorlage hat dazu völlig eindeutig,
klar und, wie ich meine, im wesentlichen auch be-
friedigend gesagt:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6037
Jahn
Werden durch diese Maßnahmen Aufwendun-
gen des Mieters erforderlich, so hat sie ihm der
Vermieter zu ersetzen; auf Verlangen hat der
Vermieter Vorschuß zu leisten.
Das ist eine eindeutige Regelung. Wenn hier vom
Vermieter in die Rechtsposition des Mieters einge-
griffen wird und der Mieter Aufwendungen machen,
Nachteile in Kauf nehmen muß, dann muß derjenige,
zu dessen Gunsten er sie in Kauf nimmt, dafür ein-
stehen; das ist der Vermieter. Was macht die Mehr-
heit des Ausschusses daraus? Sie sagt:
Aufwendungen, die der Mieter infolge dieser
Maßnahmen machen mußte, hat der Vermieter
ihm in einem den Umständen nach angemesse-
nen Umfange zu ersetzen . . .
Das heißt, es wird — und darauf wird sich in Zu-
kunft jeder Kommentator einfach berufen müssen —
eindeutig erklärt: der Mieter 'hat nicht den Anspruch
darauf, das ersetzt zu bekommen, was er hat auf-
wenden müssen, sondern er hat nur Anspruch dar-
auf, Ersatz in einem den Umständen nach angemes-
senen Umfange zu erhalten. Er bekommt also auf
jeden Fall nicht mit Sicherheit das, was er hat auf-
wenden müssen. Ganz abgesehen davon bringt eine
derartige Regelung ein ganz erhebliches Maß an
Rechtsunsicherheit mit sich. Der Mieter, der sich
vor Benachteiligungen schützen will, kommt gar
nicht umhin, einen Rechtsstreit mit dem Vermieter
darüber zu beginnen, was denn nun eigentlich der
den Umständen nach angemessene Umfang seiner
Aufwendungen ist.
Wenn Sie eine klare und den Mieter nicht nur
„hinreichend" schützende Regelung wollen, meine
Damen und Herren, müssen Sie unserem Antrag zu-
stimmen, die Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Ich hoffe, der Herr Bundesminister Lücke hat den
Mut, das hier zu bestätigen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr, Huser.
Dr. Hauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich bitte, dem Antrag des Herrn
Kollegen Jahn nicht zu entsprechen und es bei der
vom Rechts aus schuß beschlossenen Fassung zu be-
lassen.
Ich darf zunächst einmal feststellen, daß im Aus-
schuß — im übrigen einstimmig — beschlossen
wurde, die hier zu beachtenden Umstände wirklich
so zu berücksichtigen, wie das in § 541 a vorgesehen
ist. Wir haben in Abs. 1 den Begriff „Einwirkungen"
gebraucht, um damit klar zu umreißen, daß alle
Möglichkeiten, wie sie die Lebensverhältnisse bie-
ten,, erfaßt werden können. Wir haben bei Abs. 2
die Frage, die Herr Kollege Jahn aiigesprochen hat,
sehr eingehend überlegt und sind zu dem Ergebnis
gekommen, es müsse hinsichtlich derWerpflichtung
des Vermieters zum Ersatz von Aufwendungen, die
einem Mieter bei zu duldenden Maßnahmen ent-
stehen, klargestellt werden, daß die Aufwendungen
eben nur in einem den Umständen nach angemes-
senen Umfange ersetzt werden müssen. Das ist eine
Regelung, die im übrigen etwa der Bestimmung des
§ 670 BGB entspricht.
Ich darf noch hinzufügen, daß damit für das in der
Regierungsvorlage ursprünglich vorgesehene Wort
„erforderlich" vom Rechts aus schuß eindeutig die
Grenzen umrissen worden sind. Ich bitte, auch des-
wegen dem Antrag des Rechtsausschusses zu ent-
sprechen,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Herr Bundesminister der Justiz.
Dr. Bücher, Bundesminister der Justiz: Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Ich habe aus dem
Änderungsantrag Umdruck 445 der SPD ersehen, daß
in einigen Fällen die Regierungsvorlage wiederher-
gestellt werden soll. Ich muß sagen, ich habe das
nicht etwa mit Bestürzung ersehen, sondern mit
Befriedigung; denn ich kann daraus schließen, daß
die Regierungsvorlage doch in einigen Punkten den
Beifall der SPD gefunden hat, wenn Sie, Herr Jahn,
es auch gleich mit dem „geringeren Übel" abge-
schwächt haben. Andererseits stehen wir nicht an,
zuzugeben — Herr Kollege Lücke hat mir das Stich-
wort gegeben — , daß selbst Regierungsvorlagen
verbesserungsfähig sind,.
(Abg. Jahn: „Verbesserungsfähig" zum
„Nachteil des Mieters", Herr Minister! —
Gegenruf von der CDU/CSU; Ach wo
denn?!)
Ich bin im Einvernehmen mit Herrn Kollegen Lücke
der Meinung, daß tatsächlich die Formulierung, die jpj
der Rechtsausschuß gefunden hat, besser ist. Auch
wenn wir es so stehen ließen, wie es in der Regie-
rungsvorlage stand, wo es hieß „Werden durch
diese Maßnahmen Aufwendungen des Mieters er-
forderlich", so würde auch diese Formulierung
sicherlich nicht gegen Prozesse schützen. Im Einzel-
fall würde der Vermieter sagen: Es war nicht er-
forderlich, etwa ganz neue Geräte bei Umstellung
der Einrichtung von Elektrizität auf Gas anzuschaf-
fen. Das führt im Einzelfall sicher auch zu Prozessen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Bundesmini-
ster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
ordneten Jahn?
Dr. Bücher, Bundesminister der Justiz: Ja.
Jahn (SPD): Darf ich der Tatsache, Herr Minister,
daß sich die Bundesregierung nunmehr von ihrer
eigenen Vorlage zu distanzieren beginnt, entneh-
men, daß damit auch eine Distanzierung vom Be-
griff des sogenannten sozialen Mietrechts erfolgt?
Dr. Bücher, Bundesminister der Justiz: Herr
Kollege Jahn, was wir hier tun, ist keine Distan-
zierung. Es ist ja nicht etwas völlig anderes, was
hier vorliegt, sondern eine Formulierung, die ich
als Verbesserung bezeichne. Damit distanziere ich
mich nicht von der Vorlage.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
6038
Deutscher Bundestag — • 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Busse.
Busse (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich brauche nach den vorhergehenden Aus-
führungen nur wenig zu sagen. Aber es scheint mir
doch notwendig zu sein, darauf hinzuweisen, daß
hier nur der Tatbestand geregelt wird, daß in bei-
derseitigem Interesse Maßnahmen zur Verbesse-
rung der gemieteten Räume oder der sonstigen
Teile des Gebäudes getroffen werden, soweit dies
dem Mieter zugemutet werden kann. Ich meine, der
Gesichtspunkt, daß hier nur dieser Tatbestand ge-
regelt wird, dürfte für die Entscheidung von wesent-
licher Bedeutung sein.
(Beifall bei der FDP.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Ich lasse über den Änderungsantrag der Fraktion
der SPD auf Umdruck 445 unter Buchstabe b abstim-
men. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
ein Handzeichen, — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse über Nr. 3 in der Ausschußfassung ab-
stimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich
um ein Handzeichen, — Ich bitte um die Gegen-
probe. — Mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Ich rufe Nr. 4 auf. Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer Nr. 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
(B) das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Mit Mehrheit beschlossen.
Ich rufe auf Nr. 5 und dazu den Änderungsantrag
der Fraktion der SPD auf Umdruck 445 unter Buch-
stabe c. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr.
Reischl.
Dr. Reischl (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich darf zunächst eine Berichtigung zu
unserem Antrag zu Protokoll geben. Auf Umdruck
445 unter Buchstabe c heißt es:
in Nr. 5 (§ 547) die Fassung der Regierungsvor-
lage wieder hergestellt,
Es muß noch ergänzt werden:
mit der Maßgabe, daß Abs. 3 Satz 3 folgende
Fassung erhält:
Bei einem Mietverhältnis über Wohnraum
ist eine zum Nachteil des Mieters abwei-
chende Vereinbarung unwirksam.
Die Fassung muß geändert werden, weil der
Rechtsausschuß allgemein beschlossen hat, den soge-
nannten mißbilligten Klauseln die Fassung, die aus-
drücklich von Unwirksamkeit spricht, zu geben. Des-
wegen muß auch unser Antrag diesen allgemeinen
Beschlüssen angepaßt werden.
Gleichzeitig darf ich in diesem Zusammenhang
mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auch unse-
ren Antrag zu Buchstabe d mit begründen; denn die
Streichung des § 547 a ergibt sich logischerweise
aus der Wiederherstellung der Regierungsvorlage
zu § 547 Abs. 3. Zur Begründung darf ich kurz fol-
gendes anführen: Die Fassung des § 547 a Abs. 3
in der Ausschußvorlage bedeutet gegenüber § 547
Abs. 3 Satz 3 der Regierungsvorlage eine erhebliche
Einschränkung. Nach der Regierungsvorlage sollen
nämlich Vereinbarungen, die zum Nachteil des Mie-
ters von den Vorschriften über sein Wegnahmerecht
abweichen, schlechthin unwirksam sein, jedenfalls
in der Fassung, wie sie nach den Beschlüssen des
Rechtsausschusses gegeben werden mußte. Nach
dem Beschluß des Rechtsausschusses dagegen soll
eine Ausnahme von diesem Grundsatz gelten, wenn
in der Vereinbarung ein angemessener Ausgleich
vorgesehen ist. Ich muß namens meiner Fraktion
erklären, daß wir diese Vorschrift für nicht prak-
tikabel halten. Ich darf auf folgendes hinweisen: Bei
diesem letzten Satz geht es in der Regel gar nicht
um Einzelvereinbarungen; den dafür gilt ja der
Satz 2 des Abs. 3 des § 547 oder der § 547 a Abs. 2,
wenn nämlich die Wegnahme bevorsteht und der
Vermieter sie durch eine angemessene Entschädi-
gung abwenden will.
Dagegen müßte er in erster Linie Anwendung fin-
den für die Vereinbarungen im Mietvertrag selbst.
Was soll denn nun im Mietvertrag über einen ange-
messenen Ausgleich stehen? Beim Abschluß des
Mietvertrages weiß man ja noch gar nicht, mit wel-
chen Einrichtungen der Mieter im Laufe des längere
Zeit dauernden Mietverhältnisses die Wohnung
versehen wird. Genau genommen könnte also wie-
derum nur der Wortlaut des Gesetzes in den Miet-
vertrag aufgenommen werden. Dann stehen wir vor
dem Ergebnis, daß es jedesmal einen endlosen Streit
um die Höhe des angemessenen Ausgleichs gibt und
daß diese sogenannte mißbilligte Klausel zum Ge-
genteil dessen führt, was man damit erreichen will;
denn dann wird eben eine abweichende Vereinba-
rung getroffen, deren Inhalt in Wirklichkeit auch
nicht feststeht. Eine solche Unklarheit kann prak-
tisch nur zu neuen Streitigkeiten führen.
Ich muß sagen, daß auch hier die Regierungsvor-
lage wesentlich klarer und wesentlich besser war.
Ich darf die für die Regierungsvorlage veranwort-
lichen Minister der Bundesregierung dringend bit-
ten, sich mit uns für ihre Vorlage, die erheblich bes-
ser als die Ausschußvorlage ist, einzusetzen. Denn
der Ausschußbeschluß kann nach dem, was ich dar-
gelegt habe, nur zu Unklarheiten und zu erneuten
Streitigkeiten führen.
Ich darf Sie also bitten, unseren Anträgen zu
Buchstabe c und Buchstabe d des Umdrucks 445
Ihre Zustimmung zu geben.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Dr, Reischl, ich bitte Sie, mir die von Ihnen ver-
lesene Ergänzung zu übergeben.
Herr Abgeordneter Dr. Hauser!
4 ':
Dr. Hauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Der Rechtsausschuß hat es,
mindestens mehrheitlich, für richtig gehalten, die
Frage des Wegnahmerechts, die dann in § 547 a
geklärt worden ist, gesondert in einer eigenen Be-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6039
Dr. Hauser
Stimmung zu fassen und nicht als Abs. 3 anzuhän-
gen.
Wir sahen uns zu dieser Modifizierung des Abs. 3,
der Unabdingbarkeitsklausel, auch aus folgenden
Erwägungen veranlaßt: Ich denke hier an die Über-
legung, die vor allem Herr Kollege Busse im Aus-
schuß in die Debatte warf. Es gibt doch die Möglich-
keit, daß meinetwegen bei Beginn eines Mietver-
trages Vermieter und Mieter schon miteinander ver-
einbaren, daß der Mieter eine bestimmte Einrich-
tung anbringt, ihm dafür ein niedrigerer Mietzins
oder eine längere Mietdauer zugestanden wird, und
das etwa als Ausgleich dafür gewertet werden muß.
Der Ausgleich braucht also gar nicht am Ende, bei
Lösung des Mietverhältnisses vorgenommen zu
werden, sondern kann zweifellos schon bei Beginn
des Mietverhältnisses vorgesehen sein. Um allen
Lebensumständen gerecht zu werden, schlägt Ihnen
der Rechts aus schuß diese Fassung des Abs. 3 vor.
(Abg. Jahn: Eine weitere Verschlechterung
der Regierungsvorlage!)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Frau
Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP): Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen in
vollem Umfang den Ausführungen, die Herr Kol-
lege Hauser soeben gemacht hat, zu, und ich will
sie nicht wiederholen. Ich möchte nur darauf hin-
weisen, daß wir gerade über dieses Recht, eine
(B) Sache wegzunehmen, sehr eingehend beraten haben.
Das sage ich vor allem für die anderen Kollegen
und Kolleginnen, damit sie nicht glauben, weil wir
die Dinge heute abend nur noch kurz begründen,
wir hätten die ganze Problematik nicht sehr ein-
gehend erörtert.
Ich möchte noch ergänzend auf folgendes hinwei-
sen. Sie haben gesagt, Herr Kollege Reischl, „ange-
messener Ausgleich" würde nachher Anlaß zu Strei-
tereien geben. Vielleicht haben Sie dabei übersehen,
daß auch in der Regierungsvorlage in dem Abs. 3,
den Sie ja wiederherstellen wollen, von „angemes-
senen Entschädigung" die Rede ist. Ob ein Aus-
gleich oder eine Entschädigung angemessen ist, kann
natürlich immer streitig werden, davor ist niemand
sicher; aber Herr Kollege Hauser hat mit Recht die
ganz speziellen Fälle angeführt, die zeigen, daß es
eben nicht mit einer „angemessenen Entschädigung"
getan sein kann, sondern ein echter „angemessener
Ausgleich" stattfinden muß.
(Beifall bei der FDP.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Ich kann im Augen-
blick noch nicht abstimmen lassen, weil mir diese
neue Änderung des Abgeordneten Dr. Reischl noch
nicht vorliegt. Wir müssen daher die Angelegenheit
vorerst zurückstellen.
Ich rufe auf Ziffer 6. Dazu der Umdruck 445
Buchst, d. Wird dazu das Wort gewünscht? —
(Abg. Dr. Hauser: Bis Ziffer 9 unstreitig!)
— Ja! Ziffer 7, — Ziffer 8. — Keine Wortmeldungen!
Dann rufe ich auf Ziffer 9 mit dem Umdruck 445 *
Buchst, e. Wer wird hierzu sprechen? — Herr Abg.
Jahn!
Jahn (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Hier gilt im Prinzip das gleiche wie das, was
ich zur Einleitung des zuerst von mir begründeten
Antrages gesagt habe. Im § 552 a der Regierungs-
vorlage ist vorgesehen, daß der Mieter von Wohn-
raum entgegen einer vertraglichen Bestimmung
gegen eine Mietzinsforderung mit einer Forderung
aus dem Mietverhältnis aufrechnen kann, also ganz
gleich, worauf diese Forderung aus dem Mietver-
hältnis zurückgeht, und ganz gleich, welche Rechts-
grundlage sie hat. Der Mieter soll auf jeden Fall die
Möglichkeit haben, wenn er seinerseits Forderungen
gegen den Vermieter hat, sich gegen eine Forderung
des Vermieters dadurch zu wehren, daß er — als
ein Gleichberechtigter in diesem Mietverhältnis —
seinerseits aufrechnen kann.
Diese im Grunde richtige Vorstellung, die in der
Regierungsvorlage enthalten war, ist im Rechts-
ausschuß dahin gehend eingeschränkt und verschlech-
tert worden, daß der Mieter in Zukunft nur noch
mit den Mängelforderungen auf Grund des § 538
aufrechnen kann. Das ist ganz eindeutig eine Ein-
schränkung und damit eine Verschlechterung des ur-
sprünglichen Gedankens zum Nachteil des Mietend.
Nachdem es mir soeben nicht gelungen ist, den
Herrn Bundeswohnungsbauminister zu veranlassen,
hier ein Wort zur Verteidigung des sozialen Miet-
rechts zu sagen, sieht er sich jetzt vielleicht dazu in (D)
der Lage, um deutlich zu machen, daß es hier in der
Tat um nichts anderes als um eine Verschlechterung
seiner eigenen Vorlage geht, die wir verhindern
möchten.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeondnete Dr. Hauser.
Dr. Hauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen unid Herren! Die Varla,ge des Rechtsaus-
schusses folgt lediglich der Fassung, die bis jetzt
§ 28 des Mieterschutzgesetzes hat, und ich glaiuhe,
diese LÖsunig hat sich doch in den 40 Jahren, in
denen sie Geltung hat, als ganz gut erfwiesen.
(Abig. Jahn: Das meinen Sie!)
— Ja, als ganz gut erwiesen, denn der § 538 umfaßt
doch den weitaus größten Komplex der Sdiadens-
ersatzforderungen, die es hier überhaupt gibt. Was
darüber hinaus noch mö-glich ist, soll auf dem Klage-
wege klargestellt werden.
Denken Sie doch auch an die kleinen Hausbe-
sitzer, die dabei in eine schwierige Situation kom-
men können. Nach einer Statistik aus dem Jahre
1962 sind 15,9 '®/o aller Hau^esitzer in der Bundes-
republik Arbeiter und 7,2 Vo Pensionäre und Rent-
ner, und -auf Beamte und Amgestellte entfallen
immerhin 18,1 ’®/o. Sie stellen es immer so dar, als
ob die Hausbesitzer Krösusse wären. Dabei muß
man andererseits auch den gerechten sozialen Aus-
gleich zwischen Hausbesitzer und Mieter in Rück-
sicht stellen.
6040
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter
Hauser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab-
geordneten Jahn?
Dr. Hauser (CDU/CSU): Bitte!
Jahn (SPD): Herr KolLege Hauser, aus welcher
Stelle meiner Ausführungen heute oder bei anderer
Gelegenheit entnehmen Sie eigentlich, daß ich von
der von Ihnen mir unterstellten Auffassung ausfgehe,
alle Hausbesitzer seren Krösusse?
Dr. Hauser (CDU/CSU): Ja, weil Sie immer und
immier wieider nur betonen, es sei kein soziales
Mietrecht, das wir schaffen, immer wieder betonen,
hier werde nur verschlechtert, statt auch einmal
gerechterweise anzuerkennen, daß hier ein Aus-
gleich der Interessen gesucht wird,
(Beifall bei der CDU/GSU. — Abg. Jahn:
Zum Nachteil des Mieters!)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeoijdnete Baisse.
Busse (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten iDamen und Herren! Ich möchte die letzten Aus-
führungen des Herrn Kollegen Hauser sehr nach-
drücklich unterstreichen. Gerade eine Vielzahl von
Leuten, die jetzt gebaut haben, die angespart haben,
die laufend unter Verpflichtungen stehen, die püinkt-
(B) lieh erfüllt werden müsiSen, seien es Steuern, seien
es Zinsen, seien es Amortisationsquoten und ähn-
liche Dinge, müsse die Gewähr haben, daß sIq
pünktlich über die Miete verfügen können.
(Abg. Jahn: Sie müssen laber auch ihren
Mietern die Gewähr geben, daß sie ihre
■eigenen Verpflichtungen rechtzeitig er-
füllen!)
— Dafür ist § 538 da, Herr Kollege; da steht es
ausldrücklich drin.
(Albg. Jahn: Es gibt aber noch andiere Fälle!)
— Natürlich gibt es noch anJdere.
(Abg. Jahn: Die schließen Sie aus!)
— Nein.
Ich wollte Ihnen noch etwas anderes sagen, Herr
Kollege. Es ist doch nicht etwa so, daß diese An-
sprüche abgeschnitten werden sollen.
(Zuruf von der CDU/GSU: So tut er aber!)
Nun darf ich Ihnen noch etwas anderes sagen:
wie sich überhaupt diese Aufrechnungaausschlie-
ßungsvereinbarungen in anderen Fällen, wo 'Sle ja
möglich -sind, entwickelt haben und wie sie dort
praktiziert weilden. Sie haben sich entwickelt, weil
häufig gegenüber Ansprüchen unberechtigte Forde-
rungen geltend gemacht wurden, lediglich um Zeit
zu gewinnen unid um fällig gewordene Verpflichtun-
gen hinauszuschieben. Das haben wir in einor Fülle
von Fällen in unserer praktischen Arbeit im Rechts-
leben .erfahren. Darum haben wir geraten: Schließt
die Aufrechnunigsmöglichkeit <aus, verweist ihn auf
fCI
den ordentlichen Weg, seine Ansprüche geltend
zu machen.
Nun, wie werden diese Klauseln praktiziert? Der-
jenige, der sieht, daß ein begründeter Gegenan-
spruch seines Schuldners vorliegt, wäre ein Tor,
wenn er sich lediglich auf die Nichtaufrechenbarkeit
beriefe, um dann einen aussichtlosen Prozeß zu
führen. Da wird er vernünftig sein und mit seinem
Schuldner oder Gläubiger ein Arrangement treffen.
So geschieht es praktisch. Nur da, wo evident von
einer Aufrechnungsmöglichkeit unzulässiger Ge-
brauch gemacht wird, nur da wird diese Vereinba-
rung in der Praxis aktuell; und diese Möglichkeit
sollten wir nicht ausschließen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort wird nicht
mehr gewünscht. Ich kann zu diesem Punkt die
Aussprache schließen.
Ich komme jetzt zunächst zurück zu Nr. 5 und
dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD Um-
druck 445 Buchstabe c). Ich darf diesen Änderungs-
antrag nochmals verlesen, damit keine Zweifel be-
stehen :
c) in Nr. 5 (§ 547) wird die Fassung der Regie-
rungsvorlage wiederhergestellt, mit der Maß-
gabe, daß § 547 Abs. 3 Satz 3 BGB folgende
Fassung erhält:
Bei einem Mietverhältnis über Wohnraum
ist eine zum Nachteil des Mieters abwei-
chende Vereinbarung unwirksam. ^ (D)
Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Das letzte war die
Mehrheit; abgelehnt.
Ich komme zu Nr. 5 in der Ausschußfassung. Wer
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand-
zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit der-
selben Mehrheit angenommen.
Ich rufe Nr, 6 auf. Herr Abgeordneter Dr. Reischl,
ich nehme an, daß Ihr Änderungsantrag Buch-
stabe d) nunmehr obsolet geworden ist, erledigt
ist.
(Abg. Dr. Reischl: Ja!)
Ich lasse also über Nr. 6 in der Ausschußfassung
abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte
ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist
so beschlossen.
Ich lasse abstimmen über Nr. 7 und Nr. 8. Wer
zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. —
Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich komme nun zu Nr. 9 und dem bereits begrün-
deten und diskutierten Änderungsantrag der Frak-
tion der SPD Umdruck 445 Buchstabe e). Wer zuzu-
stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit
abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über Nr. 9 in der Ausschuß-
fassung. Wer zuzustimmen wünscht, gebe ein Hand-
zeichen. — Gegenprobe! — Mit der gleichen Mehr-
heit angenommen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6041
Vizepräsident Dr. Jaeger
(A) kommen zu den Nummern 10, 11, 12 und 13.
— Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den auf-
gerufenen Nummern zuzustimmen wünscht, den bitte
ich um das Handzeichen. — • Ich bitte um die Gegen-
probe. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zu Nr. 14. Hierzu liegen die Ände-
rungsanträge auf Umdruck 446 — der Fraktion der
SPD — und auf Umdruck 452 Ziffer 1 — der Frak-
tion der CDU/CSU — vor. Wer wird den Antrag
der Fraktion der SPD begründen? — Herr Abgeord-
neter Jahn!
Jahn (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Wir legen dem Hause mit unserem Antrag
auf Umdruck 446 noch einmal die Bitte vor, die —
wie wir von Anfang an betont haben — schlechte
Regelung des § 556 a geltender Fassung zu über-
winden. Ich will mich nach den sehr eingehenden
Debatten, die wir bei der Beratung des ersten und
des zweiten Mietrechtsänderungsgesetzes hier ge-
führt haben, kurzfassen.
Die Regelung, die jetzt im Gesetz vorgesehen ist,
ist unbefriedigend. Sie ist nicht nur unbefriedigend,
sie ist gefährlich, weil sie nicht aus reicht, um einen
wirksamen Schutz für den Mieter zu gewährleisten.
Wir wissen inzwischen aus der Rechtsprechung, daß
sich gewisse Interpretationen durchzusetzen begin-
nen, die ganz eindeutig diese vielleicht guten Glau-
bens von ihren Erfindern gedachte Schutzvorschrift
zu einer ausgesprochenen und nur ausnahmsweise
anzuwendenden Sondervorschrift machen. Das ist
jßj neben vielen anderen Bedenken, die ich hier im
einzelnen nicht mehr vortragen will, einer der
Gründe dafür, daß wir sagen: auf dieser Grundlage
des § 556 a ist es einfach unmöglich, auf die Dauer
einen befriedigenden, einen ausreichenden Schutz
des Mieters zu gewährleisten.
Wir haben unsere Fassung für einen § 556 a vor-
gelegt, wobei wir allerdings — das ist einzuräumen,
und da gibt es eine entscheidende Schwierigkeit
zwischen Ihnen und uns — von einer anderen
Grundvorstellung ausgehen. Wir gehen nämlich von
der Grundvorstellung aus, daß das Mietverhältnis
nicht schlechthin und völlig frei verfügbar ist und
sein kann, weil es ein Rechtsverhältnis besonderer
Art ist und deswegen auch eine besondere Wertung
und eine besondere Behandlung notwendig macht.
In dem Schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses
wird zu dieser Frage gesagt, so etwas sei verfas-
sungsrechtlich nicht möglich. Bei dem Hinweis auf
die Eigentumsgarantie wird aber geflissentlich ver-
schwiegen, daß nach dem Grundgesetz dazu auch die
Sozialbindung des Eigentums gehört.
(Abg. Dr. Weber [Koblenz]: Wird im näch-
sten Satz erwähnt!)
Aus diesem Gedanken heraus ist unser Antrag er-
wachsen. Wir meinen, daß das nicht nur gerecht-
fertigt ist, sondern -das es, um auf einem so wich-
tigen Lebensgebiet für Millionen Bürger dieses
Landes eine hinreichende Sicherheit zu schaffen,
notwendig ist, die Rechte des Mieters in einem ange-
messenen, in einem ausreichenden Maße zu sichern.
Dem dient unser Antrag, dem dienen aber auch die
fC)
von uns eingebr achten Hilfsanträge, auf Grund deren
erfreulicherweise eine erste beginnende Selbstkritik
in den Reihen der Verfasser des ursprünglichen
§ 556 a zu erkennen ist. — Herr Kollege Weber, Sie
schauen so erstaunt; das ist doch die einfachste
Wertung, die man vornehmen kann. Wenn hier in
Übereinstimmung mit uns auch seitens der Christ-
lich-Demokratischen Union nunmehr beantragt wird,
in § 556 a Abs. 4 wenigstens die Ziffer 3 zu streichen
und damit grundsätzlich die Möglichkeit zu schaffen,
die Ausübung des Widerspruchsrechts durch den
Mieter wiederholen zu lassen, dann ist das ein er-
freuliches — das gebe ich gern zu — ,aber doch ein
erstes Eingeständnis dafür, daß hier eine der Fehl-
konstruktionen des fatalen § 556 a sichtbar wird.
Wir werden uns also mindestens in dieser Frage
einigen können.
Wir meinen darüber hinaus, daß weitere Punkte
— wenn Sie schon glauben, unserem Antrag nicht
zustimmen zu können — in der geltenden Fassung
des § 556 a mindestens einer Klärung und Berich-
tigung bedürfen.
Das gilt insbesondere für unseren unter den
Eventualanträgen auf Umdruck 446 enthaltenen An-
trag zu § 564 a. Ich darf ihn, da er sachlich in diesen
Zusammenhang gehört, gleich mitbegründen. Es
geht dabei um die für uns außerordentlich wichtige,
ja, grundlegende Forderung für ein modernes Miet-
recht überhaupt, daß die Kündigung eines Mietver-
hältnisses über Wohnraum schriftlich erfolgt und
daß die Kündigungsgründe angegeben werden.
Denn, meine Damen und Herren, das ist ja nun
eigentlich das Mindeste, was Sie dem Mieter zuge-
stehen müssen, wenn Sie ihn schon dieser schlech-
ten Regelung des § 556 a überlassen wollen, daß er
in den Stand versetzt wird, sich zu wehren, und
weiß, wogegen er sich wehren soll. Dazu muß er
die Kündigungsgründe kennen. Das wollen Sie ihm
verweigern.
Nun kommt nachher gewiß der Einwand: Wir
haben aber doch im Rechtsausschuß eine kosten-
rechtliche Regelung getroffen — d. h. Sie haben sie
dort getroffen — , die dem Vermieter Kostenfolgen
für den Fall androht, daß er eine Kündigung aus-
spricht und durch die Nichtangabe der Gründe eine
Verzögerung herbeiführt und damit das Verfahren
belastet.
Abgesehen davon, daß ich sehr ernsthafte Zwei-
fel an der Wirksamkeit dieser Bestimmung habe,
halte ich es für ein schlechtes Gesetzgebungsverfah-
ren, über die Kostenvorschriften der Prozeßordnung
einen Ausweg aus der Notwendigkeit zu suchen,
dem Mieter volles Recht widerfahren zu lassen. Im
Grunde räumen Sie doch auch mit der Änderung
dieser Kostenvorschrift ein, daß die von Ihnen be-
fürwortete und nun durch drei Gesetzentwürfe be-
harrlich beibehaltene Lösung des § 556 a mit der
Verweigerung der Kündigungsgründe für den Mie-
ter eine schlechte Lösung ist.
(Abg. Jacobi [Köln]: Sehr richtig!)
Nun, wenn Sie diesen halben Schritt machen, dann
tun Sie doch den ganzen und geben Sie zu, daß
diese ganze Konstruktion an sich eine falsche, feh-
6042
Deutscher Bundestag — ■ 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Jahn
lerhafte, schädliche und für den Mieter nachteilige
Konstruktion ist.
(Abg. Dr. Hauser: Da eben unterscheiden
wir uns in der Auffassung!)
— Ja, Sie wollerL.es nicht gern zugeben. Dafür habe
ich ein gewisses Maß an Verständnis. Aber Sie kön-
nen es ja vielleicht so machen, daß Sie gar nicht
mehr dazu reden, sondern unseren Anträgen zu-
stimmen.
(Abg. Dr. Hauser: Oder umgekehrt!)
Vielleicht wäre das ein Kompromißvorschlag, Herr
Kollege Hauser, auf den Sie eingehen können.
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort zur Be-
gründung des Antrags auf Umdruck 452 Ziffer 1 hat
der Abgeordnete Hauser.
Dr. Hauser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es war zu erwarten, daß die
Opposition ihren Antrag auf Änderung des § 556 a
im Plenum nochmals stellen würde. Man kann es
verstehen, da sie sicherlich glaubt, das Ei des
Kolumbus gefunden zu haben. Aber ich muß ehrlich
sagen: es ist schon ein Kuckucksei, das sie damit
dem Hohen Haus beschert. Denn mit diesem Antrag
zeigen Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-
sition, eigentlich nur, daß — um mit FrickhÖffer von
der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft zu
sprechen — bei Ihnen gerade in der Wohnungsbau-
ßj Politik noch recht erhebliche ägyptische Finsternis
herrscht
(Zuruf von der SPD: Na, na!)
und das Godesberger Programm noch keinerlei
Wunder bei Ihnen bewirkt oder eine Revision rück-
ständiger wohnungsbaupolitischer Konzeption ge-
bracht hat.
(Zurufe von der SPD.)
— Bitte, ich zitiere bloß. Denn in der Tat: auf die-
sem Gebiet hinken Sie noch auf den Krücken eines
staatlichen Dirigismus, und die Vorstellung, daß
Wohnungsversorgung in jedem Falle eine staatliche
Aufgabe sei, wird wohl nach den Überlegungen, die
Sie auch jetzt wieder bieten, bei Ihnen noch lange
dominieren, etwa so wie auch Ihr „Doppelspül-
becken-Gesetz", wie in der FAZ Ihr Änderungs-
gesetz zum Dritten Wohnungsbaugesetz genannt
worden ist.
(Abg. Könen [Düsseldorf]: Da habt ihr aber
einen Geistesblitz übernommen!)
Ich will nicht noch einmal all die Erwägungen, die
unseres Erachtens gegen Ihren Antrag sprechen,
vortragen. Wir bleiben bei unserem grundsätzlichen
Bedenken, -daß durch die von Ihnen vorgeschlagenen
Formulierungen die Eigentumsgarantie des Art. 14
des Grundgesetzes wahrhaftig nicht gewahrt ist und
daß Sie damit dem Mieter eine Dauerposition ein-
räumen wollen, wie sie vielleicht der Wohnungs-
eigentümer hat, ohne aber dem Mieter auch die
Pflichten und Risiken aufzuerlegen, die das Eigen-
tum nun einmal mit sich bringt. Der Schutz, der dem
Mieter zukommen muß, ist mit dem Erfordernis der
Schriftlichkeit der Kündigung zweifellos gewahrt. (C)
Um es zu unterstreichen, Herr Jahn: wir wollen mit
diesem Gesetz eine echte Partnerschaft zwischen
Mieter und Vermieter begründen. Deswegen wollen
wir über die Kostenvorschriften die Parteien dazu
bringen, sich vor einer prozessualen Auseinander-
setzung erst einmal zusammenzusetzen, um die
Risiken gegeneinander abzuklären. Erst wenn man
nicht zu einer Einigung kommt, muß man vor das
Gericht gehen und den Richter entscheiden lassen.
Wir haben mit unserem Antrag, den ich gleich
mitbegründen möchte, Herr Präsident, dem Anliegen
des Bundesrates entsprochen, der eine Wiederholung
der Sozialklausel in § 556 a dringend empfohlen hat.
Wir sehen auch ein, daß es Fälle geben kann, die
das erforderlich machen. Aus diesem Grnude sind
wir, meine Freunde und ich, zu dem Vorschlag ge-
kommen, der Ihnen auf dem Umdruck 452 unter den
Ziffern 1 und 2 vorliegt. Wir haben nur eine geson-
derte Vorschrift zu dieser Frage vorgesehen und
kommen damit eigentlich, Herr Kollege Jahn, zu
Ihrer dritten Alternative, die Sie auf Umdruck 446
zur Debatte stellen. Ich darf, nachdem Sie so even-
tualiter mit Ihrem Antrag Schritt für Schritt zurück-
gehen und langsam auch auf Konzeptionen der so-
zialen Marktwirtschaft im Wohnungswesen kommen,
hoffen, daß Sie vielleicht doch dem guten Wort
Ihres Herrn Senators Schiller folgen und der so-
zialen Marktwirtschaft auf den Fersen bleiben wol-
len.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der pj
Abgeordnete Busse.
Busse (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen! Meine Herren Kollegen! Ich will nicht
die Debatte, die wir bereits hier im Plenum haben,
/über die Frage, wieweit die von Ihnen gewünschte
Änderung, Herr Kollege Jahn, des geltenden Rechts
überhaupt grundgesetzlich vertretbar ist, wieder-
holen. Ich will nicht wiederholen, warum wir bisher
den Standpunkt vertreten haben, daß das grundsätz-
lich freie Kündigungsrecht des Vermieters entschei-
dend wichtig ist.
Ich möchte aber an dieser Stelle Sie, meine Damen
und Herren von der CDU/CSU, ganz dringlich bit-
ten, Ihren Antrag nicht durchzusetzen. Warum? Wir
behandeln hier bürgerliches Recht, ein Gesetz, das
kein übergangsrecht mehr sein soll, sondern das
eines Tages gelten soll, wenn wirklich die volle
freie Marktwirtschaft herrscht. Die Konzeption, die
bereits früher mit § 556 a von der Regierung ver-
treten und von der Mehrheit dieses Hauses ange-
nommen worden ist, entsprach nicht etwa den Vor-
stellungen, die die FDP von einer Sozialen Markt-
wirtschaft hat. Das möchte ich hier noch einmal ganz
klar hervorheben. Wir haben damals gegen diese
Bestimmung gestimmt, weil bereits sie die Rechte
des Vermieters zu weit einschränkte und uns in den
Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft nicht zu
passen schien.
Wenn wir heute davon abgesehen haben, unserer-
seits in dieser Richtung Änderungsanträge zu stel-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6043
Busse
len, so haben wir es ganz einfach getan aus Achtung
vor dem Gesetz. Ich bitte, diesen Gesichtspunkt nicht
zu gering zu bewerten. Hier ist vor allerkürzester
Zeit nach reiflicher Überlegung, wie ich wohl unter-
stellen kann, im Bewußtsein der Bedeutung dessen,
was man nicht nur für eine kurze Übergangszeit,
sondern für eine lange Frist schaffte, eine gesetzliche
Regelung getroffen worden, die man nicht ohne
zwingenden Grund nach kurzer Zeit bereits wieder
ändern sollte.
Welches ist der zwingende Grund? In den Aus-
sdiußberatungen ist eindeutig klargestellt worden,
daß bisher keine Erfahrungen gemacht worden
sind, wie sich § 556 a nachher praktisch auswirken
wird. Es sind insbesondere keine Tatbestände fest-
gestellt, die eine Notwendigkeit oder nur — ich will
gar nicht einmal von einer Notwendigkeit reden —
den Wunsch aufkommen lassen müßten, hier heute
bereits wieder eine Änderung vorzunehmen. Ich
bitte ernstlich, dieses Anliegen sorgsam zu prüfen
und nicht ein Gesetz von heute auf morgen wieder
zu ändern, insbesondere nicht ein Gesetz, das unse-
res Erachtens für lange Zeit gelten soll.
(Beifall bei der FDP.)
Vizepräsident Dr« Jaeger: Wird noch das Wort
gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zuerst
abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion
der SPD auf ümdruck 446, und zwar zunächst über
den Hauptantrag unter Ziffer 1. Wer zuzustimmen
' wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — ^ Ich
bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.
Wir stimmen ab über den Eventual antrag unter
Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Abgelehnt.
Ich rufe auf den Eventualantrag unter Ziffer 3.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das
Handzeichen. — - Ich bitte um die Gegenprobe. —
Ab gelehnt.
Eventualantrag unter Ziffer 4! Wer zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.
Damit ist der gesamte Antrag abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag
der Fraktion der CDÜ/CSÜ auf Umdruck 452 Ziffer 1.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das
Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — -
Das erste war die Mehrheit; der Äntrag ist ange-
nommen. Damit ist die Neufassung von Nr, 14 be-
schlossen.
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag der Frak-
tion der CDU/CSU auf Umdruck 452 Ziffer 2 auf
Einfügung einer neuen Nr. 14 a. Der Antrag ist schon
begründet. — • Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wer dem auf gerufenen Antrag zuzuistimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Ich rufe auf die Nummern 15, — 16, — 17 und 18.
— Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufge-
rufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den ^ ^
bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die
Gegenprobe. — Angenommen.
Ich rufe Nr. 19 auf. Dazu liegt vor der Änderungs-
antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 447 sowie
der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Umdruck 452 Ziffer 3.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jacobi.
Jacobi (Köln) (SPD): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Als wir unseren Antrag vorlegten,
war uns noch nicht bekannt, daß auch von der CDU/
CSU zu diesem Petitum ein Änderungsantrag vor-
gelegt würde. Wir haben uns jedoch bei unserem
Antrag an die Vorschläge gehalten, die der mitbe-
teiligte Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau
und Raumordnung hierzu dem Rechtsausschuß unter-
breitet hat.
Uber den § 565 b, der Mietverhältnisse über
Wöhnräume behandelt, die mit Rücksicht auf das
Bestehen eines Dienstverhältnisses vermietet sind,
hat es sowohl im Rechts aus schuß, als auch im Aus-
schuß für Wohnungswesen lange Erörterungen ge-
geben. Der Schriftliche Bericht läßt dies erkennen
und ebenso die Tatsache, daß es in einigen wesent-
lichen Punkten zwischen beiden Ausschüssen nicht
zu einer Übereinstimmung der Auffassungen gekom-
men ist.
Im Kern handelt es sich dabei um eine unter-
schiedliche Beurteilung der Mietverhältnisse und
ihrer Schutzbedürftigkeit je nach der Funktionsge- pj
bundenheit der Wohnung. Während der Wohnungs-
bauausschuß zwischen funktionsgebundenen und
nicht funktionsgebundenen Wohnungen unterschei-
den wollte, hat der federführende Rechtsausschuß
diese unterschiedliche Behandlung abgelehnt; er
will eine gleichmäßige Behandlung aller Werkswoh-
nungen.
Ich isagte schon, daß unser Antrag auf Um-
druck 447 die Empfehlung des Wohnungsbauaus-
sdiusses zu § 565 b übernimmt. Ich darf darauf hin-
weisen, daß mit der Empfehlung des Wohnungsbau-
ausschusses eine knappe Begründung verbunden
war, die dem Rechts ausschuß vor gelegt wurde. Mit
Genehmigung des Präsidenten möchte ich sie ver-
lesen, um klarzumachen, um was es geht. Es heißt
dort:
Der Ausschuß hält es wohnungspolitisdi nicht
für gerechtfertigt, für Mietverhältnisse über
Werkswohnungen jeder Art besondere Vor-
schriften vorzusehen, durch die zum Nachteil
des Mieters der Schutz der im § 565 BGB be-
stimmten langen Kündigungsfristen und der
Schutz der sogenannten Sozialklausel — §§
556 a, 556 b BGB — eingeschränkt wird. Er ist
der Auffassung, daß die Einschränkung dieses
Schutzes nur in den Fällen erforderlich und
daher zu rechtfertigen ist, in denen die Über-
lassung der Werkswohnungen besonders eng
mit dem Dienstverhältnis gekoppelt ist. Für
diese Fälle der sogenannten funktionsgebunde-
nen Werkswohnungen schlägt der Ausschuß
vor, daß das Mietverhältnis unter Einhaltung
6044
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Jacobi (Köln)
einer Kündigungsfrist von annähernd einem
Monat gekündigt werden kann und die Sozial-
klausel nicht anzuwenden ist (§ 565 b, Abs. 2).
Für die übrigen Werkswohnungsmietverhält-
nisse soll § 565 b Abs. 1 klarstellen, daß bei
Anwendung der Sozialklausel auch die Belange
des Dienstberechtigten zu berücksichtigen sind.
Das scheint für die Fälle, in denen der Dienst-
berechtigte nicht der Vermieter ist, erforderlich.
So weit die Begründung des Wohnungsbauaus-
scbusses.
Gegenüber der von diesem mitbeteiligten Aus-
schuß vorgescblagenen Regelung scheint uns der
dieselbe Materie behandelnde Änderungsantrag der
CDU einengend zu sein. Wir bitten Sie daher, sich
doch dem Vorschlag des Wohnungsbauausscbusses,
den wir mit unserem Antrag übernommen haben,
anzuscbließen und den vorgetragenen Erwägungen
durch Ihre Zustimmung zu unserem Antrag Rech-
nung zu tragen.
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. Jaeger; Das Wort hat der
Abigeoridnete Dr. Weber (Kcyblenz).
Dr. Weber (Koblenz) (CDU/CSU): Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen unld Herren! Das Pro-
blem der Werkswohnung war idem BQB fremd. Das
BGB batte an sich so kurze Kündigunigsfristen, daß
es dieses Problem nicht besonders zu behandeln
brauchte. Nachdem durch die Einführung ides sozialen
(B) Mietrechts die Kündigungsfristen erheblich . verlän-
gert worden sind, scheint uns nunmehr eine spe-
zielle Regelung für die Werkswohnung geboten, wie
sie ja auch au der Zeit geboten war, als der Mieter-
scJ-iutz ganz allgemein eingefübrt wurde und man
die Werkswohnungen vom Mieterschutz ausnahm.
Es kann nicht geleugnet werden — und daran
krankt der Antrag des Wohnungsbauausschus-
ses — , daß hier eine Verknüpfung zwischen
Dienstverhältnis und Wohnverhältnis besteht, die
auch nicht gelöst werden kann. Die Überlas-
sung der Wohnung erfolgt mit Rücksicht auf
den Eingang des Dienstverhältnisses. Infolgedessen
kann man meines Erachtens diese Verknüpfung
später nicht lösen, und diesem Grundgedanken
trägt der Antrag des Rechtsausschusses Rechnung.
Wir haben (aber geglaubt, einige Anregungen, die
sich aus dem Antrag des Wohnungsbauausschusses
ergeben, in den nunmehr modifizierten Antrag, den
ich namens meiner Fraktion stelle, übernehmen zu
sollen. Wir haben eiugesehen, daß die von dem
Wohnungsbauausschuß für die funktionsgebunde-
nen Wohnungen vorgeschlagene Regelung besser
ist und den Interessen der beteiligten Kreise besser
Rechnung trägt. Zum anderen sinJd wir aber auch
der Meinung, dlaß für die übrigen Werkswohnungen
eine (kürzere Kündigungsfrist geschaffen werden
muß.
Wir wollen nunmehr abweichend vom Rechfs-
ausschuß auf die Verkürzung der Kündigungs-
fristen verzichten, wenn die Überlassung der Woh-
nung zehn Jahre gedauert hat. Wir übernehmen da-
mit einen aus der Arbeitsrechtsprechung kommen-
den Gedanken. Die Rechtsprechung der Arbeits-
gerichte geht dahin, daß, wenn ein Arbeitsverhältnis
länger als zehn Jahre besteM, dieses Arbeitsverhält-
nis nur aus wichtigem Grunde gekündigt werden
kann, also keine Willkiürkündigung möiglich ist.
Diesen Gedanken greifen wir mit unserem Antrag
auf. Wir meinen, daß unter diesen Umständen, wenn
das Wohnverhältnis einmal zehn Jahre gedauert
hat, auch die ordentliche Kündigunigsfrist in Kauf
genommen werden kann und darin keine Unbillig-
keit ZU sehen ist.
Wir bitten deshalb, unseren Anträgen Umdruck
452 Ziffer 3 zuzustimmen.
(Beifall in der Mitte.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Busse.
Busse (FDP): Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Es ist heute
manchmal wirklich etwas komisch: Bei der Beratung
dieses Gesetzes kämpft die SPD für die Regierungs-
vorlage, und ich bin jetzt in der angenehmen Lage,
mich zur Begründung dessen, was ich auszuführen
habe, auf die Ausführungen in Ihrem Bericht, sehr
verehrter Herr Kollege Hauser, zu berufen. Das ist
so klar, so einleuchtend, was Sie da geschrieben
haben. Es ist das Ergebnis sehr langer und gründ-
licher Beratungen im Rechtsausschuß, wo all das,
was hier heute an Einzelproblemen angeklungen
ist, eingehend durchgesprochen worden ist.
Ich glaube, daß die Regelung den berechtigten
Interessen aller Beteiligten Rechnung trägt. Darüber
hinaus hat sie vor allen anderen Regelungen, die
hier jetzt wieder angeregt werden, den Vorteil, daß
sie klar ist. Diese Klarheit ist auch ein wesentlicher
Gesichtspunkt, der uns bei der Abfassung von Ge-
setzen mit bestimmen sollte.
Wir sind der Überzeugung, daß das, was damals
im Rechtsausschuß mit überwiegender Mehrheit,
auch von Ihnen, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, vertreten worden ist, tatsächlich besser
ist als das, was jetzt hinterher in einsamen Frak-
tionssitzungen von Ihnen beraten und beschlossen
worden ist.
Wir werden daher sowohl den Änderungsantrag
der SPD als auch den Antrag der CDU auf Ände-
rung der Ausschußvorlage ablehnen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort wird nicht
mehr begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst
abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion
der SPD Umdruck 447. Wer zuzustimmen wünscht,
den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um
die Gegenprobe. — Das zweite war die Mehrheit;
der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den Ände-
rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 452
Ziffer 3. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich
um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
probe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehr-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6045
(A)
Vizepräsident Dr. Jaeger
heit; bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Damit ist die Nr. 19 neu gefaßt worden.
Ich rufe nunmehr Nr. 20 auf. Das Wort wird nicht
gewünscht. Wer Nr. 20 in der Ausschußfassung zu-
zustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand-
zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist
so beschlossen.
Ich rufe Nr. 21 auf, dazu den Antrag Umdruck 445
der Fraktion der SPD Buchstabe f) und den Antrag
Umdruck 452 der Fraktion der CDU/CSU Ziffer 4.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Dr* Czaja (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich glaube, es gibt niemanden
im Saale, der nicht die Schutzbedürftigkeit der Haus-
haltsangehörigen des Mieters für dann am stärksten
gegeben hält, wenn der Haushaltsvorstand gestor-
ben ist. Wir glauben, daß hier das größte Schutz-
bedürfnis besteht. Deshalb hat der Wohnungsbau-
ausschuß — ich glaube, einstimmig — eine etwas
andere Fassung als der Rechtsausschuß gewählt.
Wir waren außerordentlich dankbar, daß der Rechts-
ausschuß bereits von sich aus den § 556 a als für
diesen Fall für anwendbar erklärt hat. So steht es
jedenfalls in der Vorlage des Rechtsausschusses.
Dagegen scheint bezüglich der Kündigungsfristen
für den Todesfall ein Mißverständnis entstanden zu
sein, und zwar insofern, als bei länger bestehenden
Mietverhältnissen, also bei Mietverhältnissen, die
beispielsweise über zehn Jahre bestehen, im Vor-
schlag des Rechtsausschusses nicht mehr die Kündi-
gungsfrist von einem Jahr — wie in § 565 Abs. 2 — ,
sondern eine verkürzte Kündigungsfrist, die dort
als „gesetzliche" bezeichnet wurde — und darin
bestand wohl das Mißverständnis — , gewählt wor-
den ist, nämlich eine dreimonatige Kündigungsfrist.
Wir glauben — und das haben wir auch mit un-
seren Kolleginnen und Kollegen aus dem Rechtsaus-
ausschuß eingehend in der Fraktion besprochen — ,
daß das nicht vertretbar ist und daß dieses Mißver-
ständnis ausgeräumt werden müsse. Es ergibt sich
dabei aber folgende Schwierigkeit. Es kann natür-
lich bei den im Haushalt verbliebenen Angehörigen
des Verstorbenen auf Grund der ganzen Verhält-
nisse und der Personen der Fall eintreten, daß in
ihrer Person ein „wichtiger Grund" liegen kann, der
den Vermieter veranlaßt, insbesondere bei Mietver-
hältnissen auf bestimmte Zeit, vorzeitig zu kündi-
gen. Wir müssen daher für diesen Fall dem Ver-
mieter einer verkürzte Kündigungsfrist zugestehen,
wenn ein „wichtiger Grund" in der Person liegt,
den ich nicht besonders erörtern muß.
Wir haben daher den Änderungsantrag auf Um-
druck 452 eingebracht. Wir bitten auch die SPD —
weil sie unseren Antrag vielleicht nicht kannte — ,
ihren Antrag zurückzustellen; denn wir glauben,
daß unser Antrag die Verhältnisse noch etwas bes-
ser regelt. Er ermöglicht auch in solchen Fällen die
Anwendung der Sozialklausel, was der Regierungs-
entwurf ja nicht vorsah, und er ermöglicht damit
dem Richter, in Zusammenhang mit § 308 der Zivil-
prozeßordnung unter Umständen auch bei einem
solchen wichtigen Grund umgestaltend auf das Miet-
Verhältnis einzuwirken.
Ich glaube, niemand im Saal wird die Berechti-
gung des Anliegens, das nur infolge von Mißver-
ständnissen anders gefaßt worden ist, verneinen. Ich
bitte daher um Annahme unseres Antrages.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Jacobi.
Jacobi (Köln) (SPD): Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Für unseren Antrag gilt dasselbe,
was ich vorhin in Verbindung mit dem inzwischen
von der CDU/CSU eingebrachten Antrag gesagt
habe, der ebenfalls § 569 a Abs. 5 betrifft. Nach den
Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Czaja und
nach Prüfung des Vorschlages ziehen wir unseren
Antrag zurück.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Frau
Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP): Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Czaja,
idi muß Sie enttäuschen. Sie haben gemeint, nie-
mand könne Ihren Ausführungen widerstehen. Wir
Freien Demokraten tun es, und zwar aus folgendem
Grund. Ich habe mir die Formulierungen sehr sorg-
fältig angesehen und möchte doch noch auf den
Grundgedanken des § 569 a hinweisen. Es ist nicht (D)
nur zugunsten des Ehegatten, sondern aller Fami-
lienangehörigen, einerlei welchen Verwandtschafts-
grades, die in einem gemeinsamen Hausstand leben,
vorgesehen, daß das Mietverhältnis kraft Gesetzes
übergeht. Das geht außerordentlich weit. Bezüglich
des Ehegatten ist das ohne weiteres berechtigt.
Aber, Herr Kollege Czaja, Sie sind in Wohnungs-
sachen selber viel zu erfahren, als daß Sie nicht
wüßten, daß der Übergang auf Kinder, Kindeskinder,’
Neffen, Nichten usw. eine sehr umstrittene Sache
ist und für den Vermieter manchmal außerordent-
lich große Härten mit sich bringt.
Wenn Sie jetzt von der Ausschußvorlage abwei-
chen, schaffen Sie wieder neue Schwierigkeiten für
die Handhabung des Gesetzes. Sie wissen aus den
Erfahrungen mit den Bestimmungen des Mieter-
schutzgesetzes, daß die Fassung „wenn ein wichtiger
Grund vorliegt" natürlich sehr allgemein ist und —
das ist menschlich und kann gar nicht anders sein
— eine sehr subjektive Auslegung durch den Rich-
ter Platz greift. Wir sind der Auffassung, daß man-
cher Prozeß vermieden wird, wenn es bezüglich des
Abs. 5 bei der jetzigen Formulierung des Rechtsaus-
schusses bleibt, wenn auf die gesetzlichen Fristen
abgestellt wird. Die vom Rechts aus schuß noch vor-
gesehene Einfügung der Sozialklausel ist außerdem
auch ein ganz, ganz großes Entgegenkommen ge-
genüber den Familienangehörigen. Wir sollten hier
nicht noch die Einschränkung hineinbringen, daß
bei den Familienangehörigen ein wichtiger Grund
vorliegen müsse, damit die Kündigung erfolgen
könne. Deswegen werden wir Freien Demokraten
6046
Deutsdier Buiwiestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Frau Dr. Diemer-Nicolaus
für die nadi unserer Auffassung klarere Formulie-
rung des Rechtsaussdiusses, der auch noch die So-
zialklausel eingefügt hat, stimmen; wir halten die
Fassung des Rechtsaussdiusses für eine Verbesse-
rung.
(Beifall bei der FDP.)
Vizepräsident Dr« Jaeger: Das Wort wird nicht
mehr gewünscht. Ich stelle zunächst fest, daß der
Umdruck 445 — Änderungsantrag der Fraktion der
SPD — bezüglich des Buchstabens f zurückgezogen
ist. Ich habe nur noch über den Umdruck 452 —
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU — zu
Ziff. 4 abstimmen zu lassen. Wer zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Bei Gegenstimmen
rechts angenommen.
Ich lasse über Nr. 21 — Ausschußfassung — mit
der soeben beschlossenen Änderung abstimmen.
Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das
Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Angenommen.
(Zurufe: Enthaltungen!)
— • Wenn Sie wünschen: Enthaltungen? — Bei Ent-
haltungen rechts und links.
Ich lasse nunmehr über Art. I mit den verschie-
denen Änderungen, die wir vorhin beschlossen
haben, abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den
bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die
Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen
Enthaltungen angenommen.
ß) Ich komme nunmehr zu Art. II Ziff. 01. — Das
Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? - — Bei
zahlreichen Enthaltungen und einigen Gegenstim-
men angenommen.
Ich komme zu dem Änderungsantrag der Fraktion
der SPD auf Umdruck 444. Sollen die Buchstaben a,
b, c, d und e gemeinsam begründet werden? —
Herr Dr. Reischl.
(Abg. Dr. Reischl: a, b und c können ge-
meinsam begründet werden!)
— Gut.
Dr. Reischl (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich werde der Anregung des Herrn
Präsidenten folgen und die Änderungen unter a, b
und c betreffend die Nrn. 1, 2 und 4 der Vorlage zu-
sammen begründen.
Zunächst zu Buchstaben a: Die Regierungsvorlage
ging von der richtigen Erkenntnis aus, daß eine
Klage auf zukünftige Räumung bei Mietverträgen
über Wohnräume unerträglich ist. Sie hat deshalb
die Wohnräume aus § 257 ZPO mit der Folge her-
ausgenommen, daß für diese nur der § 259 ZPO gel-
ten sollte. Hiernach wäre eine Klage auf zukünftige
Räumung von Wohnraum nur dann zulässig, wenn
die Besorgnis gerechtfertigt wäre, daß sich der Mie-
ter der rechtzeitigen Räumung entziehen werde. Das
Vorliegen dieser Voraussetzung müßte der Vermie-
ter als Kläger beweisen. Das war eine in sich ge-
schlossene Konzeption, der ich, um mich ganz vor-
sichtig auszudrücken, immerhin das Zeugnis aus-
stellen möchte, daß sie von einem Hauch sozialen
Mietrechts umweht war.
Die Mehrheit des Rechtsausschusses, und zwar
die aus den Regierungsparteien bestehende Mehr-
heit, hat hier die gute Vorlage ihrer Regierung sehr
izum Nachteil des Mieters verschlechtert. Die Klage
auf zukünftige Räumung, die jetzt also auch für
Wohnräume zugelassen sein soll, kann nämlich die
Sozialklausel des § 556 a BGB, das ohnehin recht
dünne Recht des Mieters, praktisch illusorisch
machen.
Ich will ein Beispiel geben. Ich gehe von einem
zehnjährigen Mietverhältnis, also einer einjährigen
Kündigungsfrist aus. Die Kündigung kann bekannt-
lich ohne Begründung erfolgen. Der Mieter will sich
nunmehr überlegen, ob er Widerspruch einlegen
soll. Ob er es tut, hängt zu einem erheblichen Teil
auch davon ab, ob er Aussicht hat, innerhalb der
Kündigungsfrist, die also in dem Falle ein Jahr be-
trägt, eine andere Wohnung zu finden. Er macht sich
also zunächst auf den Weg, um diese zu suchen, Er
kann sich dies auch lange überlegen; denn nach
§ 556 a braucht er ja den Widerspruch erst drei Mo-
nate vor dem Ablauf der Kündigungsfrist einzu-
legen. Nun klagt der Vermieter vorher, weil er das
nicht abwarten will. Ein Widerspruch ist nicht ge-
kommen. Er will Klarheit schaffen. Er will also den
Schwebezustand abkürzen. Dann muß der Mieter,
wenn er nicht überhaupt von vornherein verurteilt
werden will, vorzeitig Widerspruch einlegen, ob- (D)
wohl er, weil er noch gar nicht klären konnte, ob es
für ihn eine unzumutbare Härte bedeutet, auszu-
ziehen, seinen Widerspruch nicht richtig begründen
kann. Er muß es aber jetzt tun. Er muß im Prozeß
erwidern, um nicht von vornherein verurteilt zu
werden. Ist er dann verurteilt, dann kann er keinen
Widerspruch mehr einlegen; denn es steht dann be-
reits im voraus fest, daß er räumen muß. Der Kläger
hat einen Titel, und der Mieter kann nun nur noch
die ihm sonst gebotenen Möglichkeiten der Einräu-
mung einer Räumungsfrist, die ja ausdrücklich vor-
gesehen ist, und später vielleicht den Vollstrek-
kungsschutz in Anspruch nehmen.
Hier muß ich also sagen, daß durch die Beschlüsse
des Rechtsausschusses eine an sich richtige Konzep-
tion, und zwar ein entscheidender Teil der Konzep-
tion der Regierungsvorlage zerschlagen worden ist.
Ich sollte eigentlich annehmen, daß einer der beiden
Herren Minister — ich denke dabei in erster Linie
an den Bundeswohnungsbauminister, von dem im-
merhin bekannt ist, daß er vehement und mit Energie
für seine Vorlagen eintritt — auf unsere Seite tritt
und uns hilft, die Regierungsvorlage mit ihrer guten
Konzeption wiederherzustellen. Viel Hoffnung, muß
ich allerdings gestehen, habe ich nach den Erfahrun-
gen vom heutigen Abend nicht. Es bleibt mir nur,
Ihnen die Annahme unseres Antrages unter Buch-
stabe a auf Umdruck 444 zu empfehlen.
Zu den Anträgen unter den Buchstaben b und c
kann ich die Begründung zusammen und wesent-
lich kürzer geben. Hier dreht es sich nur darum, die
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6047
(A) Dr. Reischl
Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Also wiederum trete idi auf die Seite der Bundes-
regierung, um ihre Vorlage gegen die eigenen Par-
teien zu verteidigen.
Hier geht es also darum, dem Gericht zu ermög-
lichen, auch ohne Antrag von Amts wegen die
Räumungsfristen zu gewähren. Wer die Abwicklung
von Prozessen bei Amtsgerichten von Großstädten,
die schwer überlastet sind, kennt, der weiß, daß es da
manchmal verhältnismäßig schnell gehen muß; und
so kann es auch einmal Vorkommen, daß eine dahin
gehende Belehrung oder eine Erörterung dieser
Frage vergessen wird. Es ist ja so, daß vor dem
Amtsgericht die Parteien nicht durch Rechtsanwälte
vertreten zu sein brauchen. Der oft unbeholfene
Beklagte wird dann nicht darauf kommen, und in
dem Eifer des Gefechts, wo ja in erster Linie ein
Ausgleich versucht wird und wo versucht werden
soll, zu einer Einigung, vielleicht zu einem Vergleich
zu kommen, kann es unterbleiben, daß er auf diese
Möglichkeit hingewiesen wird. Dann hat das Ge-
richt wenigstens die Möglichkeit, ihm von Amts
wegen diese Frist zu gewähren. Wenn Sie es aber
bei dem Beschluß des Rechtsausschusses belassen,
meine Damen und Herren, dann kann das Gericht
das nicht mehr korrigieren. Es müßte dann die Ver-
handlung deswegen noch einmal aufnehmen.
Ich bitte Sie also auch hier, die wesentlich bes-
sere Regierungsvorlage wiederherzustellen und
unseren Anträgen Umdruck 444 Buchstaben b und c
zuzustimmen.
(B)
Vizepräsident Dr* Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Dr. Weber (Koblenz).
Dr. Weber (Koblenz) (CDU/CSU): Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens
der CDU/CSU-Fraktion bitte ich Sie, die Änderungs-
anträge abzulehnen. Wir sehen keinen durchschla-
genden Grund, von einer Regelung, die die Zivil-
prozeßordnung seit dem Jahre 1897 hat, abzuwei-
chen. Wir sind der Meinung, daß gerade die nim-
mehr durch das soziale Mietrecht eingeführten lan-
gen Kündigungsfristen mit dem Widerspruchsrechf
es erforderlich machen können, daß die Klärung der
Rechtsverhältnisse alsbald erfolgt und daß deshalb
die Klage auf künftige Räumung grundsätzlich zu-
gelassen wird. Es ist ja nicht so, daß der Mieter
davon überfallen würde, sondern in jedem Falle
geht die Kündigung voraus, und der Mieter hat
dann das Recht, seinerseits Widerspruch zu erhe-
ben. In diesem Widerspruchsverfahren wird sich
durchweg schon eine Klärung des Verhältnisses er-
geben. Infolgedessen besteht kein Gnmd, dann,
wenn der Widerspruch etwa zurückgewiesen wor-
den ist und der Mieter seinerseits keine Erklärung
abgibt, eine Klage auf künftige Räumung nicht mehr
zuzulassen.
überdies ist, wie auch Herr Kollege Reischl schon
hervorgehoben hat, durch die Hinzufügung des
Abs. 1 a zu dem § 721 Vorsorge getroffen, daß der
Mieter keinen Nachteil erleidet, sondern daß er
diesen Antrag auch dann, wenn über eine Räu-
mungsfrist nicht entschieden ist, noch zwei Wochen
vor dem Tage, an dem nach dem Urteil zu räumen
ist, stellen kann.
Wir sind deshalb der Meinung, daß diese Bestim-
mungen auch im Rahmen des sozialen Mietrechts
durchaus ihre Berechtigung haben und daß zu einer
Änderung keine Veranlassung besteht, zumal durch
die Einfügung der Kostenvorschrift des § 93 b, der
wir soeben zugestimmt haben, auch hier wiederum
Vorsorge getroffen ist, daß unnötige Klagen ver-
mieden werden. Der Vermieter, der unnötigerweise
klagt, bekommt nämlich eine echte Kostenstrafe,
und die hat er dann auch verdient. Ebensowenig
sind wir der Meinung, daß man in dem § 308 von
einem Grundsatz des Zivilprozesses, daß nämlich
der Richter nicht über die Anträge der Parteien
hinausgehen darf, abweichen sollte.
Im ülbriigen besteht gar kein erheblicher Unter-
schied zwischen der Regierungsvorlage und den Be-
schlüssen des Ausschusses. Auch in der Regierungs-
vorlage steht zwiar, daß der Richter ohne Antrag
berechtigt ist, auszusp rechen, für welche Dauer und
unter welchen Änderungen der Vertrag über das
Mietverhältnis fortgesetzt wird, aber es heißt dann
w^eiter: Vor dem Ausspruch sind die Parteien zu
hören. Das ist eine zwingende Vorschrift. Der Aus-
schuß schlägt Ihnen vor, daß auf Antrag die Folge
auszusprechen ist, für welche Dauer oder unter wel-
chen Änderungen das Mietverhältnis fortgesetzt
wird. Der § 139 der Zivilprozeßordnung zwingt den
Richter nunmehr, in diesem Falle seinerseits, genau
wie er nach der Regierungsvorlage die Parteien
hören muß, sie darauf hinzuweisen und darauf hin-
zuwirken, daß sie einen entsprechenden Antrag
stellen. Er muß also diesen Antrag mit ihnen er-
örtern. Das steht jietzt schon in der Zivilprozeßorfd-
nunig. Infolgedessen sollten wir nicht ohne Not von
einer schon seit 1879 bestehenlden Fassung der Zivil-
prozeßordnung abweichen.
Wir bitten deshalb, die Anträge der SPD abzu-
lehnen.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Herr Bunidesminister der Justiz.
Dr« Bucher,Bundesministier der Justiz: Herr Prä-
sident! Meine Damen und Herren! Die Bundeis-
regierung kann sich natürlich dem ständigen Liebes-
werlben der Opposition, Stellung zu nehmen, nicht
entziehen. Ich muß auch sagen, daß ich in diesen
drei Punkten die Regierungsvorlage nach wie vor
verteidige. Denn wenn wir vorhin festgestellt ha-
ben, daß eine Regierungsvorlage durchaus verbeis-
semingsfähig ist und dann nicht in ihrer alten Fas-
sung verteidigt werden muß, so ist es andererseits
auch nicht so, daß eine Regierungsvorlage dadurch
schlechter würde, daß sich die Opposition später zu
ihr bekennt.
(Abg. Ja)hn: Das ist eine Über treib ung! Wir
nehmen sie hin, wir bekennen uns nicht
dazu!)
— Einigen wiir uns auf „abf inden" .
Ich briauche also dem, was Herr Kollege Reischl
zu § 257 gesagt hat, nicht mehr viel hmzu23ufü)gen.
6048
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Bundesminister Dr. Budier
Nur noch ein Gesichtspunkt: Wenn der Mieter, ver-
anllaßt durch die Klage auf künftige Räumung, lange
Zeit vor dem Termin der Beendigung des Mietver-
hältnissies dessen Fortsetzung verlangt, so könnte
der Richter, der über die Räumungsklage zu ent-
scheiden hat, nur vorausschauend prüfen, ob im
Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses die
Vioraussetzungen für eine Fortsetzung nach § 556 ^a
gegeben sein werden. Läßt isich aber der Mieter
nicht durch die Klage auf künftige Räumung ver-
leiten, schon alsbald die Fortsetzung des Mietver-
hältnisses ;zu verlangen, so wiüilde zunächst Urteil
auf künftige Räumung ergehen. Endgültige Klarheit
hätte der Vermieter damit aber nicht; denn dem
Mieter bleibt es ja unbenommen, bis drei Monate
vor Beendigung des Mietverhältnisseis die Fort-
setzung des Mietverhältnisses zu verlangen und
daraufhin durch eine Vollstreckungsgögeniklaige die
Wirkung des Räumungsurteils zu beseitigen. Man
muß also damit rechnen, daß dann zwei Prozesse
aufeinanderfolgen, und das erscheint unerwünscht.
Demgegenüber glauben wir tatsächlich, daß die
im § 259 geltenden Rechts enthaltene Vorschrift ge-
nügt, daß Klage auf künftige Räumung dann mög-
lich ist, wenn die Besorgnis gerechtfertigt ist, daß
der Mieter nicht rechtzeitig räumen werde.
Zu den ^anideren beiden Anträgen brauche ich nicht
mehr viel zu sagen. Ich glaube tatsächlich auch, daß
es oft schwierig sein wird, einem Rechtsiunkunkiigen
klarzumachen, daß er hier Anträge zu stellen hat.
Indem Falle des § 308 a und insbesondere des § 721
stellt man immer wieider fest, daß bei Parteien, die
" nicht von Anwälten vertreten sind, der Eindruck
besteht, daß man, wenn man einen Hilf sant rag auf
Räumungsifrist stelle, damit selber zugebe, daß man
seinen Hauptantrag nicht für beigründet halte. Diese
Auffassung ist weit verbreitet. Ich glaube deshalb,
diaß es kein Schaden wäre, wenn man es bei der
Regierungsvorlage beließe, nach der auch ohne An-
trag diese Räiumungsfrist usw. auszusp rechen ist.
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dn Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Mick,
Mick (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Auch ich wollte für die
Wiederherstellung der Regierungsvorlage plädie-
ren. Da der Herr Justizminister das in so hervor-
ragender Form getan hat, kann ich auf weitere
Begründungen verzichten. Meine Meinung ist, daß
man hier nicht durch irgendwelche Manipulationen
auch nur den Anschein erwecken sollte, als wenn
das soziale Mietrecht überspielt werden könnte. Ich
bitte also auch darum, die Regierungsvorlage in
den genannten Punkten wiederherzustellen.
(Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Herr
Abgeordneter Busse.
Busse (FDP): Herr Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen, meine Herren Kollegen! Ich will Ihnen
offen gestehen: die Ausführungen, die Herr Minister
Bücher vorhin zu § 257 gemacht hat, haben mich
und, ich glaube, auch meine politischen Freunde
überzeugt.
(Zuruf von der SPD: Bravo! — Zuruf von
der SPD: überzeugt oder überrascht?)
— Nein, Herr Kollege: „überzeugt", habe ich ge-
sagt. Diese Ausführungen waren nämlich bisher
noch nicht gemacht worden. Das, was bisher zu die-
sem § 257 gesagt worden ist, hätte ich nicht als aus-
reichend angesehen.
Wir werden also insoweit dem Antrag der SPD
zustimmen und uns für die Wiederherstellung der
Regierungsvorlage aussprechen.
Dagegen glauben wir gleiches nicht tun zu können
bezüglich des § 308 a.
Wenn § 257 in der Fassung der Regierungsvor-
lage wiederhergestellt wird, wäre natürlich die
Folge, daß wir in § 721 den im Rechtsausschuß ein-
gefügten Absatz nicht mehr nötig hätten, so daß
wir dann auch in diesem Punkte Ihrem Antrag
würden zustimmen können.
Ich darf zusammenfassen. Wir stimmen dem An-
trag zu, Nr. 1 die Fassung der Regierungsvorlage
wiederherzustellen. Wir lehnen den Antrag ab, in
Nr. 2 die Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Wir stimmen dem Antrag zu, in Nr. 4 die Fassung
der Regierungsvorlage wiederherzustellen,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Es liegen keine ™
Wortmeldungen mehr vor. Ich lasse abstimmen
über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD
Umdruck 444 Buchstabe a), in Nr. 1 in § 257 die
Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen.
Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um
das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Wir kommen zum Änderungsantrag der Fraktion
der SPD Umdruck 444 Buchstabe b), in Nr. 2 in
§ 308 a) Abs. 1 die Fassung der Regierungsvorlage
wiederherzustellen. Begründung und Aussprache
sind schon erfolgt. Wer dem Änderungsantrag zuzu-
stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war
die Mehrheit; angenommen.
Zu Nr. 3 liegt kein Änderungsantrag vor. Das
Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen
wünscht, gebe das Handzeichen. — Ich bitte um die
Gegenprobe. — Angenommen.
Zu Nr. 4 liegen Änderungsanträge unter Budi-
stabe c) und Buchstabe d) des Umdrucks 444 vor.
Der Antrag unter Buchstabe c) ist bereits begrün-
det. Wird der Antrag unter Buchstabe d) noch be-
gründet? —
(Zuruf.)
Sie wollen zunächst über Buchstabe c) abstimmen
lassen. — Wer dem Änderungsantrag der Fraktion
der SPD Umdruck 444 Buchstabe c) zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die
Mehrheit; angenommen.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6049
Vizepräsident Dr. Jaeger
Ist zu Buchstabe d) noch etwas zu bemerken? —
Das ist nicht der Fall. Ich lasse abstimmen über den
Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 444
Buchstabe d), in Nr. 4 in § 721 Abs. 3 Satz 1 das
Wort „darf“ durch „soll" zu ersetzen. Wer zuzustim-
men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
Ich bitte um die Gegenprobe. — Abgelehnt.
Wir stimmen ab über Nr. 4 in der Ausschußfas-
sung mit der beschlossenen Änderung. Wer zuzu-
stimmen wünscht, gebe das Handzeichen, — Gegen-
probe! — Es ist so beschlossen.
Nr. 5! Hierzu liegt der Antrag der Fraktion der
SPD Umdruck 444 Buchstabe e) vor, in § 794 a Abs.
3 Satz 1 das Wort „darf" durch „soll" zu ersetzen.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehr-
heit; abgelehnt.
Ich lasse über Nr, 5 in der Ausschußfassung ab-
stimmen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe das
Handzeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlos-
sen.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den gesamten
Artikel II in der Ausschußfassung mit den beschlos-
senen Änderungen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe
das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Mit Mehrheit so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste
Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 30. April,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluß der Sitzung: 21.20 Uhr.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6051
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Anlage 1
Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich
Liste der beurlaubten Abgeordneten
Metter
30.
5.
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
29.
4.
Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich
Müller (Remscheid)
20.
5.
Dr. Müller-Hermann *
29,
4.
a) Beurlaubungen
Peters (Norden)
30.
4.
Dr. Adenauer
12.
5.
Rademacher
29.
4.
Dr. Aigner *
30.
4.
Rasnier
6.
5.
Arendt (Wattenscheid) *
30.
4.
Richarts *
2.
5.
Dr. Arndt (Berlin)
30.
6.
Schulhoff
30.
4
Frau Berger-Heisie
30.
4.
Dr. Seffrin
30.
4.
Biegler
30.
4.
Seidl (München)
30.
4.
Dr. von Brentano
4.
7.
Spitzmüller
30.
4.
Burckardt
30.
4.
Dr. Starke
30.
4.
Deneke
30.
4.
Stordi *
30.
4.
Dr. Elbrächter
29.
4.
Frau Strobel *
30.
4.
Etzel
30.
4.
Wehking
10.
5.
Faller *
30.
4.
Weinkamm *
30.
4.
Gscheidle
29.
5.
Dr. Winter
30.
4.
Dr. Harm (Hamburg)
1.
6.
Dr. Zimmermann (München)
6.
5.
Haussier
29.
4.
Heiland
29.
4.
b) Urlaubsanträge
Hellenbrock
29.
4.
Bauer (Wassenburg)
8.
5.
Hörmann (Freiburg)
30.
4.
Dr Birrenbach
30.
5.
Illerhaus
29.
4.
Frehsee
10.
5.
Jacobs
2.
5.
Dr. Frey (Bonn)
10.
5.
Kalbitzer
30.
4.
Dr. Dr. h. c. Friedensburg
5.
6.
Klinker *
30.
4.
Dr. Fritz (Ludwigshafen)
6.
5,
Könen (Düsseldorf)
30.
4.
Hilbert
23.
5.
Dr. Kreyssig *
30.
4.
Mauk
5.
^ (D)
Kriedemann *
29.
4.
Mengelkamp
30.
Frau Dr. Kucbtner
4.
7.
Freiherr von Mühlen
30.
5.
Leber
30.
4.
Dr. Tamble
1'6.
5.
Lenz (Bremerhaven)
30.
4.
Wisdinewski
6.
5.
Lenze (Attendorn) *
2.
5.
Wullenhaupt
9.
5.
Dr. Löhr
30.
4.
Lücker (Mündien) *
29.
4.
* Für die Teilnahme an Sitzungen
des Europäischen
Dr. von Merkatz
30.
4.
Parlaments
6052
Deutscäier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Anlage 2
Welthandel mit Getreide
in 1000 t
0 1960/61 bis 1962/63
Einfuhr- bzw. Ausfuhr-
länder
Getreide insgesamt
davon: Weizen und -mehl zusammen
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr- (+)
bzw. Einfuhr-
überschuß
(-)
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr- (+)
bzw. Einfuhr-
überschuß
(-)
Bundesrepublik
1 106
5 822
- 4 716
877
2 614
- 1 737
Belgien/Luxemburg
116
1 966
- 1 820
89
441
- 352
Frankreich
3 799
916
+ 2 883
2 164
452
+ 1 712
Italien
128
4 180
- 4 052
108
1 182
- 1074
Niederlande
323
3 905
- 3 582
15
947
- 932
EWG-Länder
zusammen . . .
5 502
16 789
-11 287
3 253
5 636
- 2 383
Dänemark
189
928
- 739
32
78
- 46
Finnland
72
302
- 230
55
204
- 149
Griechenland
—
161
- 161
—
47
- 47
Großbritannien
290
9 325
- 9 035
53
4 549
- 4 496
Irland
105
343
- 238
79
200
- 121
Island
—
17
- 17
—
12
- 12
Norwegen
16
585
- 569
—
347
- 347
Österreich
49
585
- 536
45
72
“ 27
Portugal
—
308
- 308
—
243
- 243
Schweden
336
337
- 1
142
126
+ 16
Schweiz
—
889
- 889
—
393
- 393
Spanien
8
1 534
- 1526
8
788
- 780
Türkei
58
716
- 658
1
712
- 711
Jugoslawien >
244
903
- 659
57
863
~ 806
SBZ ‘)
89
98
- 9
58
90
- 32
Albanien
—
63
- 63
—
69
69
Bulgarien
57
64
- 7
—
23
23
Polen
37
1 328
- 1 291
—
988
- 988
Rumänien
648
0
+ 648
4
—
+ 4
CSR 1)
42
160
- 118
3
154
- 151
Ungarn
3
118
- 115
0
109
- 109
UdSSR 1)
2 239
80
+ 2 159
1 477
68
+ 1 409
Kanada
10 344
693
+ 9 651
9 420
—
+ 9 420
USA
31 925
463
+ 31 462
18 291
170
+ 18 121
Kuba
—
244
- 244
—
Mexiko
19
192
- 173
—
17
- 17
nur Handel mit Ländern der westlichen Welt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6053
noch: Welthandel mit Getreide
(C)
Getreide insgesamt
davon: Weizen und -mehl zusammen
Einfuhr- bzw. Ausfuhr-
länder
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr- (-f)
bzw. Einfuhr-
überschuß
(-) .
Ausfuhr
Einfuhr
Ausfuhr- (-f)
bzw. Einfuhr-
überschuß
(-)
Argentinien
5 186
+ 5 186
2 043
+ 2 043
Brasilien
2
2 192
- 2 190
—
2 145
- 2 145
Chile
4
175
- 171
—
165
- 165
Kolumbien
—
155
- 155
—
130
- 130
Paraguay
11
84
- 73
—
83
- 83
Peru
2
426
- 424 .
—
421
- 421
Uruguay
0
78
- 78
—
0
± 0
Venezuela
—
379
- 379
—
349
- 349
Irak
151
174
- 23
13
174
- 161
Israel
9
685
- 676
9
280
~ 271
Jordanien
6
215
- 209
4
186
- 182
Libanon
3
257
- 254
—
200
- 200
Syrien
277
225
H“ 52
100
199
- 99
Ceylon
—
240
- 240
—
237
- 237
China Taiwan
3
350
- 347
3
337
- 334
Hongkong
33
256
- 223
31
154
- 123
Indien
—
3613
- 3613
—
3 524
- 3 524
Indonesien
—
135
- 135
—
135
- 135
Japan
73
5 231
- 5 158
73
2 757
- 2 684
Korea, Rep
—
702
- 702
—
501
- 501
Malaya-Singapur
11
423
- 412
9
286
- 277
Pakistan
—
1 255
- 1255
—
1 241
- 1241
Philippinen
1
346
- 345
—
340
- 340
Thailand
610
32
+ 578
—
32
- 32
VR China i)
25
4 577
- 4 552
—
3 839
- 3 839
Algerien
82
475
- 393
30
426
- 396
Kenia, Uganda,
Tanganjika
23
135
- 112
0
36
- 36
Marokko
157
477
- 320
37
335
- 298
Rhodos u. Njassaland ....
260
110
+ 150
3
105
- 102
Rep. Südafrika
1 624
148
+ 1476
—
133
- 133
Rep. Sudan
109
66
+ 43
—
66
66
Tunesien
46
337
- 291
42
272
- 230
Ver. Arab. Republik
12
1 695
- 1683
9
1 473
- 1464
Australien
6 297
—
+ 6 297
5 349
—
+ 5 349
Neuseeland
—
173
- 173
—
173
- 173
Welt insgesamt . . .
67 912
66 763
+ 1 149
40 803
39 893
+ 910
0 nur Handel mit Ländern der westlichen Welt
2) ohne Handel innerhalb der Ostblockstaaten Quelle: FAO, World Grain Trade Statistics
6054
Deutsdier Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Sdiwellenpreiser cif-Preise und Abschöpfungen gegenüber Drittländern
DM je 100 kg
Monatsdurchschnitt
Weich weizen |
Roggen |
Gerste |
Mais
Sdiwel-
len-
preis
cif-
Preis
Ab-
sdiöp-
fung
Sdi wel-
len-
preis
cif-
Preis q
Ab-
schöp-
fung
Schwel-
len-
preis
cif-
Preis 1)
Ab-
schöp-
fung
Schwel-
len-
preis
cif-
Preis 1)
Ab-
schöp-
fung
Bundesrepublik
Deutschland
1963
August
47,80
22,91
24,98
43,60
23,75
19,89
41,80
20,22
21,54
41,80
24,73
17,07
1964
Januar
49,94
25,85
24,10
45,74
29,55
16,15
43,45
26,49
16,96
43,45
25,01
18,42
Februar
50,34
25,33
24,80
46,14
28,41
19,60
43,45
25,19
17,79
43,45
23,83
19,36
Belgien
1963
August
39,68
22,40
17,28
30,24
23,36
6,88
32,64
20,16
12,64
30,64
24,32
6,40
1964
Januar
41,28
25,20
16,00
31,36
28,96
2,40
33,76
25,84
7,92
31,76
24,40
7,36
Februar
41,60
24,88
16,72
31,60
27,92
3,68
34,00
24,72
9,20
32,00
23,36
8,56
Frankreich
1963
August
39,10
22,83
16,34
31,73
23,76
8,00
32,21
20,54
11,70
38,35
24,73
13,64
1964
Januar
40,72
25,81
14,90
33,35
29,52
3,81
33,75
26,29
7,44
36,22
24,78
11,41
Februar
41,04
25,46
15,57
33,67
28,54
5,10
34,06
25,30
8,74
36,60
23,76
12,82
Italien
1963
August
45,12
22,83
22,36
39,48
24,55
14,94
26,36
21,32
5,06
24,40
25,53
—
; 1964
Januar
46,72
26,28
20,37
39,48
30,50
8,97
26,36
27,21
—
25,72
25,95
0,08
Februar
47,04
26,14
20,84
39,48
29,52
9,91
26,36
26,28
0,31
25,72
24,94
0,77
Luxemburg
1963
August
45,84
24,88
21,04
42,24
25,76
16,40
32,64
20,16
12,64
30,64
24,32
6,40
1964
Januar
47,60
27,68
19,48
43,84
31,36
12,40
33,76
25,84
7,92
31,76
24,40
7,36
Februar
49,92
27,28
20,48
43,84
30,40
13,36
34,00
24,72
9,20
32,00
23,36
8,56
Niederlande
1963
August
39,39
22,43
16,97
28,34
23,35
5,00
31,60
20,14
11,58
29,39
24,33
5,07
1964
Januar
41,32
25,22
16,10
28,34
28,92
—
31,60
25,87
5,76
29,39
24,38
4,96
Februar
41,71
24,85
16,86
28,34
27,93
0,49
31,60
24,72
6,78
29,39
23,36
6,00
Diese cif-Preise, die für die Ermittlung des Abschöpfungssatzes zu verwenden sind, werden gemäß Verordnung 19
im Regelfall täglich von der Europäischen Kommission festgesetzt. Dafür sind gemäß VO 19 die günstigsten Ein-
kaufsmöglichkeiten zu ermitteln. Die effektiven cif-Preise für die verschiedenen Sorten einer Getreideart werden
durch Anwendung der Ausgleichskoeffizienten gemäß VO 70 der Europäischen Kommission mit dem Sdiwellen-
preis, der für die sogenannte europäische Standardqualität gilt, vergleichbar gemacht. Der niedrigste Preis, der
sich aus dieser Rechnung ergibt, ist dann der für die Ermittlung der Auschöpfung maßgebende cif-Preis.
Quelle: Generaldirektion Landwirtschaft: Abteilung Bilanzen, Studien, Information — Agrarmärkte, Preise —
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6055
Anlage 3 Umdruck 440
Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/
CSU, SPD, FDP zur dritten Beratung des von der
Bundesregierung eingebraditen Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
(6. Änderung) (Drucksachen IV/1646, IV/2121).
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. im internationalen Rahmen auf eine weitere
Erhöhung der Haftungssummen nach § 46 des
Luftverkehrsgesetzes hinzuwirken und
2. teine angemessene Erhöhung der Unfallversiche-
rungssummen nach § 50 des Luftverkehrsgesetzes
anzustreben.
Bonn, den 28. April 1964
Dr. Müller-Hermann
Dr. Barzel und Fraktion
Dr. Bleiß
Börner
Iven (Düren)
Müller (Nordenhamm)
Regling
Schmidt (Braunschwieig)
Seibert
Seifriz
Erler und Fraktion
Rademacher
Freiherr von Kühlmann-
Stumm und Fraktion
Anlage 4 Umdruck 451
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU,
FDP zur zweiten Beratung des von den Fraktionen
der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen
Jahres (Drucksachen IV/986, IV/2138).
Der Bundestag wolle beschließen:
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 wird wie folgt ergänzt:
Hinter dem Wort „Verbände" werden das Komma
gestrichen und die Worte „und ihre Untergliede-
rungen," angefügt.
Bonn, den 29. April 1964
Dr. Barzel und Fraktion
Mischnik und Fraktion
Anlage 5 Umdruck 442
Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Ditt-
rich, Dr. Jungmann zur zweiten Beratung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittel-
gesetzes (Drucksachen IV/1370, IV/2162).
Der Bundestag wolle beschließen:
In Artikel 1 Nr. 01 erhält Buchstabe a folgende Fas-
sung:
,a) Absatz 1 Satz 2 folgende Fassung:
„Auf Behältnissen von nicht mehr als drei Milli-
liter Rauminhalt und auf Ampullen müs-
sen sich mindestens die Angaben nach Nummern
2, 4, 5, 6 und 9 befinden.",'
Bonn, den 28. April 1964
Dr. Dittrich
Dr. Jungmann
Anlage 6 Umdruck 441
Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Hamm
(Kaiserlautern), Dr. Jungmann, Frau Dr. Hubert,
Frau Blohm, Dr. Dittrich, Dr. Schmidt (Offenbach)
und Fraktionen der SPD, FDP zur zweiten Beratung
des von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Arzneimittelgesetzes (Drucksachen IV/1370, IV/
2162).
Der Bundestag wolle beschließen;
In Artikel 1 wird folgende Nummer vor 8 a einge-
fügt:
,vor 8 a. § 36 Abs. 2 Satz 1 erhält folgende Fassung:
„Das Verbot des Absatzes 1 erster Halb-
satz findet keine Anwendung, soweit der
Gewerbetreibende andere Personen im
Rahmen ihres Geschäftsbetriebes aufsucht,
es sei denn, daß es sich um Arzneimittel
handelt, die für die Anwendung an Tie-
ren in land- und forstwirtschaftlichen Be-
trieben sowie in Betrieben des Gemüse-, P)
Obst-, Garten- und Weinbaus, der Imkerei
und der Fischerei feilgeboten oder daß
bei diesen Betrieben Bestellungen auf Arz-
neimittel, deren Abgabe den Apotheken
Vorbehalten ist, aufgesucht werden."'
Bonn, den 28. April 1964
Dr. Hamm (Kaiserlautern)
Freiherr von Kühlmann-Stumm
und Fraktion
Dr. Jungmann
Frau Blohm
Dr. Dittrich
Frau Haas
Frau Dr. Hubert
Dr. Schmidt (Offenbach)
Erler und Fraktion
Anlage 7 Umdruck 439
Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Böhm
(Frankfurt) unld Genos'sen zum Antrag des Wirt-
schaftlsiausschusses (16. Ausischuß) über den von der
Bundesregierung zur Unterrichtung vongelagten
Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des
Rats über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3
EWG auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen
und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen
(Drucksachen IV/2024, IV/2177).
6056
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Bundestag wolle beschließen:
Der Antrag des Wirtschaftsausschusses — Druck-
sache IV/2177 — wird wiie falgt geändert:
1. Der bisherige Wortlaut dels Ausschußantrages
wird Nr. 1.
2. , Folgende Nr. 2 wird'anigefügt:
„2. Die Bundesregierung wird gebeten, im Riat
der BWG darauf hinzujwirken, daß der Kom-
mission keine Ermächtigung zu Gruppenfrei-
stellungen im Verordnungswege erteilt wird,
sondern daß nach Vorschlaig der Kommission
die Gruppenfreistellungen durch Veroridnung
des Rats erlassen werden können."
Bonn, den 28. April 1964
Dr. Böhm (Frankfurt)
Arndgen
Dr. Arnold
Blumenfelld
Harnischfeger
Kaiser
Klein (iSaarbrücken)
Kuntscher
Dr. Luda
(B)
Anlage 8 Umdrudi 453
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum
Antrag des 2. Untersuchungsausschusses gemäß An-
trag der Fraktion der SPD [(Drucksache IV/2170)
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Antrag des Ausschusses wird um folgende Nr. 4
und 5 ergänzt:
„4. Der Deutsche Bundestag bedauert, daß die in
Idem Ausschußbericht festgestellten Mißstänjde
in den zurückliegeniden Jahren von dem auf-
sichtsführenden Bunldesmini^terium des Innern
durch Unterlassung geeigneter Dienstaufsichts-
maßnahmen nicht festgestellt worden sind und
dadurch der Schutz der durch das Grundgesetz
gewährleisteten Grundrechte nicht gesichert
war.
5. Der Deutsche Bundestag mißbilligt, daß der
Bundesminiister des Innern durch die nach den
Ergebnissen des Untersuchungsausischusses
w»iderlegten Behauptungen, es habe keine deut-
schen Initiativen gegeben un!d das Verfahren
sei streng gesetzlich geregelt gewesen, mehr-
fach die Öffentlichkeit unrichtig und irreführend
unterrichtet hat."
Bonn, den 29. April 1964
Erler und Fraktion
Anlage 9 Umdruck 444
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften
(Drucksachen IV/806, IV/2195).
Der Bundestag wolle beschließen:
In Artikel II — Änderung der Zivilprozeßordnung
— wird
a) in Nr. 1 in § 257 die Fassung der Regierungs-
vorlage wieder hergestellt;
b) in Nr. 2 in § 308 a Abs. 1 die Fassung der Regie-
rungsvorlage wieder hergestellt;
c) in Nr. 4 in § 721 Abs. 1 die Fassung der Regie-
rungsvorlage wieder hergestellt;
d) in Nr. 4 in § 721 Abs. 3 Satz 1 das Wort „darf"
durch „soll" ersetzt;
e) in Nr. 5 in § 794 a Abs. 3 Satz 1 das Wort „darf"
durch „soll" ersetzt.
Bonn, den 29. April 1964
Erler und Fraktion
Anlage 10 Umdruck 445
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- pj
setzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften ^
(Drucksachen IV/806, IV/2195).
Der Bundestag wolle beschließen:
In Artikel I — Änderung des Bürgerlichen Gesetz-
buchs — wird
a) Nr. 2 wie folgt gefaßt:
,2. § 538 wird wie folgt geändert:
a) Absatz 1 wird wie folgt gefaßt:
(unverändert wie Drucksache IV/2195 S. 2)
b) Folgender Absatz 3 wird angefügt:
„(3) Bei einem Mietverhältnis über Wohn-
raum ist eine zum Nachteil des Mieters
abweichende Vereinbarung unwirksam.",
b) in Nr. 3 in § 541 a Abs. 2 die Fassung der Regie-
rungsvorlage wieder hergestellt,
c) in Nr. 5 (§ 547) die Fassung der Regierungsvor-
lage wieder hergestellt,
d) Nummer 6 (§ 547 a) gestrichen,
e) in Nr. 9 in § 552 a die Fassung der Regierungs-
vorlage wieder hergestellt,
f) in Nr. 21 in § 569 a Abs. 5 die Fassung der
Regierungsvorlage wieder hergestellt.
Bonn, den 29. April 1964
Erler und Fraktion
Rauhaus
Dr. Reinhard
Scheppmann
Schlick
Stooß
Dr. Süsterhenn
Dr. Willeke
Wittmer^Eigenbroidt
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6057
Anlage 11 Umdruck 446
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften
(Drucksachen IV/806, IV/2195)
Der Bundestag wolle beschließen:
1. In Artikell I — Änderung des Biürgeriichen Ge-
-setzlbudis — wii'ild
a) Nr. 14 wie folgt gefaßt:
'14. § 556 a wird wie folgt gefaßt:
„ § 556 a
(1) Der Vermieter kann ein Mietverhältnis
über eine Wohnung nur kündigen, wenn er
ein berechtigtes Interesse an der Beendigung
des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung ist
schriftlich unter Angabe von Gründen zu er-
klären.
(B)
(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermie-
ters an der Beendigung des Mietverhältnis-
ses liegt insbesondere vor, wenn
a) der Mieter oder eine zu seinem Hausstand
oder Geschäftsbetrieb gehörige Person
sich eine erhebliche Belästigung des Ver-
mieters oder eines Hausbewohners schul-
dig macht, oder durch unangemessenen
Gebrauch des Mietraums oder Außeracht-
lassung der gebotenen Sorgfalt den Miet-
raum oder das Gebäude erheblich gefähr^
det oder
b) der Vermieter die Räume der Wohnung
für sich, die zu seinem Hausstand gehöri-
gen Personen oder Familienangehörigen
benötigt oder
c) der Vermieter durch Fortsetzung des Miet-
verhältnisses an einer gerechtfertigten
wirtschaftlichen Verwertung des Grund-
stücks gehindert und dadurch erhebliche
Nachteile erleiden würde.
(3) Der Mieter • kann die Fortsetzung des
Mietverhältnisses verlangen, wenn unter an-
gemessener Änderung der Vertragsbedingun-
gen dem berechtigten Interesse des Vermie-
ters Rechnung getragen werden kann.
(4) Eine entgegenstehende Vereinbarung ist
uniwiifksam. " '
b) folgende Nr. 14 a eingefügt:
'14 a. § 556 b wird wie folgt gefaßt:
"§ 556 b
Ist ein Mietverhältnis über Wohnraum auf
bestimmte Zeit eingegangen, so wird es nach
Ablauf auf unbestimmte Zeit fortgesetzt, so-
fern der Vermieter es nicht zum Ablauf unter
Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist
künldigt. § 556 gilt sinngemäß." '
Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter
Nummer 1:
2. In Artikel I — Änderung des Bürgerlichen Ge-
setzbuchs — wird
a) Nr. 14 wie folgt gefaßt:
,14. § 556 a wiild wie folgt geändert:
a) In Äbsatz 4 wird Ziffer 3 gestrichen.
b) Folgender Absatz 4 a wird eingefügt:
(4 a) Ein auf Grund der Absätze 2 oder 3
für eine bestimmte Dauer festgesetztes
Mietverhältnis gilt als ein Mietverhältnis
im Sinne des § 556 b."
c) Absatz 7 wird wie folgt gefaßt:
(unverändert nach Drucksache IV/2195
iS. 5)',
b) folgende Nr. 16 a eingefügt:
46'a. § 564 a Satz 1 erhält folgende Fassung:
„Die Kündigung eines Mietverhältnis-
ses über Wohnraum ist schriftlich unter
Angabe von Gründen zu erklären."
Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter
Nummer 2;
3. In Artikel I — Änderung des Bürgerlichen Ge-
setzbuchs — wird
a) Nr. 14 wie folgt gefaßt:
,14. § 556 a wiild wie folgt geänldert;
a) In Absatz 4 Ziff. 3 wird der Punkt durch
ein Komma ersetzt und folgendes ange-
fügt:
„sofern nicht während eines auf Grund des
Absatzes 2 oder 3 für eine bestimmte Dauer
festgesetzten Mietverhältnisses neue Um-
stände auftreten, die im Falle einer Kün-
digung zum" Widerspruch nach Absatz 1
berechtigen würden."
b) Absatz 7 wie folgt gefaßt:
(unverändert nach Drucksache IV/2195
iS. 5)',
b) folgende Nr. 16 a eingefügt:
'16 a. § 564 a Satz 1 wird wie folgt gefaßt:
„Die Kündigung /eines Mietverhältnisses
über Wohnraum ist schriftlich unter Angabe
von Gründen zu erklären."
Für den Fall der Ablehnung des Antrags unter
Nummer 3:
4. In Artikel I — Änderung des Bürgerlichen Ge-
setzbuchs — wird Nr. 14 wie folgt gefaßt:
,14. § 556 a wind wie folgt geändert:
a) In Äbsatz 1 werden die Worte „wegen be-
sonderer Umstände des Einzelfalls gestrichen.
6058
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124, Sitzung, Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
b) Absatz 7 wird wie folgt gefaßt:
{unverändert nach Drucksache IV/2195 S, 5)'.
B'onn, den 29, April 1964
Erler und Fraktion
Anlage 12 Umdruck 447
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften
(Drucksachen IV/806, IV/2195)
Der Bundestag wolle beschließen:
In Artikel I — Änderung des Bürgerlichen Gesetz-
buchs — erhält in Nr. 19 § 565 b folgende Fassung:
„§ 565 b
(1) Ist Wohnraum mit Rücksicht auf das Bestehen
eines Dienstverhältnisses vermietet, so sind bei An-
wendung der §§ 556 a, 556 b auch die Belange des
Dienstberechtigten zu berücksichtigen.
(2) Hat das Dienstverhältnis seiner Art nach die
Überlassung des vermieteten Wohnraums wegen
seiner unmittelbaren Nähe zur Stätte der Dienst-
leistung erfordert, so gelten, wenn nach Beendigung
des Dienstverhältnisses der Wohnraum aus dem
gleichen Grunde für einen anderen zur Dienstleistung
Verpflichteten benötigt wird, die folgenden beson-
deren Vorschriften:
1. Die §§ 556 a, 556 b sind nicht anzuwenden.
2. Bei einem Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit
ist eine Kündigung des Vermieters spätestens
am dritten Werktag einer Kalendermonats für
den Ablauf dieses Monats zulässig. Im übrigen
bleibt § 565 unberührt."
Bonn, den 29. April 1964
Erler und Fraktion
Anlage 13 Umdruck 448
Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur
zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften
(Drucksachen IV/806, IV/2195).
Der Bundestag wolle beschließen:
Nach Artikel II wird als Artikel II a eingefügt:
Artikel II a
Güteverhandlung
§ 1
In Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Vermieter
und dem Mieter oder dem Mieter und dem Unter-
fCl
mieter wegen Räumung von Wohnraum oder wegen
Fortsetzung des Mietverhältnisses nach §§ 556 a,
556 b des Bürgerlichen Gesetzbuches gelten die fol-
genden besonderen Vorschriften.
§ 2
Die mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht
beginnt mit einer Verhandlung zum Zwecke der
gütlichen Einigung der Parteien (Güteverhandlung). .
In der Ladung ist darauf hinzuweisen.
§ 3
In der Güteverhandlung erörtert das Gericht mit
den Parteien das gesamte Streitverhältnis und sucht
einen gütlichen Ausgleich herbeizufühfen. Zur Auf-
klärung des Sachverhalts kann das Gericht alle
Handlungen vornehmen, die ohne Verzug möglich
sind. Eidliche Vernehmungen sind ausgeschlossen.
§ 4
Erscheint eine Partei nicht, wird die Klage zurück-
genommen oder der Anspruch anerkannt, so tritt
das Gericht in das allgemeine Verfahren ein.
§ 5
Kommt eine Einigung nicht zustande, so tritt das
Gericht in die mündliche Verhandlung nach den all-
gemeinen Vorschriften ein.
Kommt es vor Beendigung der Güteverhandlung
zu einem Vergleich, so entfallen etwa bereits ent-
standene Gerichtsgebühren. Das gleiche gilt, wenn
vor Beendigung der Güteverhandlung die Klage
zurückgenommen oder der Klageanspruch anerkannt
wird.
§ 7
Die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte
vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzbl. I S. 861 S. 905)
wird wie folgt geändert:
§ 33 Abs. 1 Satz 1 erhält folgende Fassung:
„Für eine nicht streitige VeiJiandlung, insbeson-
dere eine Güteverhandlung, erhält der Rechtsan-
walt nur eine halbe Verhandlungsgebühr." ‘
Bonn, den 29. April 1964
Erler und Fraktion
Anlage 14 Umdruck 452
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften
(Drucksachen IV/806, IV/2195).
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6059
Der Bundestag wolle beschließen:
1. In Artikel I erhält Nr. 14 folgende Fassung:
„14. § 556 a wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 4 wird die Ziffer 3 gestrichen;
b) Absatz 7 wird wie folgt gefaßt;
(unverändert nach Drucksache IV/2195)
2. In Artikel I wird eine neue Nr. 14 a eingefügt:
'14 a. Nach § 556 b wird folgender § 556 c ein-
gefügt:
„§ 556 c
Ist auf Widerspruch des Mieters bereits
einmal durch Einigung oder Urteil die
Fortsetzung des Mietverhältnisses be-
stimmt worden, so kann der Mieter eine
weitere Fortsetzung nur verlangen, wenn
dies durch eine wesentliche Änderung der
Umstände, die nach dem § 556 a oder §
556 b maßgebend waren, gerechtfertigt
ist."'
3. In Artikel I erhält Nr. 19 folgende Fassung:
'19. Nach § 565 a werden folgende §§ 565 b,
565 c, 565 d und 565 e eingefügt:
„§ 565 b
Ist Wohnraum mit Rücksicht auf das Beste-
hen eines Dienstverhältnisses vermietet,
so gelten die besonderen Vorschriften der
§§ 565 c und 565 d.
(ö)
§ 565 c
Ist das Mietverhältnis auf unbestimmte
Zeit eingegangen, so ist nach Beendigung
des Dienstverhältnisses eine Kündigung des
Vermieters zulässig
1. spätestens am dritten Werktag eines
Kalendermonats für den Ablauf des
nächsten Monats, wenn der Wohnraum
weniger als zehn Jahre überlassen war
und für einen anderen zur Dienstlei-
stung Verpflichteten dringend benötigt
wird;
2. spätestens am dritten Werktag eines
Kalendermonats für den Ablauf dieses
Monats, wenn das Dienstverhältnis sei-
ner Art nach die Überlassung des
Wohnraums, der in unmittelbarer Be-
ziehung oder Nähe zur Stätte der
Dienstleistung steht, erfordert hat und
der Wohnraum aus dem gleichen
Grunde für einen anderen zur Dienst-
leistung Verpflichteten benötigt wird.
Im übrigen bleibt § 565 unberührt.
§ 565 d
(1) Bei Anwendung der §§ 556 a, 556 b
sind auch die Belange des Di enstbe recht! g-
tigten zu berücksichtigen.
(2) Hat der Vermieter nach § 565 c Satz 1
Nr. 1 gekündigt, so gilt § 556 a mit der Maß-
gabe, daß der Vermieter die Einwilligung
zur Forsetzung des Mietverhältnisses ver-
weigern kann, wenn der Mieter den Wider-
spruch nicht spätestens einen Monat vor der
Beendigung des Mietverhältnisses erklärt
hat.
(3) Die §§ 556 a, 556 b gelten nicht, wenn
1. der Vermieter nach § 565 c Satz 1
Nr. 2 gekündigt hat;
2. der Mieter das Dienstverhältnis ge-
löst hat, ohne daß ihm von dem
Dienstberechtigten gesetzlich be-
gründeter Anlaß gegeben war,
oder der Mieter durch sein Verhal-
ten den Dienstberechtigten gesetz-
lich begründeten Anlaß zur Auflö-
sung des Dienstverhältnisses ge-
geben hat.
§ 565 e
Ist Wohnraum im Rahmen eines Dienstver-
hätlnisses überlassen, so gelten für die Be-
endigung des Rechtsverhältnisses hinsicht-
lich des Wohnraums die Vorschriften über
die Miete entsprechend, wenn der zur Dienst-
leistung Verpflichtete den Wohnraum ganz
oder überwiegend mit Einriditungsgegen-
ständen ausgestattet hat oder in dem Wohn-
raum mit seiner Familie einen eigenen Haus-
stand führt."
(Wortlaut entspricht unverändert dem Wort-
laut des § 565 c auf Drucksache IV/2195 S. 6)
4. In Artikel I Nr. 21 erhält Absatz 5 des § 569 a (D)
folgende Fassung:
„(5) Der Vermieter kann das Mietverhältnis
unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen,
wenn in der Person des Ehegatten oder Familien-
angehörigen, der in das Mietverhältnis eingetre-
ten ist, ein wichtiger Grund vorliegt); die Kün-
digung kann nur für den ersten Termin erfolgen,
für den sie zulässig ist. § 556 a ist entsprechend
anzuwenden. "
Bonn, den 29. April 1964
Dr. Barzel und Fraktion
Anlage 15
Sdiriftlidie Begründung
des Abgeordneten Logemann zu dem Antrag (Druck-
sache IV/2154).
Die zukünftige Existenz der bäuerlichen Familien-
betriebe hängt entscheidend von dem Anteil ab, den
sie an der Veredelungswirtschaft haben. Die FDP
will hier diesen Betrieben mit gesetzlichen Maß-
nahmen einen Vorrang sichern und verhüten, daß
die vorhandenen Chancen der Veredelung von
einigen wenigen kapitalstärkeren, bodenunabhän-
gigen Veredelungsbetrieben genutzt werden. Mit
unseren Vorschlägen wird eine möglichst breite
Streuung der Veredelungsbetriebe durch eine Viel-
6060
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
zahl rationell produzierender bäuerlicher Schweine-
und Geflügelhalter erreicht.
Dazu bedarf es zunächst der Beseitigung steuer-
licher Benachteiligungen kleinerer landwirtschaft-
licher Betriebe gegenüber Betrieben, die über eine
größere landwirtschaftliche Nutzfläche verfügen.
Hinzu kommt die Notwendigkeit, einem festzustel-
lenden Trend zur bodenunabhängigen Veredelung
bei Sc±Lweinen und Legehennen entgegenzuwirken.
Wir verlangen deshalb die Festlegung einer oberen
Grenze der landwirtschaftlichen Schweine- und
Legehennenhaltung, die bei der jährlichen Erzeu-
gung von 800 Mastschweinen oder der Haltung von
5000 Legehennen gezogen werden soll.
Die Neuerrichtung oder Ausweitung bestehender
bodenunabhängiger Veredelungsbetriebe soll, wie
in anderen EWG-Ländern, nur nach Erteilung einer
Lizenz durch das Ministerium für Ernährung, Land-
wirtschaft und Forsten erfolgen.
Außerdem soll den Veredelungsbetrieben, die
nach ihrer Entstehung oder nach ihrer Grundlage
gewerblich sind, verwehrt werden, sich über Zukauf,
Zupachtung von Land oder durch andere Nutzungs-
rechte die für die bäuerlichen Betriebe bestimmten
steuerlichen und sonstigen Vergünstigungen zu be-
schaffen.
Die Frage der Geflügelmast ist absichtlich deswe-
gen nicht in diesen Antrag aufgenommen worden,
weil wir bislang in der Bundesrepublik nur gut
30 000 t produzieren und weit über 200 000 t ein-
führen. Hier zeichnet sich also noch ein großer
Spielraum ab; deswegen brauchen Einschränkungen
in der Produktionshöhe für den einzelnen Betrieb
nach unserer Ansicht nicht vorgenommen zu wer-
den.
Anlage 16
Schriftliche Antwort
des Herrn Staatssekretärs Bargatzky vom 18. April
1964 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeord-
neten Dr. Kohut (Drucksache IV/2139 Fragen Xlll/ß,
XIII/7 unid XIII/8) :
Bestehen für die Durchführung des ärztlichen Sonntagsdienstes
im Bundesgebiet einheitliche Richtlinien?
Es bestehen keine einheitlichen Richtlinien. Der
ärztliche Notfalldienst wird von den Ärztekam-
mern der Länder auf Grunld der Berufs Ordnungen,
die von den zuständigen Landesbeihörden genehmigt
worden sind, geregelt.
Sind der Bundesregierung die Schwierigkeiten bekannt, die
beim ärztlichen Sonntagsdienst mancherorts für Ärzte und Patien-
ten bestehen?
Es ist bekannt, daß hier und dort aufitreteniden
Schwierigkeiten von den Länldern in Zusammen-
arbeit mit den K'ammern nachgegangen wird.
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, den diensthabenden
Ärzten am Sonntag Autorufanlagen zur Verfügung zu stellen,
um damit gefährdende und unnötige Wartezeiten zu vermeiden?
Wie mir von zuständigen LandesbehÖrden mit-
getöilt wurde, haben sich bereits Ärzte mit Auto-
fCl
rufianlagen ausgerüstet. Es ist jedoch bisher kein
Wunsch -an die öffentliche Hand herangetragen
worden, der Ärzteschaft dabei behilflich zu sein.
Sollte ein derartige Unterstützung gewünscht wer-
den, wird es Aufgabe der Länder sein, darüber zu
entscheiden.
Anlage 17
Schriftliche Antwort
des Herrn Bundesministers Stücklen vom 18. April
1964 auf die Mündliche Anfrage deis Abgeordneten
Lemmrich (Drucksache IV/2139 Frage X/1):
Beabsichtigt die Deutsche Bundespost, die Postordnung § 14 III
dahin gehend zu ändern, daß in Zukunft Briefmarkensammler die
auf Paketkarten aufgeklebten Briefmarken behalten können?
Leider kann ich. für die Praxis der Briefmarken-
sammler mit dem Inkrafttreten der neuen Postord-
nung vom 16. Mai 1963 zum 1. Juni 1964 keine neue
Funjdgrube für Freimarken erschließen, obwohl mit
Ablauf der bisherigen Postordnung vom 30. Januar
1929 zum 31. Mai 1964 der in der Anfrage zitierte
§ 14, III Postordnung wegfällt. Vom 1. Juni 1964 an
sind nämlich nach § 8 Abs. 3 der neuen Postordnung
alle Paketsenidungen bar freizumiachen. Die Gebüh-
ren sinld dann bei der Einlieferung durch Zahlung dn
Geld bzw. durch Scheck oder Überweisung bzw.-
Abbuchung vom Postscheckkonto zu entrichten. Es
gibt somit ab 1. Juni 1964 keine auf Paketkarten
aufgeklebiten Briefmarken für dien Anwendungs-
bereich der Postordnung mehr.
Der Grunld der Neuregelung ist darin zu sehen,
daß sich im Zuge der stäridigen Bemühungen, die
Deutsche Bunde‘spost mit der technischen Entwick-
lung Schritt halten zu lassen, beim Einsatz von Ge-
bühren verrechnender Buchungsmaschinen im Paket-
sch alt erdienst ein Rationalisierungiseffekt heraus-
gestellt hat.
Der Einsatz derartiger die Gebühren verrechnender
Einnahmemasciilinen an den Paketschaltern ist im
übrigen heute schon so weit verbreitet, daß in der
Praxis zur Zeit nur noch in ganz bescheMenem
Umfang Freimarken auf Pakiet- und Postgutkarten
meistens bei kleinen Dienststellen zur Entrichtung
der Geibühr verklebt werden.
Anlage 18
Schriftliche Antwort
des Herrn Bundesministers Stücklen vom 18. April
1964 auf die Mündlichen Anfragen der Abgeord-
neten Frau Dr. Flitz (Drucksache IV/2139 Fragen
X/2 und X/3):
Trifft es zu, daß die Deutsche Bundespost für die Installation
eines Fernsprechansdilusses eine Pauschalgebühr erhebt, gleich-
gültig, welche Leistung vollbracht wirdt
Ja, es trifft zu, daß durch die Verordnung zur
Änderung der Fernsprechgebührenvorschriften vom
19. Dezember 1962 ab 1. Januar 1963 die Gebühren
für die Herstellung von Fernsprechanschlüssen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6061
fAl
pauschaliert worden sind. Die zu entrichtende Ge-
bühr hängt damit nicht mehr im einzelnen von dem
Umfang der verschiedenartigen Herstellungsleistun-
gen ab.
Hält es die Bundesregierung für richtig, daß ein Fernsprech-
teilnehmer bei dem Anschluß seines Apparates an eine vorhan-
dene Leitung die gleiche Pauschale von 90 DM bezahlen muß wie
für die Installation eines Fernsprechanschlusses mit langer Frei-
leitung und größerer Hausinstallation, obwohl die Arbeitsleistung
in einem solchen Fall im allgemeinen nicht mehr als 30 Minuten
beträgt?
Wie ich schon erwähnte, liegt es im Wesen einer
Pauschale, hier z. B. die Zahlungspflichtigen Fern-
sprechteilnehmer allgemein gleich zu belasten, selbst
wenn unterschiedliche Leistungen bei Einrichtung
von Fernsprechanschlüssen aufkommen sollten. Da-
zu ist jedoch noch grundsätzlich zu bemerken, daß
der eingeführte Pauschalsatz von 90,— DM kein
willkürlicher Betrag ist, sondern einen Erfahrungs-
wert über die durchschnittliche Höhe der tatsäch-
lichen Einriehtungskosten darstellt. In den vielen
Fällen wird also die geforderte Gebühr den wirklich
entstandenen Kosten im wesentlichen entsprechen,
und nur im geringen Umfang werden die Teilnehmer
gleichmäßig verteilt durch die Pauschalierung gün-
stiger bzw. ungünstiger als früher wegkommen.
In diesem Zusamenhang erscheint es mir aber auch
noch wesentlich zu erwähnen, daß der Arbeitsauf-
wand für die Herstellung eines einzelnen Anschlus-
ses sich keineswegs nur auf die Arbeiten in den
Wohn- oder Geschäftsräumen des Teilnehmers und
die teilweise sichtbaren Außeninstallationen der
ß) Freileitungen beschränkt. Ein von diesen Beobach-
tungen ausgehendes Urteil über die z. B. unter-
schiedliche Höhe der tatsächlichen Errichtungskosten
und den Wert oder Unwert der auf 90, — DM fest-
gesetzten Pauschale, wie es teilweise versucht wird,
und wie es sich übrigens auch aus Ihrer Anfrage —
sehr geehrte Frau Kollegin — ergibt, kann damit
nicht vollständig und richtig sein.
Es sind nämlich bei der Einrichtung eines Fern-
sprechanschlusses nicht nur die reinen Installations-
arbeiten, sondern sogar überwiegend auch in den
verschiedensten Betriebsstellen der Deutschen Bun-
despost und z. T. an den Schalteinrichtungen des
Ortsleitungsnetzes Arbeiten erforderlich. Ferner ist
zu bedenken, daß ebenfalls eine umfangreiche Ver-
waltungsarbeit von der Entgegennahme des An-
trages auf Einrichtung eines Anschlusses bis zur
Ergänzung der Unterlagen für Auskunft, Entstö-
rungsdienst und Fernsprechbuch durchzuführen ist
All diese von den Teilnehmern nicht wahrzuneh-
menden Tätigkeiten verursachen in der Regel weit
höhere Kosten als die Installation des Fernsprech-
apparates.
Die Erhebung einer Pauschale von 90, — DM für
die Herstellung eines Fernsprechanschlusses ist
unter diesen Umständen durchaus gerechtfertigt und
gegenüber den damit allgemein gleich behandelten
Teilnehmern zu vertreten. Dies noch um so mehr
als die Pauschale zu einer bemerkenswerten Ratio-
nalisierung des bisherigen Abrechnungsverfahrens
geführt und damit zur Erhaltung der Wirtschaftlich-
keit im Bereich dieser Leistungen beigetragen hat.
Anlage 19
Schriftliche Antwort
des Herrn Bundesministers Stücklen vom 18. April
1964 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordne-
ten Unertl (Drucksache IV/2139 FragenX/4 und X/5):
Ist dem Herrn Bundespostminister bekannt, daß durch die
bisher nicht erfolgte Fertigstellung des geplanten neuen Knoten-
amtes in Passau einem großen Teil des östlichen niederbaye-
rischen Raumes die Umschaltung ln die Landesfernwahl nicht
möglich ist?
Im Bereich der Hauptvermittlungsstelle mit Wähl-
betrieb Passau können nach dem Stand von Dezem-
ber 1963 bereits 92,8 v. H. aller abgehenden Fernge-
spräche von den Teilnehmern selbst gewählt wer-
den. Der Anteil der durch Selbstwahl abgewickelten
Ferngespräche im Bereich der Hauptvermittlungs-
stelle Passau, zu dem auch die Knotenvermittlungs-
stellen Passau, Obernzell, Waldkirchen, Freyung
(Wald), Vilshofen, Pfarrkirchen, Simbach (Inn)
und Pöcking gehören, liegt damit über dem Bundes-
durchschnitt, der nach dem Stand vom Dezember
1963 91,5 V. H. betrug.
Wann ist mit der Fertigstellung des geplanten Knotenamtes
in Passau zu rechnen, um damit eine nachhaltige Verbesserung
der Telefon- und Fernschreib(Telex)-Verhältnisse im Raume
Passau und im östlichen Niederbayern zu erreichen?
Es trifft zu, daß Voraussetzung für die volle Ein-
gliederung des Raumes Passau und des östlichen
niederbayerischen Gebietes in die Landesfernwahl
der Umbau und die Erweiterung des Fernmelde-
dienstgebäudes in Passau, Lambergstraße 4/Grünau-
straße 35 ist. Die Planung hierfür ist bereits im
Gange. Ich hoffe, daß es bei der schwierigen Finanz-
situation der Deutschen Bundespost möglich sein
wird, das Bauvorhaben, dessen Kosten auf etwa
3,5 Mio DM veranschlagt sind, in den Haushaltsvor-
anschlag der Deutschen Bundespost für das Rech-
nungsjahr 1965 einzustellen. Die Durchführung der
Hochbaumaßnahmen wird bei dem vorgesehenen
Umfang etwa 2 bis 3 Jahre in Anspruch nehmen.
Erst wenn die Räumlichkeiten bezugsfertig herge-
stellt sind, was nicht vor 1967 der Fall sein wird,
kann mit dem Aufbau der neuen technischen Einrich-
tungen, deren Beschaffung und Einbau übrigens wei-
tere 3,0 Mio DM kostet, begonnen werden. Für den
Aufbau der technischen Einrichtungen werden HA
bis 2 Jahre gebraucht werden. Unter diesen Umstän-
den kann mit der Inbetriebnahme der neuen Haupt-
vermittlungsstelle mit Wählbetrieb Passau nicht vor
1969 gerechnet werden.
Hinsichtlich der Abwicklung des Fernschreib-
verkehrs sind mir Schwierigkeiten im Raume Passau
und im östlichen Niederbayern bisher nicht bekannt
geworden.
Der Fernschreibverkehr ist im gesamten Bundes-
gebiet, also auch im Raume Passau voll automati-
siert. Im übrigen ist die Telex-Vermittlungsstelle
Passau für die Anschaltung weiterer Fernschreib-
teilnehmer auch noch aufnahmefähig.
6062
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
Anlage 20
Schriftliche Antwort
des Herrn Bundesministers Stücklen vom 18. April
1964 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordne-
ten Mancher (Drucksache IV/2139 Fragen X/6 und
X/7):
Ist dem Bundespostministerium bekannt, daß es zwischen der
Bundespost und den Gemeinden immer wieder zu Schwierigkeiten
betreffend die Kabelverlegung auf Gehwegen usw. kommt?
Ja, das Problem ist mir durchaus bekannt. Aller-
dings sind bei dem großen Umfang der von den ver-
schiedenen Bauträgern vorzunehmenden Arbeiten
Schwierigkeiten kaum zu vermeiden. In etwa
2 Gruppen lassen sich die häufiger wiederkehrenden
Schwierigkeiten aus der Sicht des Bundespostmini-
sterium einordnen.
a) Nicht rechtzeitig bekannt gewordene und damit
einzuplanende Straßenumbauvorhaben. Die
Deutsche Bundespost wird hierdurch zu unpro-
duktiven und nach ihrer Interessenlage meistens
unnötigen Umbauten an unterirdischen Fernmel-
deanlagen in relativ kurzer Frist und dazu nöch
Tausenden von Einzelbauvorhaben gezwungen.
Allein im Jahre 1963 mußte die Deutsche Bun-
diespost hierfür 85 Mio. DM aufbringen. Es ist
offensichtlich, daß bei einem derartigen Umfang
diese von der Deutschen Bundespost in der
Regel nicht verschuldete Situation sowohl zu
unliebsamen Verzögerungen im Straßenbau als
auch zu kostspieligen Improvisationen und Stö-
(B) rungen und Verschiebungen im Ablauf der plan-
mäßigen Investitionsmaßnahmen der Deutschen
Bundespost führt.
b) Bei der Erschließung von Baugebieten usw.
kommt es vor, daß neue Straßen- und Gehweg-
decken durch die Deutsche Bundespost zum Ein-
bau der Kabel später wieder aufgerissen wer-
den. Die finanziellen Möglichkeiten der Deut-
schen Bundespost reichen hier nicht aus, um in
allen Fällen vor Aufbringen der Wegedecken
die künftig erforderlichen Anlagen vorsorglich
einzubauen. Die vorzeitige Inanspruchnahme der
knappen Investitionsmittel ist bei der ange-
spannten Finanzlage der Deutschen Bundespost
in der Regel einfach nicht möglich.
Ist das Bundespostministerium bereit, dem in Frage X/6 er-
wähnten Ubelstand abzuhelfen, indem die Planung für Verlegun-
gen von Kabeln und dergleichen auf mehrere Jahre hinaus den
Gemeinden mitgeteilt wird, damit sich die Gemeinden für be-
absichtigte Straßenbauarbeiten darauf einstellen können?
Selbstverständlich bin ich zu jeder vertretbaren
und sinnvollen Maßnahme bereit, um die angedeu-
teten Schwierigkeiten zumindest zu mindern. Ich
muß allerdings darauf hinweisen, daß in meinem
Bereich bereits derartige Anordnungen bestehen
und das Mögliche in dieser Richtung getan wird. So
besagen z. B. die Planungsvorschriften für den Orts-
netzausbau, daß zur Vermeidung häufiger Straßen-
aufbrüche gleich größere Kabelreserven mit einzu-
bauen sind. Dies erfordert allerdings wieder höhere
Investitionsmittel und beschränkt die Möglichkeiten
an anderen Stellen. Ferner sind alle Baukräfte der
Deutschen Bundespost angewiesen mit den Gemein-
den in allen Planungs- und Koordinierungsfragen
persönlich Verbindung zu halten. Spätestens anläß-
lieh der vorgeschriebenen Planfeststellungsver-
fahren werden die Gemeinden auch schriftlich über
die Kabelbauvorhaben der Deutschen Bundespost
unterrichtet und dazu gehört.
Es erscheint dagegen kaum möglich, den Gemein-
den darüber hinaus noch ein mehrjähriges verbind-
liches Planungsprogramm zu geben. Allein schon
die Ungewißheit über die Haushaltsvorlage der
Deutschen Bundespost, die begrenzte personelle
Planungskapazität und im übrigen auch die man-
gelnde Kenntnis der Bauprogramme der übrigen
Beteiligten stehen dem entgegen.
Anlage 21
Schriftliche Antwort
des Herrn Bundesministers Dr. Dollinger vom
22. April 1964 auf die Mündliche Anfrage des Ab-
geordneten Dr. Müller-Emmert (Drucksache IV/2139
Frage XII/1).
Bis wann kann mit dem Neubau für das Bundesverfassungs-
gericht in Karlsruhe begonnen werden?
Die Baumaßnahme ist so weit vorbereitet worden,
daß am 1. 6. 1964 mit der Baureifmachung des Bau-
geländes und am 1. 9. 1964 mit den Bauarbeiten be-
gonnen werden kann. Die Rohbauarbeiten ein-
schließlich der Gestaltung der Fassaden sollen bis
zum 1. 9. 1966 fertiggestellt sein. Die gärtnerische (D)
Gestaltung soll bis zum Beginn der Bundesgarten-
schau im Frühjahr 1967 durchgeführt werden. Mit
der Fertigstellung des Gebäudes wird voraussicht-
lich 1968 gerechnet.
Anlage 22
Schriftliche Antwort
des Herrn Bundesministers Dr. Dollinger vom
22. April 1964 auf die Mündlichen Anfragen des
Abgeordneten Börner (Drucksache IV/2139 Fragen
XII/3 und XII/4):
Die Fragen berühren die Angelegenheit der Pla-
nung beim Neubau -der Kanzlei, für die mein Haus
zuständig ist, und auch fürsorgierische Angelegen-
heiten und solche des Raumprogramms, für die das
Auswärtige Amt zuständig ist.
Im Einvernehmen mit des Auswärtigen Amt be-
antworte ich die Fragen wie folgt:
Stimmt es, daß im neuerbauten Botschaftsgebäude der Deut-
sdien Botsdiaft in Paris keine Kantinenräume für dort beschäf-
tigte Botschaftsbedienstete vorgesehen wurden?
Es trifft zu, daß im neu errichteten Botschaftsge-
bäude der Deutschen Botschaft in Paris keine Kan-
tinenräume für die dort beschäftigten Botschaftsbe-
diensteten vorhanden sind.
Wer ist für dieses in Frage XII/2. genannte Versäumnis ver-
antwortlich?
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 124. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 29. April 1964
6063
Ein Versäumnis liegt nicht vor. Die Kantine
konnte im Neubau der Kanzlei nicht untergebracht
werden, weil dies die beschränkte Größe des Bau-
platzes nicht zuließ.
Der Neubau der Kanzlei wurde auf dem Grundstück
an der Avenue Franklin Roosevelt Nr. 13 — 15 er-
richtet, auf dem auch bisher das Dienstgebäude der
Botschaft stand, 'das wegen Überalterung abgebro-
chen werden mußte.
Bei Untersuchung der Ausnutzbarkeit des Grund-
stücks, also bei Aufstellung der Raumbedarfsnach-
weisung, die -der Planung für den Neubau zugrunde
liegt, wurde gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt
erörtert, in der Kanzlei eine Kantinenanlage vor-
zusehen. Das behördlich zugelassene Bauvolumen
war aber schon durch die Unterbringung der Kanz-
leiräüme so ausgeschöpft, daß der Einbau einer
Kantinenanlage nicht verwirklicht werden konnte.
Aus dem gleichen Grunde konnte auch die Rechts-
und Konsularabteilung nicht auf dem Grundstück
untergebracht werden. Sie befindet sich noch in
einem Gebäude in der Avenue de Jena. Sobald es
möglich ist, ein Nachbar grundstück zu erwerben,
soll die Rechts- und Konsularabteilung mit dem
Kanzleineubau räumlich verbunden werden. Dabei
ist nach wie vor geplant, auf dem Nachbargrund-
stück auch eine Kantine zu schaffen.
(B) Anlage 23
Schriftliche Antwort
des Herrn Staatssekretärs Bargat:^ky vom 24. April
1964 auf diie Mündlichen Anfragen des Abgeord-
neten Jacobi (Köln) (Drucksache IV/2139, Fragen
XIII/3, X'IIl/4 unid XIII/5):
Da vom 1. Oktober 1964 an nur nodi Wasch- und Reinigungs-
mittel mit sogenannten weichen Detergentien hergestellt und in
den Handel gebracht werden dürfen, die gegenüber den bisher
gebräudilidien in biologischen Kläranlagen leichter und schneller
abgebaut werden können, frage ich die Bundesregierung:
Wieviel a) mechanisch, b) biologisch arbeitende Kläranlagen
gibt es in der Bundesrepublik?
Wieviel a) mechanisch, b) biologisch arbeitende Kläranlagen
sind in der Bundesrepublik im Bau?
Wie groß ist der Fehlbedarf an Kläranlagen in der Bundes-
republik?
Ich bitte damit einverstadden zu sein, daß diie
Fragen nicht einzeln, isonfdern im Zusammenhang
beantwortet werden.
Die Angabe von Zahlen über den Bestand an
mechanischen und biololglischen Kläranlagen sowie
über den FeMbedarf ist in der gegenwärtigen
Situation nicht möglich, denn die früheren Erhebun-
gen sind veraltet.
Eine amtliche Erhebung ist erstmfalig für dias Jahr
1957 auf Grund der Verordnung über die Statistik in
der öffentlichen Wiasserversorgung und im öffent-
lichen Abwasserwesen vom 3. April 1958 durchge-
führt woijden. Die Befragung erstreckte sich damals
nicht auf die Zahl der Kläranlaigen, sondern auf die
Menge unid die Behandlung des Abwassers und die
Zahlen der Einwohner, die an öffentliche Kanali-
sationen angeschlossen sind. Seit 1957, besonders
aber in den letzten zwei Jahren, sind von den Ge-
meinden zahlreiche mechanische und biologische
Kläranlagen neu gebaut sowie alte Anlagen ver-
größert und zu biologischen Anlagen erweitert wor-
den. Die Zahl geht in die Hunlderte.
Um neue Zahlen zu eilhalten, ist von meinem
Haus in Zusammenarbeit mit den Länldem und dem
Statistischen Bundesamt eine amtliche Erhebung für
das Jahr 1963 vorbereitet worden, die gegenwärtig
anläuft. Dazu hat die Bundesregierung mJit Zustim-
mung des Bundesrates die Verordnung vom 21. März
1964 erlassen. Die Auswertung der Ergebnisse wird
allerdings nicht vor Anfang 1965 vorliegen, so daß
erst dann Ihre Fragen zuverlässig beantwortet wer-
den können.
Ursiprünglich war geplant, die zweite Erhebung
schon im Jahre 1960 durchzuführen. Der Entwurf für
die Verordnung vom 3. April 1958 enthielt einen
entsprechenden Hinweis, der aber vom Bundesrat
gestrichen worden ist, weil er der Meinung war, daß
zunächst einmal das Ergebnis dieser ersten Wasser-
und Abwasserstatistik abgewartet werden sollte, be-
vor der Zeitpunkt für eine zwed-te Erhebung fest-
gelegt würde.
1960, nach Abschluß der Auswertung der Erbe-
bungsergebnisse für 1957, wurden die Verhandlun-
gen über die zweite Verordnung wieder aufgenom-
men. Dabei mußte längere Zeit über den Inhalt der
Erhebungsbögen und über das Erheb ungsjahr ver-
handelt werden.
Im der Öffentlichkeit sind wiederholt Besorgnisse
über idie größere Giftigkeit der neuen Detergentien
gegenüber den alten geäußert worden. Überlegun-
gen, die Detergentien- Verordnung etwa wegen der
noch nicht ausreichenden Zahl von bioiloigischen
Kläranlagen nicht am 1. Oktober 1964, sonldern erst
zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft treten zu las-
sen, wären jedoch falsch. Nach dem Urteil aller dar-
über gehörten SacbverstänJdigen wirkt sich die er-
höhte Ablbaufähiigkeit neuer Detergentien nicht nur
in Kläranlagen, sondern auch ln den Wasserläufen
selbst aus. Auch wenn nicht mehr Kläranlagen vor-
handen wären, würde dadurch ein Fortschritt erzielt.
Tatsächlich sind aber wesentlich mehr biologische
Kläranlagen vorhanden als seinerzeit bei der Bie-
ratung des Detergentien-Gesetzes. über die Giftig-
keit der neuen Detergentien, die im übrigen nur auf
Fische, nicht auf Warmiblüter wirken könnte, hat
das Bundeisge'sunjdheitsamt auf meine Anforderung
hin ein Gutachten erstattet, in dem neue Gefahren
verneint werden. Ich bin der Überzeugung, daß das
Inkrafttreten derDetergentien-Verordnung am 1. Ok-
tober 1964 dem Gewässerschutz funld idlamiit der
Volksgesunidheit dient, unid daß man diesen Termin
nicht wegen des Fehlens biologischer Kläranlagen
hinausschieben sollte.